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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

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Tuhuli

Die Geister kehrten nicht wieder zurück und Puran verbrachte die verbleibenden Nächte bis zum Aufbruch kaum schlafend. Zu viel war es, das ihm durch den Kopf fuhr und die Sorge über das bevorstehende Jahr in Tuhuli war zu groß, als dass er hätte Schlaf finden können. So hing er am Tag des Aufbruchs halb schlafend am Tisch beim spärlichen Frühstück und seine Mutter scheuchte ihn wie ein aufmüpfiges Huhn.

„Iss, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit – Himmel, Puran, schläfst du am Tisch?!“ Sie rüttelte ihn energisch im Vorbeigehen und er stöhnte gedehnt.

„Ich kann ja sonst nirgends schlafen!“ jammerte er dabei und sah bedeppert auf sein Frühstück, ohne es anzurühren. „Können wir nicht morgen nach Tuhuli…?“

„Kommt nicht in Frage, Meoran hat auch noch anderes zu tun als dich zu unterrichten!“ sagte Nalani streng. Er kippte mit dem Kopf auf sein Brot und sie verdrehte die Augen, goss aus ihrer Kanne Kaffee in eine Tasse und stellte sie ihm hin. „Trink, das macht wach,“ war ihr einziger Kommentar, ehe sie aus der Küche schneite und nach ihrem Mantel verlangte. Puran hob den Kopf von dem Brot und sah die Tasse unschlüssig an. Er hatte das komische Zeug nie probiert, das an sich nur seine Mutter jemals getrunken hatte, solange er wusste. Umbringen würde es ihn sicherlich nicht.

Er hatte es kaum geschafft, die Tasse zu leeren, da war seine Mutter schon gemantelt und gestiefelt wieder erschienen.

„Bist du fertig?“ fragte sie, aber ihr gehetzter Ton war verschwunden. Er erhob sich seufzend.

„Muss wohl,“ kam etwas missmutig, und zusammen verließen sie die Küche.
 

In der Eingangshalle stand der Rest der Familie. Onkel Kiuk, Tante Sukutai und Alona umarmten Puran herzlich zum Abschied, wobei die Cousine fröhlich sagte:

„En Jahr bin ich dich los, hurra!“ Er schnaufte und sie rannte lachend davon, ihre Eltern schüttelten nur ratlos die Köpfe. Alle wussten, dass Alona ihn vermissen würde… Abschiede waren nichts für sie. Puran würde sie auch vermissen. Se nervte ihn zwar meistens, aber sie war wie eine kleine Schwester für ihn. Es wäre seltsam, ein Jahr ohne sie zu leben… oder ohne die anderen hier. Selbst den Küchenjungen würde er vermissen.

Tabari war auch da. Er konnte seinen Sohn nicht nach Tuhuli begleiten, weil er als Statthalter selbst zu einer Reise aufbrechen musste und so nur wenig Zeit hatte.

„Ich wollte mir was ausdenken, was ich dir sagen könnte,“ behauptete er verpeilt und raufte sich die blonden Haare, ehe er seinen Sohn eine Weile ansah. „Aber, ehrlich gesagt ist… mir nichts eingefallen. Du wirst ein Jahr ohne uns in Tuhuli sein. Wenn wir dich wiedersehen, wird der kleine Junge, den ich kenne, verschwunden sein… wenn du wiederkommst, wirst du ein Mann sein, Puranchen. Ach, wie schnell die Zeit vergeht.“

„Jetzt hast du ja doch was gesagt,“ meinte Puran grinsend, und der Vater umarmte ihn herzlich. „Ich werde dich auch vermissen, Vati.“
 

Puran war nicht zum ersten Mal in Tuhuli; eigentlich war er sein Leben lang andauernd hier gewesen, und doch fielen ihm plötzlich ganz neue, andere Sachen auf, als er mit seiner Mutter in der Kutsche zu Chimalis’ Anwesen fuhr. Gassen, deren Existenz er nie bemerkt hatte,, Muster auf manchen Pflastersteinen, Verzierungen an Häusern in Ring der Adeligen. Mit dem Hintergedanken, das kommende Jahr nur hier zu verbringen, sahen die Dinge anders aus… ebenso das Anwesen der Chimalis’, stellte der Junge ernüchtert fest, als sie davor eintrafen und im Hof von den drei verbliebenen Clanangehörigen begrüßt wurden.

Meoran Chimalis stand flankiert von seiner Frau und seiner Mutter im Hof, und alle drei verneigten sich höflich vor Puran und Nalani. Letztere taten es ihnen gleich.

„Ich freue mich, euch beide zu sehen,“ sagte Meoran gut gelaunt. Ich denke nicht, dass es noch was zu klären gäbe, oder, Königin Nalani?“ Sie schnaufte über den neckischen Spitznamen und Keisha lachte leise.

„Nein,“ sagte die Schwarzhaarige dann, „Wir haben besprochen, was zu besprechen war, Meoran. Und Ruja, versteht sich.“ Sie warf Meorans Frau einen Blick zu und die Telepathin verneigte sich noch tiefer, dabei lieb lächelnd.

„Es ist mir eine Ehre, Euch dienen zu können, Herrin.“

„Lass den Unfug und hör auf, dich zu erniedrigen,“ empörte Nalani sich und musste ebenfalls lächeln. Das Mädchen war zu höflich… Nalani wandte sich an Puran, der bislang stumm wie ein Zinnsoldat neben ihr gestanden hatte. „Ich gehe jetzt. Wir dürfen uns während des Jahres, das du in der Lehre bist, nicht begegnen, Puran… Vati und ich werden wegen des Rates sicher ab und an in Tuhuli sein, aber wir werden nicht zum Anwesen kommen können. Sinn der Isolation ist, dich zu isolieren.“

„Das leuchtet mir sogar ein,“ machte er und grinste kurz, ehe er von ihr liebevoll in die Arme geschlossen wurde. Er erwiderte die Umarmung. „Mach’s gut, Muttilein. Du wirst mir fehlen. Ich… werde mir die größte Mühe geben, dir niemals wieder Schande zu bereiten.“ Sie löste sich von ihm und als er in ihr schönes, zeitloses Gesicht blickte, sah er in ihren blauen Augen einen tiefen, schmerzhaften Kummer, den er nicht benennen konnte.

„Du hast mir… niemals wirklich Schande gemacht,“ flüsterte sie betreten, als gestünde sie ein Verbrechen, „Ich… bin sehr, sehr stolz auf dich, Puran.“
 

Die Sehnsucht nach seiner Familie und dem bekannten Schloss kam erst am Abend wirklich in ihm hoch, als sich langsam der Gedanke eingenistet hatte, weder seine Eltern, noch Alona, Onkel Kiuk oder Tante Sukutai im nächsten Jahr sehen zu dürfen. Geschweige denn seine Freunde Travi und Kannar, oder Madanan, Narya und die niedliche Cholena…

Große Vorstellungen waren nicht nötig gewesen. Puran kannte sowohl Meoran, seinen Lehrmeister, als auch Keisha und Ruja schon halbwegs, wirklich gut kannte er keinen von dreien, aber er kannte ihre Namen und ihre Gesichter. Wobei er Ruja kleiner und kindlicher in Erinnerung gehabt hatte; er hatte sie eine Weile nicht gesehen. Jetzt war sie weder klein noch kindlich, sie war ein kleines Stück größer als er und eine bildschöne Frau.

„Jetzt kennst du das Anwesen, du kannst kommen und gehen wie du magst und wohin du willst,“ belehrte Meoran ihn, als sie in der Dämmerung in der Teestube saßen und Tee tranken. „Aber wir sind auch kein Vergnügungspark hier, du bist hier, um zu lernen, mit der schwereren Schwarzmagie umzugehen. Ich bitte dich daher höflich, meine Autorität anzuerkennen und auf mich zu hören, wenn ich dir etwas beibringe. Dein Vater redet viel von dir, ich habe gehört, du wärst sehr begabt mit der Elementarmagie und Visionen?“

Puran verschluckte sich erst mal an seinem Tee und die Frauen sahen ihn bestürzt an. Ruja klopfte ihm wohlwollend auf den Rücken.

„Geht es wieder?“ fragte sie ihn lächelnd und er schnappte entsetzt nach Luft.

Visionen! Himmel hilf – darin war er seit einiger Zeit nicht mehr gut, nein! Er dachte nervös an die komischen Kräuter von Kannar, von denen er sicherheitshalber welche mitgenommen hatte. Wenn die von ihm verlangten, ihnen was vorzuträumen, würde es schwer werden… In seiner Nervosität merkte er nicht, wie Ruja neben ihm ihrem mann einen bedeutungsvollen Blick zuwarf und der eine Braue hochzog.

„Hab ich was falsches gesagt?“ fragte er irritiert und sah seine Mutter an. Keisha rümpfte nur die Nase, was ihm nicht wirklich half. „Wie dem auch sei, Puran. Du wirst dich schnell eingewöhnen, hoffe ich.“ Der Mann lächelte gutmütig. „Morgen fangen wir mit dem Training an. Geh besser früh schlafen heute, in der ersten Nacht in einem fremden Haus schläft es sich meistens schlecht.“
 

Da hatte er recht. Die Nacht war furchtbar. Nicht, weil das Bett unbequem gewesen wäre, das war es nicht, aber zu viele Gedanken verfolgten den Jungen und er schlief einen traumlosen, unruhigen Schlaf, bis er in den frühen Morgenstunden unerwartet geweckt wurde. Jemand zog die Vorhänge des Zimmers auf und als er verschlafen blinzelte und den Kopf drehte, sah er mit Erstaunen Meorans Frau, die sich strahlend zu ihm beugte.

„Aufstehen, guten Morgen!“ verkündete sie heiter und er fragte sich, was sie wohl getrunken haben mochte, um so eine Zeit schon so munter zu sein. Das war ja abartig – wobei abartig ein absolut unpassendes Wort für die Frau war. „Das ist der Kaffee meines, ähm, Schwiegeronkels, der macht munter,“ erklärte die schwarzhaarige Frau ihm ungefragt, „Möchtest du auch eine Tasse? Meoran schickt mich dich wecken, damit ihr früh anfangen könnt und er sich schon mal ein Bild davon machen kann, was du kannst.“

„Ah – ja. Aha. Mhh,“ machte Puran geistreich und völlig platt geredet von ihr – wie konnte man so viel reden? Ihr Gerede verwirrte ihn, war aber in keinster Weise störend, ihre Stimme klang angenehm sanft und ruhig. „Ähm – muss ich etwa immer im Morgengrauen aufstehen?!“ wagte er dann sich zu beschweren, ehe er seine Zunge hätte im Zaum halten können, „D-das ist ja Folter!“ Ihm kam kurz darauf, dass es nicht sonderlich höflich war, so etwas zu sagen… Ruja betrachtete ihn eine Weile mit einem eigenartigen Blick. Dann lächelte sie erneut.

„Dann werde ich dich wohl jeden Morgen foltern müssen…“
 

Als sie weg war, zog er sich rasch an und machte sich im Bad fertig. Rasch war dabei gut gesagt, mit seinen furchtbaren Haaren war das nicht so leicht. Als er in seinen Sachen kramte, die er mitgenommen hatte, fand er die kleine Schachtel mit den seltsamen Zigaretten, die einen komische Dinge sehen ließen. Er hielt für einen Moment inne, als er sich an Rujas Worte erinnerte.

„…und er sich schon mal ein Bild davon machen kann, was du kannst…“

Verdammt! schoss es dem Jungen durch den noch müden Kopf, Dann wird er mich sicher irgendwas testen und die Geister schweigen mich an, was soll ich denn machen?!

Er schnappte empört eine der Zigaretten, steckte sie sich zwischen die Lippen und zündete sie mit Vaira an. Er hustete darauf lauthals los. Ungefrühstückt schmeckte das Zeug ja abscheulich…
 

Meoran Chimalis beobachtete seinen neuen Schüler aufmerksam, als sie gemeinsam im Garten standen, wie sein Vater früher mit Nalani hier gestanden hatte, und mit ihm selbst, und mit manch anderem. Puran betrachtete voller Staunen den in allen Farben leuchtenden Garten und schwankte bedrohlich vor und zurück, während er fasziniert kicherte. Da sprangen sogar rosa Rehe durch den Garten und da hinten war ein blaues Kaninchen, das fliegen konnte.

„Der Garten ist ja spaßig, hehe!“ machte er dabei blöd lachend, und Meoran grinste ebenfalls.

