Der Abschied
Der Abschied
Es war mal wieder so ein Tag, an dem wir ununterbrochen stritten. Von Harmonie und Liebe war gar keine Rede denn es flogen mal wieder sämtliche Kissen durch die Wohnung. Wie immer, wenn Amandas Temperament in solchen Situationen mit ihr durch ging.Wie jedes Mal rechnete ich mir auch bei diesem Streit keine Chancen auf eine schnelle friedliche Einigung aus und nahm die erst beste Möglichkeit war um schleunigst zu verschwinden. Sie hatte es mal wieder geschafft mich mit ihren Worten so nieder zu machen, dass ich keine andere Alternative zur Flucht sah.
Ich beschloss in mein altes Stammcafé zu gehen und bestellte mir erst einmal eine heiße Schokolade. Lange saß ich einfach nur allein in der hintersten Ecke am Fenster und beobachtete die Menschen auf dem Gehweg. Mit der Zeit begann es zu regnen, die Menschen eilten nun hastig durch die Straßen, die Regentropfen zeichneten sich am Fenster ab und ich saß bereits geschlagene drei Stunden im Café und hatte keinen einzigen Schluck meiner heißen Schokolade zu mir genommen. Immer und immer wieder kam mir nur der eine Gedanke – Beziehungsende. Doch ich konnte doch nicht die Frau die ich über alles liebte einfach so verlassen. Ich hing so sehr an Amanda, dass ich die Augen davor verschloss das sie mich bereits Monatelang belog und betrog. Es war egal was ich tat es würde mir das Herz brechen, ich konnte nicht bei ihr bleiben, aber auch nicht die Initiative ergreifen und gehen.
Während ich meine Jacke anzog und den Kellner großzügiges Trinkgeld gab überkam mich kurzzeitig der Gedanke an Sarah. Sie war damals meine beste Freundin und in genau solchen Momenten wie jetzt immer für mich da. Doch Sarah starb vor einem dreiviertel Jahr bei einem Autounfall und seitdem hatte ich es nicht geschafft mich je wieder jemanden außer Amanda anzuvertrauen. Ich kam mir so allein und verlassen vor, während ich in den leeren Gassen durch die Stadt lief. Mich störte der Regen nicht sonderlich. Mir war es egal, dass ich vollkommen durchweicht durch die Straßen schlenderte, denn bei all dem Übel war mir das nur recht. Ich liebte es durch den Regen zu spazieren, man fühlte sich frei und sorglos zugleich. Es war ein so unbeschreiblich schönes Gefühl, dass ich für Sekundenbruchteile all meine Sorgen und den Kummer vergessen konnte. Vollkommen gedankenfrei taumelte ich leichtsinnig und unachtsam weiter durch die Gassen, bis ich es plötzlich nur noch Schreie hörte.
Blitzschnell drehte ich mich um. Wie konnte denn das passieren, ich musste wohl so arg mit der Person am Boden zusammengestoßen sein, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Als ich der fluchenden Frau meine Hand reichte und sie sich zu mir drehte erschrak ich für einen Augenblick. Es war Tina. Dieses Gesicht hätte ich wohl nie vergessen, denn sie war die Erste mit der mich Amanda damals betrogen hatte. In meinem Kopf brauten sich im gleichen Augenblick meiner Hilfe gegenüber Tina auch Rachegelüste zusammen. Doch warum sollte ich mir etwas vor machen. Es lag nicht an Tina, im Gegenteil sie war damals diejenige, die mir die Wahrheit sagte nicht Amanda, der es eigentlich gebührte dies zu tun.
Ich konnte mich noch daran erinnern als sei es gestern gewesen. Amanda und ich saßen im Restaurant, und feierten unser Jubiläum, als Tina plötzlich zu uns an den Tisch kam und Amanda, für mich fast schon viel zu vertraut, in den Arm nahm. Sie stellte sich mir vor und anfangs hatte ich den Eindruck sie seien wohl alte Bekannte, bis Tina schließlich fragte wer ich sei. Amanda antwortete mit leicht gesenktem Blick, dass ich ihre Freundin sei und Tina konnte man förmlich ansehen, dass ihr jegliche Gesichtszüge entglitten.
Etwas apathisch wirkend fragte sie, was das alles zu bedeuten hatte. Anscheinend wusste Tina wohl nicht, dass Amanda mit mir liiert war. Aufgrund der apathisch und leicht verzweifelt wirkenden Haltung von Tina, begann nun auch ich nachzuhacken und fragte Amanda ebenfalls was das hier zu bedeuten hatte. Sie geriet leicht ins stocken und man sah die Schweißperlen auf ihrer Stirn, doch Tina ließ es sich nicht nehmen das Wort zu ergreifen.
Sie fragte Amanda warum sie so verantwortungslos und verletzend sein kann und was ihr einfallen würde nicht zu erzählen, dass sie eine Freundin hat. Und genau bei diesem Satz ließ ich meine Gabel fallen und es schien wie ein Gedankenblitz. In diesem Augenblick begriff ich, warum sie die letzten zwei Tage so abwesend war und kaum mit mir redete. Ich weiß nicht was mich überkam, aber ich verließ nach dieser so klar erscheinenden Erkenntnis fluchtartig das Restaurant und lies die beiden allein zurück. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Tina mir sofort folgte und Amanda allein zurück lies.
