Zum Inhalt der Seite

Assoziatives Schreiben

One-Shots für den gleichnamigen Zirkel
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Satz 15 - Ein Wunsch

Ständig wurde er von Minuten, Stunden, Tagen, Monaten, Jahren, Jahrhunderten und Äonen verfolgt. Unsterblichkeit bedeutete Wahnsinn, Unendlichkeit quälende Langeweile. Die Welt, in der die Geister hausten war wüst und leer, unendliche, einsame Schwärze, ohne jede Möglichkeit, sich von sich selbst abzulenken. Früher oder später verlor jeder den Verstand. Um die am Boden kauernde Gestalt herum loderten Flammen auf, verschlangen die ungesehenen Konturen und gaben sie wieder frei. Sari hob den Kopf, als er das vertraute Ziehen in seinem Geist verspürte. Jemand rief ihn.
 

Das erste, was Sari bemerkte, als sein Körper sich erneut materialisierte, war schneidende Kälte. Der Wind trieb ihm kleine Eiskristalle ins Gesicht, scharf genug, um Schmerzen zuzufügen und der Feuergeist schloss genießend die Augen. Es war ein Gefühl, eine Abwechslung zur ewigen Einöde, in der er sein Dasein fristete. In wohliger Blindheit trat er einen Schritt nach vorn, dann noch einen, spürte den Schnee unter seinen Füßen und stieß ein Lachen aus. Frei! Frei nach einer gefühlten Ewigkeit...

Die Realität holte ihn in Gestalt einer unsichtbaren Barriere ein. Den dritten Schritt war er nicht zu vollenden im Stande, sein nackter Fuß traf hart auf die geballte Energie und Saris Lachen verwandele sich in ein Zischen. Die Geräusche kehrten zurück, das Tosen des Sturms und die schmerzhafte Kälte. Er war nicht frei, nur die Art des Gefängnisses hatte sich geändert.

Der in den Schnee gekratzte Kreis maß gute drei Meter im Durchmesser und jemand hatte Laternen aufgestellt. Laternen statt Kerzen? Sari unterdrückte ein erneutes Lachen, als er dessen gewahr wurde. Ein Bannkreis aus fünf Laternen, darin war er gefangen. Das war... lächerlich.

Probehalber schlug er gegen die unsichtbare Kuppel, ohne dass sie nachgab. Sari wirbelte herum und rotglühende Augen fixierten die in dicke Mäntel gehüllte Gestalt eines jungen Mannes.

„Was willst du?“, grollte er düster, bemüht seine Rolle zu spielen. Der Mensch hatte ihn aus einem bestimmten Grund beschworen und er würde ihm geben, was er erwartete. Er wollte einen furchteinflößenden Dämonen aus der Unterwelt? Den konnte er haben. Eine Handbewegung genügte, um den Schnee innerhalb des Kreises schmelzen zu lassen. Der Mensch schrak zusammen, starrte reglos auf die Pfütze inmitten des Schneesturms. Sari gluckste vergnügt, als die schmächtige Gestalt sich straffte.

„Ich habe dich beschworen, Dämon. Du musst tun, was ich dir sage“, sprach der Mensch laut und doch mit zitternder Stimme, als vertraue er seinem eigenen Bannkreis nicht. Gab es einen Grund dafür? Bevor er antwortete, ließ Sari eine Feuerkugel gegen die Grenzen des Kreises prallen, ohne ihn zum Einsturz zu bringen.

„Falsch. Du kannst mir einen Handel vorschlagen. Ob ich darauf eingehe, bleibt mir überlassen“, erklärte er ruhig und betrachtete demonstrativ seine Fingernägel. Ob der Mensch dumm oder dreist war, würde sich zeigen. Er wollte hinaus aus dem Kreis, ein Stückchen Freiheit genießen, doch den Kreis musste derjenige brechen, der ihn errichtete hatte.

„Ich will Macht, Dämon“, fuhr der Mensch fort und brachte seine Stimme erneut unter Kontrolle. Saris Mundwinkel zuckten. Scheinbar wusste der Mensch nicht einmal, dass es sich bei ihm nicht um einen Dämonen im eigentlichen Sinne handelte, sondern lediglich um einen Elementargeist. Entweder kannte er den Unterschied nicht, oder dieser war ihm egal.

