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Schwarze Sonne

von

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Kapitel 4: Flügel

„Siehst du das Meer? Schau nur hin. Das Meer wird deine Wunden heilen und dir neue Flügel schenken. Wenn du Heilung am nötigsten brauchst… suche nach ihm und begib dich in seine innige Umarmung… und lass dich sanft von seinen Wogen küssen, auf das du niemals wieder an Schmerz denken wirst… und einen Flügelschlag später wirst du zu Hause sein“

Was ist das?

Wer spricht da?

Warum ist es nur so laut…?

Noah… bist du hier?... Noah…?

„Wach auf mein Herz“

Ich schlug meine Augen auf und es war als würden Schmetterlinge fliehen… fliehen, weil die Sonne sie verbrennt… weit weg weil sie Freiheit mehr als alles andere auf der Welt benötigen… Mehr als die Luft die wir atmen… mehr als das glühende Licht am Firmament. Alles was sie brauchen ist eine unverdorbene Welt in der sie frei am Horizont schweben dürfen. Frei von allen Ketten und Zwängen. Ja… das brauchen sie… und deswegen ist die Seele eines Schmetterlings so unheimlich zart und zerbrechlich. Lass sie auf dir ruhen… lass sie Rasten auf dir, aber berühre sie nicht… denn eine einzige Berührung zerstört ihr seidenes Kleid das sie hoch, hinauf zum Himmel trägt. Halt sie nicht am Boden gefangen… blicke ihnen nach und freu dich daran das du einen kurzen Augenblick lang ihr Ruhepol sein durftest. Denn alles andere, bedeutet ihren sicheren Tod.

Ich fühlte mich wie eine steinerne Säule die, von den ersten Sonnenstrahlen gekitzelt, so langsam wieder auftaute und zu neuem Leben erwachte. Aber das Blei wollte nicht aus meinen Gliedern sinken. Geblendet blinzelte ich durch die Gegend, hiefte meinen schweren Körper vorsichtig in eine sitzende Position und suchte nach einem Punkt an dem ich mich orientieren konnte.

Was war denn nur passiert? Warum war ich auf dem Dach? Und weshalb fühlte sich mein Körper an, wie eine einzige, zerschundene Wunde? Jede noch so kleine Bewegung war ungeheuer schmerzhaft, durchtränkt von wahnsinniger Anstrengung um das Bewusstsein nicht wieder zu verlieren.

Die kühlte Morgenluft legte einen feuchten Schleier auf meine Haut die eine zornig tobende Gänsehaut entfachte. Wieso war ich hier? Behutsam legte ich die Hand an meine schmerzende Schläfe. Aus dem Augenwinkel erspähte ich einen verschmutzen, teils silbrig glänzenden Gegenstand der am Rande des Daches lag. Was war das für ein Ding? Wie kam es hier hoch? Vielleicht konnte es mir einen Hinweis darauf geben was passiert ist? Meinem Instinkt folgend zog ich den Gegenstand an mich heran, betrachtete ihn kritisch.

Ein Messer? Warum denn nur ein Messer? Was hatte das zu bedeuten?

Ich begriff nicht und noch ehe ich mich besinnen konnte, ohne jede Vorwarnung, begann mein Kopf mit einem Konzert aus grausamen Bildern um sich zu werfen. Schreckliche Bilder über einen Jungen. Ein Junge der mich zu etwas zwang… der mich fest hielt… auf mich einschlug…mir drohte…

„Was… wa… mwaaaaaaaaaaaah!!“

Gewaltsam prasselte etwas auf mich ein. Irgendetwas düsteres, etwas schwarzes mit rot unterlaufenem Mond. Verstört warf ich das Messer von mir, zog die Knie zu mir heran und kauerte mich zusammen. Ich hatte das Gefühl als würde Blut in meinem Mund sickern… ich wollte schlucken… wollte die Erinnerungen der letzten Nacht, die sich wie die Wolken eines Orkans zusammenbrauten, vor meinem Bewusstsein verstecken. Aber je öfter ich schluckte und je mehr ich nach Luft rang, umso stärker und einflussreicher wurden die Bilder, die Dunkelheit… und das Szenario das sich jetzt so Farbenfroh auf meinem Körper wieder spiegelte. Erschrocken beäugte ich meine Hände, ließ meinen Blick weiter bis auf die Oberarme gleiten… und irgendwann fiel er inmitten meines Schoßes. Blut… überall getrocknetes Blut… lilane, blaue und dunkelrote Flecke die von oben bis unten an mir leuchteten… ich war so schmutzig… so unendlich schmutzig und verdorben. Ich raffte mich auf. Ich musste vom Dach runter kommen ehe ich die Kontrolle über mich verlor. Behutsam kletterte ich an die Dachrinne und wollte mich langsam über das Standrohr hinunter gleiten lassen.

„AUTSCH!“

Zu früh gefreut. Es war doch sonst immer so einfach. Doch dieses Mal blieb an einer Wandbefestigung hängen, riss mir die Handfläche auf und ließ ungewollt los. Ungehindert stürzte ich auf den harten Steinboden und eine weitere Schmerzwelle erschütterte meinen Körper, schüttelte meinen Magen und verzerrte meine Sicht. Wo war ich denn nur? Erneut zwang ich mich auf die Beine, stütze mich an den neben stehenden Baum, konzentrierte mich auf meine Umgebung. Mir war so unheimlich schlecht. Nur noch ein paar Schritte… nur noch 3 oder 4 Schritte zur Haustür… und dann wäre es nicht mehr weit bis zum Bad. Ich musste diesen Schmutz abwaschen… die Erinnerungen… den Schmerz…

Mit Mühe und Not erreichte ich die Haustür, drückte stöhnend die eiskalte Klinke hinunter und stolperte zum Flur hinein. Ein paar Schritte noch und…

>Paff<…

Eine schallende Ohrfeige riss mich von den Füßen und erschütterte mein Bewusstsein an die kommende Planung.

„Wo bist du gewesen Sandra?! Wo hast du dich rum getrieben?!“ schrie mich eine zornige Fratze an.

Was war hier los? Wo bin ich nur? Wirr untersuchte ich die Wände die mich umschlossen.

Bad! Signalisierte mein Kopf. Bad! Jetzt sofort!

„Cecilia! Bist du wahnsinnig?! Lass unsere Tochter doch erstmal anständig nach Hause kommen!“

Ich glaube, das war das erste Mal das sich Papa einmischte und für mich einsetzte. Wie bedauerlich, dass mein Kopf nicht mehr im Stande war die Gesprächsfetzen aufzuschnappen, die nun wie wild gewordene Wurfgeschosse zwischen meinen Eltern durcheinander schnellten.

Auf allen vieren kämpfte ich mich vorwärts… weiter… weiter…nur noch ein Stück. Ich schaffte es gerade noch ins Bad zu verschwinden und die Tür abzuschließen. Meine Übelkeit gewann an unüberwindbarer Stärke und im letzten Moment, gerade noch reichzeitig umklammerte ich das Klo ehe ich nichts mehr halten konnte. Mein inneres krampfte sich zu einer Faust, quetschte unzählige schmutzige Bilder aus mir heraus und drohte meine geschundenen Organe mit auszubrechen… genau wie meinen Kampfgeist… alles was von mir übrig geblieben war sollte sich in der Kanalisation verflüchtigen... ich war nicht mehr ich selbst. Und mein Körper gehörte mir nicht mehr…

In Trance quälte ich mich auf die Beine, zwang mich aus den Klamotten die schmerzhaft an meinen Wunden klebten und fiel schwerfällig in die Dusche. Das Wasser das ich im vorbei fallen aufgedreht hatte war viel zu heiß. Wie tausende, kleine Nadeln bohrte es sich in meine Haut… in mein Bewusstsein… und abertausende Schmerzsekunden aus der vergangen Nacht entluden sich immer und immer wieder.

Tränen…Schreie…Wimmern…Flehen… irgendwann bemerkte ich noch nicht einmal mehr das es längst nicht mehr nur in meinem Kopf passierte… das es nicht mehr nur eine Rückkopplung meiner Erinnerung gewesen ist. Ich bekam auch nicht mehr mit, wie das Klopfen an der Tür mehr und mehr zu einem wütenden donnern mutierte und das hektische Säuseln da draußen zu einem Kriegsgeschrei entartete… ich war alleine…eingesperrt in mir selbst… unfähig zu zeigen das ich Schmerzen hatte… große Schmerzen…. Und für einen winzigen Moment… existierte ich nicht mehr.

„Sandra! Sandra! Sieh mich an! Hörst du mich?“

Wer ist da? Wo bin ich?

„SCH***E! Sandra! Sieh mich an, ich flehe dich an, sieh mich an!“

Jacky hatte es geschafft sich durch dieses fetzende Knäuel namens Eltern durchzuwühlen und die Tür aufzubrechen. In Panik wickelte sie mich in den nächst besten Bademantel den sie fand und schleppte mich in mein Zimmer. Ich wusste weder wie viele Stunden sie an meinem Bett gesessen und ununterbrochen ein Auge auf mich hatte, noch wie sie es geschafft hatte meine Eltern abzuwimmeln. Irgendwann, als draußen jedes Tageslicht erloschen und die ersten Laternen angesprungen waren, kam ich wieder zu mir und tastete panisch nach dem Lichtschalter meiner kleinen Nachttischlampe. Jacky war sofort zur Stelle, setzte sich auf mein Bett und zog mich an sich heran wie eine Mutter die ihr Kind in den Schlaf wiegen wollte. Sie schenkte mir Licht und Geborgenheit. Schutz und Sicherheit. Sie verlangte kein Wort, keine Erklärung. Sie war einfach nur hier um meine Tränen zu trocknen und meine Schmerzen zu lindern. Am nächsten Morgen weckte sie mich vorsichtig und brachte mir Frühstück ans Bett. Sie war so viel mehr Familie für mich als es meine Eltern je gewesen waren. Aber irgendwann war auch sie nicht länger bereit zu schweigen und mir einfach nur zu zusehen wie ich mehr und mehr den Bezug zur Realität verlor.

