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Emo(tions)gesteuert

Und am Ende bleibt immer die Frage: Warum?
von

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Kakaobrüderschaft

Dieses Kapitel entstand unter widrigsten Umständen, da ich es mit zwei mehrwöchigen Pausen irgendwo an völlig unpassenden Stellen schrieb, kleine Fehler wie seltsame Übergänge seien mir daher verziehen. Außerdem wurde ich immer wieder durch RPG-süchtige Freunde unterbrochen (wobei ich ja selbst ein solcher Suchtie bin).
 

Das Seltsamste ist allerdings, dass ich es trotz der unpassendsten musikalischen Hintermalung geschafft habe, über zwei niedliche Emoboys zu schreiben UND Drama unterzubringen. Normalerweise höre ich ja beim Schreiben wenigstens Musik von Kerlen mit Make-Up im Gesicht, doch diesmal hatte ich festgestellt, dass ein netter Mensche namens "realdragon23" fast das komplette Samsas-Traum-Konzert vom 4. November auf Youtube hochgeladen hat.

Wer also wissen möchte, wie Metaler mit viel Kick-Ass-Rock Geburtstag feiern, sei herzlich eingeladen, diesem Link zu folgen. Meine Hände sind sicherlich auch drauf, ich stand links vorne irgendwo zu Füßen des Gitarristen.

http://www.youtube.com/watch?v=7dffniIlxsc&feature=related
 

Nun aber genug geschwafelt, das Kapitel hat auch ohne mein sinnloses Vorgelabere, das wahrscheinlich eh niemand liest, deutlich Überlänge.

Viel Spaß!
 

~~~
 

Sekundenlang stand ich einfach nur bewegungslos in der kaum einen Spalt breit geöffneten Tür und starrte ihn an, als wäre er eine Erscheinung. Bis er sich räusperte. Ich legte den Kopf leicht schief und konnte spüren, wie meine Augen sich leicht verengten.

Nein, ich war keineswegs wütend auf ihn oder dergleichen. Warum auch? Aber ich wusste in diesem Moment wirklich nicht, ob ich ihn eintreten lassen wollte. Er war nett gewesen, indem er mich heimgefahren hatte. Allerdings hatte er selbst gesagt, dass Marcy ihn darum gebeten hatte. Diese Nettigkeit konnte also auch überhaupt nichts mit mir zu tun haben. Wer wusste schon, mit was Marcy ihn erpresste, oder so! Immerhin war er ein sehr zurückhaltender und schweigsamer Kerl gewesen, wenn ich ihm in der Schule begegnet war. Konkreter ausgedrückt hatten wir noch kein Wort miteinander gewechselt, ehe er mich vor diesem verfluchten Club aufgelesen hatte. Und stille Wasser waren ja bekanntlich tief.
 

Es konnte alles Mögliche hinter der netten, etwas distanzierten Fassade lauern!

Was wusste ich schon über ihn? Generell über dieses Land und seine Sitten? Vielleicht erwartete er eine Gefälligkeit für seinen Fahrdienst, Deutsche galten doch sonst so als korrekt. Aber ich war im Moment nicht gewillt, irgendetwas zu geben. Letzte Nacht war mir schon zu viel gestohlen worden. Gut, das meiste hatte sich im Endeffekt als Illusion herausgestellt, aber auch zerplatzende Seifenblasen konnten wehtun. Vor allem so jemandem wie mir, der generell zu naiv und gutgläubig war und viel zu sehr dazu neigte, alles durch eine rosarote Brille zu sehen. Wieder so etwas, wofür ich mich hasste.
 

Kurz gesagt, ich wusste nicht, ob ich dem Weißblonden trauen konnte. Ich kannte ja noch nicht einmal seinen Namen. Eigentlich wusste ich nicht mehr über ihn, als ich zu dem Zeitpunkt über Kilian gewusst hatte, an dem ich mich auf ihn eingelassen hatte.
