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Katenha

von

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Versuch

Noevy versuchte, sich in den folgenden Tagen bei den anderen einzuleben, was ihm nur mit Mühe gelang. Das Essen war fast jeden Tag das Gleiche, nachts wurde er zwischen Jevo, Turil und manchmal auch Ninia beinahe erdrückt und sonst passierte eigentlich nichts Besonderes, das seine Langweile mindern konnte, da es hier so gut wie nichts zu tun gab außer herumsitzen, reden und schlafen. Irgendwie vermisste er schon die Schule, wo es wenigstens etwas spannender war als hier, selbst wenn er in den meisten Fällen so wenig wie möglich Zeit dort hinein investiert hatte, weil es ihn gelangweilt hatte.

Mit Muri hatte Noevy in letzter Zeit oft kleinere Spiele ohne zusätzliches Material gespielt und ein- oder zweimal Sejena die Haare geflochten, weil sie darauf bestanden hatte und ihm in diesem Moment sowieso langweilig gewesen war. Wenigstens hatte er dabei gelernt, was man bei weiblichen Haaren besser nicht machen sollte, das gab höchstens Ärger und böse Worte.

Fear hatte er in der ganzen Zeit vorsichtshalber kein einziges Mal angesprochen, weil er befürchtete hatte, sie könnte darauf sehr negativ reagieren, immerhin war ihr in dieser Sekte jahrelang eingeredet worden, dass Männer sozusagen das personifizierte Böse waren, also würde sie auf ihn auch nicht besonders gut zu sprechen sein.

„Noevy.“ Virila stupste ihn leicht in die Seite, damit er aus seinen Tagträumen erwachte. „Ich möchte heute die Klamotten von euch allen waschen.“

„Ich soll mich jetzt ausziehen?“ Ungläubig schaute er Virila an, als habe sie verkündet, von ihm schwanger zu sein. Das konnte sie nicht von ihm verlangen.

„Nein, so meinte ich das nicht“, klärte sie Noevy hastig auf; das Missverständnis schien ihr etwas peinlich zu sein. „Du gehst nach Ninia ins Bad, legst da deine Sachen zu den anderen auf den Stapel, ziehst dir eins von den Handtüchern aus dem Schrank über und kommst wieder her. Verstanden?“

„Ja, eigentlich schon.“ An dieser Ausführung gab es nicht sehr viel falsch zu verstehen, zumindest wusste er nun, was er machen sollte.

Nachdem Ninia das Bad verlassen, betrat Noevy es, zog sich wie befohlen aus, kramte ein Handtuch aus den Tiefen des Schranks hervor, band es sich um die Hüfte und ging in diesem Aufzug auf sein Plätzchen, um von dort zu beobachten, wie Muri im Bad verschwand und gleich wieder heraus kam, ebenfalls eingewickelt wie Noevy, allerdings begann das schon weiter oben.

Nach kurzer Zeit trugen alle außer Virila und Fear die weißen Tücher als Kleidungsersatz, was ihnen scheinbar nicht so viel ausmachte bis auf Noevy, der sich erst daran gewöhnen musste, und Sejena, die wie festgeklebt auf einer der Matratzen saß und sich keinen Zentimeter rührte, als könnte sonst das Handtuch einfach wegrennen.

„Fear, kommst du bitte mal her?“, rief Virila nach der rothaarigen, die nicht lange auf sich warten ließ und ihr in das Badezimmer folgte.

„Stimmt ja, unsere liebe Fear könnte sich nie im Leben länger in einem Raum mit ganz vielen schrecklichen Jungs ohne Klamotten aufhalten“, kommentierte Turil genervt diese Aktion und wurde dafür – wie nicht anders zu erwarten – von Muri in die Seite geschlagen; das tat sie regelmäßig, wenn sie fand, dass Turil nicht alle mit seiner Meinung, die keiner hören wollte, beschallen musste.

„Lass sie doch“, sagte Sejena und zog das Stück Stoff noch etwas höher, damit man auf keinen Fall Dinge von ihr sah, die sie nicht zeigen wollte.

