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Another Side, Another Story

The Traitor's Tale
von

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Lügen und Illusionen

Jowy ließ zu, dass Riou und Nanami ihn auf die einzigen Pritsche der kleinen Gefängniszelle drückten und blickte dann zu ihnen auf.
 

„Dann haben sie euch auch erwischt, hm?“, murmelte er.
 

Was war denn nur mit seiner Stimme los? Wo war sie hin? Warum zitterte er so? Wer hatte ihm die Luft abgeschnürt? Was für ein Messer hatte man ihm in die Brust gerammt…?
 

„Was ist denn nur passiert?“, fragte Riou leise und sah ihn besorgt an. Kraftlos schüttelte Jowy den Kopf und öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Er schloss ihn wieder, öffnete ihn noch einmal und antwortete dann:
 

„Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung…“ Er sah, wie die Geschwister einen Blick wechselten, dann schlang Nanami wortlos die Arme um seinen Hals und umarmte ihn fest.
 

„Es wird alles wieder gut, Jowy. Du wirst sehen“, flüsterte sie aufmunternd, „wir sind alle zusammen.“
 

„Hmm…“ Sie ließ ihn wieder los und strich sich eine Strähne des hellbraunen, kinnlangen Haars hinters Ohr, dann ließ sie sich mit einem Seufzen neben ihm nieder und blickte zu ihrem jüngeren Bruder hoch.
 

Riou wirkte ernst, fiel Jowy auf. Er war sich sicher, seinen besten Freund niemals zuvor mit einem derart düsteren Gesichtsausdruck gesehen zu haben.
 

Riou blickte ihn lange an, dann sagte er:
 

„Man beschuldigt uns, für den Staat spioniert zu haben. Offiziell sind wir Landesverräter und verantwortlich für das Massaker an der Jugendbrigade.“
 

„Das ist eine Lüge“, erwiderte Jowy nachdrücklich und Riou nickte:
 

„Ich weiß. Aber unser Wort gilt hier nicht mehr, wie es aussieht.“
 

Ja. Ja, davon konnte Jowy ein Lied singen. Sein eigener Vater hatte ihm nicht geglaubt, seine Mutter hatte ihn nicht sehen wollen… wie sollten sie jemals andere davon überzeugen, dass all das ein abgekartetes Spiel war?
 

„Wir haben unser Bestes gegeben“, fügte Nanami traurig hinzu, „aber es waren zu viele. Sie haben uns einfach überwältigt.“
 

Jowy wollte ihnen von dem Verrat seiner Familie erzählen, wollte ihnen sagen, wie froh sie sein konnten, dass sie einander hatten, doch er konnte es nicht. Die Geschehnisse der letzten Stunde – war es erst eine Stunde her…? – waren für ihn selbst kaum zu begreifen.
 


 

Ein Wachmann brachte ihnen Abendessen – es bestand aus hartem Brot und Wasser für jeden – und spuckte Riou, der das Tablett am Gitter in Empfang nahm, abfällig ins Gesicht.
 

„Verdammter Verräter!“, spie der Soldat aus, ehe er sich umdrehte und schnurstracks aus ihrem Sichtfeld verschwand. Riou seufzte nur schwer, übergab Nanami das Tablett und wischte sich schließlich das Gesicht an seinem gelben Halstuch ab. In seinen brauen Augen stand eine Bitterkeit, von der Jowy gedacht hatte, dass sein Freund gar nicht in der Lage wäre, diese zu empfinden.
 

„Gibt es denn keine Möglichkeit…“, murmelte Nanami gepresst und er blickte zu ihr, nur um zu sehen, wie sehr sie vor unterdrückter Wut zitterte.
 

Natürlich, so war sie. Es war immer Nanami gewesen, die ihn und Riou beschützt hatte.
 

In ihrer Kindheit war sie nicht nur für Riou eine große Schwester gewesen. Man hatte sie oft Wildfang genannt – aber Nanami war nun mal nicht die Art Mädchen, die gern mit Puppen spielte oder kochte. Sie war die Art Mädchen, das die anderen Kinder aus der Stadt verprügelt hatte, wenn diese auf ihm oder Riou rumgehackt hatten.
 

Sie war keine passive Person und das wussten sie alle. Umso besser konnte Jowy verstehen, wie schwer es ihr fiel, nicht völlig auszurasten, vor allem nachdem der Soldat Riou angespuckt hatte.
 

