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Emo(tions)gesteuert

Und am Ende bleibt immer die Frage: Warum?
von

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Rätselraten

Nach der mit Hängen und Würgen überlebten Deutschstunde – die Lehrerin, Frau Schröter, war ja wirklich sehr nett, aber erstens zerbrach ich mir an ihrem Namen jedes Mal die Zunge und zweitens hatte sie uns schon in der zweiten Woche eine Lektüre aufgebrummt, was mich dazu zwang, Schillers „Kabale und Liebe“ zu lesen, obwohl ich kein Wort seiner schwülstigen Sprache verstand – verabschiedete ich mich rasch von Roka, denn ich hatte es zugegebenermaßen etwas eilig, nach Hause zu kommen und wollte unbedingt noch den ersten Bus erwischen.
 

Sechs Minuten nach Schulschluss war es in dem Gefährt noch wunderbar leer, und so ließ ich mich auf einem der zahlreichen freien Sitzplätze nieder und steckte mir die Ohrstöpsel meines MP3-Players in die Ohren. Zwei Stationen später stieg ein Typ mit einem Gitarrenkoffer zu und setzte sich neben mich. Etwas befremdet starrte ich ihn an, denn er sah wirklich seltsam aus. Seine schwarzen Haare standen in alle möglichen Himmelsrichtungen von seinem Kopf ab, als hätte er in die Steckdose gefasst, und rochen nach Haarspray. Die mit Buttons, Aufnähern, Nieten und Ketten bestückte Lederjacke, die er über einem Jack-Daniels-Shirt trug, klimperte mit den unzähligen Gürteln um seine Hüfte um die Wette, und die zerrissene, schwarze Röhrenjeans hätte vermuten lassen können, dass er geradewegs aus der Gosse kam, wenn da nicht die Schlangenlederboots an seinen Füßen gewesen wären, die sicherlich eine ganze Stange Geld wert waren. Seine mit Eyeliner umrandeten, blaugrünen Augen blitzten mich schelmisch an, als er mich mit zwei Reihen gerader, weißer Zähne angrinste.

„Hey!“, sagte er zu mir und grinste immer weiter.

Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen und wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Blick klebte an seiner polarisierenden Erscheinung, und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn toll finden oder für durchgeknallten Abschaum halten sollte.

„Ähm. Hi“, versuchte ich es also vorsichtig mit einer Erwiderung auf seine Begrüßung.

Er lachte.

„Himmel, bist du niedlich.“

Mir entgleisten meine Gesichtszüge. Bitte WAS?!

„Komm doch mal hier vorbei, ich kenn da jemanden, der dich sicher furchtbar gern mal treffen würde“, erzählte er und drückte mir einen bunten Flyer in die Hand. Dann sah er mich zwei Herzschläge lang an, ohne etwas zu sagen, lachte, wuschelte mir durch die Haare und stand auf, um zur Tür zu gehen.

An der nächsten Haltestelle stieg er aus, mitsamt seinem Gitarrenkoffer, auf dem neben einigen Aufklebern auch der gekonnt aufgesprayte Schriftzug „Wildcard“ prangte.

Mit offenem Mund starrte ich ihm hinterher, bis mir auffiel, dass er gerade meine Frisur ruiniert hatte. Hektisch versuchte ich, mit den Fingern und meinem kaum sichtbaren Spiegelbild im Busfenster zu retten, was noch zu retten war. Trotzdem sah ich jetzt sicher genauso sehr wie ein aufgeplatztes Sofakissen aus wie der komische Typ, der mir das angetan hatte. Waren solche Frisuren nicht vor dreißig Jahren in gewesen?

Auf der Suche nach irgendeinem Anhaltspunkt, mit dessen Hilfe ich diese schräge Begegnung einordnen konnte, warf ich einen Blick auf den Flyer, den er mir gegeben hatte. „Nachwuchs-Bandcontest“, „Special Guest: Mobbingopfer“ und das Datum vom nächsten Freitag stand darauf, zusammen mit einem Ort und einer Uhrzeit. Ich runzelte die Stirn. Hatte er bloß Werbung machen wollen oder steckte hinter dieser Begegnung ein tieferer Sinn? Wahrscheinlich interpretierte ich in die Sache mal wieder viel zu viel hinein, aber sie ging mir nicht aus dem Kopf, bis ich zuhause ankam, obwohl ich nach einer Weile den Flyer in die Jackentasche steckte, um ihn nicht mehr dauernd anzustarren.
 

