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Tränen verbinden

... und Tränen können Geheimnisse aufdecken ...
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Schleierkraut

Kapitel 2: Schleierkraut
 

Als Ginny aus dem Wald trat, schickte die Sonne gerade ihre letzten orangefarbenen Strahlen über den wolkenlosen Himmel. Die Grillen zirpten in den Büschen, die in einer leichten Brise rauschten. Der See lag ganz still da und spiegelte das warme Bild der untergehenden Sonne. Die ersten Katzen strichen durch das Unterholz, auf der Suche nach Beute, und die Eulen begannen zu kreisen, Ausschau auf Mäuse haltend. Ein Haufen Schwalben drehte seine letzte Runde über dem Schloss.

Es war ein Sommerabend, wie man ihn sich schöner nicht wünschen konnte.

Überall auf den Ländereien konnte man ausgelassene Schüler sehen, diesmal ohne die schwarzen Umhänge. Es war einfach zu warm dafür. Wie gerne wäre Ginny jetzt zu ihnen gegangen! Sich unterhalten, spielen, herum albern, lachen, sich eine Auszeit vom Prüfungsstress nehmen...
 

Aber nein, sie musste ja einem ganz bestimmten Professor einen Besuch abstatten. Und das auch noch in einem Büro in den Kerkern.

Sie schüttelte sich und machte sich schwermütig auf den Weg.

Sie hatte wirklich keine Lust, heute noch Professor Snape zu begegnen. Sie hatte die Nase voll von ihm. Warum konnte nicht alles wie noch vor einer Woche sein?
 

Sie gingen sich beide aus dem Weg und redeten nur miteinander, wenn es wirklich nötig war. Das wäre viel einfacher gewesen. Aber so, wie die Dinge jetzt standen, brachte sie es nicht einmal fertig, ihn zu hassen für sein Benehmen am Vormittag. Jedes Mal, wenn sie es versuchte, musste sie unweigerlich an den gestrigen Tag denken, wo sie ihm im Wald begegnet war.

Sie betrat gedankenversunken die kühle, dunkle Eingangshalle und machte sich auf den Weg eine schmale Treppe hinunter.

Warum? Diese Frage beschäftigte sie immer noch. Was hatte Snape da bloß geritten?
 

Ginny blieb vor einer schwarzen Tür aus massivem Eichenholz stehen. Sie schluckte. Doch noch bevor sie sich dazu durchgerungen hatte, anzuklopfen, wurde die Tür aufgerissen.

Snape stand vor ihr. Und er sah reichlich wütend aus. Als er sie entdeckte, winkte er sie energisch herein. Langsam betrat Ginny sein Büro.
 

Es war dunkel und kühl, und überall an den Wänden reihten sich Glaskästen, in denen undefinierbare Dinge schwammen - bei einigen konnte sie nicht einmal sagen, ob es Tier oder Pflanze war. Sie schüttelte sich. Snape ließ hinter ihr die Tür ins Schloss krachen.
 

"Miss Weasley, ich denke, ich habe mich heute morgen klar ausgedrückt. Wann sollten Sie wieder hier sein?"

Ginny drehte sich langsam zu ihm um. "Um neun Uhr, Sir."

"Und warum in alles Welt sind sie dann nicht pünktlich gekommen?"

Seine Stimme klang eiskalt und bedrohlich.
 

Ginny zuckte erschrocken zusammen. "Ich... ich habe keine Uhr, Sir... Ich dachte, es wäre erst neun. Wie spät ist es denn?"

Snape verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte sie mit seinen kalten Augen an. Ginny schrumpfte noch ein paar Zentimeter.

"Zu spät. Haben Sie wenigstens das Schleierkraut?"
 

Ginny streckte zaghaft die Arme aus, in denen sie ein ansehnliches Bündel besagtes Kraut hielt. Doch Snape blickte noch grimmiger drein.

"Erst kommen Sie zu spät, und dann bringen Sie mir so wenig mit? Sie hatten doch sogar mehr Zeit als eingeplant - wo zur Hölle hatten Sie ihre Augen? Das Zeug wächst überall!"

Ginny schluckte und blickte zu Boden. Am liebsten hätte sie ihm einen ordentlichen Flederwichtfluch auf den Hals gejagt, doch wer weiß, was er dann mit ihr anstellen würde...
 

"Sie werden morgen noch einmal nach dem Schleierkraut suchen. Und dann sind sie gefälligst pünktlich und kommen mit mehr Ausbeute, verstanden?"

Ginny reagierte nicht.