 

Aber ein scheuer, kurzer Blick in blaugrüne Augen, die mich nicht minder scheu unter den hellen Strähnen hervor an lugten – was eine Kunst war, immerhin war er deutlich größer als ich – und in denen ich sogar so etwas wie Besorgnis zu sehen glaubte, revidierte meine Meinung.
 

Ich wusste sehr wohl mehr über ihn, als ich über Kilian gewusst hatte.

Mit ihm hatte der Mistkerl genau das gleiche abgezogen wie mit mir. Oder zumindest etwas sehr ähnliches. Das hatte er mir selbst gesagt. Es machte ihn zu einem Leidensgenossen. Vielleicht hatte er genauso gelitten, wie ich es gerade tat? Wie vielen anderen Jungen hatte Kilian noch das Herz gebrochen? Vielleicht konnte er mir diese Fragen beantworten. Und wie heißt es doch so schön, der Feind meines Feindes ist mein Freund.
 

Aber was, wenn das auch bloß gelogen war? Wenn er mit mir spielte, wie unser angeblich gemeinsamer Peiniger? Vielleicht steckten sie auch unter einer Decke, und Kilians brüske Verabschiedung diente lediglich dazu, mich in die Arme seines Komplizen zu treiben, der mir dann unter dem Vorwand des Verständnisses den Rest gab.
 

Der vermeintliche Komplize seufzte leise auf der anderen Seite der Tür und wandte sich wortlos zum gehen. Er wirkte geknickt, wie er da mit hängenden Schultern, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den kurzen Weg durch unseren Vorgarten schlurfte. Und ich tat nichts, außer ihm nachzusehen.
 

Verdammt nochmal, vielleicht war das alles hier ein erschreckend gut inszeniertes Schauspiel, aber immerhin bestand auch die Möglichkeit, dass er es ernst meinte und sich wirklich Sorgen machte! Und mein mit ‚Make Love, not War‘ und ähnlichen Weltfrieden-Slogans aufgewachsenes Gemüt ertrug es nicht, ihn einfach so vor den Kopf zu stoßen. Deshalb war meine Zunge auch mal wieder schneller als mein Kopf.
 

„Warte…!“, nuschelte ich leise, aber es reichte, denn er drehte sich zu mir um und sah mich an, einen Hauch Hoffnung auf dem Gesicht.

„Ähm…“, gab ich wirklich sehr intelligent und noch viel leiser von mir, „Kakao?“

Erst, als ich die Tür schon weiter aufgezogen hatte und er lächelte, fiel mir auf, was für einen Mist ich da zusammengestammelt hatte. Kakao! Wie alt waren wir denn bitte? Zwar war es Griffs Lieblingsgesöff gewesen, weshalb die Frage nach einem Kakao sich in meinem Unterbewusstsein vielleicht als ultimativer Lockvogel gespeichert hatte, um Leute nochmal mit in die Wohnung – in diesem Fall eben ins Haus – zu kriegen, aber er hatte so etwas Erwachsenes an sich, dass mir die Frage peinlich erschein. Kaffee wäre passender gewesen.
 

Aber er kam trotzdem mit diesem kleinen, zurückhaltenden, aber trotzdem mit einer riesigen Strahlkraft ausgestatteten Lächeln auf mich zu und stieg die Treppen zur nun offenen Tür hoch. Kurz verspürte ich den Drang, sie ihm doch noch vor der Nase zuzuschlagen und mich vor der Welt zu verstecken, aber ich rang ihn nieder.
 

Er trat ein und streifte sich die Sneakers von den Füßen, während er anfing zu reden, ohne dass sein Lächeln verblasste.

„Gerne.“

Ich starrte ihn verblüfft an, hatte doch eher erwartet, dass er ablehnen würde, weil Kakao wirklich nicht zu ihm passte. Und er starrte zurück. Jeder musterten wir den anderen, ohne Intention, ohne Hintergedanken, nur um des Betrachtens willen, ehe er mit einem zweite Lächeln und einer entschlossen vorgestreckten Hand das Schweigen brach.

