One Shot
Und wieder tut er es. Jedes Mal dasselbe mit ihm, er kann es einfach nicht lassen. Es ist einfach furchtbar mit ansehen zu müssen, wie er Tag täglich mit einer neuen zurück kommt. Aber inzwischen habe ich begriffen, dass es nichts nützt sich darüber aufzuregen. Ich bin weder für ihn verantwortlich, noch habe ich das Recht Interesse in seinem Tun und Machen zu zeigen. Es ist sein Leben, soll er es doch wegwerfen, für diese kostenlosen Fangirlys.
Es interessiert mich nicht, was es diesmal für eine ist. Es interessiert mich nicht. Kein Stück. Gar nicht. Überhaupt nicht. Verdammt nochmal, es interessiert mich! Diesmal hat sie braune, lange Haare mit Pony. Und ein Lippenpiercing. Sie ist gut gebaut, etwas kleiner als Yu selbst, aber auch nur wenn sie diese hochhakigen Schuhe nicht trägt. Aber wie alle anderen trägt sie einen kurzen Rock und hat einen Ausschnitt, in dem ein zweiter Mensch Platz hätte.
Ganz leise erhebe ich mich aus dem Sofa, laufe den beiden nach. Klar, fummeln ist ja auch so wichtig, dass man die Tür nicht schließen braucht. Aber mein Glück, da brauch ich wenigstens nicht selber öffnen. Da liegen sie, eng umschlungen auf dem Bett, Yu unter ihr, seine Hände unter ihrem Rock. Widerlich! Einfach eklig. Aber wie schon gesagt, es ist seine Sache und mich interessiert es nicht… viel…
Einmal die Augen geschlossen und schon alles verbockt. Yu hat mich gesehen, definitiv hat er mich gesehen. Und wie er mich gesehen hat! Eigentlich will ich jetzt gehen, nicht das er mir noch etwas an den Kopf wirft, aber sein Blick fesselt mich. Er sieht mich direkt an, grinst dabei. Arschloch! Hör auf mich so anzusehen und dabei mit diesem Ausstellungsstück rumzumachen!
Gereizt drehe ich mich um, laufe wieder in das Wohnzimmer des Hotels, in welchem nun auch Kiro sitzt und gelangweilt auf den Tasten der Fernbedienung herum klickt. Ich setze mich in den leeren Sessel, verschränke meine Arme. Kiro sieht mich kurz an, schenkt mir dann aber nicht weiter Beachtung. Besser so, sonst hätte ich ihn wahrscheinlich angeschnauzt.
Wenig später, sehe ich Yu mit diesem Mädchen. Er verabschiedet sie. Kiro sieht genau wie ich in ihre Richtung, bis sie nicht mehr in dem Hotel ist. „So schnell?“, fragt der Bassist etwas überrascht nach. Gut das er dasselbe gedacht hat, so muss ich mich mit der Frage nicht herumquälen. Der Schwarzhaarige zuckt mit den Schultern, kommt dann zu uns in das Zimmer, stellt sich hinter mich. Was soll das? Was will er da? Er stützt sich mit beiden Händen an den Lehnen ab, nähert sich meinem Ohr, wispert mir etwas hinein. „Eifersüchtig?“
Das reicht! Sowas lass ich mir doch nicht bieten! Nur weil ich ihm meine Liebe gestanden habe, hat er noch lange kein Recht, mich wo es nur geht lächerlich zu machen. Ich springe auf, klatsche ihm eine, sehe ihn wütend schnaufend einfach nur an. Kiro ist bestimmt entsetzt. Dass kann ich auch ohne zu ihm zu sehen feststellen.
Wo bleibt der Blick? Wo bleibt der Blick den ich durch diese Reaktion erwartet habe? Yu steht einfach nur da und grinst. Wieso grinst er? Er müsste mich doch anschnauzen, oder sonst was machen, aber doch nicht grinsen! Mit gesenktem Blick gehe ich an ihm vorbei, geradewegs in mein Zimmer.