„Das ist wohl wahr! Auf dann, Puran, tu mir den Gefallen und zeig mir deine Ka-… nein, lieber Tora. Tora, Pflanzenzauber. Kriegst du hin… fall nicht!“ Weiterhin amüsiert trat der Lehrer ihm gegenüber mit gehörigem Abstand und wartete, dass sein Lehrling sich regte. Aber der fing erst mal an, ohne Punkt und Komma zu quasseln:

„Wisst Ihr, Meister, ich hab geträumt, da wäre eine riesengroße Monstermuschel vom Himmel gefallen, direkt auf das Feld, jawohl! Und heraus kam ein Kamel, Ihr wisst schon, diese eigenartigen Tiere aus dem Süden mit den Pestbeulen auf dem Rücken, und es hatte einen Hut auf und begann, zu tanzen, es sah recht albern aus! Und die Muschel konnte singen, aber es war abscheulich, mit diesem albernen Hut, und das Kamel hat seine Farbe gewechselt wie Narya Maru die Männer, die sie küsst, Ihr kennt sie ja gar nicht, haha – sie ist eine gute Küsserin, aber wenigstens trägt sie keinen solch albernen Hut! Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die… diese Dinger da, wie heißen sie gleich, Gespenster? Nein… Kleister! Die Kleister wollen mir sagen, dass ich wohl gerne ein Kamel mit Hut küssen würde, aber wisst Ihr was, das würde ich nie ihm Leben tun, Kamele sind mir zuwider, insbesondere die mit Hüten!“ Meoran sah sich, obwohl er sich königlich amüsierte, gezwungen, das zu beenden:

„Könntest du mir endlich Tora vorführen und später deine behuteten Kamele küssen oder es lassen? Die sind gewiss haarig.“

„Ach, sagt das doch!“ lachte Puran und winkt ihm theatralisch zu, „Ja, Tora, das kriege ich hin! Aber passt auf, dass Ihr nicht dabei draufgeht, haha!“ Meoran bezweifelte, dass er in Gefahr war, als der Junge die Hände hoch riss und sehr enthusiastisch Tora! schrie. Der Mann hatte einiges erwartet, aber nicht, dass der arme Schüler sich beinahe selbst stranguliert hätte mit dem Pflanzenzauber, der Ranken aus seinen Händen wachsen ließ, die ihn jetzt selbst fesselten und einrollten wie eine Eierrolle. Der Lehrer verdrehte die Augen und löste den Zauber mit einem Schwung einer schwarzen Krähenfeder aus seiner Hand auf, worauf die ranken verschwanden und Puran hustend am Boden lag. Meoran ging zu ihm herüber und hockte sich seufzend vor ihn, als der Junge sich aufsetzte und hustete.

„Tag auch,“ lallte er blöd lachend.

„Na, so hat das wenig Sinn,“ entgegnete der Lehrer grinsend, „Am besten gehst du erst mal wieder schlafen, wir sehen dann nachher weiter.“
 

Als Puran wieder zu sich kam und ihm grauenhaft schlecht war, sah er Meoran gemütlich neben dem Bett auf einem Sessel sitzen und die Nachrichten lesen.

„Was ist… los?“ stammelte der Junge, „Warum… schlafe ich?“

„Ah, du bist wach,“ machte der Lehrer, ohne von seinen Nachrichten aufzusehen. „Du liebe Güte, diese Missgeburten aus dem Osten haben den Großen Wall in Fann und Janami angegriffen, das klingt aber unschön.“ Puran fragte sich, was das mit ihm zu tun hatte – da packte Meoran das Extrablatt weg und sah ihn an. „Ich glaube, wir müssen mal ernsthaft reden,“ begann er ernst, „Wenn wir fertig sind, kriegst du einen Kaffee, wenn du willst, das hilft.“ Der Junge setzte sich beunruhigt auf und kratzte sich am Kopf. Er fühlte sich grausam – und er erinnerte sich an nichts als bunte, schillernde Farben.

Diese verdammten Zigaretten!

„Verkaufe mich nie wieder für dumm, Puran,“ sagte Meoran ernst, aber nicht erzürnt. „Ich kenne das Zeug, das du rauchst, wenn du dachtest, mir damit lustige Visionen herbeizaubern zu können, so hast du es dir sehr leicht gedacht. Das hat jeder Idiot probiert, aber es liegt ein sehr tiefer Graben zwischen Drogenträumen und Visionen, Puran.“ Der Junge starrte ihn an.

Was? Er wusste es…? Ehe er fragen konnte, woher, fuhr Meoran fort.

„Als ich so alt war wie du, habe ich auch versucht, meinen Vater so über’s Ohr zu hauen, weil die Geister grundsätzlich nie etwas zu mir sagen, wenn man es braucht; aber genau wie ich heute hat er damals gesessen und gesagt ‚Meoran, du dummer, dummer Junge!’. Also… das hier ist eine Entscheidungsfrage, Puran. Bist du bereit, mit deinem eigenen Geist Kontrolle zu erlangen, oder willst du deine Zauber in Zukunft den Drogen überlassen?“ Puran blinzelte.

„Aber – aber, ich kann doch nicht!“ jammerte er, „Die Geister haben mir den Rücken gekehrt, ich habe tausendmal versucht, sie zurück zu rufen!“

„Da helfen keine Drogen,“ grinste Meoran, „Du hast sie nur nicht überzeugend genug gerufen… du musst es aus tiefsten Inneren heraus wollen, dass sie zu dir kommen. Deinen eigenen Geist beherrschen… damit er die Himmelsgeister kommandieren kann. Das ist… schließlich unsere Aufgabe als Geisterjäger.“ Puran senkte den Kopf. Er kam sich dumm vor – da hatte er seiner Mutter doch versprochen, nie wieder Schande zu bringen…

„Vergebt mir meine Dummheit vom Morgen,“ murmelte er, „Es… kommt nie wieder vor.“

„Willst du es denn dann mal… ernsthaft versuchen, die Geister zurückzuholen?“
 

Der Junge betrachtete am Nachmittag den Garten mit seinen realen Farben und ohne seltsame Zusätze, die die Drogen ihm verschafft hatten. Als sein Lehrmeister ihm irgendetwas erzählte, hörte er nicht zu; er kämpfte in seinem Inneren mit aller Kraft gegen die Vergangenheit.

Lauf nicht weg, hatten die Geister gesagt. Deine Bestimmung holt dich immer wieder ein. Du kannst nicht entkommen.

Ja, er hatte es seit Jahren versucht…entkommen war er nie. Er senkte bitter den Kopf, als er an seinen verrückten Großvater dachte, an das tote Reh und an Ram, der ihn hasste…

„Fall tot um.“

Lauf nicht weg, Puran. Du bist ein Mensch des Geistes… dir ist Größeres bestimmt als Jäger zu werden.

Er musste Meoran nicht zuhören, denn er wusste selbst, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, stehen zu bleiben, sich umzudrehen und der verhassten Bestimmung, von der alle sprachen, ins Gesicht zu blicken. Er dachte an Herrn Masava und das Training der Grundzauber vor Jahren, den ersten Schritt zur Kontrolle dessen, was in ihm ruhte, eine merkwürdige, geistige Kraft, deren Verwendung er soweit er konnte minimieren würde. Magie musste das letzte Mittel bleiben, egal, wer er war. Sie war gefährlich, und selbst wenn er sie kontrollierte, konnte er damit jenen schaden, die eine Bedrohung werden würden –

In diesem Augenblick war es, dass die Geister zurück kehrten, ohne dass er sie gerufen hatte, und seit Wochen sah er zum ersten Mal wieder ungebeten das Himmelsfeuer, den Flammenregen. Und aus dem Himmel stiegen monsterhafte Gestalten, bösartige Geister, die blau schimmerten und die Welt zu ihren Füßen legen wollten…

„Jetzt ruf deine Geister!“ befahl Meoran ihm und trat sicherheitshalber einen Schritt zurück. Dabei stieß er gegen seine Frau, die unbemerkt erschienen war, und er entschuldigte sich bei ihr, doch Ruja war fasziniert.

„Es ist, wie Tabari gesagt hat, er ist ein begabter Junge!“ flüsterte sie andächtig, als Puran gehorsam die Arme hob und den Blick in den Himmel richtete, obwohl er gar nicht wirklich den Himmel sah; nicht den Himmel über Tuhuli. Vor seinen Augen brannte die Welt, brachten die bösen Geister Unheil und Tod, und er keuchte und strauchelte.

„Himmelsgeister! Erdgeister!“ schnappte er, „Kommt zu mir und folgt meinem Ruf! Ihr werdet mir dienen, wie ich euch dienen werde!“ Und aus dem Himmel ertönte ein langes, dumpfes Grollen, als sich die Wolkenberge über Tuhuli zusammen zu brauen schienen. Meoran und Ruja beobachteten das Schauspiel aus sicherer Entfernung, der Lehrmeister weitete für einen Moment minimal die Augen, als Puran wieder herum fuhr und ihn anstarrte mit einem Blick, der keinem Sterblichen gehören mochte…

Er hatte die Geister gerufen und sie waren gekommen. Meoran grinste und nickte anerkennend.

„Nein…“ sagte er zu Ruja und tätschelte ihr verhalten die Schulter, „Tabari hat gelogen. Der Junge ist sehr viel begabter, als er gesagt hat.“
 

Mit den Geistern kamen die schlechten Träume zurück. Und sie jagten den jungen wieder, beinahe jede Nacht kamen sie und er hasste sie schon wieder dafür, nahm den Umstand aber hin. Die Nächte waren nur dadurch dahin und er musste jeden Morgen jede Menge Kaffee trinken, um überhaupt die Augen offen halten zu können. Ruja weckte ihn energisch jeden Tag bei Sonnenaufgang. Und sie war unbarmherzig, versteckt unter ihrer lieblichen Erscheinung und Stimme war diese Frau unbarmherzig, Puran spürte das ganz genau, wagte aber nicht, in ihrer Nähe daran zu denken. Sie war Telepathin, nachher las sie seine Gedanken…

So ging das Training voran und aus dem Sommer wurde schnell Herbst. Der Herbst brachte im Gegensatz zum Sommer sehr viel Regen. Puran wunderte sich über das, was Meoran mit ihm übte, denn es erschien ihm zu einfach und nicht wie etwas, wofür man ein ganzes Jahr von seiner Familie fort musste. Aber wann immer er Meoran fragte, was noch käme, bekam er keine Antwort, so verbrachte Puran einen Teil seiner Zeit damit, seinen Meister zu beobachten und vielleicht auf andere Weise herauszufinden, was eigentlich gespielt wurde.

Meoran war ein höflicher, freundlicher Mann mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, die ihm den nötigen Respekt verschaffte. Und der Junge hatte großen Respekt vor ihm, denn er wusste nie, was er dachte…

„Du merkst, wie wichtig es ist, dass dein Körper und dein Geist perfekt zusammenarbeiten,“ erklärte er seinem Schüler an jenem Tag am Ende des Holzmondes. „Ohne diese Einheit läuft nichts in der oberen Schwarzmagie. Elementarzauber, Zerstörer… das ist das, wovon die Menschen reden, die Zirkuskünste der Schamanen sozusagen. Gehe in ein Land wie Senjo, in dem wenige Magier leben, und erzähle, du wärst Schamane, dann wirst du hören ‚Zauber mal was!’. Das ist die bunte, schillernde Oberfläche des Spiegels, Puran. Aber darunter, hinter der Oberfläche, liegt erst das Wesentliche. Die eigentliche Aufgabe der Schamanen ist wichtig und geistig, nicht bunt und prächtig. Wir sind hier, um mit den Mächten der Schöpfung Kontakt aufzunehmen und ihren Willen zu verstehen. Durch diese Macht in uns haben wir die Gabe, uns Wissen anzueignen, und dieses Wissen zum Nutzen und Schutz des Lebens auf Tharr anzuwenden. So ist es auf dem Großkontinent, auf dem unser Land Kisara zwischen Senjo und Janami liegt, schon seit Anbeginn aller Zeiten. Aber bevor du fähig bist, die Mächte der Schöpfung richtig anzurufen, musst du deinen eigenen Geist unter Kontrolle bringen. Dazu sind diese Übungen am Anfang; eine Vorstufe zum Trancezustand, den du später brauchen wirst… theoretisch.“ Puran keuchte etwas und sah ihn an. Sie waren nass von Kopf bis Fuß, weil es in Strömen goss. Der Boden war bedeckt mit glitschigem Laub.

„Was heißt theoretisch?“ fragte er, und der Meister musste schmunzeln. Sein lachen verschwand schnell wieder.

„Du langweilst doch etwas, hab ich recht?“

„Nein, ich bin verwirrt, bei allem Respekt, Meister.“

„Das liegt daran, dass du das innere Gleichgewicht längst beherrschst; du hast es schon gekonnt, als du deine Geister gerufen hast. Ich habe dich jetzt eine Weile beobachtet und was immer ich dich habe machen lassen, du hast es einfach so gemacht. Du hast eine sehr große geistige Kraft und nutzt sie instinktiv genau auf die richtige Weise; jetzt kannst du es auch bewusst tun, wie du merkst.“

Puran blinzelte ein paar Mal.

„S-soll das heißen, ich konnte das alles schon und habe es jetzt nur zum Spaß noch mal geübt?“

„Nicht wirklich, ich sage ja, du kannst es jetzt bewusst. Vorher hast du es quasi aus Versehen richtig gemacht, ohne es zu wissen. Du bist… eben das Kind stolzer Eltern, Puran. Du hast die mächtige Aura deiner Mutter und deine mächtigen Rufens- und Sehensgaben; aber du bist nicht so impulsiv wie sie es in deinem Alter war, du hast Tabaris Ausgeglichenheit… etwas, für das ich ihn eigentlich beneide und das bei weitem unterschätzt wird, besonders… von seiner eigenen Frau.“ Der Junge raufte sich die nassen Haare und hustete kurz.

„Was…? Ihr meint Vatis Irgendwie?“

Irgendwie geht das, sagt Tabari, ja,“ lachte Meoran, „Wichtig ist, wenn du die Geister beherrschen willst… dass du Gefühl abschalten kannst. Dass du deine ganze Seele allein den Geistern widmen kannst. Und keiner im Rat… kann das so lange wie dein Vater.“
 

Der Regen dauerte an. Das Wetter war ungemütlich, deswegen verschoben Meoran und sein Schüler weitere Übungen auf den nächsten Tag, der sonniger werden würde, so hatte der Lehrer prophezeit. Puran beeindruckte diese Wettervorhersage – in sowas war er offenbar absolut talentfrei. Er sah in Visionen alles Mögliche über Dunkelheit, Tod und Grauen, aber nie das Wetter oder banale Alltagsdinge, die ihn viel mehr interessierten. Der Junge saß am Abend auf dem Fensterbrett in der Teestube und sah schweigend hinaus in den stürmischen Regen. Er dachte für eine Weile an seine Eltern, die er nun mehr etwa vier Monde nicht gesehen hatte. An seine stolze Mutter und seinen verplanten Vater, und irgendwie vermisste er sie beide. Zum ersten Mal dachte er über ihre Posten als Geisterjäger nicht mit gemischten Gefühlen oder gar negativ, plötzlich machte es ihn stolz, so anerkannte und wunderbare Eltern zu haben… der Gedanke, der ihm danach kam, an seinen verhassten Großvater, wurde unterbrochen, als er plötzlich eine Stimme von der Tür der Stube vernahm.

