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Another Side, Another Story

The Traitor's Tale
von

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Mit List und Tücke

A/N: *reinschleich, Kapitel dalass und wieder rausschleich* ... Liest das überhaupt noch einer...?
 


 

Dunkle Schatten lagen unter den Augen der amtierenden Bürgermeisterin von Greenhill, als sie, begleitet von ihrem Leibwächter – der ihr schon bei der Hilltop-Konferenz nicht von der Seite gewichen war, erinnerte sich Jowy – sein Zelt betrat. Dennoch hatte sich an ihrer Gangart seit Muse nicht verändert; sie hielt sich noch immer aufrecht, stolz, ruhig.

Wahrscheinlich hatte diese Frau einen stärkeren Geist als so manch anderer Führer des Staatenbunds und der Aristokrat bedauerte bereits jetzt, was er ihr und ihrer Stadt antun würde. Aber es war notwendig, das hier war Kollateralschaden, alles würde es wert sein, wenn Luca Blight erst einmal tot war.
 

Teresas Blick wanderte über das Innere des Zelts – das ordentlich gemachte Feldbett, die Truhe mit Habseligkeiten, den Teppich unter ihren Füßen – bis er schließlich auf Jowy zu stehen kam, der mit gleichgültiger Miene und verschränkten Armen an den Tisch gelehnt stand und darauf wartete, dass sie etwas sagte.
 

Er hatte seit jeher darauf verzichtet, die Rüstungen der Highlander anzulegen, sie waren unbequem und er fühlte sich darin alles Andere als wohl, weil sie ihn zu sehr an das Massaker an der Jugendbrigade erinnerten. Stattdessen trug er einen weißen Mantel, eine schwarze Hose und weiße Stiefel – alles Kleidung, die er aus dem gefallenen Muse davongetragen hatte. Ein Teil von ihm fühlte sich schuldig, die Sachen an sich genommen zu haben, aber andererseits war der ehemalige Besitzer entweder längst tot oder würde es in naher Zukunft sein. Am Mantel hingen gut sichtbar seine Abzeichen.
 

Hinter Teresa und ihrem Leibwächter betraten Lexa und Jakob das Zelt, weitere fünf Soldaten blieben davor stehen. Teresa hob beide Brauen und bemerkte:
 

„Und hier dachte ich, ich würde mich Auge in Auge mit Solon Jhee wiederfinden oder einem der anderen großen Generäle von Highland, aber du bist ja nur ein Kind...“ Jowy schnaubte.
 

„Ich denke nicht, dass mein Alter auch nur irgendetwas mit meiner Loyalität gegenüber meinem Land und meinen Fähigkeiten zu tun hat, Lady Teresa. Ich bin im Namen von Prinz Luca Blight hier, um Euch ein Angebot zu unterbreiten, und wenn ich mir die momentane Situation im Staatenbund anschaue, ist er ein viel besserer Kriegsherr als mancher Führer des Staats.“ Die Wangen der Bürgermeisterin färbten sich rosa und der Aristokrat sah, wie die Hand ihres Leibwächters zum Heft seines Schwertes fuhr. Runen, der Mann war besser abgerichtet als jeder Kampfhund...
 

„Ich verlange von Euch den gleichen Respekt, den ich Euch entgegenbringe“, fuhr Jowy kühl fort und bedachte die junge Frau mit einem vielsagenden Blick. „Ich möchte nämlich wirklich nicht zu primitiven Mitteln greifen müssen und Euch drohen.“ Teresa biss sich auf die Lippe und zögerte kurz, dann flackerte etwas in ihren Augen auf und sie sagte:
 

„Dann bitte ich Euch, mir zu vergeben. Ich möchte hören, was Ihr für ein Angebot habt, Lord...?“
 

„Jowy“, half der Aristokrat ihr nach, „und ich bin kein Lord.“ Teresa nickte, blieb jedoch stumm. Er betrachtete sie noch einen Moment lang, registrierte, dass ihre Haare ein bisschen unordentlich waren, als hätte sie viel Zeit damit verbracht, sie sich zu raufen und erklärte dann:
 

„Ihr habt zwei Möglichkeiten, Lady Teresa. Ihr könnt Euch hier und jetzt friedlich ergeben und ich erkläre Greenhill zum Teil des Königreichs Highland. Ihr werdet als Bürgermeisterin abgesetzt und begebt Euch gemeinsam mit Eurem Vater in Gefangenschaft.“ Teresas Augen verengten sich zu Schlitzen und sie zischte:
 