Immer noch grübelnd stapfte ich die Stufen zu unserem Haus hinauf, als nebenan die Tür mit dem lächerlichen Seidenblumenkranz als Schmuck aufging und unsere Nachbarin den Kopf hinaus in die frische Luft streckte. Wie ein Tier, um zu prüfen, ob es irgendwo eine gefährliche Witterung gibt. Sie hieß Frau Eichhahn, so viel hatte ich schon gelernt. Und sie hatte zwei nervige Kleinkinder und mindestens drei Katzen, die ständig durch die gesamte Nachbarschaft streunten. Und natürlich einen rechtschaffenden Ehemann.

„Ach, hallo!“, sagte sie mit einem falschen Lächeln in meine Richtung. Sie war eine Frau der Marke ‚Karrieregeiles Miststück‘, eine arrogante, impertinente und ganz und gar unangenehme Person. Aber sie war unsere Nachbarin, und sie machte den Anschein, als hätte sie in Zaunkriegen mehr Erfahrung als wir. Also war ich vorsichtshalber freundlich.

„Hallo, Frau Eichhahn“, flötete ich mit verstärktem amerikanischen Akzent zurück und erwiderte ihr Lächeln mit barer Münze. Heute schien der Tag der Abrechnungen zu sein, halleluja!

„Wie geht es denn deinen Eltern?“, fragte sie scheinheilig.

„Meiner Mutter geht es sehr gut, danke. Und Ihren Kindern?“

Ich hoffte, die zwei Nervensägen hatten die Masern.

„Gut, sie machen sich prächtig“, posaunte sie über den Gartenzaun, sodass man es auch noch drei Häuser weiter problemlos hören konnte. Als ob sie mit ihren zwei Giftzwergen angeben könnte. Die hatten nicht nur keine Manieren, sondern waren auch alle beide viel zu fett.

Aber irgendwie schien Frau Eichhahn mit der ihr gegebenen Auskunft noch nicht zufrieden zu sein, denn sie starrte missmutig mit einem verkniffenen Zug um den Mund zu mir herüber. Ich wusste auch genau, weshalb: Schon seit Wochen versuchte sie mit allen Mitteln, etwas über den Verbleib meines Vaters herauszufinden. Aber da konnte sie sich lange anstrengen. Von mir würde sie kein Sterbenswörtchen zu dem Thema zu hören bekommen.

„Na, ich muss dann rein. Hausaufgaben, Sie wissen schon“, erzählte ich ihr deshalb und schicke noch ein gekünsteltes Lächeln hinterher.

„Jaja, ordentliche Arbeit ist das A und O im Leben“, bekam ich noch zu hören, ehe sich die Tür hinter mir schloss und ihr doppelzüngiges Gesäusel aussperrte. Endlich.

Ruhe.

Keine nervigen Leute, die ich nicht kannte, aber die mir mit irgendetwas in den Ohren lagen.

Jetzt konnte ich ganz entspannt bei Griff anrufen und ihm die neuesten Verstrickungen mitteilen und mein Leid im Leben auf deutschem Boden klagen.

Erschöpft seufzend – Nachdenken war wirklich anstrengend – schleppte ich mich die Treppe nach oben in mein Zimmer und riss dort erst einmal alle Fenster auf. Über Mittag wurde es hier drin manchmal ziemlich stickig, weil das Zimmer genau unter dem Dach lag und die Sonne auf die Decke knallte. Außerdem konnte ich mir am offenen Fenster gefahrlos eine Zigarette anstecken, ohne befürchten zu müssen, das Haus voll zu räuchern. Es gab nichts Ekelhafteres als kalten Zigarettenrauch.

