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Sparking Angel

von

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Gedankenwelten

Kapitel 1: Gedankenwelten
 


 

Langsam stieg er die kurze Treppe zum Schulhof herab. Das Geräusch seiner Schritte auf dem nassen Beton verschwand im dichten Nebel. Ebenso wie der Busbahnhof hinter ihm und der graue Schulhof vor ihm. Der Nebel schien alles in sich aufzunehmen, restlos...bis auf ihn. Die schwarze Gestalt schien der Mittelpunkt der grauen Trostlosigkeit zu sein. Ein lachendes Kind durchbrach die Stille, wurde aber dennoch gedämpft. Es spürte nicht die traurige Stille um sich herum. Es wusste noch nicht um die schlechten Seiten dieser Welt. Es war noch so herrlich uner- fahren oder eben einfach normal. Lachte es vielleicht deshalb noch?

Er kannte die dunklen Seiten des Lebens, hatte er viele doch schon selbst erlebt. Jedoch hatte sich, seit dem ersten Tag auf dieser Schule, viel für ihn geändert. Er hatte endlich verstanden, dass er nicht so war wie die anderen. Und er hatte es aufgegeben, sich anpassen zu wollen. Hatte aufgehört zu lachen.
 

Gerade hatte er sich auf seinem Stuhl niedergelassen und begann nun langsam, seine Schulsachen auszupacken, als der Lehrer auch schon den Klassenraum betrat. Wie immer warf dieser ihm einen mitleidigen Blick zu, da er so alleine hinten an seiner Bank saß, doch das störte ihn schon lange nicht mehr. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und deshalb schenke er dem Lehrer ein - wenn auch gefälschtes- Grinsen. Dem Lehrer schien dies zu genügen, denn er machte sich wieder auf den Weg zu seinem Pult. „So viel hat er gelernt, gibt es weiter und weiß doch nur so wenig...“

Schließlich begann der Unterricht, nachdem der Lehrkörper die Klasse zur Ruhe gebracht hatte. Auch Lawrence versuchte aufzupassen. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Leider gingen ihm viel zu viele Dinge im Kopf herum. Das erleichterte das Nachdenken über Mathematik nicht gerade. „Verflucht! Warum schaffen es die anderen, aufzupassen?!“, fragte er sich im Stillen und einen Augenblick später wurde ihm bewusst, dass er durch diesen Gedanken wieder einen wichtigen Satz des Lehrers nicht mitbekommen haben könnte. War er vielleicht einfach nur übermüdet? Hatte er gestern zu lange gearbeitet? Nein...das konnte nicht sein. Es war die Angst, die seinen Gedankenfluss nicht stoppen ließ. Ihm sogar praktisch das Fließen erleichterte, in dem es ein Tal baute, wo normalerweise Dämme hätten stehen sollen. Und es noch weiter regnen ließ...Tränen der Angst, die den Fluss noch stärker machten. Ein Sturm des Leidens.

„Mr. Hill, würden Sie für uns alles noch einmal zusammenfassen und erklären?“, fragte der Lehrer. Ein wenig Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit – er hatte durchschaut, dass Lawrence in Gedanken war. Tja, er war eben ein Lehrer. „Ich denke, durch ihre ausführliche Erklärung dürfte es nun wohl jeder verstanden haben. Ich persönlich fände es logischer, mit dem Stoff fort zu fahren, denn bis zur Arbeit sind es nur noch zwei Tage.“, gab Lawrence zurück, in der Hoffnung, der Lehrkörper würde noch einmal Erbarmen haben und ihn nicht vor der Klasse bloßstellen. Zumal das mit der Arbeit wirklich stimmte – sie hingen hinterher und mussten bis zur Arbeit alles können. Das ganze nahm nur unnötig Zeit in Anspruch. „Mh...ich denke, da haben Sie Recht. Wir haben noch viel zu tun...also fahren wir fort...“ Glück gehabt. Allerdings würde das ganze wieder mal ein Gespräch auf dem Flur mit sich bringen. Doch das würde wahrscheinlich wie die anderen male auch nichts bringen. Ein Gespräch mit dem Lehrer brachte seine Gedanken auch nicht zur Ruhe. Leider. Wie gerne hätte er einfach nur einmal dem Lehrer zugehört, mitgedacht und einfach mal nichts anderes im Kopf gehabt. Nur Formeln und Mathematik...logisch und ohne Gefühle.
 