„Ich werde meine Stadt nicht aufgeben. Die Menschen von Greenhill verdienen es, frei zu sein! Wir werden uns Highland nicht beugen, ich stimme Euren Bedingungen nicht zu“, ihre Augen wanderten schnell über das Abzeichen auf seiner Brust, „Oberleutnant.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und reckte das Kinn in die Luft. „Was ist die andere Möglichkeit?“
 

„Ihr schlagt die erste Möglichkeit aus und werdet Zeuge der Einnahme Greenhills durch die Highland-Armee. Ihr werdet als Bürgermeisterin abgesetzt und begebt Euch gemeinsam mit Eurem Vater in Gefangenschaft, um anschließend von Prinz Luca hingerichtet zu werden.“ Er wusste, dass keine der Möglichkeiten für sie in Frage kam – weil sie auch für ihn niemals in Frage gekommen wären. Aber nur ihretwegen würde er nicht Halt machen auf seinem Weg.
 

Kollateralschaden.
 

Teresa atmete scharf ein und aus, schüttelte den Kopf und flüsterte:
 

„Es tut mir leid, Oberleutnant... aber ich fürchte, dass wir keine Einigung erzielen werden. Greenhill wird sich den Bedingungen von Highland nicht beugen. Wir werden für unsere Unabhängigkeit kämpfen!“ Jowy nickte, so etwas hatte er schon erwartet.
 

„Mir tut es ebenfalls leid, Lady Teresa“, seufzte er. „Ich hatte gehofft, dass wir uns einigen können, damit ich nicht zu drastischen Maßnahmen greifen muss.“ Die Bürgermeisterin schloss kurz die Augen und atmete tief durch, dann blickte sie ihn an und fragte:
 

„Warum tut Ihr das?“
 

„Ich kämpfe für mein Land, so wie Ihr für Eures kämpft“, erwiderte Jowy und schluckte die bittere Galle, die in ihm hochstieg, wieder herunter. Teresa nickte und wandte sich dann von ihm ab.
 

„Ich möchte jetzt zurück nach Greenhill.“
 

„Selbstverständlich.“ Er gab Jakob und Lexa einen Wink und obwohl beide ihm ungläubige Blicke zuwarfen, taten sie wie geheißen. Jowy blickte ihnen hinterher und seufzte erneut, insgeheim erleichtert darüber, dass er Teresas unheimlichen Leibwächter wieder los war.
 


 

Nachdenklich betrachtete Jowy die aneinander geketteten Männer. Es waren die gefangenen Soldaten aus Muse, die im strömenden Regen auf der Erde saßen und nicht einmal mehr versuchten, sich irgendwo Deckung zu suchen. Ihr Wille war gebrochen, sie waren unterernährt und durchgefroren, da sich seit dem Fall von Muse niemand mehr um sie gekümmert hatte.
 

Seine Augen glitten über die traurigen Gestalten der Staatler und er suchte instinktiv ihre Gesichter nach einem ab, das er kannte, doch diesmal hatte er anscheinend Glück; keiner der Männer, die er von seinem Platz aus sehen konnte, kam ihm bekannt war. Irgendwie machte es das leichter, sie als Werkzeuge zu benutzen.
 

Der stetige Regen, der in der Nacht eingesetzt hatte, tötete alle Geräusche ab, füllte die Welt mit einem sonderbaren Rauschen, das der Aristokrat gleichermaßen als beruhigend und unheimlich empfand. Unter dem Umhang fröstelnd, seufzte er und wandte sich an die zwei Soldaten, die neben ihm standen und auf Befehle warteten.
 

„Bringt sie zum Stadttor von Greenhill – wir werden sie freilassen.“
 

„F-Freilassen, Sir?“, wiederholte einer der Männer ungläubig und runzelte die Stirn. „Ist das nicht das Gegenteil von dem, was wir tun sollten?“
 

„Wenn wir die Gefangenen freilassen, wird Greenhill mehr Soldaten haben, Sir“, stimmte der zweite ihm vorsichtig zu. „Wir sind jetzt schon in der Unterzahl...“
 

„Vertraut mir, Männer“, erwiderte Jowy leise und sah den beiden Männer eindringlich in die Augen. „Am Ende wird sich all das auszahlen.“
 

Er sah ihnen ihre Zweifel und vielleicht sogar ihre Angst an. Er ahnte, dass sie ihn für größenwahnsinnig und verrückt hielten, sich womöglich sogar fragten, ob Luca Blights Wahnsinn inzwischen ansteckend geworden war. Doch nach kurzem Zögern taten die Männer wie geheißen, gaben die Befehle an Andere weiter und zogen die Gefangenen auf die Beine. Schon bald zog ein Marsch von Leuten durchs Camp, direkt auf Greenhill zu.
 

