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Grandia II: Der Pfad zur Seele

Eine Tragödie in 5 Akten
von

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Die Flügel Valmars (2)

Von der Nacht, von dem Berg, verschlug es mich in eine garländische Sauna. Elena war bei mir und sie war nackt, wie Granas sie einst schuf. Es war wie im Traum und erst da wurde mir klar, dass ich tatsächlich träumte.

Elena lag auf dem Bauch auf einem weißen Stein, fast eine Art Altar. Ihre Augen waren geschlossen und dafür sah ich umso mehr. Ich wollte mich ihr nähern, sie erreichen, da tauchte plötzlich das Mädchen mit den Flügeln auf. Und sie sah mich an.

„Sie hat schon einen Freund“, sagte sie. „Und du bist nicht ihr Typ.“

Ich blieb stehen, blickte sie nur erstaunt an, unfähig, etwas zu sagen. „Ihre Religiosität steht zwischen euch. Ihre Eltern stehen zwischen euch. Sie mag Männer, die etwas älter sind.“ - „Hallo?“, rief ich und bemerkte, dass mich das Flügelmädchen gar nicht ansah. Sie hatte sich über Elena gebeugt und begann langsam, ihren Rücken zu massieren. Währenddessen sprach sie weiter. „Ihr seid zu unterschiedlich. Deine Vergangenheit steht zwischen euch. Deine Gewalttätigkeit steht zwischen euch. Dein ungepflegtes Aussehen steht zwischen euch. Sie mag keine Männer, die ihre Gefühle nicht zeigen.“ - „Was?“, warf ich gegen den Schwall, doch das Flügelmädchen redete weiter. „Sie liebt dich nicht. Du gefällst ihr nicht. Sie findet dich nicht attraktiv. Du bist zu selbstsüchtig. Sie ist zu selbstsüchtig. Sie fürchtet sich, ihr Leben an einen Mann zu verlieren.“

Ich hatte mich ergeben. Ich ließ sie reden.

„Du bedrohst sie zu sehr. Sie sucht eine starke Hand. Du bist nicht ehrlich zu ihr. Sie braucht erst einmal Zeit für sich. Du willst nur ihren Körper. Sie verachtet deinen Geist. Du bist schlecht. Sie ist schlecht. Du bist… sie ist… Nein.“

Das Flügelmädchen drehte sich zu mir um. Sie sah mir direkt in die Augen. Wütend. „Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein.“ Ich stolperte zurück unter ihrem Blick. Ihre Stimme war längst zu einem einzigen Klumpen verschmolzen, sie redete ohne Sinn. Alles wurde so unwirklich, alles verschwamm. Und plötzlich zerriss eine Stimme das Gewirr und hallte durch meinen Kopf. „Ryudo. Du bist der, den ich suchte.“ Und es war nicht Elena.