„Scheußliches Wetter…“

Er fuhr erschrocken herum und erblickte Ruja in der Tür. Sie war dabei, die Zimmerpflanzen des Anwesens zu gießen, so trat sie neben ihn zur Fensterbank und besprühte die Pflanze vor ihm mit einem Alara-Zauber. Er beobachtete sie fasziniert davon – ja, Zauber waren durchaus nützlich bisweilen.

„So spart man sich eine Gießkanne,“ sagte die Frau da auch, seine Gedanken erratend. „Du sitzt hier im Dunkeln, willst du kein Licht machen? Oder ist das Öl alle?“ Sie sah auf die kleine Öllampe auf dem Teetisch und Puran schüttelte den Kopf.

„Ich… wollte lieber im Dunkeln sitzen, dann kann ich besser raus sehen.“ Er betrachtete die Frau, während sie lächelnd und mit einer liebreizenden Art die Blume goss, sie sah beinahe aus, als kümmerte sie sich zärtlich um ein Baby. Sie war noch viel schöner, wenn sie lächelte, stellte er verträumt fest, und er lächelte automatisch mit, als er sie weiter ansah. Ihre schönen, pechschwarzen Haare, die sie zu einem festen Knoten gebunden hatte, die niedlichen Grübchen in ihren Wangen, wenn sie lächelte wie jetzt… Sein Blick wanderte ohne dass er es selbst merkte ein wenig weiter hinab über ihren Hals, ihr Schlüsselbein bis zu ihrem Ausschnitt, wo er kurz verharrte – aber sofort entsetzt wieder wegsah, als er sich dabei erwischte, ihr auf die Brüste zu sehen. Verdammt, was dachte er sich? Das war eine verheiratete Frau und sie war älter als er – wenn auch nur fünf Jahre – wie kam er dazu, sie auf so eine Art anzusehen? Wie ungehobelt!

Ruja schenkte ihm einen kurzen Blick, sagte aber nichts und lächelte weiter.

„Auch gut,“ sagte sie sanft, „Dann lasse ich das Licht aus für dich. Aber stolpere nicht, wenn du zu Bett gehst.“ Er nickte beklommen und sie sah aus, als wollte sie gehen, aber dann blieb sie doch stehen. „Meoran lobt dich viel, weißt du?“ begann sie leise und er wandte den Blick erstaunt wieder zu ihr, obwohl sein Gesicht jetzt brannte. Sie anzusehen war keine sehr kluge Idee, das Brennen in ihm wurde nur schlimmer und er kam sich unheimlich dreckig und widerwärtig vor, so etwas überhaupt zu denken. „Du bist ein sehr begabter Junge, Puran,“ fuhr sie fort. „Sträubst… du dich eigentlich immer noch so gegen die Geister und die Magie wie früher?“ Er errötete und fühlte sich ertappt.

„Ich, ähm – wieso weißt du davon?“

„Ich sehe vieles…“ Er fühlte sich an seine Großmutter erinnert, die allwissende Seherin Salihah. Ruja kam vermutlich nicht an sie heran, zumindest nicht nach dem, was er wusste, dennoch zweifelte er nicht daran, dass sie eine sehr begabte Magierin war.

„Du musst Magie nicht fürchten oder verachten… jedenfalls nicht, solange sie keinen bösen Zwecken dient…“ Er hob erstaunt den Kopf. Plötzlich fiel ihm wieder ein, warum er zuvor an Kelar gedacht hatte.

„Durch diese Macht in uns haben wir die Gabe, uns Wissen anzueignen, und dieses Wissen zum Nutzen und Schutz des Lebens auf Tharr anzuwenden…“

Der Junge verengte kaum merklich die Augen. Wenn das so war, was hatte sein Großvater dann getan?
 

In der Nacht verfolgten ihn die Gedanken an seinen Großvater und er wälzte sich die halbe Nacht lang von einer Seite auf die andere, hörte in seinem Kopf das kehlige Lachen, sah die bösartigen, spitzen Eckzähne, Kelars Markenzeichen, wenn man so wollte. Er hatte diese Zähne immer gefürchtet, sie ähnelten denen von Raubtieren und selbst jetzt, zehn Jahre nach Kelars Tod, spürte er noch dir Furcht in sich, wenn er länger an ihn dachte.

Irgendwann gab er das Schlafen auf und verließ sein Zimmer, um aus der Küche ein Glas Wasser zu holen. Er spürte sein Herz nervös klopfen und die Geisterstimmen flüsterten in seinem Inneren, als er hinunter tappte im Dunkeln de Anwesens. Es war weit nach Mitternacht. Das Glas Wasser getrunken und auf dem Weg zurück bemerkte der Junge das Licht in der Stube. Verwundert wagte er einen Blick durch die halb geöffnete Tür und sah auf der Couch seinen Lehrmeister sitzen.

„Nanu, auch noch wach?“ hörte er sich fragen und Meoran fuhr offenbar überrascht auf.

„Liebe Güte, Puran!“ machte er, „Ich habe mich zu Tode erschrocken!“

„V-vergebt mir, Meister…“

„Schon gut, komm zu mir,“ bot Meoran ihm wieder grinsend an und fuhr sich durch die Haare. „Die Geister schicken mir launische Träume von seltsamen Dingen,“ erklärte er sein Wachsein, sobald Puran neben ihm saß. „Was ist mit dir…?“ Puran seufzte resigniert.

„Ich… mich hält ehrlich gesagt etwas wach, was Ihr gesagt habt. Ihr habt gesagt, wir Schamanen wenden unser Wissen an zum Schutz des Lebens auf Tharr. Ich habe mich gefragt, wieso… war mein Großvater dann anders? Oder soll das, was er getan hat, etwa nützlich gewesen sein?!“

Meoran sah ihn kurz an und nippte dann an seiner Teetasse, die er in der Hand hielt.

„Sicherlich nicht,“ antwortete er verhalten. „Dein Großvater Kelar war ein… Mensch, der den falschen Weg gewählt hat. Irgendwann in unserem Leben stehen wir alle vor dieser Wahl.. ob wir den richtigen Weg wählen oder den leichten. Ich glaube nicht, dass ein Mensch von Natur aus bösartig sein kann. Er wird geboren und ist neutral, Erziehung, Erlebnisse und Umgebung machen ihn zu dem, was er am Ende ist. Niemand weiß… was mit Kelar geschehen ist, was ihn dazu veranlasste, so zu werden. Nur Salihah mag das gewusst haben… sie hat dieses Geheimnis mit ins Grab genommen.“ Sie schwiegen eine Weile.

„Onkel Kiuk hat einmal gesagt, Großvater hätte schon als Kind die Veranlagung gehabt, nicht ganz klar im Kopf zu sein…“

„Macht… macht die Menschen oft wahnsinnig, Puran. Je mehr Macht einem Menschen verliehen wird, desto gefährlicher und schmaler ist der Grat, auf dem er wandern muss, und desto leichter ist es, ihn umzuschmeißen in die Schlucht des Wahnsinns. Deine Großmutter Salihah war die mächtigste Telepathin ihrer Zeit, aber je älter sie wurde, desto mehr… hat die Macht ihren Verstand gefressen. Du warst noch zu klein um das zu merken, aber sie war sehr, sehr oft hier, um mit meinem Onkel-…“ Er hustete und brach ab. Das ging den Jungen ja wirklich nichts an. Puran sagte nichts, ahnte aber, worauf er hinaus gewollt hatte.

„Ihr habt noch mehr gesagt,“ murmelte er, „Ihr habt gesagt, auf dem Großkontinenten wäre es schon ewig so, dass… wir Schamanen die Lebenden beschützen. Was ist mit den Ländern außerhalb des Kontinenten, mit dem Inselreich Alymja oder den Ländern im Osten?“

„In Alymja leben sehr wenige Magier,“ erzählte Meoran düster und drehte den Kopf schweigend zum Fenster. „Im Osten, jenseits des Binnenmeeres, jenseits von Fann… gelten diese Gesetze nicht. Den Osten nannten die Menschen früher Das Land der Blutsonne und der Schatten… das lässt schon vermuten, warum.“ Puran erschauderte.

„Wart Ihr jemals dort?“ fragte er leise, und Meoran schnaubte.

„Kein Lebender setzt freiwillig einen Fuß in die Ostländer, es sei denn, er hat mit dem Leben abgeschlossen.“

„Dann… nutzen die Schamanen dort ihre Magie nicht… für irgendwas Gutes?“ murmelte der Junge benommen und Meoran seufzte.

„Auch auf unserem Kontinenten gibt es böse Menschen und im Osten gewiss auch gute, ich weiß es auch nicht genau. Mach dir im Moment nicht zu viele Gedanken, Puran… du bist noch ein Junge, du musst dich nicht sorgen um gute oder böse Magier. Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille… die, die wir für böse halten, die uns verletzen, kämpfen aus anderen Gründen, wir verstehen sie nicht und sie uns vielleicht ebenso wenig. Würden wir alle einander verstehen, würde die Welt vielleicht eines Tages ein… besserer Ort.“ Er sah seinen Schüler an und grinste kurz nostalgisch. „Geh jetzt schlafen. Nur, weil wir hier mitten in der Nacht herum schwätzen, heißt das nicht, dass du morgen ausschlafen darfst!“
 

Puran wusste selbst nicht, was ihn so beschäftigte, was genau es war, das durch seinen Kopf spukte, aber es ließ ihn die nächsten Wochen nicht los. Er träumte oft denselben Traum vom Flammenregen, vom Ende der Welt, den er schon als Kind geträumt hatte, und er hörte jede Nacht, so erschien es ihm, lauter das Lachen seines schaurigen Großvaters. Die Geister sprachen in seltsamen, längst vergangenen Sprachen zu ihm, die er nicht verstand, und am Ende des Traumes legte sich ein dunkler Schatten über seine Augen. In der Finsternis, die über die Welt fiel, sah er ein kleines, weißes Ding in der Ferne tanzen, eine kleine Spirale… im selben Moment befiel ihn ein derartiges Gefühl der Unbehaglichkeit, eine derartig grausame Panik, dass er aufwachte und keuchend im Bett lag.

Was war das? fragte er sich unmittelbar darauf und fasste erschrocken nach seinem immer noch pochenden Herzen. Wieso bin ich so panisch?! Was ist mit mir, es… war doch nur eine dumme Spirale… was ist an der furchteinflößend…?

Er lauschte verwirrt dem Rauschen in seinem Kopf und den verstummenden Geisterstimmen, in dem Moment klopfte es an der Zimmertür. Kurz darauf steckte Ruja ihren hübschen Kopf herein und strahlte ihn an. Auf dem Flur brannte Licht.

„Steh auf!“ rief sie ihn fröhlich, „Der Winter ist gekommen. Es gibt Frühstück!“

Was das eine mit dem anderen zu tun hatte, wusste Puran nicht, aber eil er jetzt ohnehin wach war, schälte er sich aus dem Bett und spähte aus dem Fenster, den Vorhang zurück ziehend. Und er schrie entsetzt auf.
 

Der Winter war wortwörtlich hereingeschneit gekommen, draußen tobte ein wilder Schneesturm, als Puran mit Meoran, Ruja und Keisha am Tisch saß und frühstückte.

„Hier ist es so still,“ nölte Keisha irgendwann, indem sie ein Eierröllchen von einem Teller in der Mitte nahm. „Früher waren hier so viele Leute, ich vermisse das laute, chaotische Frühstück.“

„Früher hast du es gehasst,“ erinnerte ihr Sohn sie glucksend. Keisha jammerte.

„Es ist jetzt ja schon her, dass sie alle gestorben sind, ach!“ machte sie, „Aber es ist einsam hier oben! Schnee macht mir immer schlechte Laune, vergib mir, Meoran.“

„Schon in Ordnung, solange du jetzt nicht den ganzen tag jammerst, ich habe noch zu tun. – Puran, bist du wach oder willst du noch einen Kaffee?“

„Was?“ fragte der Lehrling überrumpelt, weil er so plötzlich angesprochen wurde. In Gedanken hing er noch an dem Traum und dem grauenhaften Gefühl, das er dabei gehabt hatte…

„Das heißt wohl Nein, na dann, wohl an! Wir gehen jetzt im Schnee herum toben, während Mutti das Haus putzt.“

„Wie bitte, ich putze aber nicht das Haus!“ machte Keisha verblüfft und Ruja musste ungehalten lachen.

„Du merkst es schon nicht mehr? Wenn du genervt bist, putzt du das Haus, Keisha! – Ich werde dir helfen.“

„Was, Moment, ich putze das Haus?“ Die Heilerin war völlig aus der Bahn geworfen und die anderen mussten verstohlen glucksen.
 

Der Schneesturm dauerte immer noch an und Puran fragte sich, ob Meoran wollte, dass sie sich beide den Tod holten, als sie im Garten standen, um zu üben.