Nach einer weiteren Stunde in ungewollten Gedanken klingelte es endlich zur Pause. Lawrence wollte endlich aufhören zu denken...und das ging nur durch seinen MP3-Player. Er war schon dabei, sich einen Song auszusuchen, als er aus der Tür trat. Allerdings kam er nicht dazu, sich auch noch die Hörer in die Ohren zu stecken, denn wie erwartet stand vor der Tür der Lehrer.

„Mr. Hill...ich denke sie wissen ebenso gut wie ich, dass es so nicht weitergehen kann. Während der Stunde hängen Sie ihren Gedanken hinterher anstatt dem Unterricht zu lauschen.“ „Ich weiß, Mr. Owner...ich kann sie nicht stoppen. Ich weiß nicht, was ich tun könnte, damit es aufhört. Ich versuche es wirklich...“, gab Lawrence leicht verzweifelt zurück. Wie oft hatte er dieses Gespräch schon geführt, aber dieser Mensch wollte es anscheinend nicht verstehen. „Ich weiß nicht, welchen Gedanken Sie nachhängen. Seien es wichtige oder Unwichtige, Tatsache ist, dass Sie sich mehr auf den Unterricht konzentrieren müssen.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er schließlich fort: „Was beschäftigt Sie so? Ich glaube sagen zu dürfen, Sie schon sehr lange zu kennen...ich habe Sie kein einziges Mal herzhaft lachen sehen. Sie können mir auch nichts vormachen...Ihr Lächeln, dass Sie mir jeden Tag schenken, ist nicht echt.“ Wow! Er hatte es gemerkt? Lawrence dachte eigentlich, der Lehrer würde ihn für einen seltsamen Spinner halten, der den ganzen Tag in Gedanken vor sich hin grinste. Wie man sich doch täuschen konnte.

„Ich weiß nicht, warum ich soviel nachdenke...manchmal ist es wirklich unwichtig, aber ich merke erst später, dass ich gar nicht aufgepasst habe...dann versuche ich es, doch am Ende denke ich doch wieder über irgendetwas nach.“

„Ich kenne das...allerdings war es bei mir relativ selten und ich habe noch genug aufgepasst. Kann es sein, dass Sie Sorgen haben und niemanden, dem Sie sie erzählen könnten?“

Tatsächlich hatte Lawrence das...und niemanden, dem er sie erzählen WOLLTE – also auch keinem Lehrer. Nicht einmal einem, der seine Maskerade durchschaut hatte.

„Nein...Sorgen habe ich keine...außer meinen Noten. Ich bin nicht depressiv, wenn Sie das meinen.“, gab er schließlich zurück. Natürlich war es gelogen, aber er wollte wirklich nicht darüber reden – vor allem nicht hier und jetzt.

„Nun gut...wenn Sie meinen. Falls Sie aber doch einmal Probleme haben und mit jemandem darüber reden wollen, wissen Sie ja, wo Sie mich antreffen können.“, meinte er und verschwand mit einem Gruß im Lehrerzimmer.

Mit einem Blick auf die Uhr setzte Lawrence schließlich die Hörer in die Ohren und machte sich auf den Weg zum Ausgang.

Der Nebel von vorhin war immer noch da. Man konnte nicht bis ans Ende des Schulhofs blicken. Dort hinten sah man die Umrisse anderer Schüler nur noch schemenhaft. So wirkte der Schulhof beinahe gemütlich...nicht so voll gestopft.

