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Schwarze Sonne

von

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Kapitel 2: Himmelhoch

Die Sterne glänzten heute unbeschreiblich schön. Es kam sehr selten vor, dass diese kleinen, silbrig glänzenden Punkte sich so zahlreich am Himmel blicken ließen und so ungewöhnlich hell leuchteten. Umso weniger bereute ich meine Entscheidung aus dem Fenster zu klettern und über das Standrohr der Dachrinne auf das Dach zu steigen um diesen Anblick so lange wie möglich genießen zu dürfen.

Vier Monate waren vergangen seit Noah fort war. Seither stand ich unter ständiger Beobachtung. Man fürchtete, dass ich nicht mit seinem Verlust umgehen könnte. Natürlich war es im ersten Moment unheimlich schmerzhaft. Vor allem weil er meine erste große Liebe war. Aber ein weiser Mann sagte mir einmal, dass wir uns früher oder später für all unsere Entscheidungen, die wir in allen Lebenslagen getroffen haben, rechtfertigen müssen. Ein Tod wäre durch nichts zu erklären. Und ich wollte dem alten Mann glauben schenken.

Die folgenden zwei Monate nach Noahs Tod waren die schlimmsten auf der Welt für mich. Man erzählte mir, dass ich eine Woche im Koma gelegen hatte, wegen der Verletzungen die ich mir bei dem Sturz zuzog. Und in dieser ganzen Woche war es weder dem Personal aus dem Krankenhaus, noch Freunden oder meinen Eltern gelungen mir dieses Knäuel aus der Hand zu nehmen das ich krampfhaft umklammerte. Ein blutverschmiertes, zerknülltes Papier. Der Abschiedsbrief dessen Inhalt mit Kugelschreiber verewigt war. Und jedes verdammte Wort das ich manisch immer und immer wieder rauf und runter las, nachdem ich aufgewacht war, schnürte mir die Kehle zu, erlaubte mir kein Wort.

Nachdem sich mein geistiger Zustand weiter verschlechtert hatte und ich kaum mehr ansprechbar war, steckte man mich, auf anraten der Ärzte, in eine geschlossene Anstalt um mich vor mir selbst zu schützen. Sie begriffen nicht, dass es nie mein Plan gewesen war mich umzubringen. Nein, das war er ganz sicher nicht. Aber ich wollte mich zerstören. Ich wollte mich dafür bestrafen das es mir nicht gelungen war, den wichtigsten Menschen auf der Welt vor seinem Unglück zu bewahren. Und ich wollte nie wieder auch nur ein einziges Wort sprechen.

Das dachte ich jedenfalls. Aber was immer ich mir auch antun wollte und so sehr ich auch versuchte Gespräche zu verweigern, sie hinderten mich. Sie konnten mich nicht zufrieden lassen. Also beugte ich mich meinem Schicksal, gab mir Mühe mich wieder in den normalen Alltag einzufügen und versuchte die zu sein, die ich gewesen bin, bevor ich Noah in einer verregneten Nacht begegnet war.

Aber jetzt… jetzt wollte ich für den Anfang einfach nur still auf dem Dach liegen und den Augenblick genießen in der die Sterne meine schweigenden Beobachter waren.

>Patsch<

Nanu? Was war denn das? Erstaunt blickte ich auf das Steinchen das neben mir gelandet war.

>Patsch<

Noch einer? Wer warf denn hier mit Steinchen nach mir? Träge richtete ich mich auf und riskierte einen Blick vom Hausdach in den Garten hinab.

„Hey du! Du da oben!“

>Patsch<

„Auaaa!“ klagte ich. Das kleine kantige Ding prallte von meiner Schläfe ab „kannst du nicht aufpassen?!“

Langsam erkannte ich die Umrisse einer Gestalt die sich zwischen zwei hoch gewachsenen Bäumen aufhielt

„Na also, ich dachte schon du schläfst“ stänkerte die Person

Mir war nicht ganz klar ob ich nun mit einem Mädchen, oder einem Jungen sprach, denn in dem spärlichen Licht das die Sterne ausstrahlten, erkannte ich nur lange, schwarz glänzende Haare die die Schultern umspielten, aber keine stärkeren Konturen.

„Wer bist du? Und was hast du hier zu suchen?“ fauchte ich

„Nanana! Wer wird denn gleich in die Luft gehn? Ich wollte der kleinen Dachprinzessin nur mal einen Besuch abstatten und fragen ob da oben noch ein Platz für mich frei ist?“

„Musstest du mich dazu denn unbedingt steinigen?!“

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber nachdem du auf mein Rufen nicht reagiert hast, dachte ich du wärst eingeschlafen. Und das war nun mal die einzige Möglichkeit nicht die ganze Nachbarschaft zu wecken.“

Sieh an, sieh an. Wer auch immer die Person da unten sein mochte, um eine Ausrede war sie wohl nicht verlegen.

„Nun komm schon rauf bevor die Nachbarschaft sich tatsächlich noch gestört fühlt!“

Verflucht! Wenn meine Eltern bereits davon Wind bekommen hatten, das ich alles andere als am schlafen war, dann würden sie wieder die ganze Umgebung umgraben um mir anschließend eine Standpauke zu halten, dass ich um diese Uhrzeit das Haus nicht mehr zu verlassen habe. Sie waren überbesorgt.

Leichtfüßig war die Person zu mir heraufgeklettert und ließ sich neben mir nieder. Und so langsam war ich überzeugt einen Jungen neben mir zu haben. Unauffällig musterte ich ihn. Breite Schultern, athletische Figur. In seinem Schwarzen Pullover, der zerschlissenen Jeans und der kleinen Kreuzkette die vor seiner Brust baumelte, wirkte er fast wie ein rebellischer Rocker.

„Wie heißt du?“ erkundigte er sich.

„Sandra…“

Ich schwieg. Denn eigentlich wollte hatte ich keinerlei Interesse an zwischenmenschlichen Kontakten. Eigentlich hatte ich mich auf das Dach gestohlen, um meine Ruhe zu haben. Seine Anwesenheit störte mich.

„Du scheinst nicht sehr gesprächig zu sein, was? Ich bin Marek“

„Schön …Marek… warum bist du hier?“

Ich konnte seine fragenden Blicke spüren. Und dennoch, ich gab mir Mühe betont unterkühlt zu wirken.

„Du kannst vielleicht Fragen stellen. Ich habe nach einem idealen Platz gesucht um die Sterne zu beobachten. In etwa einer halben Stunde sind laut Nachrichten Sternschnuppenschauer angesagt. Das konnte ich doch nicht verpassen“

Entgeistert blickte ich ihn an

„Sag mal… Marek? Seit wann interessieren sich Jungs eigentlich für Sternschnuppen? Bist du nicht eher einer von der Sorte, der sich hinter einer Gitarre versteckt und melancholische Songtexte mit harten Riffs betont?“

Empört blickte er mich an

„Kann es sein das du ganz schön viele Vorurteile hast? Wieso sollte ein Junge denn nicht an Sternschnuppen interessiert sein? Auch wenn ich zugeben muss, dass ich etwas überrascht darüber bin, dass du gewisse Dinge offensichtlich an mir gerochen hast. Aber ein Holzklotz bin ich nun auch wieder nicht.“

Beleidigt drehte er sich weg.

„Bitte entschuldige, aber ich bin es nicht gewöhnt jemanden um mich zu haben. Und schon gar nicht wenn“ >Patsch<

„Nicht doch, was ist denn jetzt schon wieder“ maulte ich.

Wieder stand ich auf und blickte in den Garten.

„Sandraaaaaaaaa“ schallte eine quietschende Stimme

Jeden hätte ich jetzt erwartet, aber nicht Sabrina. Vor einer Woche hatten wir uns bei einem Kaffe in der Stadt ausgesprochen. Ich hatte ihr verziehen. Auch wenn sie mir meinen Lebensinhalt Nummer eins erst abspenstig gemacht und auch noch in den Tod getrieben hatte, dennoch sah ich nicht wirklich Sinn darin ihr die Augen auszukratzen. Noah gehörte mir nicht mehr. Aber wenigstens war er auch für sie ebenso unerreichbar geworden wie für mich. Ein schmerzlicher, wenn auch auf ironische Weise ein Trost spendender Gedanke. Und irgendwie erhoffte ich mir, dass sie irgendwann das Interesse darin verlieren würde, mich zu verfolgen und mich meiner Kontakte zu erleichtern.