„Sandra… hör zu“

Das waren die magischen Worte mit denen sie jedes Problemgespräch begann.

„Ich weiß dass dir irgendetwas schreckliches passiert ist. Aber bevor ich irgendwelche waghalsigen Schlussfolgerungen äußere und Gott und die Welt rebellisch mache… möchte ich… das du mir zumindest Ansatzweise erzählst was passiert ist.“

Ich wusste, sie würde nicht eher locker lassen, bis sie zumindest die oberflächliche Wahrheit erfahren hätte. Lange saß ich regungslos da, überlegte, realisierte…. Und als die Tränen ihren Weg ans Licht gefunden hatten, lockerte ich meine Zunge…

„Der Tag gestern… er war wunderschön weißt du…“ meine Stimme war brüchig, kaum ein Schatten dessen was sie einst gewesen war.

„Ich hatte schon fast vergessen wie es war als wir noch klein waren, als du mich immer vor den bösen Jungs beschützt hast… weißt du noch…?“ ich rang mir ein Lächeln ab, wagte aber keinen Blick in Jackys Richtung.

„Ich muss eingeschlafen sein, weißt du?..“ Schluchzer… lange tiefe Schluchzer folgten der Tatsache worüber ich gleich reden musste.

„Irgendwann wurde ich geweckt… von IHM… du warst nicht mehr hier“

Jacky rückte näher, griff meine Hand, doch ich zog sie zurück, umschlang meinen zitternden Körper.

„und dann war es auch schon zu spät… ich hab geschrieen weißt du? Aber keiner wollte hören… keiner… sie haben es zugelassen… ich hatte gehofft… wenn ich nur laut genug bin… dass dann jemand kommen würde und ihn aufhält…aber da war niemand… niemand außer ihm und mir… er hat mich festgehalten…. Er hat nicht aufgehört… er hat einfach nicht aufgehört…. Und irgendwann… nach unzähligen Schlägen… war alles schwarz…..“

Das Gefühl besudelt und verschmutzt zu sein wurde übermenschlich groß.

Waschen! dachte ich immer zu, Waschen, brechen! Waschen! Ohne Vorwarnung rannte ich ins Bad und hing über dem Klo. Solange diese Bilder solche Gewalt über mich hatten, würde ich nie wieder etwas essen können ohne es anschließend mit den Visionen an meine Schändung und Brechreiz bezahlen zu müssen. Jacky war mir seither immer auf den Fersen. Sie fühlte sich dafür verantwortlich, dass man mich vergewaltigt hatte. Sie fühlte sich schuldig, gegangen zu sein und mich da liegen gelassen zu haben… auf dem Dach…alleine… in den Fängen eines Perversen und fernab jedem Schutzes.

Nach etwa einer Woche, als mein Zustand in eine gestörte Lethargie mit Waschzwang zu kippen drohte, war nicht einmal mehr Jacky fähig mich zu beschützen und für mich da zu sein. Meine Eltern wiesen mich ein. Ich weiß noch… meine Sachen waren bereits gepackt und ich wartete nur bis man mich wieder einsperrte… Mama wollte ein letztes Mal mit mir sprechen… zwang mich dazu ihr zu sagen wo ich in jener Nacht gewesen bin… Und als ich ihr wahrheitsgemäß antwortete….

„Sei nicht albern! Du und vergewaltigt?! Lüg mich nicht an! LÜG MICH NICHT AN!!!“ Sie packte mich, schlug mir links und rechts ins Gesicht, schleuderte mich rücklings in mein Zimmer und schloss mich mit den Worten „wenn du nicht bald die Wahrheit sagst, steck ich dich ins Heim! Wer so notorisch lügt hat in der Öffentlichkeit nichts verloren!!! Was glaubst du was der Junge ausstehen muss wenn du solchen Mist über ihn verbreitest! Du bist eine Gefahr für die Allgemeinheit!“ ein. Was hatte ich der Welt nur getan, dass sie mich so sehr hasste?

Zwei Stunden später brachte Papa mich in die Klinik. Eine Klinik für Gestörte… für Schizophrene, manisch Depressive… wir sprachen kein Wort. Er hatte mich auch dieses Mal nicht beschützt… mich nicht vor Mamas Gewaltausbrüchen behütet…

Drei Monate hielten sie mich eingesperrt…. Drei verdammte Monate in denen sich mein Schicksal endgültig gegen mich verschwor…



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