Ich angelte also meine zerdrückte (und halb leere) Packung Marlboro Silver aus dem Schulranzen und schlug den Packungsboden auf der Fensterbank auf, während ich mit der anderen Hand Griffs Nummer wählte. Das hatte den Vorteil, dass eine Zigarette halb aus der Schachtel heraussprang, sodass man sie ganz einfach festhalten und sich in einer fließenden Bewegung zwischen die Lippen stecken konnte. Jahrelang hatte ich diesen Trick mit Griff geübt, seit wir mit Dreizehn angefangen hatten, seinem Vater die Kippen zu klauen. Wir fanden das damals cool. Heute war ich süchtig. Nicht krass, aber stark genug, um ans Aufhören nicht denken zu können.

Shit happens.

Das Telefon tutete vor sich hin. In der Zwischenzeit kramte ich nach meinem Zippo mit der aufgeprägten Amerika-Flagge. Das Feuerzeug hatte mir Griff zum sechzehnten Geburtstag geschenkt, und seitdem hatte ich jeden einzelnen Glimmstängel damit angezündet. Das Ding war unverwüstlich.

„Hi“, murmelte es da verschlafen aus dem Lautsprecher des Telefons.

Ich grinste breit, und mir wurde warm ums Herz. Griff machte jedem Eisbärbaby an Niedlichkeit Konkurrenz, wenn er müde war.

„Hi, cutie!“

Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.

„I ain’t cute!“, motzte es von der anderen Seite zurück. Dann zwei Sekunden Schweigen.

„Lio? Jesus, oh my god, you promised you’d call! I totally forgot. How’s everything going trans-atlantic?”

Ich seufzte kurz. Griff war wirklich ein klasse Freund, er fand selbst in den unmöglichsten Situationen Zeit für dich und deine Probleme und konnte sich für jeden Mist begeistern. Aber im Moment war mir nicht nach Spaß.

„Horrible, to say the truth.“

„Jesus, why? Did you catch a cold or something? How was your date?“

Mit konzentriertem Schlucken drängte ich die Tränen zurück, die die Erinnerung an das vergangene Wochenende mir schon wieder in die Augen trieb.

„I didn’t catch a cold. I caught an asshole.”

Ein tiefes Durchatmen signalisierte Griff, dass ich mit meinem Statement noch nicht fertig war.

„He took me to a really cool venue, and the party was alright, but… well. I got knocked out. And he… he raped me.”

Schweigen am anderen Ende der Leitung.

“Holy shit.”

Zu mehr war Griff vorübergehend wohl nicht fähig, denn alles, was ich in der nächsten halben Minute von ihm hörte, war schweres Atmen.

„Have you informed the police?“

“No, I couldn’t. I still have a total blackout. I just woke up and knew that I had had sex that night, but I couldn’t remember anything concrete.”

“My god…”, kam es geschockt von der anderen Seite der Telefonschnur. Mir ging es nicht besser, denn meine Erinnerung präsentierte mir am laufenden Band winzige Flashbacks der Ereignisse des Wochenendes, seit ich das Thema angesprochen hatte.

„Have you at least told your mum?“

“Nah, she doesn’t know and that’s a good thing. Otherwise she wouldn’t let me out of the house anymore.”

“But then you got nobody to talk to!”, entrüstete sich Griff und schien mich seinem Tonfall nach am liebsten einmal kräftig durchschütteln zu wollen.

„I got somebody. You“, stellte ich richtig.

„That’s not how it’s supposed to be! I’m not there to help you! Man, you have no idea how much I wanna take a flight over that damn sea and scratch that guy’s eyes outta his face!”

“Easy, man!”, versuchte ich, ihn zu beruhigen. Griff redete sich immer viel zu leicht in Rage. Er war eben eine sehr direkte und emotionale Persönlichkeit. Und dafür liebte ich ihn so.

„It’s all right, really. There are some guys in school who help me through this and I can talk to you, that’s all I need.“

Das weckte Griffs Interesse. Manchmal konnte er ein echtes Gossip Girl sein.

„Some guys in school? Who?“

„You remember that girl I talked about last time? The freaky one?”

“The lesbian? Yeah.”