Früher wäre sie wahrscheinlich Zeter und Mordio schreiend ans Gitter geeilt, um dem Wachmann ganz genau mitzuteilen, was sie von ihm hielt. Dass das womöglich ihr selbst schaden könnte, hätte dabei gar keine Rolle gespielt…
 

„Lass gut sein, Nanami“, erwiderte Riou müde und legte ihr eine Hand auf die Schulter, „Wir können hier nichts tun.“
 

„Ich weiß“, knurrte Nanami, „und ich hasse es!“ Mit einem Schnauben stellte sie das Tablett neben Jowy auf der Pritsche ab.
 

Sie aßen schweigend, jeder vertieft in seine eigenen Gedanken.
 

Während er auf dem harten Brot herumkaute und versuchte, nicht daran zu denken, was in der Atreides-Villa geschehen war, schweiften seine Gedanken stattdessen zu der Nacht des Massakers ab und er schauderte.
 

All das war schlimmer als jeder Albtraum, den er je gehabt hatte. Doch anders als bei den Nachtmahren, die ihn sonst quälten, gab es keine Möglichkeit, aus diesem zu erwachen.
 


 

Er wusste später nicht, wie viel Zeit sie in der Zelle verbracht hatten. Das kleine Verlies hatte keine Fenster und es konnten genauso gut Tage wie Stunden sein, die sie hier unten verbracht hatten.
 

Viel gesprochen hatten sie nicht. Jowy hatte sich nur dazu durchringen können, den Geschwistern vom Verrat seines Stiefvaters zu erzählen, und ihr stummes Mitleid war tröstender als alles, was sie hätten sagen können. Es zeigte ihm, dass auch sie keine Worte für das fanden, was passiert war, und er fühlte sich gleich viel weniger allein.
 

„Eins verstehe ich nicht“, sagte Nanami irgendwann leise, „Warum denken sie, ihr wärt Spione?“ Das hätte Jowy selbst gern gewusst. Doch bevor er die Vermutung äußerte, dass sie höchstwahrscheinlich als Sündenböcke missbraucht wurden, ertönte eine wohlbekannte Stimme:
 

„Das kann ich dir sagen.“
 

Jowy hob beim Klang dieser Stimme erschrocken den Kopf und sah Captain Rowd höchstpersönlich vor ihrer Zellentür stehen. Er wirkte triumphierend, fast schon glücklich darüber, seine ehemaligen Schützlinge in dem Verlies anzutreffen.
 

„Captain…“ Jowys Stimme klang unangenehm heiser und wieder fragte sich, was im Namen aller Runen eigentlich mit ihm los war. Ihn brachte doch sonst nichts so einfach aus dem Konzept.
 

„Beeindruckend“, sagte Rowd ungerührt und kratzte sich am Kinn, das von einem leichten Dreitagebart bedeckt war, „dass ihr diesen Sprung in den Fluss überlebt habt.“
 

„Warum habt Ihr…?“, begann Riou, schüttelte dann den Kopf und brach ab. Er schien es nicht über sich bringen zu können, auszusprechen, was er dachte.
 

„Was soll dieser Überraschungsangriff gewesen sein?“, fragte Jowy und erhob sich langsam vom kalten Steinboden, während er spürte, wie plötzlich Wut in ihm hoch wallte, „Wer war der Mann?!“
 

Sie wussten alle, wen er meinte, und glücklicherweise mimte Rowd nicht den Dummen.
 

„Tut mir leid, ihr beiden“, erwiderte der Captain achselzuckend, „aber dieser Mann, Prinz Luca Blight von Highland, hat große Ziele. Und die habe ich auch.“
 

„Prinz?“, wiederholte Nanami verblüfft, „Dann ist es wirklich der Kronprinz, der…?“
 

„Aber warum würde einer aus dem Königshaus…?“, flüsterte Jowy ungläubig.
 

Natürlich, er hatte gewusst, dass es sich um Luca Blight gehandelt hatte. Aber tief in seinem Inneren hatte ein Teil von ihm gehofft, dass er sich geirrt hatte, dass es nicht wahr war, dass es nicht der Kronprinz gewesen war, der seine eigenen Landsleute hatte abschlachten lassen wie Tiere, dass Highland sie nicht verraten hatte.
 

Diese Hoffnung zersprang gerade in Millionen kleinster Scherben, von denen jede einzelne rasiermesserscharf zu sein schien.
 

„Luca Blight brauchte ein Opfer, um seine Ziele zu erreichen“, erklärte Rowd, doch er wirkte lange nicht so kaltblütig wie er sie glauben machen wollte, „Die Königliche Jugendbrigade von Highland wurde vom Staat abgeschlachtet. Das wird genug sein, um die Menschen von Highland nach Rache aufschreien zu lassen.“ Er schnaubte leise – aber vielleicht bildete sich Jowy das auch nur ein – und blickte dann zu Nanami, deren Hände zu Fäusten geballt waren.
 

„Was denkst du, Mädchen?“, fragte Rowd sie laut, „Was hättest du getan, wenn deine beiden kleinen Freunde hier nicht zurückgekommen wären wie die anderen?“ Vielleicht hätte es weniger grausam gewirkt, wenn er gespottet hätte. Doch es war der kalte Ernst in der Stimme seines alten Captains, der Jowy einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
 

„W-Wenn ich…“, begann Nanami langsam und ihre Stimme zitterte nun genau so sehr wie sie selbst, „Wenn ich gedacht hätte, dass Riou und Jowy… vom Staat getötet worden wären, dann…! Dann hätte ich es niemals verzeihen können, aber… aber ich wusste nicht, dass…!“ Sie schüttelte den Kopf und brach ab.
 

„Genau“, nickte Rowd, „und wenn niemand weiß, wie es wirklich war, wird eine Lüge zur Wahrheit.“
 

Jowy konnte nicht glauben, was er da hörte. Also hatte er tatsächlich Recht gehabt.
 

Der Angriff auf die Jugendbrigade war von Highland ausgegangen. Die Leben all der jungen Männer, die in dieser Nacht gestorben waren, waren nichts als ein Opfer gewesen, um den Krieg erneut anzufachen. Ein Mittel zum Zweck. Wertlos.
 

„Prinz Luca musste die Menschen aufrütteln, um ihren Willen zum Kämpfen erstarken zu lassen“, fuhr Rowd fort, während er sich an die Wand hinter ihm lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte, „und das hat er geschafft. Seine Pläne gehen voll auf… und meine auch. Ich will nicht länger Captain von ein paar Kindern sein. Ich will einen richtigen Job, wo ich richtiges Geld verdienen kann.“ Nun schnaubte er wirklich und warf den drei Jugendlichen einen langen, seltsamen Blick zu. Dann sagte er:
 

„Und dazu müsst ihr beiden als verräterische Spione sterben… und die Wahrheit über das, was wirklich geschehen ist, wird mit euch sterben.“
 

„Das…“, knurrte Nanami, „das…!“ Sie stampfte ohnmächtig vor Wut mit dem Fuß auf den Boden auf und schrie:
 

„Das kannst du doch nicht einfach machen!!“ Rowd sagte nichts, sondern zuckte nur die Achseln.
 

„Dafür“, hörte Jowy sich selbst sagen, „dafür hast du all diese Kinder getötet… hast ihnen ihre Leben geraubt…!“
 

„Vergib mir“, entgegnete Rowd, „Das ist alles, was ich sagen kann.“
 

„Niemals!“, schrie Jowy zurück und starrte seinen alten Captain hasserfüllt an. Wenn er nur seine Waffe gehabt hätte…!
 

Ja, was dann?
 

Er saß noch immer hier fest.
 

„Captain Rowd, die Vorbereitungen sind abgeschlossen“, ertönte plötzlich die Stimme des Wachmanns, der sie bisher bewacht hatte. Er klang erleichtert… also hatte er nicht gehört, was Rowd ihnen hier erzählt hatte.
 

„Wurde auch Zeit“, brummte Rowd leise, dann nickte er und sagte laut:
 

„Nun, ihr zwei… Es wird ein schmerzhafter Tod werden, auch für die kleine Dame.“
 

„Warum sie?“, fragte Riou nur leise und sah den Mann wütend an, „Nanami hat nichts damit zu tun!“
 

„Sie kennt jetzt auch die Wahrheit“, erwiderte Rowd achselzuckend, „aber wenn es dich tröstet… ihr werdet nicht mehr sehen, wie sie stirbt. Ihr werdet heute bei Sonnenuntergang für eure Verbrechen gehängt werden.“ Jowy ballte die Hände zu Fäusten und stieß einen leisen, verzweifelten Laut aus.
 

Er hasste diese Hilflosigkeit.
 

Er hasste sie abgrundtief.
 