„Der Tag ist wunderbar,“ behauptete der Lehrmeister wichtig, „Der Winter ist jetzt da und diesen Firlefanz mache ich mit keinem Lehrling vor dem Winter, aus Prinzip nicht. Dabei gehe ich bei dir stark davon aus, dass wir nicht lange üben müssen… heute lernst du, wie man mit Zerstörern umgeht.“ Puran blinzelte sich den Schnee aus den Augen.

„Was?!“

„Na, so umwerfend ist das nun auch wieder-…“

„Nein, ich habe Euch nicht gehört bei dem Sturm!“

„Ach so, ich sagte, wir üben jetzt Zerstörer!“ Purans Reaktion war, obgleich er es jetzt gehört hatte, dieselbe:

„Was?!“

„Zerstörer sind die mächtigsten Elementarzauber und wir Schwarzmagier sind als einzige Schamanen privilegiert, sie beherrschen zu können. Heiler und Telepathen können das nicht, die haben andere Qualitäten. Geh zurück und sieh mir zu. Wichtig ist, dass du das, was du gelernt hast, jetzt anwendest… dann hören die Geister auf dich!“ Puran blickte ihn fasziniert an, als der Mann die Arme durch den wirbelnden Schnee in den Himmel riss und laut die Geister anrief. „Himmelsgeist! Komm herunter zu mir und lass mich dich lenken nach meinem Belieben! Du bist unter meiner Hand, Geist!“ Puran beobachtete völlig verblüfft, wie der Mann sich zu ihm umdrehte und mit einem wirbelnden Aufbrausen des Schneesturmes und einem lauten Krachen aus dem tief hängenden, dunkeln Himmel ein Blitz in Meorans Hände einschlug und er die gewaltige Lichtkugel über seinem kopf hielt, als wollte er sie auf seinen Schüler schmeißen. Puran kannte Zerstörer… es konnten tödliche, vernichtende Zauber sein, je nach dem wer sie ausführte. Und Meoran war als Geisterjäger einer der besten.

Einen Moment nachdem Puran ausgedacht hatte, ließ Meoran den Zauber verschwinden, als hätte er eben eine Blume aus seinem Ärmel gezaubert, die keine weitere Beachtung wert war. „Jetzt du,“ grinste der Lehrer und schüttelte den Schnee aus seinen braunen Haaren. Als der Junge ihn ungläubig anstarrte, sah er sich gezwungen, fortzufahren: „Ich weiß, dass du mit sechs Jahren Windmesser gerufen hast, auch, wenn du nicht gern darüber sprichst, aber das ist ein Zerstörer. Du wirst es jetzt wieder tun.“

Das war keine Bitte, das war eine sachliche Feststellung. Puran erschauderte.

„Aber es ist verdammt kalt, wie soll ich mich da konzentrieren?“

„Ausreden, fauler Sack,“ kicherte Meoran vergnügt und steckte sich in aller Ruhe eine Zigarette an. „Du wirst… die Kälte gar nicht spüren. Wetten?“
 

Puran hasste Meorans Wetten irgendwie, denn dieser Fanatiker gewann immer. Es war tatsächlich, wie der Meister gesagt hatte; er spürte weder Kälte noch Hitze, als er es seinem Lehrer nachmachte, die Arme in den Himmel riss und den Kopf in den Nacken warf. Alles, was er in seinem Inneren spürte, war ein komisches Kribbeln, als sein Geist und sein Körper komplett eins waren. Er erinnerte sich nur flüchtig an die Windmesser vom ersten Schultag; damals hatte es sich schlecht angefühlt. Jetzt fühlte es sich richtig an… es war angenehm.

„Das ist deine Bestimmung. Jetzt, wo du nicht mehr wegläufst, fühlt es sich auch nicht mehr komisch an…“ erklärte eine Stimme in seinem Inneren ihm und er hörte sich selbst die Geister rufen, obwohl er nicht mitbekam, wie er es tat – er tat es einfach.

„Windgeist!“ rief er, „Komm zu mir, komm und gehorche meinem Willen!“ Er spürte die gewaltige Macht zwischen seinen Händen, als der Schnee sich darin sammelte und zu einem immer größeren Windwirbel wurde, ein Wirbel voller Grausamkeit und Macht, die er kaum zu halten vermochte. Er spürte, dass die Macht ihn von den Beinen zu reißen drohte und er nahm nicht wahr, wie Meoran aus seinem Umhang eine schwarze Feder zückte und zwei Schritte zurück trat.

„Wunderschön,“ kommentierte er Purans Windwirbel entzückt, „Das erfüllt mein Herz mit Stolz, sowas sehen zu dürfen nach all den unfähigen Trotteln, die ich gelehrt habe in den letzten Jahren.“ Er sah zu seinem Schüler, de den kopf wieder herunter riss und erzitterte vor der Macht in seinen Armen, dem mächtigen Wind, den er beschworen hatte.

„Vater Himmel, gib mir… die Macht deiner Windgeister!“ japste Puran in seiner Trance und Meoran beobachtete immer entzückter die glühenden Augen des Jungen, dieses gewaltige, uralte Potential der Lyra-Familie, das er, Meoran, immer in höchstem Maße geehrt hatte. Ohne weitere Worte streckte er den Arm mit der Feder aus in Purans Richtung, und mit einem lauten krachen verschwand der Zerstörer in den Händen des Jungen. Puran taumelte und stürzte in den Schnee, lauthals hustend. Plötzlich war alles weg – das Kribbeln, die Trance, der Zauber, plötzlich war es eiskalt und er sprang keuchend auf.

„W-was… was habt Ihr gemacht, Meister?!“

„Ich wollte ja nicht, dass du den garten zu Kleinholz machst,“ sagte Meoran, „Das war beeindruckend. Ich habe mich selten so über einen Zerstörer gefreut. So, jetzt gehen wir Tee trinken in Tuhuli, ist ja grausam hier mit dem Wetter.“

„Vorhin fandet Ihr es noch herrlich,“ schnaubte Puran, „Ja, jetzt merke ich die Kälte auch wieder…“ Der Lehrer zeigte lachend auf ihn.

„Aha! Dir war also nicht kalt? Ich hab die Wette gewonnen, du schuldest mir einen Tee.“

„Na großartig!“
 

Der Schnee hörte nicht mehr auf. Es wurde kälter, je mehr es auf Mittwinternacht zuging, den Tag im Jahr, an dem die Sonne nicht aufging. Der Geburtstag seines Vaters, fiel Puran dazu noch ein, und er kam sich pietätlos vor, ihm nicht gratulieren zu können. Aber bis Mittwinter waren es noch einige Tage. Das Jahr neigte sich dem Ende zu. Für den jungen hieß das bald Halbzeit der Lehre. Inzwischen fand er den Gedanken nicht mehr befremdlich, bis zum Sommer hier zu bleiben; er fühlte sich wohl im Anwesen und bei der Familie, abgesehen von den unruhigen Träumen des Nachts. Die seltsame Spirale kam noch öfter vor und jedes Mal überkam ihn wieder das komische Gefühl, etwas, das er sich nicht erklären konnte. Und wenn er nicht von Spiralen im Schlaf träumte, träumte er andere, wenn er wach war.
 

„Meoran ist für drei Tage nicht hier, du hast also sozusagen frei,“ erklärte Ruja ihm eines Morgens, als er hinunter kam, ganz verwirrt, wieso ihn keiner geweckt hatte. Da saß die schöne Frau am Teetisch und steckte Blumen in den wunderschönsten Formen und Farben in eine Vase. Dabei achtete sie sehr sorgfältig darauf, welche Blume sie wohin steckte und auf welche Art. Puran beobachtete sie eine Weile fasziniert, bis sie ihn lächelnd aufforderte, sich zu ihm zu setzen. „Ich soll dir anordnen, artig zu üben, aber nur, wenn du nicht zu erschöpft bist. Es gibt Besprechungen in Yiara und mit dem Rat.“

„Warum erfahre ich das erst jetzt?“ wunderte Puran sich verwirrt.

„Meoran war untröstlich, er hat es einfach vergessen dir zu sagen.“ Sie lächelte ihn an und er errötete unwillkürlich und lächelt zurück, ohne es zu merken. Entzückt beobachtete er die kleinen Grübchen in ihren Wangen, als sie sich wieder ihren Blumen widmete. „Wie schön, da haben wir ja auch mal etwas Zeit miteinander,“ hörte er sie sagen und erstarrte abrupt.

Was sagte sie da?

„Ähm – w-was?!“ japste er erschrocken und sie kicherte. Dabei nahm sie eine schöne Blume vom Tisch und sah sie lange an, ehe sie sich entschied, wo sie sie zu den anderen in die Vase stecken konnte.

„Ja, du bist immer beschäftigt mit dem Training oder du bist müde. Dabei habe ich Freude daran, wenn wir so sitzen und uns unterhalten.“ Er schnappte unwillkürlich nach Luft. Das war wahrlich ein unverdientes Kompliment – sie war nett, wunderschön und beliebt, dass so eine Frau Freude daran hatte, mit ihm kleinen Jungen zu reden, erstaunte ihn auf positive Weise. Er spürte in sich ein seltsames Kribbeln aufkommen, als er hochrot vor Verlegenheit den kopf von ihr wegdrehte und eine Weile stumm auf seinen Füßen saß. „Du bist nervös,“ stellte sie leise fest, „Möchtest du auch Blumen stecken? Ich mache das immer, um mich zu entspannen, ich habe es als Kind von einer sehr weisen alten Frau gelernt.“ Er sah sie nur verwundert an und brachte keinen Ton heraus. Innerlich ohrfeigte er sich plötzlich dafür, dass er so dämlich da saß, aber er konnte nichts machen…

Ruja lächelte immer noch.

„Du musst doch nicht, keine Angst, schau nicht so entsetzt. Ich habe Blumen gern, sie bringen leben in das Anwesen. Das Anwesen war eine Weile sehr kahl… Mutters-… also, Keishas alte Vasen und Schalen wurden in Schränken verbarrikadiert und nach Enolas Tod hat mein Schwiegeronkel alles an Dekoration aus dem Anwesen verbannt. Das war eine traurige Zeit.“ Puran sagte immer noch nichts, zwang sich aber jetzt zu einem nervösen Nicken.

Egal, was er tat, plötzlich konnte er den Blick nicht mehr von ihr wenden, wie sie seelenruhig da saß und Blumen steckte, mit der Geduld einer Schildkröte. Sie war so schön, ihre Haut war so blass und zart, ihre Finger, die die Blumen nahmen, waren schlank und geschickt. Er verharrte mit dem Blick auf ihrem Gesicht, einer wunderschönen, seltenen Perle glich es, mit Edelsteinen als Augen, ihre Lippen rot geschminkt. Er erwischte sich dabei, in sich zum ersten Mal das dringende Verlangen zu spüren, sie in den Arm zu nehmen und diese weichen, roten Lippen zu küssen, wie er Akila und Narya geküsst hatte – nein, zärtlicher, er wollte viel sanfter und liebevoller sein, keine grobe Hand durfte es wagen, diese Porzellanpuppe anzurühren… Er erschrak über seine eigenen Gedanken, die, je weiter er vor sich hin spann, immer anzüglicher wurden. Verdammt, das war eine verheiratete Frau vor ihm! Die Frau seines Meisters, den er in höchstem Maße ehrte und respektierte! Wie konnte er es wagen, auch nur daran zu denken, sie zu begehren? Aber er konnte nichts machen, die Gedanken kehrten zurück, egal, wie oft er versuchte, sie zu verdrängen, und je öfter er es versuchte, desto stärker wurde das Verlangen in ihm, sie zu berühren auf eine Weise, in der ein mann seine Frau berühren sollte.

Sie war nicht seine Frau und würde es nie sein.

„Ich erzähle immer nur von hier,“ fiel der schönen Ruja da auf und sie sah ihn strahlend an. „Erzähle doch mal von deiner Heimat! Von deiner Familie… Meoran sieht sie oft, aber ich sehr selten… ich habe deine Großmutter Salihah in allerhöchstem Maße verehrt, wenn sie hier war früher. Sie war eine großartige Magierin, ich… bin gegen sie nur ein Staubkorn in einer Wüste.“

„Sicherlich nicht, du neigst wohl dazu, dich viel tiefer zu stellen als dir gebührt,“ meinte er und war verblüfft, dass er plötzlich Worte fand. Auch, wenn seine Stimme kaum mehr als ein nervöses Fiepen war. „Ich habe vom Meister gehört, du seiest eine sehr begabte Seelenmagierin.“

„Mein Talent in Teleport gleicht dem einer Ameise,“ widersprach sie lachend.

„Dafür hast du innere Augen und kannst Barrieren bauen,“ entgegnete er. „Und du hast etwas sehr wichtiges, was meine Großmutter nicht hatte… Freude am Leben, soweit ich das beurteilen kann.“ Ruja senkte kurz den Kopf und schwieg eine Weile, ehe sie weiter ihre Blumen steckte. Als sie fertig war, stand die Vase mit bunten Blumen verschiedener Arten auf dem Teetisch und sah hübsch aus. Fast wie die Frau, dachte Puran beklommen und verknotete stumm seine Finger. So saßen sie dann und schwiegen. Als sie ihn wieder anblickte, nahm sie plötzlich seine Hand.

„Du bist sehr lieb…“ sagte sie dabei und er starrte sie an, fassungslos über die simple Berührung, als sie sich zu ihm beugte und er plötzlich die wahnwitzige Idee bekam, sie könnte ihn küssen… er keuchte leise und wünschte es sich plötzlich, wünschte sich, dass sie es tat, und er würde sie auch küssen und sie berühren – er drehte japsend das Gesicht weg von ihr und erhob sich schnelle als nötig.