Jowy, der ihnen in einiger Entfernung folgte, bemerkte, dass außer den Wachleuten nun auch Zivilisten auf der Stadtmauer von Greenhill standen. Durch das Fernrohr, das er sich erneut von Lexa hatte geben lassen, erkannte er unter anderem eine große Frau mit langen, weißen Haaren, die beängstigend wenig trug (und der Regen machte ihre weiße Kleidung besorgniserregend durchscheinend), eine kleinere Frau, deren dunkelbraune Haare zu einem Knoten im Nacken zusammengefasst waren und die unauffällige und schlicht gekleidet war, sowie einen Mann, der nur schwarze Kleidung trug. Alle drei wirkten grimmig und besorgt. Neben ihnen standen Teresa und ihr Leibwächter und natürlich unzählige Soldaten, die alle stumm darauf warteten zu erfahren, was die Highlander nun vor hatten.
 

Wahrscheinlich waren seine eigenen Männer genau so gespannt darauf wie die Verteidiger von Greenhill. Nun… er wettete, dass sie alle gleichermaßen überrascht sein würden. Er war es ja selbst gewesen, als Leon ihm den Plan erklärt hatte! Aber er hatte gelesen, zu was die Silverberg-Familie in der Lage war – und wenn Leon auch nur einen Bruchteil dessen beherrschte, was ihm nachgesagt wurde, dann würde dieser Krieg schon sehr, sehr bald vorbei sein.
 

Ein Raunen ging durch die Reihen der Highlander, als die Tore von Greenhill sich öffneten und die Gefangenen aus Muse hineinstürmten. Viele seiner Männer blickten sich nervös nach Jowy um, als erwarteten sie, dass er ihnen den Angriffsbefehl gab, doch er blieb stumm und sah dabei zu, wie 3000 erschöpfte, bis auf die Knochen durchnässte Soldaten die verbündete Stadt betraten, wie hinter ihnen die Tore zufielen.
 

„Zurück zu Euren Posten, Männer!“, rief der Aristokrat schließlich nach einem letzten Blick durch das Fernrohr auf Teresas misstrauisches Gesicht. „Es gibt hier nichts mehr zu sehen.“ Er wandte sich ab und marschierte durch das aufgeweichte Camp zurück zu seinem Zelt. Jetzt eine Tasse heißen Tees, das hatte er nötig… Mit einem bitteren Lächeln dachte Jowy an Nanamis herben Kräutertee, der zwar furchtbar schmeckte, aber richtig durchwärmte, was man von dem eklig süßen Gebräu, das er im Vorratszelt entdeckt hatte, nicht unbedingt sagen konnte.
 

Als er Leons Zelt passierte, überlegte er kurz, ob er dem Strategen Bescheid sagen sollte, dass die Gefangenen planmäßig freigelassen worden waren, entschied sich jedoch dagegen. Mochte Silverberg auch sein einziger Verbündeter hier sein, er wollte ihn nicht sehen. Also betrat Jowy mit einem Seufzen sein eigenes Zelt und schlug, erleichtert darüber, dass die Plane über seinem Kopf wasserdicht war, die Kapuze seines Umhangs zurück, ehe er ihn ablegte und über einen Stuhl hängte. Brr, was für ein Mistwetter.
 