„Wenn ihr keine Probleme macht, wird es ganz schnell gehen“, versprach Rowd ihnen gerade. Aber was hätten sie auch tun sollen?
 

„Ich werde doch nicht zulassen, dass…!“, rief Nanami wütend aus und war schon fast unterwegs zu Rowd, um – wie Jowy stark vermutete – ihm wenigstens irgendwie Schmerzen zuzufügen, doch Riou legte ihr eine Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf:
 

„Lass gut sein, Nanami. Schon gut.“
 

„Aber…“ Sie begann zu schluchzen und er lächelte ihr leicht zu:
 

„Keine Sorge. Wir haben doch Großvater gebeten, auf uns aufzupassen, weißt du noch?“ Sie biss sich auf die Lippe und nickte, angestrengt blinzelnd, um die Tränen zurückzuhalten.
 

„Gutes Mädchen“, kommentierte Rowd und nickte er ein paar Männern zu, die an seine Seite getreten waren, und dann wurden Riou und Jowy auch schon aus der Zelle geholt.
 

Man fesselte ihnen augenblicklich die Hände hinterm Rücken und das so fest, dass die Stricke ihm schmerzhaft in die Haut schnitten, doch er beschwerte sich nicht. Ganz im Gegenteil; er spürte, dass etwas in seinem Inneren, das bis dahin noch verzweifelt versucht hatte, sich gegen sein Schicksal zu wehren, zerbrach, als man ihm auch noch einen Strick um den Hals legte.
 

Das war es also. Sie würden sterben.
 


 

„Verräter!“
 

„Verdammte Spione!“
 

„Mörder!“
 

„Ihr seid Schuld daran, dass mein Sohn tot ist!“
 

Jowy wusste nicht, was schlimmer war – die Hilflosigkeit, die er zuvor verspürt hatte, oder der Hass, den die Menge ihm entgegenbrachte. Er wollte schreien und um sich schlagen, doch er wusste, dass es nichts bringen würde.
 

Das Wort eines Captains, der angeblich das Massaker an seiner Einheit überlebt hatte, stand gegen ihres, das zweier angeblicher Verräter. Ihm war klar, dass er hier erzählen konnte, was er wollte; ihm würde keiner glauben.
 

Als die Soldaten, die sie durch Kyaro führten, plötzlich stehen blieben – und das mitten auf der Hauptstraße – hob Jowy verwirrt den Kopf. Sie waren neben einer reich verzierten Kutsche zum Stehen gekommen, aus deren Fenster sich ein junges Mädchen lehnte. Er schätzte sie etwa auf sein Alter, vielleicht etwas jünger. Lange, schwarze Haare fielen in einer eleganten Kaskade ihren Rücken hinab und ein dünner Reif aus Silber ruhte auf ihrem Haupt.
 

Ihre dunklen Augen betrachteten die Prozession, dann fragte sie mit einer leisen, melodiösen Stimme:
 

„Was ist denn das für ein Geschrei?“
 

„Mylady, wir haben einige Spione aus Jowston verhaftet“, antwortete einer der Männer vor Jowy und salutierte, „Wir bringen sie zum Schafott.“
 

„Ich verstehe“, nickte das Mädchen, dann glitt ihr Blick über die beiden Gefangenen und sie runzelte die Stirn.
 

„Aber es sind doch nur Kinder“, murmelte sie, „Wie können sie Spione sein?“ Jowy spürte eine Welle von Ärger in sich hoch wallen. Er war kein Kind mehr.
 

„Wir sind unschuldig“, teilte Riou ihr leise mit, doch bevor das Mädchen darauf reagieren konnte, stieß ihm einer der Männer mit der stumpfen Seite seines Speers in den Rücken und er ging mit einem leisen, schmerzerfüllten Ächzen in die Knie.
 

„Wie kannst du es wagen?“, brüllte der Soldat, während der Junge brutal wieder auf die Füße gerissen wurde, „Wie viele Leben wurden wegen eurem Verrat ausgelöscht?!“
 

„Ruhe!“, rief das Mädchen laut dazwischen.
 

„W-Wie Ihr befehlt, Prinzessin“, stammelte der überraschte Gardist und verneigte sich eilig. Jowy hob den Kopf.
 

„Prinzessin?“, fragte er und das Mädchen nickte.
 

