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Kollision

Wenn zwei Welten aufeinander treffen
von

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Calm

Bis vor kurzem war es noch ruhig und gemütlich in meiner Wohnung gewesen, doch das alles hatte sich schlagartig geändert, als meine Verwandten dritten Grades am Samstag um sechs Uhr morgens vor meiner Tür standen und mir mitteilten, dass ihr Haus renoviert werden musste.
 

»Es tut uns wirklich Leid, dass wir dich um diese Zeit wecken, aber wir haben eine große Bitte an dich.«
 

Eine Bitte klang nie gut, besonders nicht, wenn es eine große war.
 

»Könntest du vielleicht unseren Sohn bei dir wohnen lassen, solange die Renovierungsarbeiten im Gange sind? Unsere Verwandten wohnen ja, wie du weißt, alle sehr weit entfernt und er muss noch zur Schule. Du bist der einzige, der in der Nähe seiner Schule wohnt. Es wäre auch wirklich nur vorübergehend! Und er ist wirklich nicht kompliziert.«
 

Das Problem war sogar größer, als erwartet. Ausgerechnet ich sollte ein Kind bei mir aufnehmen, obwohl gerade ich Kinder nicht ausstehen konnte?
 

»Wir werden natürlich bei meinem Großvater verweilen, um uns brauchst du dir überhaupt keine Sorgen zu machen.«
 

Marlene, meine Verwandte, sah mich flehend an. Damit hatte sie mich noch immer um den Finger gewickelt.
 

»Gar kein Problem. Es ist ja nur für eine kurze Zeit.«
 

Ich bereute diese Antwort, gleich nachdem ich sie gegeben hatte.
 

Und ich bereute es immer noch, denn nun standen sie zu dritt vor meiner Wohnungstür. Es war der Tag danach, also Sonntag.

Der Junge sah schon älter aus. Bestimmt um die siebzehn oder achtzehn. Er war sehr ordentlich angezogen, ein weißes Hemd, wobei er den obersten Knopf offen gelassen hatte (kein Wunder, sonst würde er noch ersticken), eine ganz normale, blaue Jeanshose, seine schmutzig-blonden Haare waren gekämmt und hinten zu einem Zopf gebunden. Lange Haare kamen immer mehr in Mode, aber ich konnte da nichts sagen, meine Haare waren ja auch etwa kinnlang.

Seine Eltern sahen mich abwartend an, so als würde ich es mir im letzten Moment doch noch anders überlegen.
 

„Hi.“ Der Junge lächelte mich an. Vielleicht war das ganze ja doch nicht so schlimm. Aber wie ich Kinder kannte, benahmen sie sich in Anwesenheit ihrer Eltern immer wie kleine Engelchen, doch sobald ihre Aufpasser verschwanden, verwandelten sie sich in richtige Teufel, die Chaos verbreiteten.

Ich hoffte inständig, dass dieser Junge anders war.
 

„John, würdest du uns helfen, sein Klavier hochzutragen? Wir haben ganz vergessen, es dir zu sagen. Unser Sohn hat Klavierunterricht, er spielt schon seit zwölf Jahren. Das stört dich doch nicht, oder?“
 

Ich starrte sie an. Erst sollte nur der Junge einziehen und nun sogar ein ganzes, viel Platz einnehmendes Klavier? Und ich sollte mich auch noch sportlich betätigen?

Eigentlich wusste ich jetzt schon, dass es mit der Ruhe aus und vorbei war.
 

„Ja, kein Problem“, erwiderte ich noch bevor sie mich erneut fragen konnte.
 

Ich wies Marlene an, bei der Wohnungstür zu bleiben und aufzupassen, dass die Tür nicht zu ging, bat Chris, ihren Mann, und Lawrence, so hieß ihr Sohn, mir nach unten zu folgen und stand wenige Augenblicke später vor einem großen, weißen Bulli. Die Türen hinten waren offen und ein schwarzes, glänzendes Klavier stand in der linken Ecke. Der Rest war beladen mit Kisten und Taschen.

Ich hasste Sport und nun musste ich auch noch so ein riesiges Ding, was dazu sicher noch verdammt schwer war, in meine Wohnung auf der dritten Etage schleppen.

Seufzend stieg ich in den Wagen und stellte mich an das andere Ende des Klaviers.
 