Überwiegend aber trostlos und einsam. Die wenigen Bäume, die man momentan am Rand des Hofs sehen konnte, hatten all ihre Blätter verloren und trugen ihren Teil zur Szenerie bei. Zu einem eben dieser Bäume lenke Lawrence nun seine Schritte über den grau-schwarzen Asphalt. Das Geräusch verlor sich im Nebel, sodass man es nur gedämpft wahrnehmen konnte.

Unter dem Baum konnte er sich nun vollends auf die Musik in seinen Ohren konzentrieren. Sie ließ das Bild, das sich ihm bot, beinahe grotesk wirken.

Düstere Klänge bildeten die Kulisse des in den Nebel eingetauchten Schulhofs, der die lachenden Kinder beherbergte. Sie spielten, lachten und nur selten sah man ein Kind traurig oder verdrießlich dreinblicken. Selbst die älteren standen in ihren Cliquen und lachten über irgendwelche Dinge. Über die Klamotten des Lehrers oder das kleine Mädchen, das gerade sein Pausenbrot fallen gelassen hatte...beleidigt hob es dieses wieder auf und warf es in die nächste Mülltonne. Kurz darauf hatte es schon wieder ein weiteres in der Hand auf das es nun besonders aufpasste.

Es wirkte alles so surreal...

Ein Tropfen viel auf Lawrences Gesicht. Kurz darauf folgte ein zweiter. Er lenkte seinen Blick zum Himmel um ins Angesicht der grauen Wolken sehen zu können. Sie zogen weiter über die Schule hinweg wie eine dunkle Armee. Eine endlose Armee.

Immer mehr Tropfen fielen herab und scheuchten die Kinder unter das Vordach der Schule. So quetschten sich also alle darunter, nur Lawrence blieb unter seinem Baum. Er mochte den Regen. „Nur er bringt dich dazu, erhobenen Hauptes durch die Straßen zu gehen, wenn du weinst...“
 

Wieder im Klassensaal konnte er seinen Blick nicht vom Fenster wenden. Dort draußen fiel der Regen nun schon seit 10 Minuten und erschwerte die Sicht noch mehr. Das Wasser peitschte durch den Wind an die Fenster, wie die Gedanken in seinen Kopf. Für heute hatte er das Aufpassen aufgegeben. Er wusste ja noch nicht einmal, welches Fach sie gerade hatten! Dort vorne stand eine Lehrerin, die mit aller Kraft versuchte, die Klasse ruhig zu stellen, was durch ihre leise Stimme nicht gerade erleichtert wurde. Es beachtete sie schlicht und einfach niemand.

Man sah ihr die Erschöpfung an. Schweiß stand ihr auf der Stirn und ihr Blick verriet Hilflosigkeit. Ständig strich sie sich die schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht, wahrscheinlich eine Stressreaktion. Irgendwann war sie dann so fertig, dass sie sich auf den Lehrerstuhl fallen ließ. Sie ließ den Kopf in ihre Hände sinken, während die Klasse weiter ihren Dingen nachging und sie nicht beachtete. Lawrence war sich sicher, dass sie kurz davor war, loszuweinen.

Er stand auf und ging langsam nach vorne, wich dabei geschickt herumalbernden Klassenkameraden aus, bis er schließlich am Pult stand.

„RUHE!!“, schrie er in die Klasse hinein, so laut er nur konnte. Alle drehten sich verdutzt nach ihm um und gafften ihn an. „Seht ihr denn nicht, wie fertig sie ist?!“, fragte er wütend und zeigte auf die Lehrerin, die nun angefangen hatte, zu schluchzen. Ihre Schultern zuckten unkontrolliert auf und nieder während sie weiter ihr Gesicht in den Händen vergraben hielt.

„Könntet ihr euch vielleicht auch einmal annähernd wie normale 17-jährige verhalten? Man könnte meinen, wir sind im Kindergarten!“, sprach er nun etwas gedämpfter weiter.

„Versetzt euch einmal in ihre Lage!“, meinte er und zeigte wieder auf die Lehrerin. „Ich denke, dass es ihr größter Wunsch war, Lehrerin zu werden. Sie hat sich gefreut, unterrichten zu dürfen! Und wie behandelt ihr sie? Ihr hört ihr nicht zu, ignoriert sie! Verhaltet euch wie eine Horde Affen!“

Ein paar der Schüler senkten nun verlegen die Köpfe oder schauten schuldbewusst in eine andere Richtung.

„Schaut sie euch an! Sie sitzt hier – und weint! Wegen euch!!“, schrie er nun fast wieder und zeigte in einer ausholenden Bewegung über die ganze Klasse.

„Merkt ihr jetzt, wie falsch ihr euch verhalten habt? Wie unreif?“, fragte er, erwartete aber keine Antwort.

„Manchmal schäme ich mich, ein Teil dieser Klasse zu sein!“

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Lawrence sah sich um und erblickte die Lehrerin neben sich. Ihre Augen waren zwar verheult, aber sie lächelte tapfer.

„Danke...ich denke, ich kann jetzt auch alleine weiter machen. Bitte setz dich wieder.“, meinte sie und ihre Augen verrieten Lawrence große Dankbarkeit.

Er nickte nur und verschwand wieder in die letzte Reihe. Die Klasse war nun vollkommen ruhig. Die Lehrerin räusperte sich kurz, dann konnte sie endlich mit dem Stoff anfangen. Und Lawrence stellte zu seiner Freude fest, dass er noch gar nichts verpasst hatte.

Die ganze Stunde über passte er auf, dass sich das gleiche nicht noch einmal abspielte. Die anderen wussten, dass er sie beobachtete und so blieb alles ruhig. Noch eine Predigt wollte anscheinend keiner der Klasse. Und vielleicht hatten einige sogar verstanden was sie falsch gemacht hatten.
 

Nach der Stunde kam die Lehrerin zu Lawrence an den Tisch. Die Klasse tobte schon wieder herum und so merkte keiner, dass die beiden sich unterhielten.

Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben ihn. Erst jetzt bemerkte Lawrence, wie lang ihre glatten, schwarzen Haare waren. Dann begann sie langsam: „Ich...wollte mich noch einmal bedanken. Ihr seid die erste Klasse, die ich auf dieser Schule unterrichte. Du hattest Recht – es war schon immer mein größter Traum gewesen, Lehrerin zu werden. Ich darf dich doch duzen, oder?“, fragte sie leicht verlegen. „Ähm...natürlich.“, gab Lawrence zurück und die Lehrerin fuhr fort: „Danke. Also...jedenfalls hatte ich mich sehr gefreut, dass ich auf dieser Schule endlich einen Platz bekommen habe. Alle sind sehr nett zu mir und ich dachte, dass die Schüler da wohl auch nicht die schlimmsten sein würden. Allerdings hat mich das ganze vorhin doch ziemlich mitgenommen, wie man wohl gesehen hat.“, meinte sie und man merkte, dass es ihr peinlich war, dass sie vor Hilflosigkeit geweint hatte. „Na ja...ich wollte mich eben einfach noch einmal für deine Hilfe bedanken. Wie heißt du eigentlich?“ „Lawrence Hill“, antwortete er. „Ich habe Ihnen gerne geholfen. Ich kann so etwas nicht mit ansehen. Es machte mich wütend und deshalb bin ich eingeschritten.“ „Vielen Dank noch einmal...ich bin übrigens Verena Ruddy. Ich denke nicht, dass das heute einer mitbekommen hat.“, meinte sie lachend.

„Nun...man sieht sich. Auf Wiedersehen, Lawrence“, sagte sie lächelnd und Lawrence erwiderte das Lächeln. Gleich darauf war sie aus dem Saal verschwunden.



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