Er wählte die Worte mit Bedacht, da er wusste, dass es womöglich seine letzten waren. Aber wenn dieses Mädchen die Prinzessin war – Jillia Blight – hatte sie wenigstens ein bisschen Macht. Wenn sie ihm glaubte…
 

„Riou und ich haben dieses Land nicht verraten“, sagte er laut und gut hörbar, obwohl in seinem Inneren ein Sturm aus Gefühlen tobte, „Dieses Land hat uns verraten.“
 

„Was hast du gesagt?“, blaffte der Kutscher und ein schmerzhafter Stoß von hinten ließ den jungen Aristokraten taumeln, „Was glaubst du, mit wem du sprichst, du Hund?!“
 

„Schon gut“, erwiderte die Prinzessin ruhig, „Lasst ihn reden. Immerhin hat er nicht mehr lange zu leben.“ Sie blickte Jowy aufmerksam an, offensichtlich erstaunt darüber, dass er nicht einmal im Traum daran dachte, die Augen abzuwenden oder sich zu verbeugen.
 

„Ich werde das niemals vergeben“, sagte er leise und schüttelte den Kopf. Die Gesichtszüge der Prinzessin von Highland zeigten keine Regung. Einen Moment blickte sie ihn noch an, dann nickte sie kaum merklich und lehnte sich in ihrem Sitz zurück.
 

„Fahren wir“, rief sie.
 

Die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung und Jowy und Riou wurden weitergetrieben, die Menge begann wieder zu schreien und sie zu beschimpfen, doch nun fühlte er sich plötzlich völlig ruhig.
 

Vielleicht waren es die Augen der Prinzessin gewesen, in denen bei seinen letzten Worten Mitleid aufgeflackert war, als wenn sie die Wahrheit kennen würde, als wenn sie wüsste, dass er sie nicht belog, aber plötzlich wusste Jowy, dass diese junge Frau auf seiner Seite stand. Und dieses Wissen gab ihm nun wenigstens ein bisschen Kraft.
 


 

Der Rohrstock sauste durch die Luft und gab ein pfeifendes Geräusch von sich, ehe er zum wiederholten Male auf seinen Rücken traf. Schmerz schoss durch seinen Körper, doch er weigerte sich, aufzuschreien. Diese Genugtuung würde er Rowd nicht verschaffen.
 

Eben dieser stand nämlich vor dem Schafott und schaute zu, wie man die vermeintlichen Verräter auspeitschte. Wenn es ihm leid tat, so zeigte er es nicht. Sein Gesicht war blank.
 

Der Hinrichtungsplatz war leer; außer der Gruppe Gardisten, die sie hergeführt hatte, hatte niemand Zutritt erhalten und er war fast froh, dass die Menge abgezogen war. Er wollte nicht, dass das letzte, was er auf dieser Welt sah, womöglich die kalten Augen von Marcel Atreides waren.
 

Wieder peitschte der Stock Jowys Rücken und er ächzte leise. Er wusste, dass seine Haut an einigen Stellen aufgeplatzt war und wo er nicht blutete, dort würden sich mit Sicherheit blaue Flecke bilden – jedenfalls, wenn er überhaupt so lange lebte, was im Moment nicht so aussah.
 

„Dies ist die Strafe für eure Verbrechen an eurem Vaterland, Highland. Habt ihr letzte Worte?“ Es war Tradition, dass man Verurteilten erlaubte, vor ihrem Tod noch etwas zu sagen, doch in dieser Situation empfand Jowy es zum ersten Mal als Hohn. Egal, was er oder Riou sagen würden, es würde ihnen ohnehin niemand glauben…
 

„Nein“, antwortete Riou, bevor der Stock erneut auf seinen Rücken niederfuhr und er einen unterdrückten Schrei von sich gab. Jowy schwieg. Alles, was er hatte sagen wollen, hatte er der Prinzessin gesagt.
 

„Gut“, nickte Rowd, „ihr ergebt euch also dem Tod.“
 

Er erwartete, dass der Rohrstock noch einmal durch die Luft flog, doch der Schmerz blieb aus. Der Strick um seinen Hals, der nun am Schafott befestigt war, hinderte ihn in seiner Bewegungsfreiheit, doch er sah aus den Augenwinkeln, dass die beiden Soldaten hinter ihnen nun stillstanden.
 

„Seht euch diesen Sonnenuntergang an!“, rief Rowd und Jowy folgte seinem Blick über die Baumwipfel hinweg, die den Hinrichtungsplatz umgaben.
 