“Don’t say that, I’m not sure about that. But she’s really nice. We got almost every class together and she helps me wherever she can. And then there’s Fritz, he’s one year older and a true gentleman.”

“Is he all right?”, erscholl sofort die misstrauische Frage herüber. Griff hatte offenbar gerade beschlossen, jeden Europäer verdächtig zu finden.

„Totally. He’s another of Kilian’s victims, seems like he pulls that stunt quite often.”

“Jesus.”

Ein Seufzen am anderen Ende.

„Seems like you really got into trouble, huh?“

“Think so. But there’s more trouble coming. Me and Fritz, we made a pact: We won’t look back, we won’t hesitate and we won’t lament about what happened. He invited me for ice skating today.”

Griff schwieg schon wieder.

“Griffin?”, fragte ich vorsichtig, um mich zu versichern, dass er noch dran war.

„Hang on a minute“, antwortete er prompt und fuhr gleich fort.

„That Frizz or however has also been dumped by that asshole Kilian?“

“Yes…”

“And you promised him not to look back?”

“Sort of, yeah.”

“And he asked you out for ice skating today?”

“Well, he asked me if I’d tried it before and then said that we would try it together today.”

“Jesus, man, what’s with those German guys? Don’t they have any hotties up there in Europe?”, fragte Griff und ich konnte hören, wie er sich durch den langen Pony fuhr, der wahrscheinlich schon mit Haarspray fixiert worden war, sonst würden die Strähnen nicht so am Telefonhörer rascheln.

Aber ich musste gestehen, dass ich keine Ahnung hatte wovon er gerade sprach. Das sagte ich ihm auch.

„Griff, would you kindly share your thoughts with me?“

“Don’t you get it, Lio? That Frizz-boy is gay, right? And he asks you to forget the guy you lately shared the bed with and takes you out for ice skating. That’s a DATE you fucking idiot!”

Perplex schwieg ich. Ein Date?

“You… you serious? But he’s just… nice…”

“Wake up, Lio. You’re a real stunner, admit it. And I think he already craves for taking you into his arms.”

Ich lächelte leicht bei der Erinnerung, die diese Worte in mir wach riefen.

„He already did that.“

„What?! Jesus, Lio, are you turning into an alley cat?”

“No, Griff! Don’t say such things. He just drove me home after that night and… we drank hot chocolate together and… talked. It just happened.”

Ein Seufzen erklang von der anderen Seite des Telefons.

„You made your famous hot chocolate for him? Then I understand why he’s fallen for you.”

“He hasn’t…! Griff!”

“Anyway, I gotta get to school now. Have fun with the Frizz-boy and promise me you will not take him to bed immediately!”

“Griff!”

“Promise.”

“I’ll promise.”

“That took a load off my mind.”

“Jerk.”

“I know. But the best jerk you have.”

“That’s so true. Bye, Griff.”

“Bye, Lio. Have fun.”
 

Seufzend legte ich das schnurlose Telefon auf die Fensterbank. Ein Date also? Ich wusste nicht wirklich, ob ich die Verabredung mit Fritz so einstufen sollte. Eigentlich hatte ich mehr das Gefühl, dass er sich irgendwie für mich verantwortlich fühlte und mich auf andere Gedanken bringen wollte – was er übrigens ganz ausgezeichnet hinbekam. Bei einem nachdenklichen Blick auf meine Hände fiel mir auf, dass ich zwar Zigarette, Zippo und Aschenbecher bereit gelegt hatte, aber noch nichts davon in Benutzung genommen worden war. Seufzend steckte ich mir den Glimmstängel erneut zwischen die Lippen und zündete ihn an. Über das Telefonat hatte ich meine Droge total vergessen. Ein gutes Zeichen, wie ich fand. Dann war ich noch kein totaler Suchtie. Oder schrecklich Griff-abhängig.

