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Das Geheimnis des Spiegel

von

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Nele allein

So nun ist es endlich mal wieder so weit!

Ich habe es geschafft, dieses Kapitel fertig zu stellen.

Lange hats gedauert.

Aber es ist hier.

Ich hoffe ihr habt Spaß damit. ;)
 

eure Hina
 

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>Entwischt!< freute sich Nele, als sie einer langen Straße Richtung Süden folgte.

Genau wie es Moe prophezeit hatte, waren am Morgen David und Chris aufgebrochen, um mit ihren Männern ihr nächstes Ziel zu plündern.

Der ganze Trupp von Männern hatte seine Pferde gesattelt und sich Richtung Norden begeben.

Nele verstand immer noch nicht warum diese beiden Brüder unbedingt Dörfer überfallen mussten.

Doch im Grunde wollte sie es auch nicht wissen.

Immerhin war es ihr so gelungen zu entkommen.

Einzig allein Moe und ein paar Männer waren zurückgeblieben.

Die Mädchen hatten vorgegeben sich baden zu wollen und Moe hatte jedem mit dem Tod gedroht, der sie verfolgen sollte.

Also konnten sie beruhigt in den Wald spazieren.

Moe hatte sie bis zu einer Lichtung gebracht, von der aus sich die Fremde würde alleine weiter kämpfen müssen.

Alles was Nele wollte, war wieder nach Hause zurückzukehren.

So sah sie sich unerschrocken das Dickicht des Waldes an und suchte sich ihren Weg zur Freiheit.

Doch scheinbar sollten ihr Heim, Lydia, ihre Eltern und Tom noch warten.

Zuerst musste sie sichergehen, dass ihre Flucht erfolgreich war.

Denn nur, wenn ihr diese seltsamen Brüder nicht mehr im Weg standen, konnte sie zum Grab zurückkehren und von dort aus eine Lösung finden.

Leider hatte Nele sich nicht getraut Moe nach Informationen über das Grab auszufragen, da sie unnötige Fragen vermeiden wollte.

Also musste sie allein da durch.

Doch das war kein Problem für das tapfere Mädchen, denn sie hatte sich ihr Leben lang bereits alleine durchgeschlagen.

Nur Lydia hatte sie soweit vertraut, dass sie ihre Hilfe akzeptieren konnte.

Die Sonne brannte erbarmungslos auf das Mädchen nieder.

Der Schweiß lief ihr in Bächen den Rücken hinab.

Neles trockene Zunge klebte bereits eine halbe Ewigkeit an ihrem Gaumen fest.

Jeder Schritt kostete sie alle Selbstbeherrschung.

Aber Nele gab nicht auf.

Sie hatte sich das Ziel gesetzt, bald wieder nach Hause zu gelangen.

Wenn sich das sture Mädchen erst einmal ein Ziel gesetzt hatte, dann konnte kommen was wolle, sie würde es um jeden Preis erreichen.

Eine weitere Überlebenstaktik, die sich Nele über Jahre hinweg angeeignet hatte.

Trotzig setzte das Mädchen einen Fuß vor den Anderen.

Es war ihr gelungen sich unbemerkt durch den Wald zu schleichen.

Dank Moes Beschreibung war es eine Leichtigkeit gewesen den so gut wie unsichtbaren Pfad im Wald zu finden und ihm zu folgen.

Fast eine Stunde hatte Nele gebraucht, bis sie den Waldrand erreicht hatte.

Unterwegs zweifelte sie oft daran, ob sie die richtige Richtung eingeschlagen hatte.

Doch nun war sie an der Straße angekommen, von der ihr die Banditin erzählt hatte.

Weitere Stunden sind seit dem Vergangen.

Die Straße schien einfach kein Ende zu nehmen.

Nicht einmal die Vögel bewegten sich in der Mittagsglut.

Nele stapfte tapfer weiter.

Der glühende Feuerball kannte kein Erbarmen.

Nicht eine einzige Wolke kroch am Himmel entlang.

Kein noch so laues Lüftchen wehte.

Selbst die Insekten lagen faul und träge in den verdorrten Gräsern und warteten auf die Kühle der Nacht.

Mit der linken Hand verjagte das kraftlose Mädchen eine einzelne Fliege, die sich immer wieder summend um ihren Kopf drehte, nur darauf wartend einen Tropfen Schweiß von Neles feucht glänzendem Gesicht zu schlürfen.

Als Nele zum tausendsten Male ausholte, um dieses lästige Insekt zu verjagen, erblickte sie in weiter Ferne einen langen Schatten.

In der Sonne schien er zu flimmern wie der alte Farbfernseher ihrer Oma.

Das Erinnerte sie an die hinterhältigen Tücken dieses fiesen Apperates.

Jedes verdammte Mal wenn Nele ihre Lieblingssendung ansehen wollte, begann dieses verfluchte Ding zu flattern und zu flirren.

Doch wenn ihre Oma ihren heiß geliebten Bibelkanal ansehen wollte, dann war die Störung wie auf wundersamer Weise verschwunden.

Oft hatte Nele diese Tatsache verflucht.

Bis zu dem Punkt, an dem sie es einfach aufgegeben hat bei ihrer Oma fern zu sehen.

Nele schaute weiter gerade aus.

Der Schatten flackerte ihr höhnisch entgegen, genauso wie die schrottreife Kiste.

Trotzig reckte Nele ihr Kinn und lief erhobenen Hauptes weiter.
 

Nach einer weiteren gefühlten Stunde schien sich der Schatten immer mehr zu nähern.

Der Schweiß tropfte ihr in die Augen und brannte fürchterlich.

Blinzelnd machte es Nele den Anschein, als ob die vereinzelten Sträucher und Büsche sich über sie lustig machen würden.

Mit einem ihrer knotigen Fingern zeigten sie zu ihr und mit dem Anderen in Richtung des Schatten. Die alte raue Rinde zog sich scheinbar zu lächerlichen Fratzen zusammen und spotteten über das dumme Mädchen, das niemals sein Ziel erreichen würde.

„Langsam werde ich verrückt!“ murmelte sie vor sich hin.

Aus lauter Verzweiflung, sich den Schatten nur eingebildet zu haben, beschleunigte sie ihre Schritte.

Mit immer mehr Schwung setzte sie einen Fuß vor den anderen.

Aus einer unbekannten Quelle, tief aus ihrem inneren schöpfte das Mädchen Kraft, sodass sie dem Schatten in kurzer Zeit immer näher kam.

>Na wart nur, du dämliches Gestrüpp! Ich werde den Schatten erreichen!< dachte sich Nele trotzig und marschierte immer weiter und weiter.

Es dauerte nicht mehr lange und der Schatten verformte sich zu einer Silhouette.

Von weitem konnte Nele bereits einen Kirchturm erkennen.

Schwer Atmend stoppte sie ihren schnellen Gang und beobachtet die Rauchschwaden die sich gen Himmel richteten.

Erleichterung durchflutete den erschöpften Körper.

Dankbarkeit machte sich in Nele breit.

Sie hatte es geschafft.

Sie hatte Kara ganz alleine gefunden. Dort würde sie vor den Brüdern sicher sein und über ihren nächsten Schritt nachdenken können.

Langsam näherte sie sich wieder den einzelnen Häusern.

Eine gewisse Ruhe und Geborgenheit lag in der Luft und breitete sich überall aus.

Nele fühlte sich gleich viel wohler.

Etwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass sie sich hier länger aufhalten konnte, ohne um ihr Leben Angst haben zu müssen.

Der Duft von Pferden und Schweinen drang in ihre Nase.

Schnaubend beobachteten die prächtigen Tiere ihr Ankommen, während sich die Schweine gemütlich im Schlamm suhlten, um der Mittagssonne zu entkommen.

Kindergelächter drang an Neles Ohr.

Sie spielten und tollten auf den Straßen zwischen frei laufenden Hunden und Hühnern umher.

Die Frauen schleppten Körbe mit Getreide oder hängten Wäsche auf.

Jede von ihnen ging ihren eigenen Tätigkeiten nach und beäugten nebenbei die Fremde.

Nele bemerkte gleich, dass kein einziger Mann zu sehen war.

Genauso gab es keine älteren Menschen.

Die Älteste Frau, die Nele sah, war um die Mitte vierzig und trug ein Kleinkind auf ihrer Hüfte.

Ein leises Kribbeln breitete sich plötzlich in Neles Körper aus.

Wie ein summen oder vibrieren, durchfuhr es sie von Kopf bis Fuß.

Ihr Blick schweifte umher und fand sofort sein Ziel.

Wie magisch angezogen tappte das Mädchen zum Brunnen.

Leises Wispern drang an ihr Ohr und schien ein Lied aus vergangener Zeit zu singen.

Ein Scheppern aus der Ferne schreckte sie aus ihrer Trance auf.

Sofort erkannte Nele den einfachen, aus groben Steinen zusammengesetzten Brunnen, den ihr Moe beschrieben hatte.

Verwirrt runzelte sie die Stirn und verschob es auf später, über diese merkwürdige Anziehungskraft des Brunnen nachzudenken.

Jetzt sollte erst einmal der schwierigere Teil kommen.

Nele musste bei einer bestimmten Person vorgeben, dass sie von David geschickt worden war.

Nur wenn die Fremde ihr die Geschichte abkaufte, hatte sie eine Chance eine Unterkunft zu bekommen.

Gemeinsam hatte sie mit Moe besprochen, wie sie vorgehen sollte, um möglichst glaubhaft rüber zu kommen.

Sie schlenderte rechts am Brunnen vorbei und blickte kurz in die Tiefen des alten Ungetüms.

Einzelne Steine waren bereits raus gebrochen und lagen um den Brunnen herum verstreut, während andere in die Dunklen Tiefen hinab gefallen waren.

Wenn stimmte was Moe sagte, dann hatte der Brunnen schon seit über 300 Jahren kein Wasser mehr.

Die Dorfbewohner störte das recht wenig, da am Rande des Dorfes ein kleiner Fluss entlang floss.

Als Nele an das Haus kam, dass Moe ihr perfekt beschrieben hatte: dunkelrotes Ziegeldach, dicke Eichentür mit einem eingeritzten Auge darauf, atmete sie noch einmal kurz durch.

Dreimal schlug Nele mit der Faust gegen die Tür, bis diese auf einmal einen Spalt breit geöffnet wurde.

Der Geruch von Kräutern und frischem Blut schlug ihr entgegen und vernebelte Neles Verstand für wenige Sekunden.

„Was willst du?“ die sehr genervt klingende Stimme brachte Nele wieder zur Besinnung.

„David hat mich geschickt.“ antwortete Nele ohne zu zögern.

Dabei musterte sie die dunkel blauen Augen, die sie wütend an funkelten.

>Wie, als ob man in den tiefsten Abgrund des tiefsten Meeres schauen würde.< schoss es Nele durch den Kopf und ein unangenehme Gänsehaut breitete sich aus.

Bei Davids Namen erhellte sich der Blick und ein zartes Lächeln umspielte die Augenwinkel.

Doch es dauerte nicht lange und es war auch schon wieder verschwunden.

„Und warum schickt er dich zu mir?“ fragte die alte Hexe skeptisch mit hoch gezogener Augenbraue.

Jetzt kam der schwierigere Teil.

„Neulich haben er und Chris mein Dorf überfallen. Dabei rettete er mir das Leben. Ich glaube David hatte Mitleid mit mir, als er erfuhr, dass ich mich nicht mehr an meine Vergangenheit erinnern kann und dachte sie könnten mir helfen. Er hat versprochen mich mit zu ihnen zu nehmen. Jetzt bin ich hier.“

„So so, und warum ist er nicht bei dir?“

„Ähm... Er musste weiter ziehen und hat mich auf der großen Handelsstraße abgesetzt.“

Wenn Nele etwas nicht gut konnte, dann war es zu lügen.

Sie verabscheute Lügner über alles, da ihre Eltern sie in ihrer Kindheit pausenlos angelogen hatten.

Verlegen blickte das Mädchen zum Rahmen der Tür und betete inständig, dass die Alte ihr glaubte.

Diese starrte sie unentwegt an und schien zu überlegen.

Dann seufzte sie lauthals und schüttelte ihren Kopf.

Nele konnte nicht einmal mehr blinzeln und schon hatte die Frau ihr die Tür vor der Nase zu geschlagen.

Irritiert runzelte sie die Stirn und fragte sich insgeheim, ob man ihr die Lüge hatte im Gesicht ansehen können.

Doch ein klappern auf der anderen Seite der Tür verriet ihr, dass gerade eine Kette gelöst wurde.

Dann schwang die Tür erneut auf.

„Komm rein,“ befahl ihr die Frau, „geh nach Links die Treppe rauf. Dort bleibst du bis morgen Früh. Melde dich pünktlich vor Sonnenaufgang zum Dienst. Wasser findest du im Krug in der Küche.“

Nele machte sich sofort mit einem gemurmelten „Danke.“ auf den Weg in die Küche und trank in großen Zügen aus einer alten Kanne.

Dabei bemerkte sie, dass scheinbar vor kurzem ein Huhn geschlachtet worden war.

Das Blut und die Federn waren noch überall auf dem Tisch verteilt.

Das Fleisch köchelte in einem Topf über dem alten Herd.

Der Geruch nach Hühnerfleisch mit frischen Kräutern ließ Nele das Wasser im Munde zusammen laufen.

Sie traute sich allerdings nicht, nach etwas Essbaren zu fragen.

Sie war froh wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben und Wasser trinken zu dürfen.

Die Frau ließ das junge Mädchen keine Sekunde lang aus ihren Augen.