In meinem Zimmer greife ich sofort nach meinem Kissen, lasse mich dann mit diesem auf das Bett fallen. Ich hasse ihn! Und wie ich ihn hasse! Da musste ich auch noch gucken, da bin ich doch selber Schuld an meiner schlechten Laune. Aber das er mir auch noch unter die Nase reiben musste, dass ich eifersüchtig bin… Ich hasse ihn! Und trotzdem komme ich nicht los von ihm… Ich hasse mich selbst dafür, dass ich so schwach bin…
Ich weiß – und ich wusste schon immer – das er in Sachen wie Beziehungen einfach verlogen ist. Er braucht nur jemanden zum spielen, alles andere ist ihm egal. Um Gefühle kümmert er sich nicht. Gesteht ihm jemand von seinen Bettfreundinnen ihre Liebe, lässt er sie sofort fallen. Er hatte mal eine richtige Beziehung, aber irgendwie zerbrach sie… Wieso will er einfach niemandem erzählen und wie lange diese Beziehung angehalten hat, weiß ich auch nicht mehr.
Und obwohl ich so viel von ihm weiß, will ich ihn besser kennen. Vielleicht ist das ein Grund mehr, wieso ich mich überhaupt in ihr verliebt habe. Ausgerechnet in ihn, in einen Mann, mit dem ich auch noch Tag für Tag arbeiten muss – ihn also öfter zu Gesicht bekomme, als meine eigene Familie…
Als wir einen erfolgreichen Auftritt gefeiert haben und irgendwann wieder ins Hotel sind, dachte ich dass Yu angetrunken sei, deswegen habe ich hier und da die anderen weggedrückt um mit ihm alleine sein zu können. Dann kam mein Fehler: Ich habe ihm tatsächlich gesagt, dass ich ihn liebe. Zwar habe ich versucht es so klingen zu lassen, als sei es ein Scherz, jedoch hat er kapiert, das es einfach keiner sein konnte. Danach hat er seine Arme gehoben, den Kopf geschüttelt und mich einfach alleine im Raum stehen lassen.
Seit dem, hat er kaum mehr mit mir geredet. Irgendwann war unser Kontakt dann aber wieder normal, nur er wirkte immer seltsamer. Er hat früher schon viele Frauen mitgebracht, aber in letzter Zeit passiert das immer häufiger. Es kommt mir fast schon so vor, als sei es wie eine Droge für ihn, jeden Tag eine neue zu haben, mit ihr zu spielen und dann die nächste zu nehmen.
Ich habe nie erwartet dass er meine Gefühle erwidert, aber dass er mir so offensichtlich weh tut… Es klappt. Jeden Abend sitze ich in meinem Bett und urteile über mich selbst. Ich denke darüber nach, was ich falsch gemacht habe, was ich noch falsch machen werde. Ich denke darüber nach, wie es weiter gehen soll, darüber, dass ich die Band nicht mit hineinziehen will. Es tut weh immer wieder feststellen zu müssen, dass man der Grund für die eigenen Probleme ist, dass man sie praktisch selber erzwingt und es in den wichtigsten Momenten gar nicht erst merkt.
Das meine erste richtige Liebe, auch ein Mann sein muss… Ich konnte mich ja nicht wie alle anderen in ein hübsches Mädchen verlieben – nein – ich muss ja ständig meine ‚Besonderheit‘ unter Beweis stellen. Mir wird oft gesagt dass ich anders bin – das weiß ich auch. Aber ich will gar nicht anders sein. Ich will so sein, wie jeder Junge in meinem Alter.
Ich bin so in meinen Gedanken aufgegangen, dass ich mich nun ziemlich erschrecke, als plötzlich jemand neben mir sitzt. Jemand ist nicht korrekt. Es ist Yu. Er sitzt einfach neben mir auf dem Bett, sieht zu Boden. Wie lange sitzt er schon da? Wann hat sich bitte die Tür bewegt? Was hat er mitbekommen? Wie ich ihn verflucht habe? Wie ich in Tränen ausgebrochen bin? Wie ich verzweifelt seinen Namen ins Kissen gerufen habe?