Mit einer fast schon geflüsterten Entschuldigung half ich Tina letztendlich hoch, fragte sie noch ob sie verletzt sei und drehte mich schon wieder in die andere Richtung, um möglichst schnell wieder weg zu kommen. Doch dazu kam es nicht. Tina hielt mich fest und als ich sie ansah, erblickte ich die Tränen auf ihrer Wange. Vielleicht sagte sie es nur einmal, aber es kam mir vor als würde sie sich Minuten lang immer und immer wieder entschuldigen.
Ich wollte das alles irgendwie gar nicht hören und wollte mich mit einem kühlen „bye“ einfach nur aus ihrem Griff befreien, aber ich konnte nicht. Sie saß wie ein Häufchen Elend am Straßenrand und sah mich mit ihren stahlblauen verheulten Augen an.
Keinesfalls wollte ich länger als notwendig Zeit mit dieser Frau verbringen, doch irgendetwas trieb mich dazu sie in den Arm zu nehmen.
So saßen wir Arm in Arm fast zwanzig Minuten im strömenden Regen, hielten uns fest und sagten kein einziges Wort. Bis sie schließlich aufstand sich von mir löste und mich fragte ob ich sie nicht begleiten wolle, denn wir hätten doch einiges zu bereden. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass mir das alles zuwider war und folgte ihr.
Angekommen in ihrer Wohnung, die nur fünf Meter Fußweg entfernt war duschten wir beide erst einmal ausgiebig. Tina gab mir neue Sachen und wir setzten uns in ihre Küche und tranken die ersten zehn Minuten stillschweigend unseren heißen Tee, bis sie schließlich das Wort ergriff. Sie versicherte mir nie gewusst zu haben, dass ich Amandas Freundin sei, denn dann hätte sie nie etwas mit ihr angefangen. Mein Kopf wehrte sich strickt dagegen diese Worte anzunehmen, während ich innerlich gleichzeitig gegen meine Gefühle ankämpfte um nicht sofort in Tränen auszubrechen bei der Erinnerung daran, dass Amanda mit dieser mir äußerst suspekten Person zusammen im Bett war.
Tina redete zwanzig Minuten auf mich ein und versuchte sich immer wieder zu erklären und sich zu entschuldigen, aber ich war geistig keineswegs anwesend. Immer wieder quälten mich diese Bilder in meinem Kopf. Ich sah es als wäre es real, Tina und Amanda.
An alles was danach kam, konnte ich mich nicht mehr erinnern. Das erste was ich wieder wusste, dass ich total erschöpft und verheult in Tinas Bett aufwachte. Sie saß neben mir und hielt meine Hand. Ich wollte sie weg ziehen, doch ich fühlte mich plötzlich so geborgen wie nie zuvor und so genoss ich für einen Augenblick die führsorgliche Haltung die mir Tina entgegenbrachte.
Ich musste wieder eingeschlafen sein, denn am nächsten Morgen lag ich immer noch in ihrem Bett, doch von Tina war weit und breit keine Spur. So stolperte ich etwas hilflos durch den Flur bis ins Bad. Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass man mir auch äußerlich ansehen konnte, dass es mir schlecht ging und ich es wohl vorziehen würde schnellstmöglich zu verschwinden. Doch in diesem Augenblick ging die Tür auf und Tina schaute verlegen herein. Im Flur legte sich der Duft frischer Brötchen nieder, die sie eben vom Bäcker holte. Sie bat mich zum Frühstück zu bleiben und so saßen wir wieder einmal stillschweigend am Küchentisch. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich dieser Frau hätte sagen sollen. Plötzlich streckte sie mir ihre Hand entgegen. „Lass uns noch einmal anfangen“ waren ihre Worte und wie erschrocken ließ ich mein Brötchen aus der Hand fallen. Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Ich willigte ein, doch begab ich mich direkt nach dem Frühstück auf den Weg heim und meldete mich 3 Wochen bei niemanden. Es war alles wie immer ich sah über Amandas Eskapaden hinweg und kämpfte innerlich damit nicht dem Drang zu gehen nachzugeben. Meine Narben wurden immer tiefer, mein Schmerz immer größer doch all das störte Amanda überhaupt nicht. Sie ignorierte es gekonnt, so wie ich ihre unzähligen Affären einfach ausblendete.
Es kam der Tag vor dem ich immer am meisten Angst hatte, dass er Realität werden könnte. Verzweifelt und mit einer gähnenden Leere in mir schrieb ich den Brief, der der Letzte meines Lebens werden sollte. Ich ließ all meine Sachen und Erinnerungen bei ihr zurück, ich wollte nichts mitnehmen ich wollte einfach nur gehen, sie nie wieder sehen und mir nie wieder so weh tun lassen. Auf dem Weg durch die Stadt nahm ich keinerlei Dinge wahr, all die Menschen um mich herum waren nur Schall und Rauch. Ich konnte diesen Weg mit geschlossenen Augen gehen, denn es war eines von so vielen Malen, dass ich diesen Weg nahm. Doch heute wusste ich, es würde der letzte Gang sein. Kein Mensch würde merken wenn ich nicht mehr da bin, kein Mensch würde mitbekommen, dass ich gehe.
Angekommen stockte ich einen Augenblick, begab mich dann aber auf direktem Wege zu meinem Ziel.