Über diesen Tatbestand grübelnd schlenderte ich quer durch mein Dachzimmer – etwas, was ich eigentlich nie tat, wenn ich rauchte. Wie gesagt, ich konnte den Geruch von kaltem Zigarettenrauch nicht ausstehen. Um meinen Geisteszustand musste es also denkbar schlecht stehen, was sich auch in meiner nächsten Handlung offenbarte. Ich blieb nämlich vor dem Kleiderschrank stehen und rauchte unbekümmert weiter, bis mir auffiel, dass ich schon seit drei Zügen darüber nachdachte, welche meiner schwarzen Hosen meinen Po am besten betonte, damit ich darüber den neuen schwarzen Fleecepulli mit den bordeauxfarbenen Seitenteilen anziehen konnte, der so schön kurz und eng, aber flauschig warm war.

Mit einem resignierten Seufzer wanderte ich zurück zum Fenster, um die aufgerauchte Zigarette auszudrücken, ehe ich mir alle Klamotten vom Leib riss und flink unter die Dusche sprang, ehe ich mir eine zu dem Pullover passende Hose heraussuchte. Irgendwie nahm ich Griffs Gefasel von einem Date viel zu ernst. Warum sonst sollte es mir plötzlich unglaublich wichtig sein, dass Make-Up und Haare saßen und ich vom Scheitel bis zur Zehe nach meinem Lieblingsduschgel mit einem süßlichen Aroma von Kirsche und Vanille duftete?

Oder sollte mein weit entfernter bester Freund mit seiner Sicht der Dinge doch Recht haben?
 


 


 


 

Sinngemäße deutsche Übersetzung des Telefonats:

Wer die englische Version versteht, sollte die Deutsche nicht unbedingt lesen, weil einige Wendungen sich nicht eins zu eins übertragen lassen.
 

„Hi“, murmelte es da verschlafen aus dem Lautsprecher des Telefons.

Ich grinste breit, und mir wurde warm ums Herz. Griff machte jedem Eisbärbaby an Niedlichkeit Konkurrenz, wenn er müde war.

„Hi, Süßer!“

Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.

„Ich bin nicht süß!“, motzte es von der anderen Seite zurück. Dann zwei Sekunden Schweigen.

„Lio? Jesus, oh mein Gott, du hast versprochen, dass du anrufst! Ich hab’s total vergessen. Wie läuft’s trans-atlantisch?”

Ich seufzte kurz. Griff war wirklich ein klasse Freund, er fand selbst in den unmöglichsten Situationen Zeit für dich und deine Probleme und konnte sich für jeden Mist begeistern. Aber im Moment war mir nicht nach Spaß.

„Schrecklich, um die Wahrheit zu sagen.“

„Jesus, warum? Hast du dir ne Erkältung oder sowas eingefangen? Wie war dein Date?“

Mit konzentriertem Schlucken drängte ich die Tränen zurück, die die Erinnerung an das vergangene Wochenende mir schon wieder in die Augen trieb.

„Ich hab mir keine Erkältung eingefangen. Ich hab mir ein Arschloch geangelt.”

Ein tiefes Durchatmen signalisierte Griff, dass ich mit meinem Statement noch nicht fertig war.

„Er hat mich in einen richttig coolen Club mitgenommen, und die Party war in Ordnung, aber… na ja. Ich wurde bewusstlos. Und er… er hat mich vergewaltigt.”

Schweigen am anderen Ende der Leitung.

“Heilige Scheiße.”

Zu mehr war Griff vorübergehend wohl nicht fähig, denn alles, was ich in der nächsten halben Minute von ihm hörte, war schweres Atmen.

„Hast du die Polizei informiert?“

“Nein, konnte ich nicht. Ich hab immer noch ein totals Blackout. Ich bin nur aufgewacht und wusste dass ich in dieser Nacht Sex hatte, aber ich konnte mich an nichts Konkretes erinnern.”

“Mein Gott…”, kam es geschockt von der anderen Seite der Telefonschnur. Mir ging es nicht besser, denn meine Erinnerung präsentierte mir am laufenden Band winzige Flashbacks der Ereignisse des Wochenendes, seit ich das Thema angesprochen hatte.

„Hast du es wenigstens deiner Mum erzählt?“

“Nee, sie weiß von nichts und das ist gut so. Ansonsten würde sie mich nicht mehr aus dem Haus lassen.”