Er hatte sich gerade mit seiner Tasse schwarzen, klebrig süßen Tees an den Tisch gesetzt und versuchte, nicht daran zu denken, was passieren konnte, falls Leons Plan doch fehlschlug, als von draußen, gedämpft durch das Rauschen des Regens, eine Stimme erklang:
 

„Oberleutnant Jowy, Sir? Habt Ihr einen Augenblick Zeit?“ Ehrlich gesagt hätte Jowy am liebsten genervt aufgestöhnt und sich unter seine Decke verkrochen, um so zu tun, als sei er nicht da. Aber wahrscheinlich war etwas Wichtiges vorgefallen, ansonsten hätte der Mann draußen wohl gewartet, bis sich alle im großen Speisezelt versammelt hatten, um ihn bei der Mahlzeit anzusprechen. Der Aristokrat nahm einen Schluck Tee, atmete tief durch und erwiderte laut:
 

„Kommt herein.“ Die Zeltplane wurde zur Seite gehalten und er erkannte mit einigem Erstaunen Jakob und Lexa, die sich beeilten, ins Trockene zu kommen. Jowy erhob sich und wies zu dem Stuhl, auf dem auch sein triefnasser Umhang bereits hing:
 

„Ihr könnt Eure Umhänge dort ablegen. Kann ich Euch einen Tee anbieten? Leutnant, Sergeant?“ Lexa und Jakob wechselten einen Blick, ehe sie synchron die Köpfe schüttelten und Jakob leise fragte:
 

„Mit Verlaub, Sir… Euch ist bewusst, dass Ihr Greenhill gerade 3000 zusätzliche Männer überlassen habt?“ Da war es, das gefürchtete Gespräch mit seinen Untergebenen, die ihn für nicht ganz dicht hielten. Größenwahnsinnig. Vielleicht war er es.
 

Jowy pustete sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und ließ sich wieder auf seinen Platz sinken. Dann erklärte er ruhig, den Blick in die Ferne gerichtet:
 

„Die Bewohner von Greenhill haben uns erwartet. Natürlich haben sie das, es war kein Geheimnis, dass unsere Armee früher oder später hier aufschlagen würde. Also haben sie Vorräte aufgestockt und sich in der Stadt verbarrikadiert. Wir kontrollieren alle Ein- und Ausgänge, keiner kann hinein oder hinaus. Und jetzt…“ Einen Moment lang war es still, bis die Erkenntnis die beiden Soldaten vor ihm traf. Lexa ächzte leise, während Jakob tonlos feststellte:
 

„Jetzt habt Ihr ihnen 3000 weitere Mäuler zum Stopfen gegeben.“
 

„Ganz genau“, bestätigte Jowy, nahm einen weiteren Schluck Tee und mühte sich nach Kräften, keine Miene zu verziehen. „Jetzt müssen wir nur noch abwarten. Sie werden früher oder später kapitulieren müssen und dann gehört die Stadt uns.“
 

„Ihr hungert sie aus.“ Irrte er sich oder erzitterte Lexas Stimme etwas? Er sparte sich eine Erwiderung und nickte nur.
 

„Sir – das ist grausam!“ Jowys Kopf fuhr ruckartig in die Höhe und er begegnete Lexas grimmigem, ungläubigem Blick. Sie schüttelte den Kopf, wich einen Schritt zurück, als wolle sie nicht wahrhaben, dass er zu solchen Dingen tatsächlich fähig war. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht passte nur allzu gut zu seiner inneren Stimme, die ihn unabhängig von dem Wispern seiner Rune anschrie, zu was für einem Monster er sich doch entwickelt hatte.
 

Doch dort, wo er gegen seine eigenen Zweifel keine Chance hatte, besaß er genug Willen, um gegen eine Untergebene anzukommen. Die Rune des Schwarzen Schwertes johlte in seinem Inneren über die Wut, die in ihm hochkochte.
 

„Ihr findet meine Methoden also grausam, Sergeant Lexa?“, fragte er nach, sein Ton eiskalt, schneidend, während er ihrem Blick direkt begegnete. Unerschrocken, hart. „Dann denkt darüber nach, wie diese Kampagne vonstattengehen würde, wenn Lord Luca persönlich die Zügel in die Hand genommen hätte. Denkt an die Eroberung von Muse, an die Angriffe auf die Dörfer im Osten des Staates. Denkt an all die Grausamkeit, mit der Lord Luca seinen Opfern begegnet, und dann wagt noch einmal, mir zu sagen, ich wäre grausam.“
 

Die Soldatin starrte ihn geschockt an, war bei der Erwähnung Luca Blights ungesund blass geworden.
 

„Sir“, begann sie erschrocken, neigte dann eilig den Kopf und blickte beschämt zu Boden. „Vergebt mir, es stand mir nicht zu…“
 

„Schon gut“, seufzte Jowy, dessen Wut nun schlagartig verrauchte. