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Und am Ende bleibt immer die Frage: Warum?
von

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Tiefer und tiefer

Fünf Tage später hatte ich mein Versprechen noch immer nicht eingelöst.

Er lief mir zwar oft genug über den Weg, aber ich traute mich nicht, meinen Adonis anzusprechen. Was unter anderem daran lag, dass allein sein Anblick von Weitem ausreichte, um mir die Knie weich werden zu lassen. Kam er näher, gesellten sich auch noch zittrige Finger, flacher Atem, Schweißausbrüche, akutes Herzrasen und eine ganz und gar peinliche Rotfärbung meiner Wangen dazu. Muss ich noch erwähnen, dass mir sein Anblick die Sprache verschlug?
 

Dass es noch niemand gemerkt zu haben schien, erstaunte mich unter den Umständen wirklich. Aber wer sollte es auch? Ich hatte zwar Anschluss gefunden, aber noch keine wirklichen Freunde. Ich glaube, das passende deutsche Wort, um meine Beziehung zu der Clique zu bezeichnen, wäre „Kumpel“. Sie hatten mich aufgenommen, und ich gehörte auch irgendwie dazu; ich wurde genau wie alle anderen mit Küsschen begrüßt, geknufft, umarmt und mutierte so langsam zum Lieblings-Kuschelopfer der Mädchen – „Ach, ist der süß!“ – aber mit einem von ihnen so wirklich befreundet war ich noch nicht.

Auch Roka fehlte mir.

Sie war von der Sommergrippewelle erfasst worden, die im Moment die Klassenräume entvölkerte, und hütete seit vorgestern das Bett. Ich war also mal wieder weitestgehend mit mir allein. Und das war schlecht. Um genau zu sein, ganz und gar schrecklich! Denn so hatte ich viel zu viel Zeit, um über ihn nachzudenken. Und keinerlei Ablenkung! Obendrein war heute Freitag. Also Wochenende. Das hieß, ich würde rein gar nichts zu tun haben, da ich noch nicht wusste, wo man sich hier am besten herumtrieb, und meinen Adonis ganze zwei Tage lang kein einziges Mal sehen! Himmel hilf.

¬

Doch manchmal meinte es das Schicksal sogar mit mir gut.

Ich saß ausnahmsweise allein auf den Bänken unter den Platanen, da für mich Englisch ausgefallen war und diesen Kurs von meinen neuen Freunden nur Roka mit mir teilte, als eine gewisse Stimme mir den Schock in die Glieder trieb.

„Hallo, Kleiner.“

Er stand direkt hinter mir. Und hauchte mir diese harmlosen zwei Worte so verführerisch in den Nacken, dass ich tausend Tode starb. Mit zitternden Gliedmaßen und dem Gefühl, keine Luft zu bekommen, obwohl meine Lungen pumpten wie blöd, drehte ich mich zu ihm um und starrte ihn aus ungläubig geweiteten Augen an. Vielleicht schwang auch etwas Angst darin mit. Was wollte er von mir?

Er lächelte mich auf diese ganz bestimmte Art an, die ich von ihm schon kannte. Sein Gesicht verzog sich dabei kaum, aber es war nicht zu übersehen. Lag es an diesem hintergründigen Funkeln in seinen Augen? Oder daran, dass sich die Mundwinkel etwas tiefer in seine Wangen einzugraben schienen? Egal, alles egal. Hauptsache war, er redete mit mir. Auch, wenn er mich dabei ansah wie eine Katze das Goldfischglas.

„Hättest du nicht Lust, heute Abend mit in den Club zu kommen?“

Er drückte mir einen Flyer in die Hand.

„Einige der anderen sind auch da, es wird dir bestimmt gefallen.“

Ich starrte auf den Flyer.

Er kündigte einen Alternative/Hardcore-Abend in einer Diskothek hier in der Stadt an.

Ich sah zu Kilian auf.

„Ist das ein Date?“

Sein seltsames Lächeln vertiefte sich. Mir rannen Schauer übe den Rücken.

„Wenn du es so willst…“
 

Das Telefon klingelte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hob er endlich ab.

“Griff! You gotta rescue me!“

“Hey sweetie, what’s up?”