“Aber dann hast du niemanden, mit dem du reden kannst!”, entrüstete sich Griff und schien mich seinem Tonfall nach am liebsten einmal kräftig durchschütteln zu wollen.

„Ich habe jemanden. Dich“, stellte ich richtig.

„Das ist nicht so, wie es sein sollte! Ich bin nicht da, um dir zu helfen! Mann, du hast keine Ahnung, wie sehr ich gerade zu dir über dieses verdammte Meer fliegen und den Typen die Augen auskratzen will!”

“Ruhig, Mann!”, versuchte ich, ihn zu beruhigen. Griff redete sich immer viel zu leicht in Rage. Er war eben eine sehr direkte und emotionale Persönlichkeit. Und dafür liebte ich ihn so.

„Es ist okay, wirklich. Es gibt ein paar Leute in der Schule, die mir da durch helfen, und ich kann mit dir reden, mehr brauche ich nicht.“

Das weckte Griffs Interesse. Manchmal konnte er ein echtes Gossip Girl sein.

„Ein paar Leute in der Schule? Wer?“

„Erinnerst du dich an das Mädchen, von dem ich letztes Mal erzählt hab? Die Freakige?”

“Die Lesbe? Ja.”

“Sag das nicht, da bin ich mir nicht sicher. Aber sie ist echt nett. Wir haben fast jeden Kurs zusammen und sie hilft mir, wo sie kann. Und dann ist da Fritz, er ist ein Jahr älter und ein echter Gentleman.”

“Ist er in Ordnung?”, erscholl sofort die misstrauische Frage herüber. Griff hatte offenbar gerade beschlossen, jeden Europäer verdächtig zu finden.

„Absolut. Er ist auch eines von Kilians Opfern, sieht so aus als würde er diese Masche öfters abziehen.”

“Jesus.”

Ein Seufzen am anderen Ende.

“Sieht so aus als wärst du wirklich in die Scheiße greaten, hm?“

“Denk ich auch. Aber es gibt noch mehr Probleme. Ich und Fritz, wir haben eine Pakt geschlossen: Wir werden nicht zurückblicken, wir werden nicht zögern und wir werden nicht über das klagen, was passiert ist. Er hat mich für heute zum Schlittschuhfahren eingeladen.”

Griff schwieg schon wieder.

“Griffin?”, fragte ich vorsichtig, um mich zu versichern, dass er noch dran war.

„Wart mal ne Minute“, antwortete er prompt und fuhr gleich fort.

„Dieser Frizz oder wie auch immer ist auch von diesem Kilian verlassen worden?“

“Ja…”

“Und du hast ihm versprochen, nicht zurück zu blicken?”

“So in der Art, ja.”

“Und er hat dich heute zum Schlittschuhlaufen eingeladen?”

“Na ja, er hat mich gefragt, ob ich’s schonmal gemacht hätte und sagte dann, dass wire s heute zusammen ausprobieren würden.”

“Jesus, Mann, was ist bloß los mit diesen deutschen Jungs? Haben die keine heißen Typen da oben in Europa?”, fragte Griff und ich konnte hören, wie er sich durch den langen Pony fuhr, der wahrscheinlich schon mit Haarspray fixiert worden war, sonst würden die Strähnen nicht so am Telefonhörer rascheln.

Aber ich musste gestehen, dass ich keine Ahnung hatte wovon er gerade sprach. Das sagte ich ihm auch.

„Griff, würdest du freundlicherweise deine Gedanken mit mir teilen?“

“Kapierst du’s nicht, Lio? Dieser Frizz-boy ist schwul, richtig? Und er bittet dich den Typen, mit dem du letztens das Bett geteilt hast, zu vergessen und führt dich zum Eislaufen aus. Das ist ein DATE, du verdammter Idiot!”

Perplex schwieg ich. Ein Date?

“Meinst… meinst du das ernst? Aber er ist nur… nett…”

“Wach auf, Lio. Du bist ein heißer Feger, akzeptier’s. Und ich denke, er verzehrt sich schon danach, dich in seine Arme zu schließen.”