„Trotzdem ist das affig. Stell dir vor, Ni würde sich so anstellen, keiner würde ihn ernst nehmen und einen extra Raum bekommt er sicher auch nicht.“

„Klappe, Turil, du brauchst uns nicht jedes mal vollzuheulen, weil du dich benachteiligt fühlst“, stichelte Jevo aus reiner Lust an der Provokation und wenig später entbrannte eine kleine aber handfeste Auseinandersetzung zwischen den beiden Jungen, die schnell von Muri unterbrochen wurde, indem sie die zwei Streithähne auseinander zerrte. Dafür, dass sie eigentlich deutlich kleiner als die beiden war, mit vollem Erfolg.

„Jungs, lasst den Mist endlich. Wir haben wirklich Besseres zu tun.“ Eisern hielt sie Jevo an seinem Tuch zurück.

„Haben wir nicht!“, warf Turil ein. „Sonst würden wir nicht stundenlang nichts tun.“

Darauf erwiderte niemand etwas, weil Turil ausnahmsweise Recht hatte. Nur manchmal brachte ihnen ein Katenha Papier und Stifte, mit denen sie malen und schreiben sollten, die er aber wenig später immer wieder mitnahm.

Mitten in das unnatürliche Schweigen platzte der silberne Katenha herein, um sich ein neues Opfer auszusuchen. Sein Blick schweifte einige Momente über die Versammlung, bis er entschlossen näher kam und schließlich Noevy, der ihn entsetzt anstarrte, am Handtuchsaum fasste, ihn hoch- und hinter sich herzog.

„Was soll das?“, stammelte Noevy ängstlich. „Wohin bringst du mich?“

Aber der andere antwortete ihm nicht, führte ihn stattdessen durch die schlangenartigen Gänge der Station und ließ nicht das Handtuch los, das Noevy die ganze Zeit krampfhaft festhielt, damit es nicht komplett verrutschte. Das musste nicht sein.

Bald erreichten sie eine Tür, an der der Katenha anhielt und Noevy ins Innere schubste. Dort erwarteten diesen schon zwei Außerirdische – ein grüner und ein blauer –, die scheinbar in Gedanken vertieft um einen dieser merkwürdigen Blöcke herumgestanden hatten. Nun wandten sie sich dem Neuankömmling zu, musterten ihn fast schon kritisch von oben bis unten und schließlich entfernte der blaue ohne zu zögern die letzte 'Kleidung' von Noevy, sodass dieser vollkommen entblößt vor den beiden Wesen stand und sich in Grund und Boden schämte. Wenn das erst der Anfang war, konnte er Ninias Aussage sehr gut nachvollziehen. Doch was wollten die Katenha damit bezwecken? Hoffentlich war an den verrückten Vorstellungen, die schon vor Jahrhunderten in der Welt herum kursiert waren, von perversen Aliens, die an Menschen Genmanipulationen und Schwangerschaften durch Einsetzten außerirdischer Embryonen ausprobierten, nichts dran.

Auf jeden Fall hatten die anderen nicht gewirkt, als hätte man ihnen irgendwelche Langzeitschäden zugefügt. Allerdings konnte es auch sein, dass man das erst viel später richtig wahrnahm, vielleicht auch überhaupt nicht.

Der grüne Katenha zwang ihn grob auf die kalte Oberfläche des dunklen Blocks und Noevy begann leise zu wimmern; er wollte das nicht, weder nackt auf diesem Klotz liegen noch von dem Wesen, was sich über ihn beugte, angefasst werden. Aber natürlich würden sie ihm diesen Gefallen nicht tun, das hatten sie bei den anderen auch nicht getan und diese waren schon öfters hier gewesen.

Die Hände des Katenhas legten sich auf Noevys Schläfen, drückten leicht auf diese und Noevy kniff ängstlich die Augen zu. Am liebsten würde er nicht mitbekommen, was sie mit ihm anstellten, doch daran ließ sich nichts ändern.

Einige Zeit lang geschah gar nichts, sodass Noevy sich fragte, ob das der eigentliche Versuch gewesen war, bis sich etwas tat. Der Stein unter ihm strahlte plötzlich deutliche Wärme ab und ein störendes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus, das sich schon bald zu einem starken Zwicken entwickelte.

Erschrocken versuchte Noevy, sich zu wehren; er schlug um sich und trat nach dem Katenha, allerdings nur mit dem Ergebnis, dass es sich anfühlte, als zerrte jemand aus den Tiefen seines Herzens etwas an die Oberfläche, wo es nicht hingehörte, und schließlich komplett aus Noevys Körper heraus.