Ich klammerte mich an den Telefonhörer, als wäre er meine letzte Rettung. Das war ja auch in der Tat richtig. Griff war meine letzte Rettung.

“He asked me out!”

“Do you wanna tell me that you’ve seriously overcome your inner gremlins and talked to him?”

“Yes, no, he talked to me, but Griff, he asked me out! A Date! Tonight!”

“Where’s the problem?“

Völlig überfordert starrte ich meinen weit geöffneten Kleiderschrank an.

“I don’t fucking know what to wear! I’m doomed!”

“Okay, that is a problem. Been shopping lately?”

“Nope.”

“Well, then… How about that silver shirt and your white plaid skinny jeans?”

Ich blinzelte und begann dann zu strahlen. Es kannte einfach niemand meinen Kleiderschrank besser als Griff.

“Griffin, you’re my hero! You saved me!“, ahmte ich gekonnt den gekidnappte-Prinzessin-Tonfall nach.

Er kicherte am anderen Ende.

“It did me credit, Mylady.”
 

Keuchend stand ich in der Bahn Richtung Innenstadt und umfasste mit beiden Händen die Haltestange, um zu verhindern, dass meine Beine nachgaben. Ich hatte die ganze Strecke von unserem Haus bis zur U-Bahn rennen müssen, weil meine Haare nicht so gewollt hatten, wie sie sollten, und ich trotz ewiger Übung heute beim Schinken so zittrige Finger gehabt hatte, dass ich mich dreimal abschminken und von vorne hatte anfangen müssen, weil ein dummer Strich alles ruiniert hatte. Aber jetzt saß der Kajal, und ich hatte es gewagt, meine Haare am Hinterkopf mit Gel, Spray und Toupierkamm zur so genannten Sonne aufzustellen. Das gab mir wenigstens das Gefühl, ein bisschen größer zu sein. Und mit ein bisschen Glück würde ich noch nicht mal zu spät kommen. Ich spürte, wie sich trotz unmenschlicher Nervosität ein Lächeln in meinen Wangen festsetzte.
 

Allerdings musste ich kurz darauf feststellen, dass meine Portion Glück für heute anscheinend aufgebraucht war. Die Anschlussbahn, die mich zum Hauptbahnhof bringen sollte, von wo aus auf dem Flyer eine kleine Wegbeschreibung inklusive Stadtplanausschnitt abgedruckt war, hatte ich gerade verpasst. Das hieß, zehn Minuten zu warten. Kein Weltuntergang, aber in meiner momentanen Verfassung ein Tiefschlag sondergleichen. Ich hatte fürchterlichen Schiss, dass irgendetwas schief ging. Immerhin ging es hier um mein Date mit dem tollsten, hübschesten, großartigsten und bestimmt auch intelligentesten Jungen der Schule, dem obendrein die wundervollsten Augen gehörten, in die ich je hatte blicken dürfen! Aber letztendlich stand ich dann doch relativ bald vor dem Gebäude des Frankfurter Hauptbahnhofs, nachdem ich aus den vielen Schildern im Inneren schlau geworden war, und starrte auf ein Meer bunter Lichter und noch bunterer Gestalten, die vor mir über die Ampeln schwemmten. Auf der gegenüberliegenden Seite stach mir die Werbung für Iran Air ins Auge, nur wenige Schritte von mir entfernt scharte sich eine Gruppe von Kindern, die ich auf elf oder zwölf schätzte, um zwei Frauen mittleren Alters. Ich starrte auf meine kleine Karte und stiefelte los.
 

Wenige Straßenecken weiter hätte ich schwören können, mich verlaufen zu haben. Doch bei einer Straßenführung wie in Manhattan (erst kürzlich hatte mir irgendwer mitgeteilt, dass man Frankfurt auch als Mainhattan bezeichnete) war das wohl unmöglich. Doch dieses Viertel behagte mir ganz und gar nicht. Jedenfalls nicht die Straßen, durch die mich meine Wegbeschreibung lotste. Bunte Anzeigen, internationale, aber nicht sonderlich vertrauenserweckende Kaschemmen und knapp bekleidete Damen, deren Beruf sich wirklich nicht verbergen ließ, wechselten sich mit beängstigender Regelmäßigkeit zu meinen beiden Seiten ab. Mehr als eine der Prostitutierten sprachen mich an, und ich machte mich jedes Mal schleunig aus dem Staub. Sogar ein paar Kerle pfiffen mir hinterher. In Miami hätte ich mich geehrt gefühlt, hier machte es mir Angst.