Es war wirklich ein schöner Anblick und als wenn Rowd seine Gedanken gelesen hatte, fuhr er fort:
 

„Es ist der letzte, den ihr sehen werdet. Aber für mich ist es nur ein weiterer Sonnenuntergang, einer von vielen.“ Er verstummte kurz und sagte dann:
 

„Natürlich wird sich mein Leben nach diesem Sonnenuntergang auch verändern. Bis jetzt war ich dazu gezwungen, mich um eine Horde Kinder zu kümmern… aber meine Pechsträhne hat jetzt ein Ende.“ Er lachte leise und Jowy wandte den Blick von der untergehenden Sonne ab. Er wollte das nicht mehr hören.
 

Plötzlich bemerkte er in den immer länger werdenden Schatten eine Bewegung und seine Augen wurden groß, als er eine Person sah, die sich von hinten einem der Soldaten näherte und ihm in einer fließenden Bewegung die Kehle durchschnitt, sodass er kraftlos in sich zusammen fiel. Der Mörder fing sein Opfer auf und hob den Blick zum Schafott – in diesem Moment sog Jowy vor Überraschung scharf die Luft ein; der Mann, der überraschend leise auf den nächsten Gardisten zueilte, um ihn auszuschalten, war Viktor.
 

„Ich habe die Spione gefangen, die die Jugendbrigade auf dem Gewissen haben!“, fuhr Rowd triumphierend fort, „Damit ist meine berufliche Zukunft gesichert. Bald werde ich eine richtige Kompanie anführen…“ Er verstummte und drehte sich wieder zum Schafott um, doch seine Gesichtszüge entgleisten fast sofort.
 

„Was ist hier los?!“, brüllte er. In diesem Moment spürte Jowy, wie der Strick um seinen Hals plötzlich durchtrennt wurde und er fiel auf die Knie, da ihn nichts mehr auf den Beinen hielt. Und dann hörte er hinter sich Fliks spöttische Stimme:
 

„Wirklich schade, aber ich glaube, dass dein Weg zum Erfolg gerade in eine Umleitung gemündet hat!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Mismar
2010-05-31T12:38:04+00:00 31.05.2010 14:38
Ich mag Jillia~ Ich mochte auch diese kleine Andeutung, wie Jowy sich einwenig zu ihr hingezogen gefühlt hat, und das er sich sicher war, dass sie zumindest auf seiner Seite war. (sie weiß ja am besten, wie ihr Bruder tickt).
Natürlich kann ich jetzt schlecht sagen, dass Kapitel war schön >D Schlimmer Inhalt, wenn man so darüber nachdenkt. Aber du hast die Gefühle, den Schmerz während der Foltererei sehr gut beschrieben und rübergebracht.
Ich weiß nicht, was ich noch großartig sagen soll, war wieder alles sehr stimmig.
Von:  Flordelis
2010-02-09T23:27:04+00:00 10.02.2010 00:27
Was gibt es zum Kapitel zu sagen?
Du hast wirklich das Beste aus diesem Abschnitt herausgeholt. Die Hoffnungslosigkeit, die Trauer, das war alles wirklich klasse.
Auch dass du die eigentliche Gefängnisszene verlängert hast, war eine sehr gute Entscheidung, im Spiel war das doch alles ein wenig plötzlich - aber wer will da schon fünf Minuten lang umtätig herumsitzen. XD
Ich hab diesmal nicht einmal einen Fehler entdeckt. >D
Es folgen also nur zwei Anmerkungen. ^^

> Nachtmahren

Du bist die erste Person, die ich kenne, die das verwendet. Damit hatte ich gar nicht gerechnet.
Für mich persönlich klingt es daher ein wenig fehl am Platz, aber nya, das ist eine Stilfrage, ich wollte nur meine Überraschung ausdrücken. XD


> Es zeigte ihm, dass auch sie keine Worte für das fanden, was passiert war, und er fühlte sich gleich viel weniger allein.

Das empfinde ich als einen SEHR interessanten Blickpunkt, im positiven Sinne. Jeder kennt es wohl, dass man etwas hört, für das man keine Worte findet und ich war bislang der Auffassung gewesen, dass sich der Betroffene schlecht fühlen würde, weil Wortlosigkeit auf Desinteresse hindeuten könnte.
Aber dieser Blickpunkt... der gefällt mir wirklich und er passt auch zu Jowy, wenn man mich fragt.


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