"Ob Sie verstanden haben, Miss Weasley! Und mit mehr Ausbeute meine ich mindestens das doppelte, ist das klar?"

Ginny reagierte immer noch nicht und starrte stur zu Boden.

"Ich habe Sie etwas gefragt! Zehn Punkte Abzug für Griffindor wegen Verweigerung einer Antwort."
 

Jetzt reichte es Ginny. Ihr auch noch Punkte dafür abziehen, nur weil sie nicht bei seinen Demütigungen mitspielte? Das ging zu weit! Sie warf ihm das Schleierkraut vor die Füße und schrie ihn an.
 

"Da haben Sie ihr verdammtes Schleierkraut! Und wenn Ihnen das noch nicht genug ist, dann ist das noch lange kein Grund, mich so zusammen zu pflaumen!"

Ihre Augen glänzten verdächtig, doch sie fauchte weiter: "Und mir wegen so einem Mist Punkte abzuziehen, finden Sie sicher auch noch lustig, was? Meinetwegen! Aber suchen Sie sich das nächste Mal ein anderes Opfer! Ich habe Ihnen nichts getan und ich werde garantiert nicht das Ablassventil für Ihre Wut sein! Wenn Sie noch mehr Schleierkraut haben wollen, dann können Sie das auch anders sagen!"

Damit riss sie die Tür auf und stürmte hinaus.
 

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Am nächsten Tag verabschiedete sich Ginny nach dem Abendessen von Jeanna und machte sich auf den Weg in den Wald.
 

Immer noch brodelte die Wut auf Snape in ihr.

Jahrelang waren sie gut miteinander ausgekommen, jedenfalls für Snape-Verhältnisse. Warum musste er das alles kaputt machen? Sie hatte gehofft, dass sie nie den Snape erleben würde, der Hermine und Harry piesackte.

Beim Gedanken an Harry zog sich ihr Herz zusammen, doch das heizte ihre Wut nur noch an.

Sie hatte auf einen Waffenstillstand mit Snape bis zu ihrem UTZ gehofft. Hatte gehofft, niemals den Albtraum Snape kennen lernen zu müssen. Aber nun schien es so, als warte er jedes Mal nur darauf, sie zur Schnecke machen zu können.
 

Und alles nur, weil er im Wald... nett gewesen war! Fast schien es ihr, als wolle er ihr beweisen, dass er definitiv nicht nett war. Ginny schüttelte den Kopf. Er konnte nett sein, wenn er wollte, das wusste sie jetzt. Er wollte nur nie. Lieber nahm er in Kauf, dass die meisten ihn nicht ausstehen konnten.

Aber warum wollte er es so? Ginny wusste es nicht.
 

Als sie an Hagrids Hütte vorbei kam, ging die Tür auf und vier Personen kamen heraus. Harry, Ron, Hermine - und Cho. Ginny hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Sie presste die Lippen aufeinander und ging weiter, ohne Hagrid zu begrüßen, der den vieren nach draußen gefolgt war.
 

Sie war schon fast am Waldrand angekommen, da hörte sie ihn mit seiner tiefen Stimme rufen: "Hey, Ginny! Willst du in den Wald? Das darfst du nicht!"

Ginny drehte sich um und rief zurück: "Doch, frag Snape! Er hat es mir erlaubt!"

"Das heißt Professor Sna - WAS? Wieso das denn?"
 

"Strafarbeit!", antwortete Ginny kurz und verschwand dann zwischen den Bäumen. Als sie außer Sichtweise der Hütte war, holte sie tief Luft. Viel länger hätte sie es nicht in Harrys Gegenwart ausgehalten.

Sie atmete noch einmal tief durch, um sich zu beruhigen, dann machte sie sich auf den Weg.
 

Nach einer Weile, in der sie kein einziges Bündel Schleierkraut gefunden hatte, knackte irgendwo in ihrer Nähe ein Zweig. Ginny erschrak. Rasch kniete sie sich hinter den nächstbesten Busch und zog den Zauberstab.

Es knackte erneut. Dann brach etwas durchs Unterholz. Ginnys Herz machte einen Hüpfer, als sie das Wesen erkannte.
 

Es war ein Einhorn. Das Fell leuchtete gleißend weiß, das Horn schillerte in allen erdenklichen Farben, und der Schweif und die Mähne glitzerten silbern. Das anmutige Tier blähte die Nüstern, witterte anscheinend etwas und sprang mit einem Satz zwischen den Bäumen davon.