Gerade, als ich kurz vor der Panikattacke stand, tippte mir jemand auf die Schulter.

„Hey, Kleiner… Du bist ja tatsächlich gekommen.“

Ich zuckte zusammen und drehte mich um. Und sah in die schönsten Augen auf Erden. Intensives Grün leuchtete mir beruhigend aus dem lächelnden Gesicht entgegen, und die langen Wimpern, die dieses Grün eingrenzten, wären in dem schwarzen Eyeliner sicherlich untergegangen, wenn nicht zufällig die rote Beleuchtung des Hauses hinter ihm sie zum Glühen gebracht hätte.

„Kilian…“

Er grinste.

„Du weißt sogar, wie ich heiße?“

Ich nickte zitternd. Er stand mir viel zu nahe. Und dann hob er auch noch seine Hand und strich mir den leicht verrutschten Pony wieder in Form.

„Darf ich auch deinen erfahren?“, wisperte er mir entgegen.

„L-lio“, brachte ich gerade noch hervor, bevor ein breites, glückliches Strahlen sich meiner Lippen bemächtigte. Er wollte meinen Namen wissen! Er interessierte sich für mich!

„Lio also.“, lächelte er und legte einen Arm um meine Schultern.

„Na komm, lass uns reingehen.“
 

Der Club war überwältigend. Nicht schön, aber er zog einen Besucher sofort in seinen Bann. Wir hatten eine Bar passiert und waren eine Treppe in das Kellergeschoss hinab gestiegen, das sich als größer erwies, als das Haus obendrüber. Eine Vielzahl von Lichteffekten machte eine Dekoration mehr oder minder überflüssig – falls es eine gab, war sie im Moment nicht zu erkennen. Dafür aber umso mehr die Menschenmenge, die den Club füllte. Auf den ersten Blick entdeckte ich viele Hardcore-Punks, mindestens ebenso viele Emos, und durchmischt wurde das ganze mit offensichtlichen Anhängern verwandter Richtungen – besonders die Metalcore-Bandshirts waren auffällig – und Leuten, die sich gar nicht einordnen ließen, aber auch irgendwie passend aussahen. Dass all das hier friedlich nebeneinander feiern konnte, erstaunte mich. Zuhause wären sich die unterschiedlichen Gruppierungen schon längst gegenseitig an den Kragen gegangen.

Kilian führte mich zu einem leicht erhöhten Podest, auf dem einige Tische und dreiviertelkreisförmige, bequem aussehende Polsterbänke Sitzgruppen bildeten. Eine war von Leuten belegt, die ich teilweise kannte – der Typ mit den dunkelgrünen Haaren zum Beispiel war dabei, und noch zwei aus der Schulclique, deren Namen mir aber nicht mehr einfielen. Kilian wurde von ihnen lautstark begrüßt, aber wir setzten uns nicht zu ihnen. Stattdessen grinste Kilian sie breit an.

„So, Leute, die nächste Runde geht aufs Haus!“, verkündete er, und allgemeiner Jubel brach aus, währender mich anlächelte.

„Kommst du mit, tragen helfen?“

Ich nickte eifrig, und folgte ihm zum Tresen. Er rief den Barkeeper beim Vornamen zu sich und orderte eine Runde „Klopfer“ – was auch immer das sein sollte. Eine halbe Minute später wusste ich es, denn wir bekamen ein Tablett überreicht, das dicht mit kleinen Schnapsflaschen bestückt war. Kilian drückte es mir in die Hand und bahnte uns dann den Weg durch die Tänzer zurück zu seinen Freunden.

Johlend wurden wir empfangen, und mir das Tablett aus den Händen gerissen. Ich war erst etwas verwirrt, aber Kilian lachte und setzte sich an ein Ende der Bank. Mich zog er auf seinen Schoß. Das schien zwar keinen zu stören, aber allein das Gefühl seiner warmen Brust in meinem Rücken und seiner festen Oberschenkel unter meinem Po trieb mir die Röte ins Gesicht und beschleunigte meine Atmung. Als er dann auch noch einen Arm um meine Hüfte legte, war es um mich geschehen. Mein Geist entschwebte wieder einmal in den Äther.
 