„Ich bin Fritz. Denke mal nicht, dass du dir bei dem Crashkurs von Marcy am ersten Tag alles merken konntest.“

Das Lächeln wurde zu einem schüchternen Grinsen, so, als wüsste er nicht, ob es angebracht wäre. Ich erwiderte es zaghaft und hob meine noch immer vom Handschuh versteckte Rechte, um seine zu nehmen, doch auf halbem Weg stockte ich. Ich wollte wirklich nicht unhöflich sein, aber alles in mir sperrte sich gegen die Berührung. Ich wollte seine Hand nehmen, die Nettigkeit erwidern, mit der er mir begegnete, aber es ging einfach nicht! Mein Arm begann zu zittern, als ich ihn dazu zu zwingen versuchte, die Bewegung fortzuführen, und Fritz musste es bemerkt haben, denn er ließ seinen sinken, ohne versucht zu haben, mich zu berühren. Und auch sein Lächeln verblasste nicht. Wenigstens das konnte ich erwidern, und so drehte ich mich rasch um, kehrte ihm den Rücken zu, um der peinlichen Situation zu entfliehen, und machte mich auf Richtung Küche.

„Ähm, setz dich doch irgendwo ins Wohnzimmer, ich koch den Kakao…“, versuchte ich mit dem letzten Rest Selbstsicherheit zu sagen, der mir noch geblieben war, aber ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme kratzig und brüchig klang.

„Klar, sag’s, falls du Hilfe brauchst!“, meinte er nur, und auch seine Stimme klang nicht viel fester als meine. Offenbar fühlte er sich in dieser Situation genauso unsicher wie ich. Ich konnte hören, wie sich seine Schritte ins Wohnzimmer entfernten, und ich fragte mich, während ich die Milch abmaß und in einen Topf auf dem Herd schüttete, warum er hergekommen war. Er hatte gesagt, er wolle sehen, wie es mir ging. Aber da steckte doch mit Sicherheit mehr dahinter. Nur kam ich nicht drauf, was es sein könnte.

Seufzend löffelte ich Kakaopulver und Zucker in den Topf und drehte den Herd auf. Ich würde es schon noch rausfinden… vielleicht. Wenn ich den Mut dazu fand, ihn zu fragen. Und er mir antworten wollte.

Warum war das alles nur so schrecklich kompliziert?

Ich wollte wieder nach Hause! Da hätte ich jetzt zu Griff gehen und mich bei ihm ausheulen können, er hätte einen seiner berüchtigten ‚Ladies‘ Days‘ anberaumt, die er immer mit mir veranstaltete, wenn es einem von uns in Liebesdingen schlecht ging, inklusive ausgiebiger Schönheitspflege, Frustshoppen und abends ein entspannter Besuch in unserer Stamm-Cocktailbar am Strand. Wenn wir Glück gehabt hatten, dann hatte der Besitzer, den wir gut kannten, ein Auge zugedrückt und uns unter der Hand sogar einen alkoholischen Drink bringen lassen.

Ich seufzte müde und zog den Milchtopf von der Herdplatte. Wie oft hatte ich mir in den letzten Wochen gewünscht, wieder nach Hause gehen zu können? Hundert Mal täglich? Könnte hinkommen, dachte ich mir, während ich den fertigen Kakao auf zwei Tassen verteilte. Kurz überlegte ich, ob ich ihm einfach Zucker in seine Tasse hineinlöffeln sollte, aber dann kramte ich doch lieber ein Tablett hervor und stellte sowohl die zwei Tassen als auch die kitschige Zuckerdose in Form einer Tulpe darauf. Beladen mit meiner süßen Last ging ich ins Wohnzimmer, wo Fritz es sich auf den Kissen am Boden bequem gemacht hatte, die bei uns das Sofa ersetzten. Etwas unschlüssig blieb ich vor ihm stehen.