„I-ich-… ich sollte üben, wie der Meister es befohlen hat!“ stammelte er, „Danke für das Gespräch, Herrin. Ich stehe in Eurer Schuld.“

„Nicht doch,“ sagte Ruja ebenfalls verdutzt, als er rasch die Teestube verließ und dabei fast mit Keisha zusammen stieß, die gerade mit einem Tablett mit Tee und Keksen kam.

„Du lieber Himmel, was ist denn jetzt los?“ fragte die Frau entsetzt, als der Junge wortlos an ihr vorbei stampfte. Ruja stand auf und verneigte sich.

„Verzeih, das ist wohl meine Schuld. Ich habe ihn verwirrt, das war nicht meine Absicht.“

„In wie fern?“ wunderte die Schwiegermutter sich und stellte das Tablett ab.

„Ich habe ihn wohl etwas zu sehr provoziert,“ räumte die Schwarzhaarige verlegen ein, „Ich sollte mich demnächst entschuldigen.“
 

Puran kam nicht zum Trainieren, während Meoran weg war. Es tat ihm leid, dem Rat des Meisters nicht gefolgt zu sein, aber er konnte sich beim besten Willen nicht konzentrieren. Er fühlte sich abscheulich; wie konnte er es wagen, Meorans Frau lüstern anzugaffen? Wie grauenhaft! Er hätte sich gern selbst geschlagen zur Strafe für seine Gedanken. Und noch schlimmer – was, wenn Ruja sie gesehen hatte? Immerhin war sie Telepathin…

Mit solchen wirren Gedanken schlug er sich die nächsten Nächte um die Ohren. Wenn er doch einschlief, waren die Träume, die dann kamen, nicht im Geringsten hilfreicher dabei, Ruja aus seinem Kopf zu verbannen. Er träumte von der Frau, die nackt vor ihm im Feuer tanzte, ihren wunderschönen, bleichen Körper bewegte. Dabei lächelte sie und ihre pechschwarzen Haare wirbelten wild durch die heiße Luft und die Flammen, als sie den Kopf zurück warf, als sie sanft seine Hände nahm und sie auf ihre Haut legte, ihn animierte, sie anzufassen. Er konnte sich nicht bewegen, er konnte nur auf seine Hände starren, die auf ihrem Bauch lagen, und er hasste sich dafür – warum konnte er sich nicht rühren? Dann, mit einem Mal, verschwanden die Flammen und Finsternis umhüllte ihn. Ruja zersprang vor seinen Augen wie Glas und er wollte schreien – aber kein Ton kam aus seiner Kehle. Statt der Frau im Feuer tanzte jetzt die Spirale im Dunkeln.
 

„Bist du wach, Junge?“

Puran fuhr keuchend aus dem Schlaf hoch. In der Tür stand Meoran, der schon seit einer Woche wieder da war, und der Junge blinzelte. Nur langsam wurde er richtig wach und erinnerte sich, wo er war – in Tuhuli. Der Traum war vorbei… er erinnerte sich errötend an den ersten Teil des Traumes und an die schöne Ruja, an ihren nackten Körper und seine brennenden Hände, die sie berührt hatten. Wie konnte er so schamlos von der Frau seines Lehrmeisters träumen?

„Ähm – j-ja, ich bin wach…“ nuschelte er so höchst verlegen und grub sich etwas tiefer in die Bettdecke. Er spürte die Hitze des vergangenen Feuers immer noch in sich… er tastete unter der Decke verstohlen nach seiner Hose und räusperte sich verlegen. Dann wunderte er sich. „Wieso kommt nicht Ruja, um mich zu wecken?“ Oh nein – sie hatte sicher gemerkt, wie er sie beim Blumen stecken angestarrt hatte, und jetzt schämte sie sich… Meoran lachte leise.

„Sie fühlt sich nicht ganz wohl, aber keine Sorge, das vergeht in ein paar Tagen wieder. Deshalb komme ich dich holen, wir sollten anfangen!“ Er zeigte zum Fenster. „Draußen liegt noch mehr Schnee als gestern und vorgestern, langsam wird es wirklich mühsam!“
 

Was immer Puran mit den Geistern machte, sie antworteten ihm nicht auf die Fragen, die er hatte. Was bedeutete die weiße Spirale? Und warum war Ruja zersplittert in seinem Traum? Die Fragen beschäftigten ihn und lenkten ihn ab, sodass der Lehrer schon am frühen Nachmittag beschloss, das Training für den Tag zu beenden.

Das Training wurde jeden Tag mit einer gesunden Runde Tee und Kaffee beendet. So gab es den Tee dieses Mal etwas früher als gewöhnlich.

„Du bist unkonzentriert in den letzten Tagen,“ bemerkte Meoran, als er beiden Tee eingoss. „Was ist los?“ Puran hustete.

„Nichts-… ich meine, ich… bin nur etwas verwirrt. Durch diese Träume, die ich habe, und…“ Er vermochte nicht weiter zu sprechen. Er konnte ihm doch nicht sagen, wie anziehend er seine Frau fand…

Meoran sprach weiter, als keine Antwort kam.

„Nun, anderes Thema… ich bin mir nicht sicher, ob deine Eltern dir das erzählt haben, aber dir ist vielleicht so oder so klar, dass du nicht allein für die Lehre hier bist… wenn du zurück nach Hause kehrst, wirst du ein ausgebildeter Schwarzmagier und vor allem ein Mann sein, Puran. Aus diesem Grund hat dein Vater meine Frau gebeten, mit dir das Blutritual durchzuführen. Da wir jetzt im Winter nicht so viel machen können… werden wir das in zehn Tagen abhalten.“

Der Jung starrte ihn verblüfft an und saß eine Weile da, unfähig etwas zu erwidern. Das Blutritual? Das war das Ritual des ersten Eindringens eines Mannes in den Körper einer Frau – Moment!

„Was, wie, ich – ich meine, d-das heißt, ich soll mit Eurer Frau schlafen?!“

„Genau genommen sie mit dir; und es ist ein heiliges Ritual, Puran. Das ist anders.“ Meoran musste glucksen. „Du findest sie doch hoffentlich nicht abstoßend…?“

„Beim Himmel, natürlich nicht!“ schrie Puran erschrocken und wurde rot, „A-aber – aber… d-das… lasst Ihr zu?! Ihr als ihr Mann? Das ist doch – stört Euch das etwa nicht?!“

„Das hat mit mir überhaupt nichts zu tun,“ der Lehrer lächelte und trank etwas Tee, „Die anerkannten oder mächtigen, einflussreichen Leute werden oft gefragt bei Ritualen. Es heißt, etwas von der Macht des Partners geht auf denjenigen über, der erwachsen gemacht wird. Und es ist unsere Pflicht, dem nachzukommen, es ist der Wille der Geister. Und die Geister bestimmen, wen welcher Vater für sein Kind auswählt… und deiner hat für dich Ruja bestimmt. Und sie wird ihrer Pflicht mit Stolz nachgehen, so, wie ich dich mit Stolz ihr anvertrauen werde.“ Der Junge erbleichte. Stolz? Der war gut – der wusste ja nicht, was in ihm vorging! Der wusste nicht, wie er seine Frau angesehen hatte, dass er von ihr geträumt hatte… das war definitiv keine gute Idee, fand Puran entsetzt.

Aber er konnte sich nicht sträuben… die Geister würden ihren Willen durchsetzen, mit oder ohne sein Einverständnis.
 

In dem Falle eher ohne sein Einverständnis, dachte Puran sich verstimmt, als er am Morgen des schicksalhaften Tages auf dem Fensterbrett in der Teestube neben Rujas Steckblumen hockte und hinaus starrte in die trübe Frostlandschaft. Es hatte extrem gefroren und an hinausgehen und üben war gar nicht zu denken. Bei den Gedanken an die bevorstehende Nacht wurde ihm nicht gerade kalt… er schauderte.

Reiß dich zusammen! Das ist nicht das, was es scheint! Es ist eine Zeremonie, nicht mehr und nicht weniger…

Für sie würde es das sein, räumte er verstohlen ein. Aber für ihn nicht… er konnte beim besten Willen nicht nur eine Zeremonie sehen bei den Gedanken, mit der hübschen Frau das Bett zu teilen. Er dachte beklommen an die unartigen Träume der letzten Nächte und schüttelte sich.

„Warum macht ihr das mit mir, Geister?“ murrte er das Fenster und den Frost an. „Warum musste es ausgerechnet Ruja sein? Hätte es nicht irgendeine beliebige Dorfnutte sein können?“

Wäre es eine unbedeutende Fremde gewesen, hätte es ihm nichts weiter bedeutet…
 

Der Abend und die Nacht kamen schnell. Zu schnell für den Jungen, der sich plötzlich noch nicht dazu bereit fühlte, ein Mann zu werden. Erst recht nicht durch Rujas schönen, zierlichen Körper, den er nicht ruinieren wollte… und da stand er dann, mit nicht mehr als einem seidenen Tuch bekleidet, seine Haut mit Öl bestrichen und mit traditionellen Mustern der Geister bemalt auf Gesicht, Armen und Beinen. Und da stand er vor der Tür, hinter der die Frau auf ihn warten würde. Hinter ihm stand sein Meister, der ihn bemalt hatte und zur Feier des Tages sogar seinen schwarzen Umhang trug.

„Ich kann da nicht reingehen,“ brummte Puran verlegen. „Das geht nicht.“

„Dann werde ich dir den Fluchtweg versperren,“ grinste Meoran, „Du kannst nicht zurück oder hinaus.“

„Das ist sexuelle Nötigung.“

„Das ist das Blutritual, die Geister dürfen sowas.“

„Na toll. Vielleicht soll ich mich jetzt auch noch geehrt fühlen, Eure Frau schänden zu dürfen?“

„Wer spricht von schänden? Jetzt mach keinen Ärger, sonst verhaut deine Mutter mich, dein Vater vermutlich dazu, oder er hüpft zumindest neben ihr auf und ab und feuert sie an… willst du mich sterben sehen, Puran…?“

Wie dramatisch.
 

Der Junge schloss die Tür hinter sich und zog keuchend die Luft ein, als er sich gegenüber das hübsch hergerichtete Bett sah, in dessen Mitte Ruja saß, nackt auf den seidenen Tüchern, die das Bett bedeckten. Ihre schönen Haare fielen ihr offen über die Schultern. Ihre Haut war ebenfalls eingeölt und bemalt wie seine und sie glänzte wie ein neugeborenes Baby im fahlen Schein der Öllampen, die am Boden standen und den Raum nur spärlich erhellten. Als ihn ihr Blick aus den blauen Augen traf, fuhr er zusammen und stieß rücklings gegen die geschlossene Tür. Ruja lächelte ein hinreißendes Lächeln und er beobachtete entzückt die Grübchen in ihren Wangen, vergaß für einen kurzen Moment, wozu er hier war… wozu sie beide hier waren.

Es fühlte sich falsch an, irgendwo in seinem Inneren, und sein Geist sträubte sich... nur die Hälfte. Die andere Hälfte seines Geistes stierte die Frau an mit dem Begehren eines Erwachsenen, mit der ungebändigten Lust auf die Berührung und Vereinigung mit ihrem schönen Körper. Hin und her gerissen von seinen zwei verschiedenen Meinungen stand er lange unschlüssig da und konnte sich nicht rühren. Das Feuer in den Öllampen flackerte vor seinen Augen und schien den Raum einzukreisen, die Frau zu umrahmen, als wäre sie eine Feuergöttin, gebettet auf Tüchern aus Lava und Asche…

„Komm zu mir,“ lud sie ihn ein und rückte ein Stück zur Seite, riss ihn damit aus seinen Gedanken. Puran errötete. Er wusste nicht, ob sie ihn mit irgendeiner Telepathenkunst dazu zwang oder ob die Geister seine Beine bewegten, sodass er zum Bett herüber kam und sich neben sie setzte. „Du fürchtest dieses Ritual, Puran…“ stellte sie flüsternd fest und er erschauderte und zog das Tuch enger um seinen nackten Körper, als sie mit der Hand durch seine zerzausten Haare fuhr.

Er konnte nicht antworten.

Die Frau drehte sich ganz zu ihm hin, ehe sie aus dem Nichts eine Schale mit dunkler Flüssigkeit vor sich auftauchen ließ. Sie hielt sie ihm mit erröteten Wangen hin.

„Trink!“ befahl sie sanft, „Schmeckt abscheulich, aber es nimmt dir die Angst…“ Das klang einladend, so nahm er ihr die Schale ab und kippte deren Inhalt entsetzt seinen Rachen hinunter; und hätte sich darauf beinahe übergeben ob der Abscheulichkeit des Getränkes. Sie hatte nicht übertrieben… er schmeckte Blut und eine grauenhafte Menge Alkohol von gegorenen Beeren…

Das nächste was er spürte, war, dass er ins Bett herunter gedrückt wurde und wie Ruja sich über ihn beugte, ihn anstrahlend. Er keuchte ungehalten und fuhr abermals zusammen, als sein Kopf zu schmerzen begann. Ihre Hände glitten über seinen bemalten Körper, sie streichelten seine Brust und seinen Bauch hinab, wie in seinem Traum… Puran japste.

„N-nicht weiter…!“ Er hob benommen den Kopf und ihm schwindelte plötzlich. Als er an sich herunter sah, hatten ihre fleißigen Hände das Tuch von ihm entfernt und seinen Körper entblößt. Sie beugte sich über sein Gesicht und senkte ihres zu seinem herab, strich mit den warmen Fingern über seine bebenden Lippen. In seinem Kopf drehte sich alles. Er sah das Feuer der Öllampen im Himmel tanzen und die nackte Frau über sich, diese eine Frau, die er gleichzeitig fürchtete und so sehr begehrte… eine unangenehm drückende Hitze stieg ihm mit dem Alkohol des Getränkes zu Kopf. Ja, davon hatte er geträumt… dass sie im Feuer tanzen würde, dass sie ihn berühren würde… er konnte sich nicht bewegen und keuchte heftiger, als ihre zarten Finger, mit denen sie sonst Blumen steckte, weiter an seinem Körper hinab streichelten. Sie beugte ihr hübsches Gesicht ganz dicht über seines, dass sich ihre Nasenspitzen kurz berührten.

„Wovor hast du… solche Angst…?“ wisperte sie, als er den Kopf reflexartig wegdrehte.

„Du bist… Meorans Frau…“ stöhnte er und errötete unwillkürlich, als das Feuer des Raumes auch auf seinen Körper überging und er die Flamme in seinen Lenden zum ersten Mal in dieser Heftigkeit wahrnahm. Er stöhnte noch mal. Ruja strich mit einer Hand über seinen Hals.

„Du berührst nur den Körper dieser Frau,“ sagte sie, „Die Blutgeister werden meinen Körper besitzen und dich zum Mann machen, sobald du mich berührst… Meoran hat damit nichts zu tun.“

Das sagte sie so leicht…

Das war das letzte Vernünftige, das er dachte, bevor die gegorenen Beeren ihm endgültig die Sinne vernebelten.
 

Das Feuer der Lampen flackerte, als Ruja sich aufsetzte und seine Hände in ihre nahm, um sie auf ihre Brüste zu legen. Er hörte sie reden in der Wolke aus Benommenheit und Erregung, er schnappte nach Luft bei dem Gefühl ihres weichen Fleisches in seinen Händen. Anders als in seinem Traum war er jetzt fähig, sie zu berühren, sich zu bewegen. Ruja lehnte den Kopf in den Nacken und seufzte leise.

„Lass mich dir etwas über… die Geschichte dieses Rituals erzählen,“ flüsterte sie, und ihr Kopf schnellte wieder herab und sie beugte sich über ihn, ihre Hände zogen Spuren aus Feuer über seine Haut und ließen ihn aufstöhnen. „Einst wurden nur Mädchen so zu Frauen gemacht. Ein Mädchen war erst dann eine Frau des Stammes, wenn der führende Magier der Gruppe sie dazu gemacht hatte. Das war sehr wichtig, um die Geister gütig zu stimmen, die das Mondblut bringen und die Frauen fruchtbar machen. Ohne diese Geister könnte keine Frau Kinder bekommen und die Menschen würden aussterben. Irgendwann kam einer auf die Idee, dass auch die Jungen zum Wohle der Geister und des Stammes eingeführt werden sollten in diesen Lebensbereich. Weil man im Gegensatz zu Mädchen bei Jungen den Zeitpunkt nicht an einer Monatsblutung festlegen konnte, beschloss man, es bis zum sechzehnten Lebensjahr durchzuführen.“ Sie kicherte leicht, als er sie anstarrte und abermals keuchte, mit den Blicken darauf ihre Hände verfolgend, die über seinen Körper wanderten. Die Hitze im Raum wurde stärker und die Luft immer schwerer, dachte er entsetzt. Seine Hände berührten ihre Haut, ihren weichen Busen und fuhren hinab über ihren Bauch zu ihren Hüften. „Zurecht sagte man zu jener Zeit, warum sollen nur die Mädchen lernen, wie man sich vereint? Wenn die Männer es alle nicht beherrschen, können sie auch keine Kinder zeugen und das wäre eine Schande für die Geister… weißt du, Puran…“ Sie strahlte ihn an und seufzte leise, als er an ihren Hüften auf und ab strich und die Hitze auch in ihren Lenden entfachte. Sie erzitterte unter seinen Händen und er erhob sich japsend, bis er saß und sie breitbeinig über seinem Schoß kniete. Ihre Hände fassten um seinen hals, damit sie nicht umfielen. „Ich denke, sie hatten recht…“

„Womit…?“ stöhnte er nervös und errötete über und über, als eine ihrer Hände seinen Hals verließ und zwischen seine Beine fasste. Sie neigte ihr Gesicht so dicht an seines, dass ihre Lippen kaum einen Zoll voneinander entfernt waren.

„Warum sollen sich Frauen Zeit ihres Lebens die Mühe geben, ihre Männer zu befriedigen, wenn die Männer ihnen nicht denselben Gefallen tun können?“ flüsterte sie lächelnd und er starrte sie an und fragte sich, ob sie auch betrunken war. Ihm schwindelte. Er war hart vor Verlangen nach dieser Frau, die seelenruhig über ihm kniete und redete, und er spürte ihre Hand, die ihn berührte und fast um den Verstand brachte. „Oh ja, ich werde dich heute Nacht zum Mann machen, Puran, und ich werde… die zeigen, was du tun musst, wenn du eine Frau liebst… wenn du später einmal eine heiratest, wird sie strahlen.“ Er sah sie ungläubig an und ihre Blicke trafen einander. Er sah in ihren eisblauen Augen kein Eis… sondern das Feuer seiner Lenden, das sich darin widerspiegelte. „Berühr mich…“ verlangte sie keuchend und ergriff vorsichtig eine seiner Hände auf ihren Hüften. Er erschauderte, kam ihrer Forderung aber nach, während sie ihre Stirn keuchend gegen sine lehnte und ihre Lippen erzitterten.

Ihre Haut war weich und heiß, als er sie neugierig berührte, schwindelig von dem Alkohol, den sie ihm gegeben hatte. Er keuchte leise ihren Namen, als sie ihn sanft hinunter ins Bett drückte, dann schrie er entsetzt auf und fuhr wieder hoch, als sie sich auf ihn setzte und er plötzlich in sie eindrang. Sie drückte ihn wieder herunter.

„Entspann dich,“ sagte sie keuchend und er sah die Röte in ihr schönes Gesicht steigen, als sie auf seinem Unterleib saß und vorsichtig anfing, sich zu bewegen.

Die Welt brannte. Und Puran brannte auch, als er zuließ, dass sie ihn berührte, dass sie ihn führte und er sich ihren Bewegungen anpasste. Und sie sich seinen, als er sie mit einem Mal umwarf auf das Bett und sich keuchend über sie rollte. Er spürte ihre Hände auf seiner Brust und hörte ihr leises Stöhnen, als er erst vorsichtig, dann etwas mutiger tiefer in sie eindrang, sich leicht zurückzog und erneut eindrang. Die Frau zog ihn zu sich herab und umarmte seinen Nacken, sie erzitterte am ganzen Körper vor Ekstase und wisperte:

„Verkrampf dich nicht so, entspann dich! Du spürst… das Feuer… nicht wahr?“ Sie streichelte ihm ein paar haare aus der verschwitzten Stirn und suchte mit dem Blick nach seinen vor Alkohol und Lust vernebelten Augen.

„Ich halte das… nicht aus, Ruja…“ stöhnte er laut und kniff die Augen zusammen. Sie lächelte und schlang zärtlich die Beine um seinen Rumpf, damit er tiefer in sie eindringen konnte.

„Du musst es beherrschen… im selben Moment, in dem das Feuer dich… beherrscht, bist du auch sein Meister…“ stöhnte sie leise und umschlang ihn fester, trieb das Feuer zwischen ihnen weiter und ihn dazu an, sich schneller und intensiver zu bewegen.

Ihm schwindelte abermals, als er sich über sie beugte und sie sich stöhnend an ihn klammerte, als er sie berührte und sie nahm wie ein Mann. Das Feuer war heiß und schien ihn von innen zu erdrücken. Plötzlich wusste er nicht mehr, dass es Meorans Frau war, mit der er sich vereinte… die Flammen tanzten in Rhythmus ihrer Bewegungen und er starrte sie an, verfolgte ihren Tanz mit den Augen und versuchte, sich ihnen anzupassen… Als er wieder zu Ruja sah, die unter ihm lag und zu ihm hinauf sah, schnappte er keuchend nach Luft. Da war nicht Ruja, als er in ihre flammenden Augen sah, da waren die Geister, und sie berührten ihn und schürten das Feuer in seinem Inneren. Er warf stöhnend den Kopf in den Nacken, als er die Hände der Frau wieder über seinen Oberkörper gleiten spürte, fühlte, wie sie ihn streichelte und stimulierte.

„Die Welt… brennt so…“ keuchte er erregt und sie stöhnte lauter.

„Es ist ein… gutes Feuer, Puran…“ Sie klammerte sich stöhnend an die Hitze seines Körpers über ihr und presste sich gegen seinen Unterkörper, und sie lehnte keuchend den Kopf in die Kissen, als er sich mit einem letzten Stoß seiner Ekstase hingab, als der Tanz seinen Höhepunkt fand und das Feuer in seinem und ihrem Inneren explodierte. Er warf sich über sie und atmete an ihrer Schläfe heftig ein und aus, als er sich in ihr ergoss. Die Hitze betäubte ihn und er rollte sich stöhnend von der Frau, um neben sie ins Bett zu fallen. Ein berauschendes, heißes Gefühl überkam ihn und er rollte sich zitternd zur Seite. Er spürte das Feuer noch immer brennen und sein Herz laut pochen, aber zu seinem Erstaunen fühlte es sich unglaublich gut an…

Rujas Hände glitten zärtlich über seine Seite, während sie sich zu ihm umdrehte und sanft von hinten streichelte. Er spürte ihre warmen, weichen Lippen an seiner Schulter, dann umfingen ihn Müdigkeit und Finsternis.
 

Als er erwachte, hatte er Kopfschmerzen. Es musste mitten in der Nacht sein, es war stockfinster und er fand sich im Bett liegend, in dem Meorans Frau ihn zum Mann gemacht hatte. Das Feuer war heruntergebrannt, sowohl in den Öllampen als auch in seinen Lenden. Ruja lag hinter ihm, war das zweite, das er bemerkte, und als er sich zu ihr umdrehte, dachte er zuerst, sie schliefe. Aber sie schlug die Augen auf und lächelte sanft.

„Ich habe mir gedacht, du würdest jetzt in etwa aufwachen,“ sagte sie. Er errötete, als er sie ansah. Sie war nackt und die Bemalungen auf ihrer Haut waren vom Schweiß verwischt und verlaufen. Sein Blick verharrte kurz auf ihren Brüsten. Sie waren nicht besonders groß, aber trotzdem hübsch, und er erinnerte sich beschämt, dass er sie mit Vergnügen angefasst und gedrückt hatte. Als sein Blick weiter hinunter schweifte, wurde ihm unangenehm heiß und er senkte den Kopf rasch, um sie nicht weiter anzustarren.

„Soll ich… jetzt wieder in mein Zimmer?“ nuschelte er, und Ruja legte sanft eines der Laken über seinen Körper, dann eines über ihren eigenen.

„Bleib heute Nacht hier,“ bat sie ihn. „Wenn du wegläufst, wirkt der Zauber vielleicht nicht richtig.“ Er schwieg und wagte nicht, sie anzusehen. Sie las seine Gedanken: „Dir ist es so unangenehm, bei mir zu liegen? Bin ich dir abstoßend, Puran…?“

„Nein!“ Er reagierte heftiger als sie geahnt hatte und sie fuhr zurück. Er errötete. „Ich meine… d-du bist wunderschön und… das… ist ja das Problem! Ich begehre dich, Ruja, auf eine Weise, die ich nicht sollte, du… bist Meorans Frau! Ich komme mir vor, als hätte ich dich geschändet, w-wie konnte ich nur-…?“ Sie unterbrach ihn, indem sie vorsichtig einen Finger auf seine Lippen legte und er verstummte.

„Denk nicht darüber nach,“ sagte sie. „Was du fühlst, ist völlig natürlich für einen Jungen – ähm, jungen Mann deines Alters. Es wird wieder vergehen, glaub mir.“

„Woher willst du das wissen?“

„Hör auf dein Herz, Puran. Es wird… mir zustimmen, wenn du gut hinhörst.“
 

Sein Herz sagte gar nichts. Während der Winter an Tuhuli vorbei zog und keinerlei großen Schaden anrichtete, versuchte er, sich von Ruja fernzuhalten. Sie machte es ihm nicht leicht; erst als der Frühling kam, war sie plötzlich sehr viel seltener im Anwesen oder in seiner Nähe. Ob absichtlich oder nicht, vermochte Puran nicht zu sagen, er war ihr nur dankbar. Es tat ihm leid, falls er sie verletzt hatte, weil er Abstand von ihr suchte, Ruja war eine so liebenswerte Frau… nur in seinem Fall etwas zu liebenswert. Auf keinen Fall durfte er jemals zulassen, dass er irgendetwas Unsittliches über sie dachte, geschweige denn sie auf eine Weise anrührte, die ihm nicht gebührte. Er wollte seinen Lehrmeister auf keinen Fall betrügen, das war abartig und pietätlos.

Der Frühling kam schleichend wie eine alte Greisin. Zuerst merkte man gar nicht, dass es wirklich Frühling wurde, erst mit dem Kälbermond war der Schnee endlich ganz abgetaut und die ersten kleinen Blumen erblühten im Garten von Chimalis’ Anwesen.