Ich lächelte leicht bei der Erinnerung, die diese Worte in mir wach riefen.

„Das hat er schon getan.“

„Was?! Jesus, Lio, verwandelst du dich in ein Flittchen oder was?”

“Nein, Griff! Sag sowas nicht. Er hat mich nach dieser Nacht nur heimgefahren und… wir haben Heiße Schokolade zusammen getrunken und… geredet. Es ist einfach passiert.”

Ein Seufzen erklang von der anderen Seite des Telefons.

„Du hast ihm deine berühmte Heiße Schokolade gemacht? Dann versteh ich warum er sich in dich verknallt hat.”

“Er ist nicht…! Griff!”

“Wie auch immer, ich muss jetzt zur Schule. Viel Spaß mit dem Frizz-boy und versprich mir, dass du ihn nicht sofort mit ins Bett nimmst!”

“Griff!”

“Versprich es.”

“Ich verspreche es.”

“Das last mir einen Stein vom Herzen fallen.”

“Trottel.”

“Ich weiß. Aber der beste Trottel, den du hast.”

“Das ist sowas von wahr. Tschüss, Griff.”

“Tschau, Lio. Viel Spaß.”
 

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So. So viel dazu. Wie geht's weiter? Ich bin beinahe selbst neugierig, dabei weiß ich's doch ^^

Und die ominöse neue Figur ist aufgetaucht, tadaa! So langsam scheinen meine Wurzeln als Epenautorin doch durch. Mist.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  TeZ
2010-08-21T17:58:47+00:00 21.08.2010 19:58
Okay, mal wieder ein Suchtie-Kommi für den Kommi-Suchtie... ganz ernsthaft, ich hab gequiekt vor Freude, als ich die ENS gelesen hab XD
Also, was wollte ich sagen... ja, die neue Person ist mir... am Anfang etwas schräg vorgekommen, aber tatsächlich teilt er meine Ansicht, das Lio einfach nur niedlich ist, deswegen hat er bei mir einen Stein im Brett^^ Aber ich glaub ich wäre auch erstmal perplex gewesen, wenn ein Kerl mit explodierter Frisur auf mich zu gekommen wäre^^
Außerdem möchte ich sagen, dass Griff einfach nur klasse ist und ich ohne diesen Charakter vieles nicht mitbekommen würde... ich glaub ich stand genauso auf der Leitung wie Lio und hab ganz und gar überhaupt nicht mitbekommen, dass... wie war das gleich... "Frizz" (wo ich persönlich auch erstmal lachen musste, das ganze aber sofort unter "niedlich" abgebucht hab) wohl tatsächlich ein Date mit Lio hat^^
Außerdem ist Griff mir im Allgemeinen sympathisch.
Ach ja, die deutsche Version des Telefongesprächs hab ich mir noch nicht angeguckt, werde ich aber gleich noch machen, einfach um zu sehen, wie du es übersetzt hast XD
Und jetzt will ich sehen, wie das mit Lio und Fritz weitergeht... vor allem, wenn Lio so durcheinander ist, dann wird es sicher se~ehr lustig XD
Liebe Grüße
TeZ^^

Von:  Khaosprinzessin
2010-08-21T12:34:14+00:00 21.08.2010 14:34
Also, ich mag die neue, ominöse Figur^^der is mal so richtig gesund freakig. Ich find den jetzt schon super! Allein bei seinem ersten Satz "Himmel bist du niedlich!" Da hatte er mich um den Finger gewickelt^^was jetzt nicht heißt, das ich ihn lieber hab als Fritz! NEIN!!! *Fritz flausch*
Das Kapitel war super! Bin ehrlich gesagt auch neugierig, ob's jetzt ein Date ist oder nich...aber wenn Lio sich ernsthalft Gedanken drüber macht, in welcher Jeans sein Allerwertester am besten ausieht, dann hat er sich die Frage selbst beantwortet, oder?!
Griff ist aber auch toll....so gandenlos ehrlich...klasse!
Freu mich, wenns weitergeht. Und danke für die ENS!

See ya in hell, beast


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