„Ähm… sorry, ich wusste nicht, wie viel Zucker du willst, also…“

Ich stammelte hilflos und völlig nervös vor mich hin und lief auf meinen verunglückten Versuch, meinen Gastgeberpflichten nachzukommen, so rot an, dass jede Tomate neidisch geworden wäre. Hastig stellte ich das Tablett ab, wobei ich gleich ein bisschen Kakao verschüttete, und hetzte zurück in die Küche, um einen Lappen zu holen. Dabei stolperte ich über eine Teppichkante. Es schlug mich der Länge nach auf die Fresse. Zwar rappelte ich mich sofort wieder auf – schlimm verletzt hatte ich mich nicht – aber das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Schluchzend barg ich mein Gesicht in den Händen, zog die Knie an und fing hemmungslos an zu weinen, obwohl ich vor wenigen Stunden erst gemeint hatte, keine Tränen mehr vergießen zu können. Das hier war einfach zu viel. Und noch war längst nicht alle Trauer und Verzweiflung verarbeitet.

Warum?

Warum ausgerechnet ich?

Was hatte ich getan, dass mein Leben im Moment alles daran setzte, zu meiner persönlichen Hölle zu werden?

Zwischen all den schwarzen Gedanken spürte ich plötzlich ein Paar Hände, die sich sacht um meine Schultern schlossen. Ich erstarrte und schüttelte mich unter den Schauern, die sich gegenseitig meinen Rücken hinunter jagten. Ich wollte schreien, die garstigen Eindringlinge in meine kleine Welt aus Schmerz abschütteln, doch ich war wie gelähmt, und durch meine wie zugeschnürte Kehle drang kein Laut. Stattdessen erreichten die Klänge einer anderen Kehle meine Ohren.

„Lio… es ist gut. Dir tut hier niemand etwas. Wein dich aus…“

Diese Worte rannen über meine geschundene Seele wie die zärtliche Tinktur eines Wunderheilers, linderten die größte Pein: Die Mauer, die ich bereits um das Geschehene zu ziehen begonnen hatte, stürzte ein. Erneut war ich all dem Zweifel ausgesetzt, den ich eben erst mühsam niedergerungen hatte, doch jetzt war etwas anders. Jetzt war ich nicht allein.

Verzweifelt krallte ich mich in den weichen T-Shirt-Stoff unter meinen abwehrend ausgestreckten Händen, und klammerte mich an den warmen, Trost spendenden Körper vor mir.
 

Wie lange wir so voreinander saßen, konnte ich nicht sagen. Jedes Zeitgefühl war mir abhanden gekommen, ebenso wie jede Gewalt über mich selbst. Er tat nichts weiter, als mich zu halten, aber ohne mich einzuengen. Nicht einmal in den Arm nahm er mich; er wusste wohl so gut wie ich, dass das für mich zu weit gegangen wäre. Aber er war da, und das reichte, um die Tränen und Schluchzer irgendwann endigen zu lassen.

Ein letztes Mal fuhr ich mir mit dem Pulloverärmel über die geröteten Augen, ehe ich ihn scheu ansah. Er tat dasselbe, und so sah ich rasch wieder weg. Um meine Verlegenheit zu überspielen (darin hatte ich Erfahrung) griff ich intuitiv zu den Kakaotassen und nahm einen Schluck – nur um ihn sofort wieder in die Tasse zu spucken und angewidert das Gesicht zu verziehen.

„Ich… mach die wieder warm…“, nuschelte ich und stand auf, wobei meine wackligen Beine fast unter mir weggeknickt wären. Aber zum Glück hatte ich gute Reflexe. Ansonsten hätte ich mir bestimmt auch bei dem Sturz über die Teppichkante, der mir im Nachhinein schrecklich peinlich war, bestimmt mehr weh getan.

Mit dem Tablett stolperte ich zurück in die Küche und kippte den Tasseninhalt zurück in den Milchtopf, der immer noch auf der Herdplatte stand. Fritz war mir gefolgt. So besorgt, wie er mich musterte, hatte er bestimmt Angst, ich würde gleich wieder heulend zusammenbrechen. Aber das war fürs Erste überwunden. Während wir darauf warteten, dass die Milch zu kochen anfing, beschloss ich, etwas mehr über ihn herauszufinden. Und über Kilian.

Angestrengt starrte ich unsere wirklich sehr interessanten beigen Bodenfliesen an, während ich mich damit abmühte, meine Zähne auseinander zu kriegen.

„Wie… war das eigentlich mit dir… und Kilian?“

Meine Stimme war leise und übertönte kaum das Summen des Kühlschranks, aber Fritz hatte es trotzdem gehört. Er musste gute Ohren haben. Und eine hohe Schmerzgrenze, denn so fest, wie er sich gerade auf die Unterlippe biss, hätte ich schon längst angefangen zu schreien.

„Du, ähm, musst nichts erzählen, wenn du nicht willst, also…“, schob ich noch schnell halb gestottert hinterher, doch er schüttelte nur den Kopf.

„Nein, es ist schon in Ordnung. Es wird Zeit, dass ich es endlich jemandem erzähle.“

Er atmete tief durch, zog sich einen unserer Küchenstühle heran und legte seine gefalteten Hände auf die Platte unseres Esstisches.

„Ich war in ihn verknallt. Vor zwei Jahren. Damals war es mit ihm noch nicht ganz so schlimm wie heute. Sein Erfolg als Aufreißer ist ihm mit der Zeit ganz schön zu Kopf gestiegen. Aber auch da schon hatte er nicht viel für Beziehungen übrig. Ich wusste das, immerhin kenne ich ihn seit der Grundschule. Wir waren sogar mal ziemlich gut befreundet. Aber irgendwann habe ich all meinen Mut zusammengekratzt und ihm gestanden, dass ich mehr für ihn gefühlte habe als Freundschaft.“

Fritz grinste schmerzlich, aber seine Stimme blieb ruhig.

„Erst schien alles okay; er sagte, er müsse darüber nachdenken. Wäre sich nicht sicher. Und, Gott, ich hätte alles für ihn getan! Also habe ich gewartet und mich so um ihn bemüht, dass er irgendwann meinte, er wolle es mit mir mal probieren. Also waren wir zusammen, ein Paar, hab ich gedacht. Er sah das wohl ein bisschen anders. Aber ich war blind vor Liebe und so glücklich, dass ich mir für ihn den Arsch aufriss, wo immer ich konnte. Ich machte seine Hausaufgaben, ich erledigte Botengänge, buk ihm Muffins und nahm sie mit in die Schule, lieh ihm Geld, das ich bis heute nicht zurückbekommen habe und gewährte ihm nach der ersten Woche, die bis auf ein paar Küsse und meine Idiotie ziemlich harmlos verlaufen war, sogar Unterschlupf vor dem Zorn seiner Mutter, nachdem die einen halben Joint bei ihm gefunden hatte und fuchsteufelswild geworden war. Und als er dann bei mir war, Freitagabend, ging alles nur noch bergab.“

Fritz seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch die hellen Haare, ehe er mit ein paar kleinen Fingerbewegungen den Pony wieder in Form brachte. So routiniert würde ich das auch gern können.

„Er übernachtete bei mir im Bett, weil er darauf bestand, dass ein Paar nebeneinander zu schlafen hatte. Dass meine Eltern darüber nicht begeistert waren und ich mir eine ganze Menge Ärger eingehandelt habe, muss ich nicht extra erwähnen, oder?“

Ich starrte ihn mitleidig an; das Problem intoleranter Familien kannte ich von Griff zur Genüge.

„Na ja, jedenfalls fragte er mich, ob er mit mir schlafen dürfe. Ich sagte nein, und er begann zu nörgeln. Also sagte ich irgendwann doch ja, ich konnte es ihm einfach nicht abschlagen. Und, hey, er war wirklich gut im Bett! Bis zum nächsten Morgen war alles in Ordnung. Da hat er dann mit mir Schluss gemacht und ist heimgegangen. Einfach so.“

Fritz verstummte und starrte für ein paar Herzschläge still vor sich hin. Ich hingegen war wie paralysiert: Selbst, wenn ich etwas zu sagen gehabt hätte, hätte ich es nicht gekonnt. Mir fehlten nicht nur die Worte, sondern auch die Befehlsgewalt über meinen in letzter Zeit sehr widerspenstigen Körper.