„Macht willst du? Warum sollte ich sie dir geben?“

Der Wind nahm zu, ganz ohne Saris Einfluss. Nicht einmal, wenn er es gewollt hätte, hätte er dem Wind befehlen können, doch der Mensch wusste nichts davon und zuckte zusammen. Hatte er gedacht, die Kälte an diesem Ort würde den Feuergeist schwächen? Egal, der Effekt war gut.

„Hast du etwas für mich, Mensch? Etwas, das es wert ist, mich weiter mit dir zu befassen?“

Der Mensch musste ihn freilassen. Diese Welt, die Realität, war zu verlockend, um in das dunkle Nichts zurückzukehren, aus dem er kam. Dass er zuletzt den Wind gespürt hatte, lag bereits zu lange zurück. Endlose Jahrhunderte.

Leben kam in die verunsicherte Gestalt außerhalb des Kreises, als diese zu einem nahen Felsen eilte und mit zitternden Händen nach einem unscheinbaren Kelch griff. Hinter dem Felsen war etwas verborgen - Sari konnte nicht erkennen, um was es sich handelte - und nach diesem Etwas bückte der Mensch sich, um Sekunden später mit gefülltem Kelch und Triumphierendem Gesichtsausdruck zu ihm zurückzukehren.

„Ich habe eine Ziege für dich geopfert.“

Er hatte ihm eine Ziege geopfert? Der rothaarige Feuergeist unterdrückte mühsam ein Lachen, als sein Blick auf den blutgefüllten Kelch fiel. Langsam schüttelte er den Kopf. Ein Ziege...

„Nimmst du mein Opfer an?“, fragte der Mensch, den Kelch noch immer in der Hand, doch kehrte die Unsicherheit zurück.

„Nein.“

Der Mensch erbleichte.

„Warum nicht?“, fragte er irritiert und Sari spürte den Sieg nahen. Der Mensch wollte, was er ihm geben konnte, koste es, was es wolle. Umso besser. Langsam schritt er in dem Kreis auf und ab, wobei seine Füße den Schlamm aufwühlten. Sein Blick ruhte auf der in sich zusammengesunkenen Gestalt und er genoss das Gefühl, voranzukommen.

„Was ich will ist nichts als dein menschliches Leben. Nicht deinen Tod, sondern dein Leben, dazwischen besteht ein Unterschied. Es ist ein Tausch, bei dem du nichts verlierst und alles gewinnst. Du bekommst Macht über Leben und Tod.“

„Mein Leben?“

„Dein Leben. dein Leben im Austausch gegen die Macht über das Feuer. Du stirbst nicht, wir tauschen die Plätze.“

Angst bemächtigte sich des Menschen und ohne dass dieser es bemerkte, fiel ihm der Kelch aus der Hand, färbte den Schnee blutig rot.

Sari wurde übel, während er seine Chance auf Freiheit zerfließen sah. Wenn er zu weit gegangen war, schickte der Mensch ihn zurück an den Ort, an dem er die letzten tausend Jahre verbracht hatte. Er konnte nicht zurück. Ginge er zurück, verlor er den Verstand. Umso ruckartiger hob er den Kopf, als er in der Stimme des Menschen neue Festigkeit vernahm.

„Was muss ich tun?“

Saris Augen glühten auf. Er konnte frei sein. Er konnte.

„Breche den Kreis und ich gebe dir, was du willst. Ein wenig Blut ist alles, was es braucht, um mit dir zu tauschen“, sprach er, die Gier deutlich in den Augen. Vermutlich war es diese, die den Menschen ein letztes Mal zögern ließ.

„Warum willst du mein Leben?“, fragte er argwöhnisch, woraufhin Sari sich zu einem überlegenen Lächeln zwang. Er musste seine Rolle spielen, musste dem Menschen schmackhaft machen, was er zu bieten hatte. Und er musste dessen Zweifel entkräften.

„Aus reinem Interesse. Ich war niemals menschlich, es ist an der Zeit, herauszufinden, wie es ist.“ Und er entkäme der Unendlichkeit, indem er den Unwissenden in diese verbannte. Die Ewigkeit allein im Nichts war nicht erstrebenswert, ein menschliches Leben, mit allen dazugehörigen Eindrücken, dagegen sehr.

Ein freudiges Zittern durchlief Saris Körper, als der Mensch sich dem Kreis näherte. Zögernd ging er in die Hocke, streckt die Hand nach der Linie im Schnee aus und zögerte. Überlegte er es sich anders?