Als Nele sich in ihr Zimmer zurück gezogen hatte, machte sich die vierzigjährige wieder daran ihre Mahlzeit zuzubereiten.

Nele warf sich auf die Matratze und schaute sich im Zimmer um.

Außer einer Kommode und einem Stuhl war der Raum leer.

Die Farbe war bereits vollständig von der Wand abgeblättert.

Vereinzelt bröckelte der Putz herab.

Seufzend schloss das übermüdete und erschöpfte Mädchen die Augen und schlief gleich ein.
 

Nele wachte pünktlich vor Sonnenaufgang auf.

Die Vögel sangen bereits ihr Morgenlied.

Der Duft von frisch gebratenen Eiern ließ ihren Magen laut knurren.

Schnellen Schrittes polterte sie die Treppen runter und begab sich gleich in die Küche.

Die Frau stand am Herd und legte gerade etwas Speck in die Pfanne.

Wie nicht anders zu erwarten war der Tisch nur für eine Person eingedeckt.

Nele hatte bereits damit gerechnet sich ihr Frühstück hart erarbeiten zu müssen und da ihr Magen schon lange keine richtige Mahlzeit mehr gesehen hatte, gewöhnte sie sich langsam daran, nichts zu essen und das knurren zu ignorieren.

Dank des orangenen Lichtes, dass sie Vorgestern eingehüllt hatte, war auch das Hungergefühl verschwunden gewesen.

Jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als das es ihr gelänge, dieses Licht hervorzurufen und ihren Hunger somit zu stillen.

Doch leider wusste sie noch nicht genau, wie sie diese Kraft nutzten konnte.

Nele schwor sich aber, das sobald wie möglich herauszufinden.

„Was stehst du da so dumm rum?“

Nele erschrak bei diesem rauen Ton.

Doch was hatte sie erwartet?

Bis jetzt war ihr noch keiner begegnet der ihr reine Freundlichkeit entgegen gebracht hatte.

„Wenn du was zu essen willst, dann arbeite! Geh dich umziehen! Ich will keine Hure in meinem Haus sehen! Das Kleid findest du da vorne.“

Mit dem Kochlöffel deutete die Frau auf einen Korb, der am Rande der Küche stand.

Nele fischte ein altes Kleid heraus und ein paar neue Schuhe.

Sie zog sich kurz in ihr Zimmer zurück und warf sich den alten grauen Stofffetzen über.

Sie zog das blassgelbe Band um ihre Hüften enger.

Das Kleid war einige Nummern zu groß, aber bei weitem bequemer, als das Korsett, das in ihrem braunem Kleid eingenäht war.

Die Schuhe hatten auch bereits bessere Tage gesehen, doch würden sie ihren Dienst noch weitere Tage erfüllen können.

Nele legte das braune Kleid zusammen und packte es in eine Schublade der Kommode.

Man wusste ja nie, ob sie es nicht doch noch einmal gebrauchen konnte.

Schnell stieg sie die Treppen herab und meldete sich wieder in der Küche.

Die Frau saß bereits an ihrem Tisch und verschlang gierig ihre Eier.

Ohne aufzublicken erteilte sie ihren nächsten Auftrag..

„Geh jetzt zum Fluss und fülle den Brunnen bis zur Hälfte wieder auf! Erst wenn du das geschafft hast werde ich mein Essen mit dir teilen.“

Ungläubig starrte Nele die Frau an.

Wie sollte sie es schaffen den Brunnen wieder aufzufüllen?

Dieses Unterfangen ist schier unmöglich!

Trotzig streckte das Mädchen ihre Schultern hoch.

>Na schön. Wenn sie meine Ausdauer testen will, dann soll sie es so haben! Wir werden ja sehen, wer am Ende gewinnen wird!< dachte sie bei sich und gab ein einfaches: „Nichts leichter als das!“ von sich.

Ohne weitere Worte schnappte sich Nele die beiden Eimer und machte sich auf den Weg zum Fluss.

Verwirrt runzelte die Frau die Stirn und blickte dem stolzen Mädchen hinterher.

>Wie schwer kann es schon sein einen Brunnen aufzufüllen?< fragte sich Nele und stolzierte nach draußen.
 

Die Sonne stand bereits weiter oben am Himmel und schickte ihr heiße Glut in das kleine Dorf.

Keine einzige Wolke spendete Schatten.

Es sollte ein noch heißerer Tag als Gestern anbrechen.

Die Dorfbewohner machten sich lautstark an ihre Arbeit und hauchten so der Umgebung Leben ein.

Einige Frauen trieben ihre Kühe und Schafe auf die Weide.