„Chris, pack bitte an der anderen Seite an. Lawrence, könntest du vor uns laufen und uns dirigieren?“
 

Und wieder einmal musste ich alles machen. Dabei war ich gar keine Leitperson. Schon jetzt weinte ich meinem friedlichen Leben hinterher. Dieser Tag würde bestimmt alles ändern und nicht nur die Ruhe zum Grab schicken, sondern auch noch meine Nerven dazu.
 

„Kein Problem.“ Chris nahm sich das mir gegenüberliegende Ende des Klaviers, ich nahm meins und auf drei hoben wir es an. Ich konnte schwören, es bei mir im Rücken knacken gehört zu haben.

Vorsichtig trugen wir das Klavier aus dem Wagen und ins Hochhaus. Mit Lawrences Hilfe gelang es uns, das Klavier unversehrt in meine Wohnung zu schleppen. Wir stellten es ins Wohnzimmer an die der Tür gegenüberliegende Wand, unter ein Bild mit einer Schale mit Früchten.

Ich strich mir mit dem Arm über die Stirn und drehte mich zu meinen Verwandten um.
 

„Vielen Dank, John, du tust uns einen großen Gefallen! Wir müssen jetzt auch schon gehen, mein Großvater wartet schon auf uns.“
 

Marlene und Chris verabschiedeten sich von mir, drückten ihren Sohn und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

Und nun waren wir beide allein.
 

„Komm mit, ich zeige dir dein Zimmer.“
 

„‘Kay.“
 

Lawrence folgte mir brav durch den Flur in die Küche, von dort aus nach links in ein „Übergangszimmer“, in dem ich alle meine Bücher aufbewahrte – und ich hatte nicht wenige – und schließlich durch die Tür rechts in mein Gästezimmer.
 

„Du hast ‘ne schöne Wohnung“, merkte Lawrence an.
 

Vielleicht lag meine männliche Intuition doch nicht so richtig, oder es gab sie einfach nicht, aber dieser Junge schien völlig okay zu sein. Zumindest war er ruhig. Für den Anfang.
 

„Danke. Pack erst einmal aus, dann können wir essen, wenn du magst. Du hast bestimmt Hunger nach der Fahrt und es ist auch schon fast zwei Uhr“, schlug ich nach einem Blick auf meine schwarze Armbanduhr vor.
 

„Au ja, ich hab‘ heute Morgen noch nix gegessen.“ Lawrence nahm seine Tasche von der Schulter und stellte sie auf dem Boden vor dem Bett ab.
 

„Du hast doch nichts gegen Fertiggerichte, oder?“ Ich fragte nur zur Sicherheit noch einmal nach. Fertiggerichte waren das einzige, von dem ich mich ernährte, also wäre es ein Problem, wenn ich selber Essen machen müsste. Ich war in der Küche praktisch unbrauchbar.
 

„Äh, ich mag Fertiggerichte nich‘ so. Das is‘ alles so ungesund.“
 

Autsch. War ich hier an einen Öko-Menschen geraten? Und ich konnte doch selber nicht kochen oder Essen zubereiten. Das einzige, das ich noch gerade so hinbekommen würde, waren Spiegeleier.
 

„Magst du Spiegeleier?“ Wenn er nicht mit „Ja“ antwortete, dann war ich hinüber. Ich konnte ihm nichts anderes anbieten.
 

„Nich‘ so gerne, aber wenn du nix anderes hast, ist’s okay.“
 

„Naja, das Problem liegt nicht darin, dass ich nichts habe. Ich kann nicht kochen“, gab ich leise zu. Ja, verdammt, es war peinlich. Auch wenn es für Männer nicht sonderlich üblich war, kochen zu können. Aber seit der Emanzipation hatte sich einiges geändert – zum Guten versteht sich.
 

„Wenn’s so is‘, kann ich das übernehmen! Is‘ sozusagen eine Art Dankeschön, dafür, dass ich hier wohnen darf.“ Lawrence lächelte mich breit an. Er konnte also kochen. Und da ich sowieso so faul war, konnte ich so ein Angebot unmöglich ausschlagen.
 

„Okay, wenn du darauf bestehst.“ Ich erwiderte kurz sein Lächeln, bevor ich mich zur Tür wandte.
 

„Wenn ich dir irgendwie helfen kann, ruf mich. Fühl dich hier wie in deinem Zimmer. Du kannst auch ruhig die Regale vollstellen. Ich bin nebenan, muss noch etwas arbeiten.“
 

„Bist du wirklich Schriftsteller?“, fragte er und sah mich neugierig an.
 