„Willst du keine Macht?“, fragte Sari, während er seine eigene Nervosität unter Überheblichkeit versteckte. „Ich kann sie dir geben.“

Der aufkommende Schneesturm erreichte Sari mit voller Wucht, als der Kreis in sich zusammenfiel. Reflexartig ließ er Feuer auflodern, um die Kälte von sich abzuschirmen. Eine schnell erlöschende Flamme, dann stand er dem Menschen,seinem Tor zur Freiheit, gegenüber.

„Gib mir deinen Arm“, verlangte er schroff. „Und hol dein Messer. Mit irgendetwas wirst du dem Tier die Kehle durchtrennt haben.“

Der Befehl wurde unter eiligem Nicken befolgt. Der Mensch stolperte durch den Schnee, kroch hinter dem Felsen über den verschneiten Boden und kehrte mit fiebrig glänzenden Augen zu ihm zurück. Herrlich.

Saris Finger schlossen sich blitzartig um das entblößte Handgelenk, die andere Hand packte das Messer und schnitt ohne Zögern in die fremde Haut. Auf das schmerzhafte Zischen achtete er nicht, schon verfuhr er mit dem eigenen Arm genauso.

„Es geht schnell“, erklärte er, ohne sein Gegenüber anzusehen. Einzig die beiden blutenden Schnitte interessierte ihn. Im Blut lag die Macht und in den Gedanken der Weg.

Es durchzuckte ihn wie ein elektrischer Schlag, als sein Blut sich mit dem fremden vermischte und Sari in Gedanken die Formel sprach, die ihn erlöste. Das Feuer verließ ihn und begann, den ehemaligen Menschen zu wärmen, die Macht wechselte ihren Besitzer. Sari lachte, als dieser ihn fortstieß und er mit dem Rücken im Schnee landete. Er lachte und hörte nicht auf zu lachen, auch als sich neben ihm Schritte entfernten und er allein und verwundbar in der kalten Nacht zurückblieb.

Sobald die Sonne aufging, würde es den, der bis eben ein Mensch gewesen war, zurück ins Nichts ziehen. Sollte er sich mit dem Fluch der Ewigkeit quälen. Auf Sari wartete besseres als die Leere. Viel besseres.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2009-06-24T07:32:43+00:00 24.06.2009 09:32
Sehr eindrucksvoll geschrieben.
Ich muss zugeben, dass Saris Wahrnehmung des ewigen Lebens gewissermaßen großteils mit meiner Vorstellung davon übereintrifft - was die Geschichte in meinen Augen noch besser macht. ^^
Auch die Naivität des Beschwörers, sein Zweifeln und seine Gier hast du glaubhaft dargestellt.
Vor allem aber das Verlangen Saris fand ich sehr überzeugend und mitreißend. Man WOLLTE dass sie es schafft, auch wenn man gleichzeitig wusste, was sie dem Menschen damit antat.
Von:  Technomage
2009-06-22T17:45:15+00:00 22.06.2009 19:45
Sehr makabre Angelegenheit. Hat mir wirklich sehr gut gefallen, muss ich gestehen.

Ich bin nicht sicher, ob ich schon einmal eine Beschwörung aus der Perspektive des Geistes gelesen habe, aber der Gedanke ist wirklich eine faszinierende Sache und ich finde es von dir sehr gut umgesetzt.
Soweit ich mich aus Literatur u.ä. damit auskenne bzw. ein Bild davon habe, finde ich auch das Ritual mit seinen Komponenten gut dargestellt, wenn auch mit der bissigen Unbeholfenheit des Rufenden, die solche Geschichten für mich immer besonders unterhaltsam macht. (Habe da vor ein paar Tagen was ähnliches geschrieben)

Auch wenn es für die Geschichte notwendig ist, damit die Erzähllogik aufgeht, finde ich es einzig merkwürdig wie du die spirituelle Ebene als ein trostloses quälendes Nichts darstellst. Ich kenne die Darstellung von Geisterebenen eher als eine holistische homogene Essenz dessen, was sie verkörpern, in der es noch nicht einmal so etwas wie Individuen zwingend gibt.

Aber sowas natürlich weder Zwang noch Gesetz, also habe ich eigentlich rein gar nichts auszusetzen, außer dass es ein bisschen mit meiner intuitiven Imagination zusammenstößt.



Zurück