„Hör auf dich zu wehren“, redete eine eindringliche Stimme auf ihn ein, „du tust dir damit nur selbst weh. Lass es einfach geschehen.“

„Nein, lass mich in Ruhe“, jammerte Noevy und verstärkte seine Gegenwehr, worauf der Katenha ihn mit seinem ganzen Gewicht auf die Unterlage presste.

Nun lag Noevy bewegungsunfähig auf dem immer wärmer werdenden Stein und musste den ganzen Vorgang über sich ergehen lassen; immerhin hatte er einen Verdacht, was hier passierte: Der Katenha saugte ihm mithilfe des schwarzen Blocks die Gefühle aus, jedenfalls fühlte sich sein eigener Körper schon ganz taub und leer an. Außerdem holte es dabei – absichtlich oder nicht – einige Erinnerungen hervor, die es überhaupt nichts angingen, doch zum Glück schob es sie auch gleich zur Seite und zurück in die Abgründe von Noevys Seele. Oder wie man das nennen sollte, aber es ließ sie unangetastet.

Nach zehn Minuten fühlte sich der Junge wie eine ausgequetschte Zitrone, in seinem Kopf drehte sich alles und er wünschte sich nichts sehnlicher als endlich zu den anderen zurückgehen zu dürfen. Warum beeilte sich der grüne Idiot denn nicht etwas?

Anscheinend hatte genau dieser ein Einsehen mit seinem Versuchskaninchen, da er von ihm herunterstieg, die Hände von ihm löste und das Handtuch sorgsam wieder um Noevy band. Doch der bekam davon kaum etwas mit, auch nicht, als die zwei ihn in die Obhut des silbernen Katenhas gaben.

Statt ihn aber sofort zu den anderen Jungendlichen zu begleiten, brachte es ihn in einen kleinen Seitengang und fing an, ihn aufmerksam anzusehen und kurz darauf anzufassen. Interessiert strich es über Noevys Schultern, das Schlüsselbein entlang und erkundete den Oberkörper des Jungen, der so weit zurück wich, bis er die Wand in seinem Rücken spürte. Das Vieh nutze seinen erbärmlichen Zustand schamlos aus! Und er selbst konnte sich nicht richtig widersetzten.

Wenigstens merkte er nicht, wie die silbernen Finger über seine Hüfte glitten, ein Gutes hatte das Experiment der Katenha doch gehabt, wenn man es extrem euphemistisch ausdrücken wollte.

Plötzlich riss der Katenha seine Hand zurück und in seine Augen blitzte ein gequältes Funkeln auf. Noevy war noch viel zu benebelt, um sich über das unerklärliche Verhalten seines Gegenübers zu wundern – woher sollt er auch wissen, dass die Gefühlsübertragung noch aktiv gewesen war und die negativen Emotionen weitergeliefert hatte? –, für ihn zählte nur, dass es ihn nun in Ruhe ließ. Was es auch tatsächlich tat und ihn ohne weitere Zwischenfälle in den Raum, in den er schon die ganze Zeit wollte, zurückbrachte.

„Noevy, endlich bist du wieder da.“ Jevo, der sich in der Nähe der Tür aufgehalten hatte, lief besorg zu ihm und scheuchte den silbernen Katenha mit einigen unfreundlichen Worten davon. Dann widmete er sich voll und ganz Noevy, schleppte ihn zu einer Matratze und umarmte ihn vorsichtig, worauf Noevy sich so nah an ihn drückte, bis er endlich ein kleines bisschen von Jevos Wärme wahrnahm. Das brauchte er jetzt einfach.

So saßen sie noch mindestens eine Stunde da; Noevy kuschelte sich an Jevo und dieser strich dem Jüngeren sanft über den Kopf. Das half ihm sicher, sich wieder zu beruhigen.

Die anderen hielten Abstand und störten sie nicht dabei, da sie selbst wussten, wie wichtig im Moment für Noevy war, seine Gefühle sozusagen wiederzufinden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  ReinaDoreen
2009-05-27T17:36:38+00:00 27.05.2009 19:36
Gefühle absaugen? Was wollen die Kathena mit Gefühlen? Wollen sie die auf sich übertragen? Geht das überhaupt? Und was passiert mit den Menschen? Das es unmittelbare Auswirkungen hat ist sichtbar, aber auf längere Sicht? Können die Kathena nicht damit irgendwann die Gefühle bei den Menschen auslöschen?
Reni


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