„Ja, ich schreibe Romane.“ Ich war ziemlich überrascht, dass er sich dafür interessierte. Wahrscheinlich hatte Marlene es ihm erzählt. Mit ihr hatte ich in den letzten Jahren am meisten zu tun.
 

„Cool“, war alles, was er dazu sagte, bevor er sich wieder seiner Tasche zudrehte und sie öffnete. Etwas Weißes, Rundliches lugte hervor, was stark nach einem Fußball aussah.
 

Ich zuckte die Achseln und ging durch das Übergangszimmer in mein Schlafzimmer. Ich setzte mich an den Schreibtisch, legte mein unfertiges Manuskript etwas weiter zur Seite und konzentrierte mich wieder auf das zum Viertel beschriebene Blatt in der Schreibmaschine.

Die Arbeit eines Autors war nicht immer so leicht, wie sich einige vorstellten. Zu allererst musste man eine Idee haben, eine gute Idee, die sich vermarkten ließ, dann brauchte man einen angemessenen Schreibstil und gute Vorbereitung. Als erfolgreicher Autor musste man die grobe Handlung im Vorfeld planen, genauso wie die Charaktere und alles drum herum. Die Konflikte, die Lösungen dieser, Atmosphäre und all dieser Kram.

Allerdings war es für mich die perfekte Arbeit. Ich musste mich nicht viel bewegen, konnte morgens ausschlafen und musste lediglich die Deadlines einhalten, was manchmal auch knapp wurde, aber im Großen und Ganzen bekam ich es wunderbar hin.

Ich fing an, zu tippen…
 

Jenny wirbelte herum. Ihr Make-up war ganz verschmiert von den Tränen, die ihr die Wangen hinab liefen.

„Verschwinde! Lass mich in Ruhe… Ich hasse dich! Ich HASSE dich!“
 

Nachdem ich diesen Absatz geschrieben hatte, rief Lawrence nach mir. Ich ließ Jenny noch ein wenig herumschreien, setzte einen Punkt und erhob mich. Es war bereits eine halbe Stunde vergangen.

Im Übergangszimmer traf ich auf ihn.
 

„Ich bin fertig, woll’n wir jetzt ess’n?“, fragte er direkt.
 

Ich nickte und ging voran in die Küche, zeigte ihm noch, wo alles zu finden war und setzte mich dann an den Tisch, während Lawrence die Utensilien zusammensuchte, die er brauchte.
 

„Schnitzel?“
 

„Meinetwegen, schnitzel schmecken ganz gut“, erwiderte ich auf seine Frage hin.
 

Bis jetzt sah es so aus, als würden wir gut miteinander klarkommen. Ich hoffte nur, dass es so bleiben würde. Immerhin ging es hier um meine Ruhe, die ich nun doch noch nicht begraben musste.
 

Als Lawrence jedoch anfing, beim Zubereiten unseres Mittagessens zu tanzen, dabei zu singen und gewagte Experimente mit der Wurst durchzuführen, war meine Ruhe schon längst verbrannt und die Asche in alle Winde zerstreut. Und mit ihr meine bis dato noch gesunden Nerven.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hobbit
2007-05-18T16:14:56+00:00 18.05.2007 18:14
Ein interessanter Anfang. Ich mag deine beiden Charaktere jetzt schon sehr gerne. So sehr, dass ich gar nicht sagen kann, wer mir bisher mehr gefallen hat.

Die Idee mit dem Klavier fand ich super. Das hat mich richtig zum Lachen gebracht. John kann einem schon ganz schön Leid tun^^

So, ganz ohne Kritik kann ich nicht gehen. Aber viel ist es nicht. Da wäre dieser Satz:

"Ich bereute diese Antwort, gleich nachdem ich es gesagt hatte."

Die Antwort müsste schon eine sie und kein es sein. Außerdem würde ich vorschlagen hier lieber zu schreiben: "nachdem ich sie gegeben hatte."
Eine Antwort sagen, klingt doch etwas seltsam^^'

Und es fehlen öfters mal die richtigen Satzzeichen hinter der wörtlichen Rede, wenn die Sätze danach beendet sind.
Ansonsten hat es mir aber richtig gut gefallen. Weiter so.

LG jadeprinzssin


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