Puran hatte keine Zeit für die Blumen. Er musste lernen; je länger er in Tuhuli war, desto weniger qualvoll erschienen ihm die Lehre und die Magie. War er am Anfang wirklich allein für Travi gekommen, dem er das schuldete, wie er meinte, so hatte sich seine Denkweise über diesen Teil seiner Bestimmung grundlegend geändert. Meoran war die Veränderung auch aufgefallen.

„Wenn ich an den ersten Tag zurückdenke, den wir gemeinsam geübt haben – oder es versucht haben, du warst ja nicht wirklich bei dir – erstaunt mich diese Verwandlung, die du im Begriff bist, durchzumachen, umso mehr,“ sagte er zu seinem Schüler, während sie zusammen auf der Veranda saßen und rauchten.

„Verwandlung?“ machte Puran ein wenig irritiert, ohne zu ihm herüber zu sehen.

„Als du hierher kamst, warst du ein bockiger kleiner Junge, der nur gezaubert hat, weil er sich gezwungen sah, dem die Geister zürnten und nicht mehr mit ihm sprechen wollten… jetzt bist du ein Mann. Du bist erwachsen geworden in dem dreiviertel Jahr, das du hier warst.“ Der Jüngere errötete. Ein Mann, ja… seine Frau hatte ihn dazu gemacht. An Ruja zu denken schmerzte ihn und er verdrängte das Bild ihres hübschen Gesichtes schnell aus seinen Gedanken. Was Meoran dann sagte, ließ ihn dann doch entsetzt herumfahren.

„Was Ruja angeht, sei ihr nicht böse. Sie ist zwar ein wenig älter als du, aber in meinen Augen noch immer sehr unbeschwert und naiv für ihr Alter. Sei ihr nicht böse, dass sie glaubt, es wäre so einfach, sie aus deinem Kopf zu verbannen.“

„W-… was?!“ japste Puran und verlor vor Schreck die Kippe aus der Hand, „Ihr – Ihr wisst…?!“

„Ich kann es dir ja schlecht verübeln, sie ist bildschön, klug und sanft. Früher war sie noch unbeschwerter… je älter sie wir, je mehr sie zu einer wirklichen Dame heranreift, desto mehr muss sie davon einbüßen. Ruja mag dir immerzu lächelnd erscheinen, aber sie… hat genauso Komplexe wie jeder Mensch seine eigenen hat.“ Der Junge blinzelte.

„Aber… macht Euch das gar nicht wütend, dass ich sowas-…?!“

„Warum sollte es mich wütend machen?“ gluckste der Mann, „Du würdest sie niemals gegen ihren Willen anrühren. Das weiß ich, das sehe ich in deinen Augen. Ruja hat dich sehr, sehr gern, sie redet gerne von dir, wenn wir zusammen sind. In deinen Augen mag sie im Moment die perfekte Frau sein, aber glaub mir, das wird vergehen, damit hat sie vermutlich recht.“

„Moment, Ihr habt keine Angst, dass sie Euch weglaufen könnte, wenn sie dauernd von mir redet?“

„Natürlich nicht!“ Meoran kicherte amüsierter denn je. „Das wirst du lernen, wenn du älter wirst, Vertrauen… ist eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Mensch haben kann, finde ich. Und ich vertraue meiner Frau und dir… davon abgesehen, wollte sie tatsächlich weglaufen und lieber an deiner Seite bleiben, würde ich sie nicht abhalten. Zu viele Männer sehen ihre Frauen als Besitztümer, die sie an sich binden wollen… Ruja verdient es nicht, zu einem Gegenstand der Begierde degradiert zu werden. Sie ist ein Mensch und hat Gefühle. Wenn sie sich in irgendeinen anderen Mann unsterblich verlieben würde, würde ich sie gehen lassen, damit sie glücklich wird.“

„Aber… macht Euch das nicht traurig? Liebt Ihr sie… denn nicht auch?“

„Sicher tue ich das. Und natürlich würde es mich schmerzen, aber ich würde dieses Opfer bringen, eben weil ich sie liebe und es nicht um das geht, was mich glücklich macht, sondern um das, was sie erfreut. Wenn man jemanden so sehr liebt, dann… sind die eigenen Bedürfnisse plötzlich nicht mehr so wichtig. Hab keine Angst, du wirst das schon noch erfahren, wenn du älter bist.“

Puran konnte sich das nicht vorstellen. Er fragte sich, was er tun würde, wenn er eine Frau hätte und die aber einen anderen lieben würde… gerade, weil er seine Frau liebte, würde er doch nie zulassen, dass es soweit kam, oder? Meoran war durchaus seltsam.

Der Mann zog an seiner Zigarette und tätschelte seinem Schüler die Schulter, ehe Puran erneut ansetzte:

„Wie… fühlt sich das an, Meister? Jemanden so… gern zu haben, dass man ihm zuliebe alles aufgeben würde?“

„Das wiederum wäre selbstlos, du musst ein Mittelmaß finden. Ich würde vieles für Ruja geben, aber sicher nicht alles, denn das würde sie niemals wollen. Es ist kompliziert…“

„Eure Eltern haben Euch doch mit ihr verlobt, woher… wusstet Ihr dann, dass Ihr sie liebt, wenn Ihr sie Euch nicht ausgesucht habt?“

„Das kam natürlich erst nach längerer Zeit. Aber je länger man mit einem Menschen zu tun hat, desto enger wird die Beziehung, die man miteinander aufbaut. Und irgendwann haben wir beide dieses… unsichtbare Band gespürt, das uns miteinander verbunden hat. Die Geister haben gewollt, dass es so kommt. Sie haben gewollt, dass wir zusammen kommen, deswegen haben sie uns aneinander gebunden. Und wenn wir zusammen sind, spüren wir es beide, dass wir… füreinander bestimmt sind. Wenn du so etwas spürst in der Gegenwart eines Menschen, dann… ist es recht so.“

Puran erstarrte für einen Moment. Plötzlich musste er an de kleine Cholena aus Rathuk denken und erbleichte.

„Dennoch habe ich… wenn ich mit dir spreche ein Gefühl der… tiefen Vertrautheit, als würden… wir uns seit Zeitaltern kennen. Wir beide haben in der kurzen Zeit, die wir uns kennen, viel voneinander gelernt. Spürst du sie auch...? Diese Verbundenheit?“

Ja, er erinnerte sich deutlich an den Tag, an dem er mit ihr am Undim gesessen hatte, an dem sie ihm die Hand gegeben und ihn angelächelt hatte. Er hatte es auch gespürt… diese engste, tiefste Verbundenheit, obgleich er das Mädchen kaum kannte. Plötzlich und ohne einen ersichtlichen Grund sehnte er sich nach dem kleinen blonden Mädchen. Er fragte sich, ob er sie noch mal wiedersehen würde, wenn er zurückgekehrt war…

„Wieso wollen die Geister Dinge, ohne dass wir Einfluss darauf haben…?“ nuschelte er verlegen, dem Meister den Rücken kehrend, als er aufstand und auf den im Tau glitzernden Garten sah. „Warum gibt es Geisterjäger, wenn sie die Geister nicht jagen, sondern in Wahrheit immer von ihnen gejagt werden?“

Meoran lachte leise. Er zog abermals an seiner Zigarette, ehe er antwortete.

„Wenn das jemals einer herausfindet… wenn einer den wahren Willen der Geister zu verstehen vermag, dann wird er ein wirklich sehr weiser Mann sein.“
 

Die folgende Nacht war die erste, in der er in seinen Träumen nicht Ruja sah, die im Feuer tanzte und ihn berührte. Stattdessen sah er Cholena, und sie tanzte nicht im Feuer, sondern in der Dunkelheit. Ihre blonden Haare wirbelten durch die Dunkelheit und ihr Schimmer schien das einzige Licht zu sein. Das Mädchen lächelte ihn an und selbst im Traum hatte er das Gefühl, sie nach einer Zeit von jahrtausenden wiederzusehen, sie schon ewig intimst zu kennen. Er verfolgte sie mit den Blicken, wie sie tanzte und lachte, und sie strahlte ihn an und war wunderschön, wie ein leuchtendes Geistermädchen.

„Komm zu mir…“ wisperte sie lächelnd und nahm seine Hand in ihre, ehe sie sich an seinen Hals hängte und ihn zärtlich umarmte. Sie war ganz leicht, als sie an ihm hing, und er fürchtete sich, sie fester anzufassen, weil sie so zerbrechlich erschien –

Dann wurde es plötzlich stockfinster, Cholena verschwand vor seinen Augen. Die Geister sprachen mit schnarrenden, bösen Stimmen.

„Glück… ist nur eine Illusion. Eigentlich gibt es es gar nicht.“ Puran drehte sich um und fand sich plötzlich mitten im nichts stehen; nicht mal mehr Finsternis war um ihn herum, da war nichts. Eine gähnende Leere, und er fürchtete sich mit einem Mal so sehr, dass er erzitterte und die Geister ihn verspotteten.

„Du kannst unseren Willen nicht kennen, Puran Lyra. Die Geisterjäger können uns zwar für kurze Momente beherrschen, aber keiner kann es für immer.“

„Das verlange ich auch nicht!“ erwiderte er, „Ich verlange nur Antworten auf die Bilder! Was sind die Spiralen Warum tanzen sie in der Finsternis?“

Die Geister gaben ihm keine Antworten. Stattdessen sah er die ominöse Spirale erneut auftauchen. Und das unbehagliche Gefühl wurde stärker denn je, wie eine grauenhafte Angst befiel es ihn und packte seine Kehle mit eisigen Klauen. Es erinnerte ihn unangenehm an seinen verstorbenen Großvater, diesen Wahnsinnigen… aber das Gesicht, das plötzlich vor ihm auftauchte und ihn anstarrte, war das eines anderen Mannes. Er kannte ihn nicht, als er in die grünen Augen starrte, aber die Panik in ihm wurde größer und mächtiger… bis der Mann mit einem gehässigen Grinsen den Mund öffnete und de zugespitzten Eckzähne entblößte.

„Du kannst nicht davonlaufen vor der Vergangenheit, Puran.“

In dem Moment, in dem der Mann mit der wahnsinnigen Fratze von Kelar Lyra den Arm nach ihm ausstreckte und ein gleißendes Licht aus purer Boshaftigkeit daraus auf ihn zuschoss, erwachte Puran entsetzt keuchend aus dem Traum.

„Du kannst nicht davonlaufen…“ hallten die gackernden Geisterstimmen in seinem Kopf nach. Er drehte sich keuchend auf die Seite und ignorierte die Stimmen, so gut er konnte, ehe er sich verkrampft an der Decke festkrallte.

„Nein, das nicht… aber ich kann stehenbleiben und ihr entgegen starren, bis sie aufgibt und vor meinen Füßen kriecht!“ zischte er grantig, „Ich… werde mich nicht von euch an der Nase herumführen lassen, Geister!“
 

„Du kannst nicht davonlaufen…“
 

„Du willst was?“ Meoran sah seinen Lehrling perplex an, als dieser höflich tief verneigt vor ihm stand.

„Lehrt mich jetzt, die Geisterwinde zu beschwören!“ wiederholte er, „Ich verspreche Euch, ich werde Euch keinen Anlass geben, Euch zu ärgern!“

„Das ist so ziemlich die letzte Übung, die ich mit dir machen kann,“ erinnerte Meoran ihn ernst, „Die Geisterwinde zu rufen, die Kinder Vater Himmels, das ist das Metier eines wirklich ausgebildeten Schwarzmagiers. Du magst ein Genie sein, Puran Lyra, aber so überragend, dass du das drei Monde früher als normal schaffen könntest, bist du auch wieder nicht, bei allem Respekt.“

„Ich gebe Euch mein Wort,“ machte Puran nicht minder ernst, „Wir können ja wetten, das mögt Ihr doch? Wenn ich verliere, schulde ich Euch Tee bis zum Ende meines Aufenthaltes.“

„Wenn du nicht verlierst, ist dein Aufenthalt überdies vorbei,“ räumte Meoran ein und der Schüler blinzelte. „Wenn du das… tatsächlich schafftest, gibt es nichts mehr, was ich dir beibringen könnte.“ Puran schwieg eine Weile, bis der Meister fortfuhr und hinaus sah in den sonnigen Garten. Es wehte kaum Wind. „Wie kommst du zu dieser absurden Idee, Puran? Sag’s mir, ich bin neugierig. Was überzeugt dich, dass du das schaffen könntest?“

„Ich werde nicht nachgeben, bis ich es schaffe, ganz einfach,“ war seine Antwort, „Die Himmelsgeister werden auf mich hören.“ Meoran zog eine Braue hoch und war nicht ganz überzeugt. Der Junge war übernatürlich begabt, er hatte selbst für seinen Clan eine sehr schnelle Auffassungsgabe und lernte rasch, aber das machte ihn nicht zu einem Überflieger. Als er dem Jungen eine Weile ins Gesicht sah, erkannte er aber weder Scherz noch Irrsinn in ihm… er meinte es absolut ernst.

„Warum?“ wollte er so noch wissen, und Puran senkte den Kopf.