Er zeigt keine Reaktion. Er sitzt immer noch nur da, nur schaut er mich jetzt an. „Was?“, kommt es gemurrt von mir. Mit finsterer Mine drehe ich meinen Kopf zur Seite, bleibe im Schneidersitz sitzen, drückte das Kissen nur noch mehr an mich. Yu schweigt, macht nicht einmal den Ansatz etwas sagen zu wollen.
„Was willst du?“, versuche ich ihn wieder zum Reden zu bringen – er seufzt. Hab ich irgendwas verpasst, oder wieso sitzt er hier vor mir, weiß scheinbar nicht was er sagen soll, will aber etwas sagen. „Hab ich irgendwas, was du zurück willst?“, frage ich etwas ruhiger nach, worauf er den Kopf schüttelt. „Obwohl… So kann man das auch sagen, nur will ich es nicht als ‚Ding‘ bezeichnen.“ Ich schweige, versuche zu kapieren, was er damit meinen könnte, aber ich komme auf nichts.
„Ich hab‘ mit keiner von ihnen geschlafen.“, redet er nun einfach weiter. Jetzt kapier ich gar nichts mehr. Was meint er damit? Gut, die Frauen die er angeschleppt hat – soweit kann ich noch denken – aber der Rest? Einige Worte kann ich nicht ordnen, oder sie passen einfach nicht zu dem Rest meiner Gedanken. Er hat sich bestimmt nur versprochen, oder so…
„Du hast schon verstanden. Ich hab sie zwar mitgebracht, aber mit keiner geschlafen, seit…“ Jetzt ist er still. Wieso redet er nicht weiter? Ich will wissen seit wann er mit keiner von ihnen schläft, aber voralldingen wieso er mit keiner von ihnen schläft! „Tut mir leid, du musst mich die letzten Wochen noch mehr gehasst haben als sonst.“ Worauf du dich verlassen kannst!
„Es hat mich ganz schön geschockt, als du mir gesagt hast, dass du… mich liebst… Die letzte Zeit konnte ich an kaum etwas anderes denken. Ich habe mir immer eingeredet, dass es lächerlich ist, so etwas von einem Mann zu hören.“ Wieso sagt er das? Das alles weiß ich schon von seiner Reaktion. So deutlich braucht er es mir nicht mehr sagen. Ich weiß was die nächsten Worte sein werden, also kann er ruhig aufhören zu reden.
Ganz langsam bewegt er seine Hand auf mich zu. Es sieht so aus als wolle er meine Wange streifen, jedoch lässt er seine Hand wieder sinken, hebt sie dann doch wieder an, um mir das Kissen aus den Armen zu nehmen und es an eine andere Stelle des Bettes abzulegen. „Ich wollte mich von deinen Worten ‚ablenken‘, aber immer kurz davor, hörte ich sie wieder in meinem Kopf. Deshalb hab‘ ich jede einzelne von ihnen wieder weggeschickt. Ich wollte mir selber klar machen, dass ich keine Gefühle für einen Mann haben kann, aber… Irgendwann wurde mir endlich klar, dass ich mich nicht selber belügen kann. Trotzdem habe ich nicht aufgehört mich mit ihnen zu treffen.“
Mein Mund muss jetzt sicher sehr weit offen stehen, da ich diese Worte nicht glauben kann. Das kann einfach nicht wahr sein was er da sagt. Ich muss träumen. Genau. Bestimmt bin ich eingeschlafen, weil ich so lange geweint hab. Es ist aber kein Traum… Sanft schließt mich Yu in den Arm, drückt mich fest an ihn, wispert mir leise ins Ohr, was ich ihm Wochen zuvor selber gesagt habe: „Ich liebe dich“