Es war schon viel zu spät, als ich erwachte. Das Zelt war leer und als ich nach draußen kam, saß dort Elena bei abgebranntem Feuer auf meinem Stein und starrte in die Asche wie ich noch vor wenigen Stunden in die Glut. Das Gewirr ihrer Haare erinnerte kaum noch an ihre gepflegte Frisur des gestrigen Tages und sie umklammerte eine Tasse, als sei sie ihr einziger Halt in einer rauen Welt. „Ryudo“, sagte sie. So ziemlich ihre ersten Worte zu mir seit unserem Aufbruch. „Kaffee?“ – „Ja, bitte, aber wo hast du hier…“ – „Kirchengeheimnis.“ Ich sah ihr zu, wie sie aus ihrer Tasche eine zweite Tasse holte und sie aus einer Apparatur mit Kaffee füllte. Sie tat es, als würde ihre ganze Welt daraus bestehen, und da erkannte ich, dass sie in der letzten Nacht kaum geschlafen haben musste. „Da, bitte.“ – „Danke.“ Ich nahm die Tasse entgegen und setzte mich zu ihr. Schweigen. Was sollte ich sagen, ich würde sie nicht fragen, ob sie gut geschlafen hatte. „Seit wann bist du denn schon wach?“, fragte ich stattdessen. „Lange. Ich konnte nicht schlafen. Zu viele Monster in den Büschen. Doch sie sprechen nicht mit mir.“ Ich wusste nicht, was sie meinte. „Verwundert mich nicht. Menschenfleisch liegt ihnen vor dem Mittag schwer im Magen.“ Ich lachte, doch sie fiel nicht mit sein. Schlechter Witz. „Muss ich sterben?“, fragte sie stattdessen. Sie traf mich unvorbereitet. „Vielleicht“, antwortete ich ehrlich. „Ich weiß einfach zu wenig…“ – „Ja.“ Sie brachte mich aus dem Fluss. Ich sah sie an, um zu erfahren, was sie meinte, doch ihre Welt bestand nur noch aus ihr und ihrer Tasse. „Entschuldige“, sagte ich, um die Spannung zu lockern. Da erst blickte sie mich an. „Ich brauche keinen Mörder, Herr Ryudo. Vater Carrius braucht auch keinen. Vergessen Sie das nicht.“ Langsam verstand ich. Sie musste Skye und mich belauscht haben. Hatte sie das etwa die Nacht nicht schlafen lassen? Für den Moment wusste ich nicht mehr zu sagen und beschloss, es wie Elena zu halten. Ich trank und starrte auf meine Tasse. Diesmal war es an ihr. „Tut mir leid“, sagte sie schließlich. „Ich habe kaum geschlafen. Schmeckt dir der Kaffee.“ Ich nickte. „Danke, dass du dir Sorgen machst, aber sie sind unbegründet. Ich bin nicht infiziert. Du musst mich nicht töten. Bitte, lass die Waffe stecken.“ Ihr Blick war klar, aber ihre Stimme klang schwach. „Du hättest schlafen sollen.“, sagte ich ihr. „Möchtest du noch schlafen?“ Sie nickte und verschwand mit taumelnden Schritten im Zelt. Ich seufzte. Es hätte alles leichter sein können.
 

Wir waren schon hinter meinem Zeitplan, als wir Liligau erreichten. Die Dämmerung verwandelte die kleine Siedlung bereits in einen Klump aus Schatten und wir mussten hoffen, noch einen Unterschlupf zu bekommen. Ich hatte vieles hinter mir, als ich Elena eine gute Nacht wünschte, die Tür hinter mir schloss und endlich die Welt draußen ließ. Es war ein langer Tag.

Endlich Ruhe. Als ich mich auf das Bett senkte, wusste ich, dass ich am Besten schon den morgigen Tag planen sollte. Wir mussten uns mit frischem Proviant eindecken und herausfinden, welcher Weg und welche Route für uns am Besten waren. Das war aber auch das Schöne an unserem Ziel. Zu viele Wege führten nach St. Heim. Irgendeinen würden wir schon finden. Und mit dieser guten Gewissheit sank ich immer tiefer zusammen. Schlaf, wie verlockend das doch war, wenn man ein warmes Bett hatte und nicht immer die Augen offen halten musste. Ich war wirklich erschöpft.

Meine Augen waren schon fast zugefallen, als ich merkte, dass ich nicht allein war. Etwas bewegte sich im Zimmer und ich spürte, wie die Matratze neben mir einsank. Ein neuer Geruch schlug mir entgegen, doch er war vertraut. Ich rechnete damit, dass es Elena war und murmelte ein paar Worte. Erst als eine Hand durch meine Haare fuhr, sah ich herüber und war mit einem Mal hellwach. Eine Frau mit roten Haaren saß neben mir, das Mädchen aus meinem Traum. Ich zuckte zurück.