Inzwischen kochte die Milch hoch, und ich füllte den nun warmen Kakao wieder in die Tassen zurück und stellte ihm eine hin. Er ergriff den Henkel, redete aber weiter, anstatt zu trinken, als wäre ihm noch etwas eingefallen, dass er loswerden musste.

„Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich denn falsch gemacht hätte. Was ich übersehen hatte, dass er mich verlassen hatte. Aber irgendwann ging mir auf, dass ich gar nicht der springende Punkt war, sondern Kilian selbst. Gefühle liegen ihm nicht, ihm geht es nur darum, andere flachzulegen. Und wenn er dich hatte, geht er zum Nächsten. Ausnahmslos bisher.“

Diesmal war es die Wut, die mir die Sprache verschlug. Ich atmete schwer, um mich von einem Ausraster abzuhalten, und mein Kiefermuskel zuckte angriffslustig. Doch Klein-Lio wütend war ein Anblick, der so entwürdigend peinlich war, dass ich mir dieses Gefühl von vornherein verbot. Ein bisschen Stolz versteckte sich auch in mir grauem Mäuschen.

„Warum macht er sowas?“, zischte ich zwischen fest zusammengepressten Zähnen hervor, damit ich nicht schrie.

Fritz zuckte mit den Schultern.

„Ich hab keine Ahnung.“

Erneut schwiegen wir uns eine Handvoll Herzschläge an, ehe er mich vorsichtig fragend ansah.

„Wie… war es eigentlich bei dir?“

Ich zuckte mit den Schultern, nicht wissend, ob ich wirklich schon darüber reden wollte. Doch ehe ich mich versah, sprudelten die Sätze nur so aus wir heraus wie Wasser aus einem Bohrloch, das eine Leitung beschädigt hatte.

„Eigentlich genauso… Ich hab ihn angehimmelt, und er hat mich eingeladen, mit ihm auszugehen… Später hab ich rausgefunden, dass der Club seiner Familie gehört.“

Mein weißblonder Gesellschafter nickte wissend.

„Das ‚Terminal‘. Es gehört seinem Bruder.“

„Ja, genau so hieß es. An viel kann ich mich aber nicht mehr erinnern, außer, dass er eigentlich ganz nett war… Egal, jedenfalls bin ich am nächsten Morgen in einem großen Doppelbett gänzlich ohne Klamotten aufgewacht und musste feststellen, dass ich wohl letzte Nacht Sex gehabt hatte, und zwar nicht unbedingt auf die sanfte Tour. Und als ich ihn endlich gefunden hatte und mit ihm reden wollte, hat er mich eiskalt vor die Tür gesetzt.“

Ich zog die Nase hoch und biss die Zähne zusammen, um die Tränen zu unterdrücken, die mir in die Augen stiegen. Wild entschlossen, nicht zu weinen, suchte ich Fritz‘ Blick, der mich mit einem wehmütigen Lächeln bedachte. Doch plötzlich trat ein Glimmen in seine Augen, das so lebendig wirkte, dass es fast unheimlich war.

„Ich habe eine Idee! Wir schließen einen Pakt, dass wir uns von ihm nicht unterkriegen lassen, und von keinem Kilian dieser Welt! Kein Trübsal, kein Grübeln, wir zeigen ihm, dass wir genauso viel von ihm halten wie er von uns! Was hältst du davon?“

Mit diesem Leuchten im Blick sah er zu mir auf, und irgendwo an ihm war eine Kraft, die es mir unmöglich machte, Nein zu sagen. Außerdem hatte es mir noch nie geschadet, mir selbst Maßstäbe zu setzen.