Nele erkannte keine 10 Meter entfernt von sich, den schillernden Arm des Flusses, der dem Dorf zum Überleben diente.

Schlendern machte sie sich an das Befüllen der beiden Eimer.

Vorsichtig lief sie zum Brunnen und setze einen Eimer auf dem Boden ab.

Dann kippte sie den Inhalt des Anderen in die Tiefe.

Platschend traf das kühle Nass auf die Kieselsteinchen, die den Boden bedeckten.

Durstig saugte der Erdboden das Wasser auf und ließ keinen einzigen Tropfen zurück.

>Ok. Das wird wohl doch länger Dauern als ich dachte.<

Brummelnd trieb Neles Magen sie an, keine weitere Zeit zu verschwenden und sich an die Arbeit zu machen.

Also entleerte Nele auch den zweiten Eimer und marschierte wieder zurück zum Fluss, um ihre Eimer wieder zu befüllen.

So schleppte das Mädchen Stunde um Stunde, Eimer für Eimer den kleinen Hügel hinauf.

Die Frauen von Kara würdigten dem Mädchen am Anfang keinen Blick.

Zu oft hatten sie schon das Spiel der alten Heilerin beobachtet.

Doch spätesten am Abend konnten sie es sich doch nicht verkneifen dem fremden Mädchen bewunderte Blicke zu zuwerfen.

Noch nie hatte es eine junge Frau so lange durchgehalten und das perfide Spiel mitgespielt.

Jeder wusste, dass der Brunnen kein Wasser spendete.

Nie wieder spenden wird.
 

Schnaufend lehnte sich Nele über den Brunnen und kippte den Eimer aus.

Wie oft war sie diesen blöden Hügel hoch gelaufen und hatte die beiden Eimer entleert?

Nach der zwanzigsten Runde hatte sie aufgehört zu zählen.

Ihre Arme brannten wie Feuer und die Beine zitterten vor lauter Anstrengung.

Nichts.

Es war kein einziger Tropfen zu sehen.

Wutentbrannt schnappte sie sich die Eimer und stapfte zurück zum Fluss.

>Vielleicht muss ich erst den Durst der Erde stillen bevor das Wasser steht.< stellte sie für sich fest um neuen Mut fassen zu können.

Immerhin hatte sie ein Ziel.

Und wer weiß, vielleicht konnte sie es sogar schaffen.

Warum nicht?

Wer ist durch einen Spiegel gesaugt worden?

Nele!

Wer hat seine Jungfräulichkeit erfolgreich in einem Bordell beschützt?

Nele!

Wer war mehrmals den Banditen entkommen?

Nele!

Und wer zum Geier hat es geschafft die hässlichsten Kreaturen mithilfe eines orangefarbenen Lichtes zu killen?

NELE!

Also warum sollte sie auch nicht einen dämlichen, alten, vertrockneten Brunnen auffüllen können?

Genau!

Motivierter als zuvor machte sie sich weiter an die Arbeit.
 

Die Alte schlich zum hundertsten Male an ihrem Fenster vorbei.

Stirnrunzelnd beobachtete sie das Mädchen, dass Eimer, um Eimer, um Eimer, um Eimer den kleinen Hügel hinauf schleppte und unermüdlich Wasser in den Brunnen kippte!

Laut ihrer Urururgroßmutter war es bereits 300 Jahre her, dass der Brunnen Wasser spendete.

Damals gab es den Fluss Niridia noch nicht.

Der Brunnen war die einzige Wasserquelle weit und breit.

Doch nach dem Tod der Priesterin versickerte das Wasser und der Brunnen trocknete aus.

Egal was die Dorfältesten versuchten, sie konnten den Brunnen nicht wieder zum Leben erwecken.

Wie oft waren die Frauen zum heiligen Grabstein gepilgert und hatten um eine neue Priesterin gebetet.

Vergebens.

Die alte Hexe trottete zu ihrer Kammer hinüber und legte sich ins Bett.

Gut das junge Ding mag einiges an Durchhaltevermögen und Dummheit besitzen, um nicht aufzugeben.

Das beeindruckte die Frau sehr.

Noch nie war ihr so ein Mädchen begegnet.

Sollte sie bis zum Morgengrauen durchhalten, würde die Alte nachgeben und die Besucherin auch als solche behandeln.

Insgeheim wünschte sie sich, dass es dem Mädchen gelang den Brunnen aufzufüllen.

Auch wenn es nur noch so wenig sein sollte.
 

Es plätschert laut in der ruhigen Nacht.

Der Mond stand hell und klar am Himmel und schenkte Nele genügend Licht, um ihren Weg zu finden.