„Mein Schöner“, begann sie zu sprechen, „Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte nur sehen, dass es dich wirklich gibt und du kein Traum bist.“ Ich sah sie an und erkannte, wie nah sie war. „Ich bin echt“, sagte ich und lächelte. „Bist du es auch?“ Sie antwortete nicht, sondern zog mit ihren Fingern langsam an meinem Gesicht herab, ließ mich ihren Druck und ihre Wärme spüren. „Dann war es also…“, überlegte ich gebannt, „… gar kein Traum?“ Sie schwieg, als überlegte sie selbst, dann verschwand auch ihre Hand aus meinem Gesicht. Sie saß neben mir und blickte ins Leere, genauso wie ich.

„Wie heißt du denn?“, fragte ich schließlich, um die Stille zu beenden. „Millenia“, antwortete sie. „Und was bist du?“ – „Millenia.“

Ich war ratlos. „Millenia also“, begann ich, um Zeit zu gewinnen. „Ich bin…“ – „…Ryudo, ich weiß.“ Sie lächelte verlegen, ehe wieder Stille einkehrte. „Warum bist du hier?“, fragte ich sie schließlich ganz direkt und sie überlegte lange, ehe sie mit dem Kopf schüttelte. „Darf ich heute Nacht bei dir schlafen?“

Ihre Frage überraschte mich. Mehr als ein „Was?“ brachte ich nicht heraus. „Ich bin ganz allein in der Stadt“, sagte sie, „und du warst so lieb zu mir.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also nickte ich nur. Sie sank herab aufs Bett, ich hingegen stand auf und sah zu, wie sie sich auf meiner Matratze breitmachte. Um mehr als Schlaf schien es ihr nicht zu gehen und auch ich war zu erschöpft, um irgendwas herauszufordern, also blieb mir nur das Grübeln über große Frage: Sollte ich mich zu ihr legen oder sollte ich erneut auf eine bequeme Rast verzichten? Schließlich entschied ich mich für Letzteres, machte es mir auf dem Boden bequem und schloss die Augen. Alle Fragen zu meinem seltsamen Gast hatten Zeit bis morgen.

Als die Sonne mich weckte, lag ich in meinem Bett. Millenia, die Frau mit den roten Haaren, war wieder verschwunden und ich überlegte: War sie wirklich nur ein Traum? Und auch wenn alles darauf hinauszulaufen schien, schüttelte ich im Stillen den Kopf. Nein, es gab sie. Ich war sicher, sie war hier.
 

Ich blieb in meinem Bett liegen und ließ mir alles durch den Kopf gehen. Selbst wenn das Flügelmädchen nur ein Traum war, so war sie mir nun zum dritten Mal erschienen. Sie hatte einen Namen – Millenia – und scheinbar auch… mehr. Fledermausflügel wiesen nun einmal nicht auf eine eindruckslose Vita hin.

Ich sank zurück und schloss die Augen. Vielleicht würde sie ja wiederkommen, wenn ich noch einmal einschlief, doch es gelang mir nicht. Ich lag wach und dachte nach, während es jenseits der Fenster immer heller wurde. Schließlich ging ich die Sache anders an und durchsuchte mein Kopfkissen nach roten, langen Haaren. Das hätte mir einen Beweis geliefert, dass ich nicht träumte, allein, ich fand nichts.

Zeit verging und plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke: Elena. Es war schon spät und wir hätten schon lange aufbrechen müssen. Schnell sprang ich auf, packte meine Sachen und hoffte, sie zu finden, doch sie war bereits fort. Sie war verschwunden. So stand ich völlig allein am Eingang und hastete durch das Dorf. Sie war nicht mehr bei der Herberge, um auf mich zu warten, sie war nicht beim Waffenhändler, sie war nicht auf dem Markt, sie war hoffentlich alleine nicht aufgebrochen. Keuchend blieb ich stehen und schnappte nach Luft. Da erst kam mir der Gedanke, in der Kirche nach ihr zu suchen. Wieder einmal war diese leicht zu finden, einfach das höchste Gebäude im Ort, doch als ich mich ihr näherte, stellte ich fest, dass sie zu diesen Stunden auch das meistbesuchteste sein musste. Schon als ich den Vorplatz erreichte, hörte ich Stimmen aus dem Inneren, und als ich sie betrat, fand ich mich mitten in einem Gottesdienst wieder. Die Tür knarrte, die halbe Gemeinde drehte sich zu mir um, ich senkte nur den Blick und tappte durch die Menge. Irgendwo hier in diesem Gewühl einer überfüllten Kirche musste ich Elena doch finden. Ich hatte ein gutes Gefühl.