„Sabrina? Was ist los? Was führt dich hier her?“ schnaubte ich

„Die Steeeeeerneeee, die Steeeeerne“ ich konnte ihr grinsen bis zum Dach hinauf spüren.

„Die Sterne haben mir verraten, dass ich heute meinen Traumprinzen kennen lernen werde“

Großer Gott. Dieses Mädchen war so unheimlich verträumt. Wenn im Horoskop stand, dass ihr heute großes Pech widerfahren würde, dann stürzte sie noch im selben Augenblick auf die Knie und flehte ihr Schicksal an sie zu verschonen. Stand geschrieben, dass sie der glücklichste Mensch auf Erden sein würde, dann klammerte sie sich so sehr an den Gedanken, dass nichts anderes mehr für sie in Frage kam.

„Und weiter Sabrina?“ schnauzte ich „Komm auf den Punkt, was willst du?“

Marek sah das Schauspiel an als würden Sabrina und ich gerade Ping Pong spielen. Seine Verwunderung war nicht zu übersehen.

„Najaaaaa, ich dachte… du bist in Begleitung. Und gleich werden doch viele kleine Sternschnüppchen über unseren Köpfen davon sausen. Und ich habe zufällig vieeeele kleine Wünsche“

„Komm schon hoch“ resignierte ich

So langsam war ich immens geknickt darüber, dass ich nirgendwo ungestört sein konnte. Noch nicht einmal den Sternenhimmel durfte ich für mich alleine genießen. Und jetzt wühlte sich sogar meine allerliebste Lieblingsfreundin hier herauf. Wenn sie doch nur ein Blitz erschlagen könnte.

„Oh, hallo, wer bist du denn“ säuselte Sabrina dem unbekannten süßlich zu.

„Marek. Hallo“ er reichte ihr die Hand.

Dafür, dass er sich mir gegenüber noch relativ aufdringlich verhalten hatte, war er jetzt im Moment gerade rau und zurückhaltend. Ob er Sabrina wohl als abstoßend empfand?

Ich legte mich zurück, schlang meine Hände ineinander und bettete meinen Kopf darauf. Gleich würde es losgehen. Und ich würde nichts verpassen wollen. Keine einzige kleine Sternschnuppe.

„AH, da ist eine!“ schrie Sabrina

Mein Gott. Wenn sie in dieser Lautstärke weiter machen würde, dann wäre in 10 Minuten die Nachbarschaft aus den Betten. Gewappnet und ausgerüstet um uns durch die Straßen davon zu jagen.

„Da“ deutete Marek „da war noch eine… und deshalb, werde ich mir jetzt einen Wunsch erfüllen“

Bedeutsam sah er mich an. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er sich so nah an mich gelegt hatte. Er kroch näher, näher, immer näher

„Marek?“ verdutzt hob ich meinen Kopf „wa… wa… was hast du vor?“

„Schau an, die kleine Dachprinzessin ist also doch nicht so unterkühlt wie sie tut“

Er grinste. Er sah mich an als könnte er mich lesen wie ein Buch. Fast so als wenn er die Geschichte bereits kannte und jede Handlung schon in- und auswendig wusste.

„Nun, wie ich schon sagte, Dachprinzessin… ich erfülle mir meinen Wunsch“

Und noch bevor ich wusste was geschah, hatten seine Lippen bereits die meinen berührt.

Nein! Nein, bitte nicht! Eine Flut an Erinnerungen schoss auf mich ein. Noah, seine Wärme, seine weichen Lippen, diese unendlich zärtlichen Berührungen…

Ich riss mich von ihm los

„AUFHÖREN! Spinnst du jetzt total?!“ Wimmerte ich.

Ich konnte sie nicht mehr halten, die Tränen die ich mir nie erlaubt hatte zu vergießen. Der Damm war gebrochen. Und die Schmerzen waren so groß, so unendlich groß das ich dachte, mein Herz wurde in voller Fahrt an einer Steinsäule zerschmettern.

Ich musste fliehen, denn niemand von ihnen würde je verstehen. Und niemals sollte es auch nur irgendein Mensch, außer mir begreifen…



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