Das Zirpen der Grillen klang zart und leise in ihren Ohren, als sie wiedereinmal den Eimer leerte.

Erschöpft sackte das Mädchen am Brunnerand zusammen.

>Ich will nicht aufgeben! Ich will nicht aufgeben!<

Unermüdlich sang sie sich dieses Mantra in ihren Gedanken vor, um die Zuversicht nicht zu verlieren.

Genau diese Worte hatten ihr schon oft geholfen auswegslose Situationen zu überstehen.

Nele blickte in den Himmel und starrte die ihr fremden Sterne an.

Kein einziges ihr bekanntes Sternbild konnte sie ausmachen.

Was war das für eine Verrückte Welt in der sie hier gelandet war?

Wie lange war sie jetzt schon hier?

Nele zuckte mit den Schultern.

Sie hatte so viel erlebt und so viele Orte gesehen.

Das Zeitgefühl hatte sich verabschiedet.

Winkend schaute es zu Nele zurück und verschwand in der Dunkelheit.

Warum?

Warum gelang es ihr einfach nicht diesen blöden Brunnen aufzufüllen?

Wut breitete sich in ihr aus.

Dieses Gefühl machte sie stark.

Eine kleine Ahnung durchzuckte Neles Gedanken.

Sie versuchte sie zu packen doch weil es ihr nicht gelang wurde ihre Wut noch mehr anheizt.

Sie ballte ihre Hand zu einer Faust und blickte auf sie hinab.

Leicht orangefarben schimmerte ihr ihre Faust entgegen.

Die Erkenntnis durchzuckte sie wie ein strahlender Blitz.

Das ist es!

Erfreut Sprang sie auf.

>Jedes Mal!< dachte sie. >Jedes verfluchte Mal, wenn ich wütend werde, dann erscheint dieses Licht! Das erste Mal bei den Snarks. Dann bei diesem Wassermonster. Also ... <

„Also muss ich nur wütend werden.“ schlussfolgerte sie laut.

Warum war ihr dieser Zusammenhang noch nie früher aufgefallen?

Ja das konnte sie gut.

Wütend werden.

Streiten.

Das war ihre Leidenschaft.

Egal.

Nele konzentrierte sich wieder auf das wohltuende wütende Gefühl und griff im Geiste nach ihm.

Orange, warm und einfach herrlich erfrischend durchflutete es sie.

Sie legte es auf ihren Kopf und auf ihre Arme.

Die Wärme breitete sich aus und Vertrieb allen Schmerz und Hunger.

Plötzlich spürte sie ein starkes Ziehen im Hinterkopf.

Instinktiv drehte sich das Mädchen um.

Vor Schreck stolperte sie rückwärts über einen der losen Steine des Brunnens.

Aus der Tiefe des Brunnen erstrahlte ein blaues Licht.

Es breitete Kälte und Schmerzen aus.

Nele kauerte sich zusammen.

Ihr Kopf drohte zu platzten, während unzählige Bilder durch sie hindurch schossen.
 

Sie sah sich selbst vor dem Brunnen stehen, gemeinsam mit vier Männern. Ihr Anblick ließ Neles Herz wie wild rasen, hüpfen, springen und tanzen.

Alles auf einmal.

Zwei Blonde und zwei Schwarzhaarige Männer strahlten sie an.

Ihre lederne Rüstung schmeichelte jeden Muskel von ihnen.

Einer größer und prächtiger als der Andere.

Selbst die Sonne und die Sterne konnten nicht mit dem Lächeln ihrer Auserwählten Männer konkurrieren.

Sie glühten förmlich vor Liebe und Zuneigung ihrer Frau gegenüber.

Nele liefen Tränen der Freude und Sehnsucht die Wange hinab.

Eine Unglaubliche Liebe überschwemmte sie und spülte alles was gewesen war mit sich hin fort.

Sie wollte sie besitzen!

Sie wollte alle vier Männer in ihre Arme schließen und nie wieder gehen lassen.

Doch es sollte nicht sein!

Ihre Männer mussten in den Krieg ziehen.

Alle vier!

Nur Nele würde zurückbleiben müssen und Tag ein und Tag aus für eine sichere Rückkehr beten.

Wie ungerecht!

Ich hasse sie dafür!

Wut breitete sich in ihrem Körper aus und verbrannte die Liebe.

Das Lächeln auf den Gesichtern der Ritter verschwand.

„Ich hasse sie, diese verfluchten Könige und ihre Snarks!“ brüllte die Bestie in ihrem Inneren.

Ich werde sie dafür verni ...
 

„NEIN!“ rief das verschreckte Mädchen in die Nacht hinaus und griff mit ihrem orangenen Licht nach der Quelle der blauen Energie.

Kräftig zog Nele an der kalten Macht und überflutete sie mit ihrer eigenen Wut.

Das Blaue Licht wurde aufgesogen und verschwand tief im Inneren des orangefarben Lichtes.

Erleichtert seufzte Nele auf, als die Kälte verschwand.

Mit ihr verschwanden auch die vier Männer.

Kraftlos sackte das Mädchen in sich zusammen und viel in einen tiefen Schlaf.

Im Traum sah sie die verschwommenen Gesichter ihrer vier Geliebten.

Sie umarmte sie und küsste sie, bis es keinen Morgen mehr gab.
 

Die alte Hexe eilte zum Brunnen.

Wie konnte dieses dumme Ding nur solange arbeiten, bis es vor Erschöpfung zusammenbrach.

Dummes, einfältiges, tapferes Ding!

Als die Frau atemlos nach dem Mädchen greifen wollte, bemerkte sie den friedlichen, gleichmäßigen Atemzug.

In diesem Moment entschied sie sich dazu, über den Schlaf des jungen Mädchens zu wachen.

Mariella ließ sich auf dem Brunnenrand nieder und seufzte.

Wie konnte sie so schnell ihr Herz an eine Fremde verlieren?

Warum sorgte sie sich so sehr um dieses namenlose Ding.

Sie hasste die Menschen.

Einzig und allein ihre Priesterin liebte sie abgöttisch.

Doch leider würde sie ihrer Priesterin niemals begegnen.

Dank des Siegels.

Verfluchtes Siegel!

Ohne die Hilfe des Portals, konnten die Priesterinnen ihre heilige Welt nicht verlassen, um Alisande beizustehen.

Und es brauchte Beistand.

Michael zerstörte es immer weiter.

Der Krieg und die Herrschsucht würde sie alle noch ins Verderben stürzen.

Mariella wandte ihren Blick vom schlafenden Gesicht der Fremden ab und ließ ihn in der Gegend schweifen.

Ein leichtes Schimmern zog sie magisch an.

Die Sonne glitzerte auf der Wasseroberfläche wie tausende Diamanten.

Dieser Anblick brachte Mariella innere Zufriedenheit und Ruhe.

Die Wasseroberfläche war so klar, dass Mariella bis in den Grund des Brunnens sehen konnte.

Glücklich seufzte sie.

Plötzlich hielt die Frau ihren Atem an.

Wasser?

Im Brunnen?

Entsetzt sprang sie auf und griff in das kühle Nass, um sich zu vergewissern, dass sie nicht geträumt hatte.

Unglaublich!

Die Hexe ließ sich wieder auf dem Brunnenrand nieder und atmete tief durch.

Ihr Herz raste vor Aufregung.

Schnell kramte sie in einer verborgenen Tasche in ihrem Mantel und fischte den alten kreisförmigen Stein heraus.

Unschlüssig spielte sie mit ihm in ihrer Hand und traute sich kaum, der Hoffnung nachzugeben.

Langsam senkte sie ihre Hand und ließ ihn auf die Stirn der Fremden kullern.

Die alte Hexe und Heilerin beobachtete gespannt, was geschah.

Der Stein fing an zu vibrieren und sein taubengrauer Mantel zerfiel zu Staub.

Alles was zurückblieb waren ein paar rußige Partikel und ein orange leuchtender Edelstein.

Tränen traten in die Augen der Frau.

Sie hatte sie gefunden.

Sie hatte ihre Priesterin gefunden.

Endlich!



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Thuja
2011-07-31T10:23:24+00:00 31.07.2011 12:23
ES SOLL WEITERGEHEN!!
ES SOLL WEITERGEHEN!!!
ich glaube in meiner Verzweiflung starte ich bald eine Unterschriftenaktion TT.
WIe viel braucht man, um eine entscheidung durchzusetzen.
100000?
Von:  Mimmy-chan
2011-04-21T13:11:01+00:00 21.04.2011 15:11
WOW! Nele ist so stark
*zu ihr aufschau*
Langsam frage ich mich, ob sie wicklich noch menschlich ist *grins*
Naja die Tatsache, dass sie anscheinend eine Priesterin ist, lässt vermuten, dass sie doch auf eine anderen Art und Weise etwas besonderes ist. *kihi*

Verstehe, es ist also eine Barriere, die daran Schuld ist, dass bis jetzt niemand außer Nele in diese seltsame Welt eintreten konnte.

Woha dieses blaue Licht ist doch recht seltsam und unheimlich. *zitter* Irgendwie ist es eine Macht die Hass in Nele hervorruft.