Ich musste mich schelten, als mir aufging, dass ich den dritten Fehler des heutigen Tages begangen hatte. Selbst wenn ich Elena hier fand, ich würde sie als gläubige Granas-Anhängerin sicherlich nicht einfach abholen können und auch für eine Diskussion war dies ganz der falsche Ort. Wenn ich sie fand, musste ich warten und den Priester, der gerade redete, seine Sache durchziehen lassen. Was immer er auch erzählte, ich hörte ihm nicht zu.

Ich fand Elena schließlich inmitten fremder Menschen, doch eine Bank hinter mir war noch frei. Ohne dass sie mich bemerkte, setzte ich mich hinter sie und betrachtete sie. Sie war das einzig Interessante in diesem Raum. Wenn man sie auch so ansah, dann konnte man gar nicht glauben, dass sie gestern noch bis tief in die Nacht durch Wald und Gestrüpp marschiert war, so pfleglich hatte sie sich wieder hergerichtet. Ihr Haar war sauber, ihre Frisur saß perfekt, ihre Kleidung war ein Traum aus weiß und blau und ihre Augen waren geschlossen. Schlief sie etwa? Mein Gefühl sagte nein, auch wenn man ihr mit einem tieferen Blick die Erschöpfung durchaus ansah. Da bewegten sich ihre Lippen und ohne den Priester oder das Liligauer Volk weiter zu beachten, sprach sie vor sich her. Sie betete zu Granas und ich spitzte die Ohren. Die Nähe erlaubte mir, zu verstehen, was sie sprach.

„Granas, mein Herr“, begann sie, „Ich fühle mich in dem Dunkel gefangen und sehne mich nach deinem Licht. Bitte gehe zu meinen Freundinnen, die du zu dir geholt hast, und höre von ihnen, dass ich es wert bin. In dieser dunklen Stunde möchte ich, dass du weißt, dass mein Herz rein ist. Ich sehe dich und sah nie jemand anderen, ich befolgte die Wünsche deiner Untergebenen. Du blickst sicher gerade zu mir herab und weißt, dass ich nie etwas Böses tat. Trotzdem erkannte ich letzte Nacht, dass dunkle Wesen ihr Spiel mit mir treiben und mich in meinen Träumen heimsuchen und mit mir sprechen. Auch wenn ich nicht wanke, so brauche ich doch dich, mein Granas. Bitte nimm diese Valmarsbrut von mir, bitte vertreibe sie aus mir. Sei mein Verbündeter in diesem Kampf. Bitte hilf mir.“ Sie brach ab und öffnete die Augen. Niemand in der Kirche hatte mitbekommen, was ich gehört hatte. Schließlich, noch ehe sie sich wieder auf die Predigt einließ, flüsterte sie noch einige Worte: „Siehst du, ich konnte es doch. Gleich wird es dir übel ergehen. Dann bist du erledigt, Millenia.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Miyu-Moon
2010-01-19T11:24:12+00:00 19.01.2010 12:24
Das ist mal ein spannendes Kapitel. Dadurch das du einige Szenen gestrichen hast, erscheint Millenia für Ryudo tatsächlich mehr wie eine Traumgestalt. Ich hoffe es gehen trotzdem nicht noch mehr ihrer beeindruckenden Auftritte flöten.
Schade nur, dass das fünfte schon den Abschluß markieren soll. Wie willst du da noch die ganzen "unwichtigen" Nebendarsteller unterbringen?


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