„Weil ich nicht mehr von diesen Träumen gejagt werden will… wenn die Geister wissen, dass sie mich zu respektieren haben, werden… sie mir vielleicht Antworten geben.“
 

„Denk dran, du schuldest mir Tee, wenn du das nicht hinbekommst,“ sagte der Meister nachdenklich, als sie wenige Moment später im Garten standen und er seine Arme in den Himmel hob. „Die Geisterwinde zu rufen ist keine ungefährliche Sache. Wenn dien Geist und dein Körper nicht perfekt zusammenarbeiten, wenn dein Körper oder deine Seele nicht die Kraft dafür haben, dann können diese mächtigsten Zauber der Schwarzmagier dich umbringen. Wenn du es falsch anpackst, können sie dir ewig zürnen oder dich verfluchen… es ist eine Kunst, die man gut üben sollte und… ich bezweifle extrem, dass du das beim ersten Versuch schaffst… sieh mir zu! Du musst jetzt all das anwenden, was ich dich im vergangenen Jahr gelehrt habe! Erlaubst du dir auch nur einen klitzekleinen Fehltritt, könnte das fatal enden.“

„Ich habe verstanden,“ meinte der Junge ernst nickend und sah Meoran zu, als dieser den Kopf ebenfalls in den Himmel hob und die Hände hoch hinaus streckte.

„Dann sieh und lerne, und beschwer dich nicht bei mir, wenn du nachher tot auf dem Boden herum liegst! – Na toll, deine Mutter wird mich häuten und grillen, wobei ich nicht sicher bin, in welcher Reihenfolge.“ Er warf den kopf in den Nacken und der Himmel zog sich über ihnen zusammen, als er fortfuhr und mit lauter Stimme rief: „Geister des Himmels, Geister der Erde!“ Puran wartete, was er noch sagen würde, aber zu seiner Verblüffung sagte Meoran gar nichts mehr. Stattdessen verdunkelte sich mit einem Mal der Himmel über ihnen und die Wolken brauten sich zu unheilschwangeren Türmen zusammen. Mit einem mal erschauderte Puran auch wie die vom plötzlich aufbrausenden Wind geschüttelten Bäume um ihn herum, als ihn ein kalter Schauer überkam; aber es war anders als der grauenhafte Schauer, den er spürte, wenn er die weiße Spirale in seinem Traum sah… als er in des Meisters Gesicht sah, fuhr er erbleichend zurück; denn vor ihm stand nicht sein Meister, vor ihm stand ein gefährlicher, mächtiger Mann mit seiner mächtigsten Waffe. Seine blauen Augen hatten sich verändert und spiegelten die gesamte Macht der Geister wider, die er jetzt in den Händen hielt, für die Augen unsichtbar, aber die Seele konnte sie sehen. Meoran ließ eine Hand sinken und zückte eine schwarze Kondorfeder.

„Jetzt mach du es!“ verlangte er, „Und ich werde sehen wie weit du die Winde halten kannst… hör auf deinen Instinkt, er wird dir sagen, was du tun musst!“

Der Junge holte tief Luft, ehe er die Hände ebenfalls ein wenig hob, den Meister samt seiner Feder und seiner Macht anstarrend. Er dachte an seine Träume, an seine Antworten, die er haben wollte…

Cholena. Da war das niedliche kleine Mädchen aus Rathuk in seinem Kopf und er errötete bei den Gedanken an sie…

Lass dich nicht ablenken, konzentriere dich! sagte er sich selbst entrüstete, schüttelte heftig den Kopf und streckte die Hände von sich weg nach vorn, die Handflächen zum Himmel gerichtet.

„Kommt, Geister! Folgt meinem Willen, ihr werdet mir dienen auf dieselbe Weise, wie ich euch dienen werde!“

Und sie hörten auf ihn. Er spürte sie, die Geister, sie waren überall, um ihn herum, in seinem eigenen Geist, und er schloss zitternd die Augen, als er die Hände höher hob und das Kribbeln der gewaltigen Kraft auf seiner Haut spüren konnte. Wie Feuer flackerten die Bilder der Visionen vor seinen Augen, wie emsiges Flüstern vernahm er die Stimmen der Geister überall. Er hörte in weiter Ferne ein lautes Krachen aus dem Himmel. Als er die Augen wieder öffnete, sah er Meoran vor sich stehen, die Feder noch immer erhoben.

„Reicht das, um die Wette zu gewinnen?“ fragte er und spürte, wie die Kraft der Naturgeister ihn von den Beinen zu reißen drohte; Meoran grinste.

„Das werden wir gleich sehen!“ Damit warf er seine Feder auf Puran zu und der Junge erstarrte, als sie mit einem enormen Krachen gegen seine Aura schlug und die Erde erzitterte. Puran fuhr zurück und verlor das Gleichgewicht, als die Feder des Chimalis-Clans seine eigene macht im Handumdrehen zerschmetterte, als wäre sie aus Glas. Dann war es plötzlich ruhig und der Himmel klarte wieder auf.

„Was… was war das?“ machte Puran und sah entsetzt hinauf. Meorans Feder war verschwunden.

„Standhaft bleiben,“ riet er seinem Lehrling, „Deine Kontrolle ist nicht stark genug. Ich habe ja gesagt, es ist zu früh. Her mit dem Tee!“

„Noch nicht!“ schnappte Puran, „Nein, ich… gebe noch nicht gleich auf! Gebt mir mehr Versuche, dass es beim ersten Mal klappt, haben wir nicht gewettet!“

„Tapferer Junge, du solltest dich nicht überschätzen…“

Ihr… solltet mich nicht unterschätzen!“ gab Puran bissig zurück und Meoran sah ihn groß an. In den Augen des Jungen war bitterer Ernst, eine grausame Entschlossenheit und Sturheit, wie allein Nalani, Purans Mutter, sie je besessen hatte. Dieser Junge war mit Haut und Haar Nalanis Sohn. Und, egal, was sie jemals geschimpft hatte, dieser Junge war der Schattenkönigin ganzer Stolz.

Er seufzte und trat einen Schritt zurück, um eine neue Feder zu zücken.

„Gut,“ sprach er, „Dann versuch es noch mal. Wenn du standhältst und… die Feder mit deiner bloßen Aura zerstören kannst, kann ich dir nichts mehr beibringen, Puran.“
 

Sie hoben beide die Hände erneut und abermals verdunkelte sich der Himmel, als das tiefe, bedrohliche Grollen ertönte und beide Männer die Macht aufbauten, die sie beherrschen konnten. Puran schnappte mehrmals nach Luft, bebend die Arme weiter in den Himmel reißend und auf seinen Meister starrend, bereit, den Schlag seiner Feder abzufangen.

Er würde nicht wieder versagen.

Er durfte nicht.

Die Geister schuldeten ihm Antworten und er würde sie so lange zähmen, bis sie ihm gaben, was er wollte.

„Hört mich an!“ brüllte er in den Himmel, „Ich sage, ihr werdet mir gehorchen, Himmelsgeister!“ Meoran zog seine Feder höher und hob den Kopf, als es erneut aus dem Himmel grollte und sich mit einem Mal ein Platzregen über ihnen ergoss. Puran sah zu seinem Lehrer und schnappte abermals nach Luft.

Ich darf… nicht nachgeben! Ich muss… wissen, was passiert, denn was die Visionen sagen, könnte die ganze Welt zerstören, wenn es… niemand deuten kann!

„Nimm das und wir werden sehen, Puran,“ sprach Meoran amüsiert, dann warf er seine Feder erneut.

Der Junge hielt stand. Die Feder zerschellte mit einem gewaltigen Krachen, als sie in die Nähe seiner Hände kam und die Macht der Aura berührte, die darin lag. Puran strauchelte nur kurz, blieb aber auf den Beinen, während die Feder verschwand. Dann löste er die Macht selbst auf, die er gerufen hatte, und ihm schwindelte leicht. Gefäß für die Macht der Geister zu sein war auf die Dauer sicher schädlich, dachte er sich, sprach es aber nicht aus. Er stützte sich schwer atmend an seinen knien ab, ehe er grinsend zu Meoran sah, der sich durch die nassen Haare fuhr. Der Regen dauerte an.

„Und, was nun?“ fragte er, „Nichtsda Tee.“ Der Lehrer sagte eine Weile nichts. Dann nickte er und grinste auch.

„Das war der zweite Versuch und… und du hast meine Feder zerbröselt. Du… machst mir Angst,“ gab er lachend zu. „Ich weiß nicht, ob das jemand… schon mal nach nur zwei Versuchen und dann noch viel früher als normal geschafft hat…“

„Willenskraft,“ murmelte der Junge, „Oder pures Anfängerglück.“

„Nein, nein, Puran,“ widersprach Meoran, „Keiner… keiner ruft Geister durch Anfängerglück. Die Geister, Puran… kennen kein Glück.“ Er seufzte tief, dann wrang er kurz seinen nassen Umhang aus und rieb sich glucksend die Hände. „Ah, nun, gehen wir Tee trinken? Ich lade dich ein, auf einen Abschiedstee sozusagen.“

„Was, Abschiedstee?“

„Natürlich! Jetzt, da du das Schwerste beherrschst… brauchst du mich nicht länger und das heißt, du kannst heimkehren.“
 


 

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surprise xD Und hey, haut mich nicht, Puran ist nicht so ein Gary Stue wie jetzt gerade rüberkam...^^'

Das Kapi ist furchtbar, ich weiß ._____.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kimiko93
2009-11-18T13:06:41+00:00 18.11.2009 14:06
Okay, okay.

Es ist gut ein Jahr her, dass ich das zweite Blutritual ever gelesen habe. Und damals dachte ich, nichts würde es jemals an Tolligkeit toppen können. Absolut gar nichts. Und dann kam das:

„Ich kann da nicht reingehen,“ brummte Puran verlegen. „Das geht nicht.“
„Dann werde ich dir den Fluchtweg versperren,“ grinste Meoran, „Du kannst nicht zurück oder hinaus.“
„Das ist sexuelle Nötigung.“
„Das ist das Blutritual, die Geister dürfen sowas.“
„Na toll. Vielleicht soll ich mich jetzt auch noch geehrt fühlen, Eure Frau schänden zu dürfen?“
„Wer spricht von schänden? Jetzt mach keinen Ärger, sonst verhaut deine Mutter mich, dein Vater vermutlich dazu, oder er hüpft zumindest neben ihr auf und ab und feuert sie an… willst du mich sterben sehen, Puran…?“
Wie dramatisch.


Ich meine, OMG, OMG, OMG... OMG!


Und, omg, Ruja ist ja schon so'n bisschen sadistisch veranlagt, oder? Ich meine... Hockt die da erstmal rum und erzählt seelenruhig was von der Geschichte des Rituals oO'' OMG!

Ansonsten war Purans Lehre verglichen mit der von Nalani ja wohl eher deprimierend. Was daran liegen könnte, dass alle tollen LEute tot sind und die drei übrig gebliebenen Gestalten die Lücke nicht so ganz füllen können. Egal, Meoran und Ruja sind trotzdem toll. Dabei sollte ich langsam anfangen, sie nicht zu mögen, weil wegen Leyya und so. Wieso kann Puran eigentlich keine Visionen von der haben? Pffh.

Oh, und ich geb mal ein bisschen an: Saidah hat ihr Ritual von MEoran bekommen, das hat Puran in einem verbissenen Monolog zu Karana in Kapitel 9 von Buch zwei gesagt, als sie durch Arghul hechten um nach jemandem zu suchen, der das für Neisa machen kann ôô Jaaah, ich weiß sowas noch XD Was nichts damit zu tun hat, dass ich das zugehörige Kapitel in etwa 10 mal gelesen habe, neiin...

Fuuck, jetzt hab ich den Anfang von Gilmore Girls verpasst ôo'
Von:  Decken-Diebin
2009-11-02T19:50:23+00:00 02.11.2009 20:50
Neiiiin, mein Kommentar wurde gelöscht O__o... manno -.-'
Also noch mal von vorne XD
Irgendwie wollte ich das Blutritual gar nicht lesen >__< Ich mag den Gedanken nicht, dass Puran mit 'ner anderen Frau als Leyya was am Hut hat. Aber wenn ich an die Zukunft denke, find ich das mit Pakuna gar nciht so schlimm (aber immer noch merkwürdig und interessant im Bezug auf Ripaka xD)
Auch wenn ich jetzt ein bisschen verwirrt bin, fand Ruja Puranchen denn jetzt schon so interessant und so? @.@
Aber dass Puran mal wieder megatalentiert ist, war ja fast klar^^
Und ich mag diese blöden, kleinen Spiralen nicht. Arme Nalani, arme Ruja .____.

Ich hab mir mal eben aufgekritzelt, von denen wir wissen mit wem sie das Blutritual durchgeführt haben ö.ö
Saidah -> Karana, Zoras -> Neisa, Pakuna -> Zoras, Ram -> Pakuna, Tabari -> Nalani, Ruja -> Puran, Karana -> Iana, Salihah -> Zoras
Hmm~ hat Kelar es dann mit Salihah gemacht? Und Puran mit Leyya und Meoran mit Ruja? Und von wem haben's Saidah, Tabari und Ram bekommen? ö__ö Ich find's grad interessant XD
LG, Hina
Von:  -Izumi-
2009-11-02T14:12:18+00:00 02.11.2009 15:12
So, das Kappi, bei dem ich dich so dermaßen gedisst habe úû
*drop*
Na ja, meine Meinung zu den Schwarzmagiern kennst du jetzt XD
Egal, zum Kappi.
Ich fand es toll ö.ö
Gar nicht abgehackt oder so, es las sich gut und alles was zusammenhängend und so ^^
Ich finde Ruja so süß XDD
Kann es sein, dass sie ihn zum Teil absichtlich ziemlich gereizt hat? XDD
Ich meine... evil!
Aber sie steht ja echt gar nicht auf ihn, wenn ich nicht gerade völlig blöd bin, hat sie Puranchen beim Ritual noch nicht einmal geküsst úû
Ich hab so darauf gewartet >>'
Na ja, Pech.
Ich maaag Meoran ^o^
Und Schock, ich meine, Kelar ist seit 10 Jahren tot? O__o
wtf?!....


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