„Einverstanden!“

Fritz lächelte und hob seine Kakaotasse.

„Großartig! Sag mal, trinkt ihr Amis eigentlich auch Brüderschaft?“

Verwirrt starrte ich ihn an.

„Was?“

„Brüderschaft trinken! Zur Besiegelung eines Versprechens oder wenn man als Erwachsener einem anderen das Du angeboten hat! Warte, ich zeig’s dir.“

Auch ich hob meine Kakaotasse, neugierig, was er meinte.

Fritz schlang seinen Arm, der das Getränk hielt, um meinen, hakte sich ein, wie Kinder es gewöhnlich beim Ententanz taten, und setzte seine Tasse an die Lippen.

„Trink!“, forderte er mich noch auf, ehe er in großen Schlucken die heiße Milch mit Kakaopulver hinunterkippte.

Ich versuchte, es ihm gleich zu tun, aber das Trinken in dieser Position erforderte anscheinend einiges an Übung, denn erst konnte ich kaum meine Lippen an meinem eigenen Tassenrand halten, dann verschluckte ich mich auch noch und kippte mir einen Großteil des Gesöffs über die Handschuhe, die ich noch immer trug. Aber ein paar Tropfen landeten tatsächlich in meinem Magen, und ich hoffte, dass mehr nicht nötig war, um Bruderschaft getrunken zu haben. Auch wenn mir die Funktion und Bedeutung noch nicht so ganz klar war, fühlte ich mich nun, als hätte ich einen Vertrag unterzeichnet – bindend und ohne Rücktrittsrecht. Aber das wollte ich auch gar nicht. Nachdem wir uns wieder entknotet hatten, seufzte ich noch einmal tief und zog mir kurzentschlossen die kakaoverklebten Handschuhe von den Fingern. Auch der für diese Witterung viel zu warme Hoodie folgte. Lächelnd sah ich Fritz an, und er lächelte zurück.

„Weißt du was“, sagte ich zu ihm, klar und einer inneren Eingebung absoluter Ehrlichkeit folgend, „Ich will im Moment eigentlich nur nach Hause.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Khaosprinzessin
2010-06-06T21:02:56+00:00 06.06.2010 23:02
hi!
hab die story grad gefunden und erstmal alle kappis gelesen^^und ich fands toll!
Aber holprige Übergänge hab ich nich gefunden. und ich mag Fritz^^der is schnucklig ohne ende!
bin schon gespannt, wie's weitergeht

see ya in hell, beast
Von:  TeZ
2009-12-03T16:13:52+00:00 03.12.2009 17:13
Hmm... also ich hab auch keine holprigen Übergänge oder ähnliches gefunden, ich fand's toll^^
Und ich glaube ich hab auch meine Meinung vom letzten Mal überdacht, Fritz vollkommen ins Herz geschlossen und ich denke, dass er Lio richtig gut tut... hmm... hmm... doch, ich glaube das tut er...
So, ähm... tja, ich würde mich riesig freuen, wenn du bald wieder ein neues Kapitel fertig hättest, ich mag nämlich noch mehr von Lio und Fritz wissen!
TeZ^^
Von:  Erdbeermarmelade771
2009-12-03T16:03:57+00:00 03.12.2009 17:03
das kapi ist toll >.<

wie er als erstes überlegt ob er fritz reinlassen soll oder nicht xD
ich mag fritz, aber er tut mir leid TT__________TT
voll ausgenutzt.. =(
ich mag auch die kakao stellen gern x3 (ok, es geht fast die ganze zeit um den kakao @.@)

toll, das du weitergeschrieben hast, kannst du auch gleich gern weitermachen!!
(das war jetzt eine bitte, schnell weiter zu schreiben xD)

außerdem find ich die "überlänge" an dem kapi echt voll nicht schlimm =D
kannst du gern immer machen =P

UND ich hab mir sogar dein "vorgelaber" durchgelesen... >.<

also, weiter so!!
liebe grüße~



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