Nur am Rande bekam ich mit, wie die anderen mit ihren Fläschchen auf den Tisch klopften und sie dann leerten. Auch mir wurde eine gereicht, und gedankenlos trank ich. Sofort schüttelte es mich. Das war nichts für mich.

In meinem Rücken konnte ich Kilian lachen hören.

„Zu hart? Warte, ich hol dir nen Cocktail.“

Und schon stand er auf und tigerte zur Bar zurück. Ich blieb etwas verloren auf der Bank sitzen und sah den anderen zu, wie irgendwer einen Toast auf Kilian ausbrachte, ihn als den besten Freund der Welt bezeichnete – da konnte ich nur zustimmen, das war er bestimmt – und sie ihre zweite Runde leerten.

Besagter bester Freund der Welt kam zurück, ein knatschpinkes, milchiges Getränk in den Händen, das er mir mit einem liebevollen Lächeln servierte.

„Prost!“, ertönte es schon wieder, und diesmal stimmte ich ein.

Der Cocktail schmeckte etwas seltsam, aber nicht schlecht. Ungewohnt. Den kannte ich noch nicht.

Kaum war das Glas leer, spürte ich auch schon die Auswirkungen des Alkohols. Mir war schwindelig, und ich fühlte mich, als würde ich schweben.

„Willst du tanzen?“, schrie mir Kilian gegen die Musik ins Ohr.

Ich nickte. Selbstverständlich wollte ich tanzen! Ich wollte die Welt umarmen!

Mit einem seligen Lächeln nahm ich die Hand, die er mir reichte, und folgte ihm auf die Tanzfläche. Dort ließ er mich kurz los, und begann, sich dann rhythmisch zum Takt zu bewegen. Er konnte tanzen. Und wie. Aber ich auch. Und ich tat mein Bestes, ihn davon zu überzeugen. Ich wollte, dass er mich genauso toll fand, wie ich ihn. Also hob ich die Arme über den Kopf und ließ meinen Oberkörper sich wie eine Schlange hin und her wiegen, während die Hüfte sich in die entgegen gesetzte Richtung bewegte. Nicht umsonst hatte ich mal einen Kurs für Orientalischen Bauchtanz besucht. Geburtstagsgeschenk von meiner Mutter. Ich ließ mich von meinem Becken führen, wollte gerade zu einer langsamen Drehung ansetzen, als mich ein Arm packte und an einen warmen Körper zog.

„Du machst mich heiß, Lio, weißt du das?“

Die Hand an meiner Brust wanderte tiefer.

Ich legte den Kopf an die Schulter hinter mir und sah in Kilians Gesicht. Grinsend nickte ich.
 

Dann wurde alles schwarz.
 

~~~
 

Ha! Ich habs doch noch geschafft!

Und ihr bekommt ausnahmsweise gleich noch ein Kapitel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  -Cally-
2009-09-04T12:25:25+00:00 04.09.2009 14:25
ok da hab ich jetzt ein ganz ganz mieses gefühl dabei

das kann ja nicht gut gehen ...
*vor spannung ganz hibbelig werd*

deswegen les ich jetzt aquch ganz schnell weiter!!

*knuddel*
Already_Dead
Von:  Saki-hime
2009-07-22T12:01:44+00:00 22.07.2009 14:01
OMG was passiert jetzt? O_O
*spannung~*
Killian hat 100pro nix gutes vor!! o_o
aber gutes Kapi! =D ...
... >_< .......*schnell weiter liest*

Saki-hime *plüsch*
Von:  TeZ
2009-07-21T15:02:23+00:00 21.07.2009 17:02
Quiek, quiek, quiek, ich bin gut drauf, also schreib ich dir jetzt nen Kommi bevor ich direkt mit dem nächsten Kapitel weitermache^^ Und irgendwie... tja, ist es leicht fahrlässig von Lio sich zu betrinken, wenn er in einem Club in einer einigermaßen fremden GEgend ist... und ich hab ein schlechtes Gefühl bei Kilian...
TeZ


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