Ginny saß noch einen Moment still da, dann beschloss sie, den selben Weg zu nehmen. Vielleicht fraßen Einhörner ja Schleierkraut und es würde sie dorthin führen, wo genug wuchs, um Snape zum Schweigen zu bringen?
 

Das Einhorn hatte einen gewaltigen Vorsprung, doch hier und da fand Ginny silberne Haare in den Büschen hängen, denen sie folgte. Nach einer Weile lief sie auf einer Art Trampelpfad, und die Haare wurden häufiger. Vielleicht hatte sie einen der Wege gefunden, die die Einhörner regelmäßig benutzten?
 

Eine Weile folgte sie dem Trampelpfad so leise wie möglich, ohne das etwas geschah. Doch irgendwann konnte sie in der Ferne ein silbernes Licht erkennen. Sie schnappte nach Luft. Entweder, das waren mehrere Einhörner, oder es war ein riesiger Haufen Schleierkraut. Als sie näher kam, erkannte sie, dass beides zutraf.
 

Das Leuchten kam von einer Lichtung, auf der haufenweise Schleierkraut wuchs. Und auf dieser Lichtung standen ein paar Einhörner und grasten. Ginny blieb stehen, dann schlich sie näher. Sie wollte die eleganten Tiere auf keinen Fall verschrecken.

Doch sie war noch nicht einmal am Rand der Lichtung angekommen, da witterte eines der Einhörner sie. Es wieherte laut, warf den schönen Kopf in den Nacken und preschte durch die Bäume davon. Die anderen folgten in Sekundenschnelle.
 

Ginny blieb unschlüssig stehen und blickte ihnen nach. Als sie nicht mehr zu sehen waren, begann sie, Schleierkraut zu pflücken. Sie hörte erst auf, als sie ein mindestens doppelt so dickes Bündel wie gestern gesammelt hatte.
 

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Snape riss die Bürotür auf. Als er Ginny erblickte, klappte ihm die Kinnlade herunter. Allerdings nur für einen kurzen Moment, dann hatte er sich wieder im Griff, winkte sie herein und meinte höhnisch:

"Sehen Sie? So schwer war das doch nicht. Es erstaunt mich allerdings immer wieder, was Sie mit so wenig Grips zu Stande bringen."
 

Ginny sackte das Herz in die Hose. Nicht schon wieder! Sie warf das Kraut auf seinen Schreibtisch und stürmte hinaus, um noch mehr Beleidigungen zu entgehen. Tränen schimmerten in ihren Augen.
 

Als ihre Schritte verklungen waren, schloss Snape langsam die Tür.

Dann teilte er das Schleierkraut in kleine Bündel auf und hängte ein paar zum Trocknen unter die Decke. Es war mehr, als er brauchte, doch es hatte sein müssen. Er konnte nicht zulassen, dass sie Verdacht schöpfte. Selbst, wenn er sie dafür so gemein wie Potter behandeln musste.
 

Während er wieder ein Bündel aufhängte, fiel ihm etwas silbernes ins Gesicht. Er angelte es sich und hielt es ins Licht. Ein Einhornhaar. Er hätte es wissen müssen.
 

Ginny war nicht so dumm, wie er ihr neuerdings unterstellte, das war ihm klar. Er hoffte jedoch inständig, dass sie keine Fragen stellte. Fragen, die er seit Jahren nicht mehr gestellt bekommen hatte und von denen er nicht wusste, ob er die Antworten noch über die Lippen brachte, ohne wieder so die Kontrolle zu verlieren.

Von denen er nicht wusste, ob er die Antworten noch über die Lippen bringen wollte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Nira26
2010-12-17T11:55:23+00:00 17.12.2010 12:55
Hi,

das Kapi war schön, auch wenn Ginny wieder traurig war. Hab ich schon erwähnt das Harry echt dumm ist? Sich so ein Mädel entgehen zu lassen.

Ich bin gespannt, wie es weiter geht.
Von:  Katherine_Pierce
2009-09-09T13:41:31+00:00 09.09.2009 15:41
Aloha^^
Das ging ja schnell mit den neuen Kapis.
*lob*
Ich weiß definitiv, warum Ginny eine Gryffindor geworden ist xD
Snape so anzuschreien, würd ich mich nie trauen^^
Ansonsten noch nen kleinen Tipp: Es heißt zusammenstauchen oder anpflaumen. Zusammenpflaumen gibts nicht^^
Kreative Wortschöpfung, aber klingt doch reichlich seltsam^^

So, ich husch dann mal zum nächsten Chap.
LG
Tarja


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