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Tintenherz & Engelstränen

von

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Niemals ist die Unschuld weiß

Sie kannte ihn schon lange.

Zumindest hatte sie immer geglaubt, ihn schon lange zu kennen.

Sie mochte ihn, irgendwie.

Eigentlich hatte sie ihn sehr gern.

Aber das war nicht immer so gewesen.

Vor diesem Abend war es nie so gewesen.

Er war kalt.

Kalt und schwarz.

Wie Tinte.

Alles an ihm, bis auf seine blaße, fahle Haut, war schwarz. Wie Tinte.

Sein Haar.

Seine Kleidung.

Seine Augen.

Sein Herz.

Seine Seele.

Sein blaßer Körper, immer zu von schwarzer Kleidung bedeckt, war so kalt, dass man Angst hatte,

zu erfrieren, wenn man ihm zu nahe trat.

Nicht, das jemand es freiwillig getan hätte.

Seine Augen waren kalt, als wären sie aus schwarzem Eis.

Jeder Blick in seine Augen hätte einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.

Nicht, das jemand ihm in die Augen gesehen hätte, wenn es zu vermeiden war.

Und sein Herz war kalt. Kalt, und schwarz.

Wie seine Seele.

Wie Tinte.

Er war niemals ein mitfühlender, umgänglicher Mensch.

Er war der Strenge, der Ernste. Der Ernstzunehmende.

Die anderen Menschen verachteten ihn.

Er war schuldig.

Sie mieden ihn.

Und die meisten fürchteten ihn.

Und es war ihm recht.

So fürchtete auch sie ihn, als sie das erste Mal zu ihm kam.

Sie, die soviel anders war als er.

Die vorher die Furcht vor anderen Menschen nicht kannte.

Die voher niemals das Bedürfniss hatte, einen anderen Menschen zu meiden.

Sie fürchtete ihn.

Sie fürchtete seinen kalten Blick, den sie mied wie alle anderen.

Doch meistens sah er sie nicht an.

Und wann immer er nicht sie an sah, beobachtete sie ihn dabei, wie er andere Menschen ansah.

Sie sah in sein Gesicht, in seine Augen.

Aber der Blick blieb immer gleich.

Kalt.

Und tiefschwarz.

Sie fürchtete auch seine scharfe Zunge, die tiefe Wunden schneiden konnte, wenn er es wollte.

Doch er sprach meist nicht mit ihr.

Und so lauschte sie, wann immer er nicht mit ihr sprach, wie er mit anderen Menschen sprach.

Doch seine Stimme war immer gleich.

Kalt. Und desinteressiert.

Sie fürchtete ihn sehr.

Niemals aber hatte sie ihn verachtet.

Das taten nur die anderen, die wussten, dass er schuldig war.

An jenem Abend hatte man sie wieder zu ihm hingebracht, und sie war dort geblieben.

Alleine.

In dem Zimmer, das er ihr gegeben hatte.

Sie hatte nie nach etwas gefragt, so wie er es ihr gesagt hatte.

Sie hatte nie mit ihm gesprochen, so wie er es ihr gesagt hatte.

Sie hatte stumm in dem Zimmer gesessen, und darauf gewartet, dass sie sie wieder von ihm fortbrächten.

So wie er gesagt hatte.

So wie sie es jedes Mal getan hatte.

Doch an diesem Abend war es anders.

Es war schon spät, als sie mitten in der Nacht erwachte.

Draußen war es finster.

Die Glasscherben von den zerstörten Fensterscheiben der umliegenden Häuser schimmerten im Licht einer Laterne.

Sie konnte nicht schlafen.

Da stand sie auf, und verließ das Zimmer.

Sie trat in das andere Zimmer.

Es war ein sehr großes Zimmer, völlig von der Dunkelheit ausgefüllt.

Nur das bläuliche Licht der Straßenlaternen schien in das Zimmer hinein.

In das große Zimmer, das leer zu sein schien.

Doch außer ihr befand sich noch jemand in dem Zimmer

Er befand sich in dem Zimmer.

Es war nicht sein Zimmer, und doch befand er sich darin.

Nur schwer konnte sie ihn erkennen, doch sie spürte, dass er sie ansah.

Er trat einen Schritt aus dem Schatten des Raumes heraus.

Sein blaßes Gesicht, von dem einfallendem Licht der Laterne angestrahlt, schien mit einem Mal aufzuleuchten.

Sie sah ihn an.

Und sie erschrak fast dabei.

Auf seinem kalten Gesicht, in seinen kalten, schwarzen Augen, sah sie etwas Glänzendes.

Tränen.

Er weinte.

Stumme Tränen.

Einem Engel gleich, wie sie dachte.

Ihr wurde kalt.

Sie wollte etwas sagen, doch sie wusste nicht, was.

Und sie sah mit einer merkwürdigen Faszination auf die Tränen, die über sein Gesicht liefen.

Sie liebte auf eine verdrehte Art und Weise diese glänzenden Perlen, die über seine Wangen liefen, denn sie waren etwas, dass niemand sonst sehen konnte.

Langsam ging sie zu ihm herüber.

Es war ganz still.

Keiner von ihnen sagte ein Wort.

Und sie stand ganz nahe bei ihm, als ihr mir einem Mal bewusst wurde, dass sein Körper niemals so kalt war, dass man Angst haben müsste, zu erfrieren, wenn man zu nahe an ihn herantrat.

Es wurde ihr bewusst.

So wie es ihr bewusst wurde, dass sein Blick niemals so kalt gewesen war, dass er einem das Blut in den Adern hätte einfrieren können.

Vorsichtig hob sie die Hand, und legte sie sanft an seine Wange.

Er tat nichts.

Er blieb nur stehen, und sah sie mit seinen schwarzen, glänzenden Augen an.

Sie fühlte, dass das hier sein wirkliches Sein war.

Und sie fühlte, dass er schuldig war, und doch nicht schuldig sein konnte.

Denn auch wenn sein Herz so kalt und so schwarz wie seine Augen, sein Haar, seine Seele, wie Tinte war, so war es doch das Reinste von allen Herzen.

Und deshalb weinte er diese Tränen.

Engelstränen.

Noch etwas wurde ihr an diesem Abend bewusst.

Die Unschuld war niemals weiß.

Für sie wurde sie in dieser Nacht schwarz.

Und sie blieb es für alle Zeit.

Und sie liebte ihn.

Mit all der Liebe, die ein Kind einem Menschen schenken konnte.

Und von da an wollte sie nie wieder fortgehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-05-16T17:07:21+00:00 16.05.2010 19:07
Da kann ich wirklich nur ein was sagen: WOW!
Das klang so flüssig, so leicht, so fantasievoll. Richtig, richtig gut. Diese vielen, kleinen Sätze haben da richtig gut gepasst. Es war wirklich richtig schön, hat mich mitgenommen. Ich weiß zwar nich um wen und worum es ging, aber ich glaube das macht den Reiz aus! ^^


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