Gleich 4 Männer! Man ist Nele gierig XDD
Aber es ist auch mal was gaaaaaaanz anderes *grins*
Na mal sehen wer diese vier sind.
Also ausn Neles sicht könnten das: chris und David sein. Doch wer sind die anderen? Ist Michael vllt dabei?

So meine Süße ... ich hab alle Kapis durchgelesen und bin sicher du weißt was jetzt kommt, oder?
*auf den Stein der Priesterin kletter*
*Hina von oben muster*
*mit einem Blitzen in den Augen anfunkel*
*dir ein Messer vor die Füße werf*
ICH WILL MEHR LESEN!
*droh*
UND WENN ICH MEINEN WILLEN NICHT BEKOMME, DANN ...
*ihre Musenpeitsche raushol*
... WIRST DU ER BEREUEN!
*Wolken ziehen hinter meinem Rücken auf und verschlingen alles Licht*
...KRALLT SIE EUCH FREUNDE!!
*Nele aus der Dunkelheit tritt. Sie schwenkt ihren Wassereimer wie eine Waffe hin und her. Ihr orangenes Licht umgibt ihren Körper*
*Chris taucht aus dem Nichts auf und hält Hina seine Klinge unter die Nase*
*Hina zwar versucht zu fliehen, doch David versperrt ihr die Fluchtmöglichkeit*
*hina ist gefangen*
*ich grinse*
Na? Wirst du gehorchen?


chuchu mimmy-chan
Von:  Thuja
2011-01-29T13:49:12+00:00 29.01.2011 14:49
Oh je
So viel ist passiert
Wo fange ich nur an.
Mit einem Lob?
Einem Tadel?
Ich fange mit dem Tadel an *hände in die Hüfte stemm*
Na toll!!! Es ist kein neues Kapitel mehr da. Das IST NICHT NETT!!!
Ich will zu gerne wissen, wie es weitergeht.
Langsam wird immer klarer, warum Nele in diese Welt geholt wurde. Sie ist auserwählt sie zu retten. Eine große Aufgabe. Und fraglich ob sie das alleine schafft (ihr würde ich durchaus zutrauen das zu versuchen :D). Sie gehört irgendwie zu der Sorte, die anscheinend nur schwer vertrauen fasst und die Dinge lieber alleine macht. Aber für so eine Bestimmung wird sie bestimmt Helfer brauchen.
Wow
Ich bin furchtbar gespannt wie David und Chris reagieren, wenn sie das erfahren

Übrigens ist mir jetzt warm. Du hast die senkende Hitze so gut beschreiben, das hat man förmlich am eigenen Leib gespürt. Deine Formulierungen waren sehr lebendig.
Und ich habe Nele so bewundert, wo sie die Zähne zusammen gebissen hat und immer weiter Wasser geschleppt hat. Wie sinnlos es auch schien, sie hat nicht aufgegeben. Sie ist eine sehr starke Frau und das finde ich toll. Außerdem stellst du ihren Charakter immer sehr gut und konstant dar, woran man merkt, wie klar du die Person vor Augen hast. Du passt sie nicht der Situation an , sondern lässt sie regelrecht aufleben durch ihre Darstellung.
Das finde ich einfach nur große Klasse *alle Daumen hoch*

Diesmal gibt es nur eine kleine Kritik. In einigen Abschnitten hattest du eine fast schon systematische Abwechslung des Wortes „Nele“ und „Mädchen“ als Synonym. Dadurch wirkte der Text an diesen Stellen ein wenig steif. Außerdem kam in diesem Kapitel zu oft das Wort „Nele“ am Satzanfang vor. Ab und zu ablösen durch „sie“, durch Satzumstellungen oder andere Satzanfänge wäre gut.

Ich hoffe das klingt jetzt nicht zu negativ ^^“
Denn ich finde deine Story absolut super.
Es macht mir immer absolut Spaß sie zu lesen. Ja man genießt es richtig. Ein schöner Kaffee, sich entspannt zu ruhig lehnen und einfach lesen. Perfekt für ein paar Minuten Entspannung

hdl

Von:  hanabi_2001
2011-01-10T11:06:20+00:00 10.01.2011 12:06
☺ Du hast mich verzaubert, deine Geschichte ist so spannen,daß ich dich bitte lass die Zeit bis zum nächsten Kapitel nicht so lang sein. Ich möchte doch unbedingt wissen was es mit dem Diamanten und der alten Frau auf sich hat.Auch wie Nele guckt wenn sie aufwacht und der Brunnen voll ist. ♥♥♥lichste Grüße dein treuer Fan Hanne


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