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Every day is writing day
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Loa (02.03.09)

Der Mann stand dort, als Christian wieder von seinem MP3-Player aufsah. Er hatte die Musik nicht beschallend laut gestellt, denn er hielt sich für einen von den netten Jungs, über die man sich nicht beschweren musste, sobald sie den Raum verließen. Er konnte sich nicht erinnern, dass der Mann schon vor ein paar Sekunden dort gestanden hatte. War er wieder eingeschlafen?

Nein, der Bus schaukelte immer noch über die schlecht geflickten Asphaltfäden, die sich hier von Ort zu Ort durch die Täler woben. Links zog gerade der einsame Bauernhof vorbei, den er vor wenigen Sekunden hatte näher kommen sehen. Vorsichtig musterte er den Mann so nebensächlich, wie es möglich war.

Er trug Frack und Zylinder in einem tadellosen Zustand, wodurch er die Bedeutung von 'Overdressed' für diesen Lebensraum Bus in neue Dimensionen beförderte. Seltsamerweise schien sich niemand anders im gut befüllten Gefährt daran zu stören. Sie waren alle so in ihre kleine Kapsel Selbst versunken, wie Menschen es – zumindest auf dieser Strecke – in Bussen sind. MP3-Player, ferner Blick, beklebte Ordner, den Kopf an die Scheibe gelehnt, kleine Welten.

Der Mann hielt sich an der Stange direkt vor seinem Sitz fest und stand dort seelenruhig, als würden die unebenen Bewegungen des Busses ihn nur sanft streifen. Ein Glas seiner Sonnenbrille fehlte und darunter funkelte sein Auge heraus wie ein entfernter Stern am klaren Nachthimmel. Er rauchte Zigarre und hatte sie dabei auf eine Weise zwischen die Zähne geklemmt, als wolle er den Tabak zerbeißen und nicht rauchen.

„Ghede“, drang die Stimme des Mannes an sein Ohr, als würde sie die Musik einfach teilen. Er streckte ihm die behandschuhte Hand entgegen und schien breit zu grinsen. Aber vielleicht kam das auch nur von der Zigarre im Mundwinkel. Der Dunst wogte um seinen Kopf wie eine Mähne.

„Christian.“ Er schlug nach kurzem Zögern ein. Störte es niemanden, dass er hier drin rauchte? War es nicht verboten? Oder traute sich nur mal wieder keiner den Mund auf zu machen? „Rauchen ist hier drin verboten, glaube ich.“

„Ich weiß. Beides.“ Ghede machte keine Anstalten die Zigarre zu löschen, sondern nahm sie zwischen die Finger, um einige ordentliche Züge zu nehmen. „Sind Ihnen die Loa ein Begriff, Christian?“

„Bitte was?“ Obwohl er den Mann klar und deutlich verstand, nahm er sich die Kopfhörer aus den Ohren.

„Ich fürchte, ich muss Ihnen mitteilen, dass sie verflucht worden sind“, sprach Ghede weiter, ohne näher seine vorherige Frage zu erläutern.

„Aha.“ Christian sah die merkwürdige Gestalt skeptisch an und wog im Kopf die Wahrscheinlichkeit ab, dass es sich um einen Verrückten handelte. Oder jemanden, der ihm gleich etwas verkaufen wollte. „Wodurch und von wem sollte ich – wie Sie es nennen – verflucht worden sein?“

„Hatten Sie noch nie die Bekanntschaft mit praktizierenden Houngan oder Mambo, Christian?“ Es lag keine Neugier in der Frage. Christian dachte kurz nach.

„Karen ...“

„Das ist richtig, Christian. Ihre Ex-Freundin hat sie verflucht.“ Jetzt grinste er von Ohr zu Ohr als würde kein Fleisch sein Gebiss einrahmen. „Ein Jammer, dass Sie Sie für eine New-Age-Spinnerin hielten, nicht wahr?“

„Bist du irgendein dämlicher Freund, den sie mir auf den Hals gehetzt hat, um mich zu erschrecken? Ihr ganzen Geist- und Zauberfreaks habt doch alle ein Rad ab!“ Ihm fiel keine bessere Reaktion ein, also ließ er sich einfach genervt in die Rückenlehne fallen. Es waren noch einige Haltestellen bis zu seinem Dorf.

„Solch wüste und vor allem haltlose Beschimpfungen sind doch nicht nötig.“ Ghede sah ihn freundlich an und Christian spürte ein Kribbeln in der Hand, die immer noch den MP3-Player hielt. Als er hinabsah, war sie bereits ausgetrocknet und zerknittert wie ein Stück Pergament. Er wollte sie erschrocken von sich werfen wie ein Stück Fleisch, aus dem gerade eine Kolonie Maden gekrochen kam, doch aus anatomisch naheliegenden Gründen schüttelte er sie nur panisch.

„Wenn sie die Güte hätten reinzurücken, Christian. Jetzt, wo wir uns näher kennen, habe ich keine Lust mehr zu stehen.“ Überfordert mit der Situation rückte Christian bereitwillig ein Stück rein und ließ den Mann neben sich Platz nehmen. Er wirkte im Sitzen ebenso riesig wie im Stehen. Überrascht stellte er fest, dass seine Hand wieder so aussah, als wäre nie etwas geschehen, sobald Ghede sich gesetzt hatte. Stöhnend atmete Christian auf, als habe man gerade ein schweres Gewicht von ihm genommen.

„Ich denke, Sie verstehen jetzt, dass ich Sie begleiten werde, Christian.“ Er nahm einen kräftigen Zug an der Zigarre und blies den Rauch wie ein verwobenes Muster in die Luft. „Ich hoffe, Sie haben Rum im Haus.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ito-chan
2009-07-28T18:22:54+00:00 28.07.2009 20:22
Ich muss sagen, ich habe herzlich gelacht. Die Exfreundin, die einen "Gott" beauftragt ihren Exfreund per Fluch zu verfolgen. Total komisch. Aber zum Glück geht das nur im Fantasygenre.


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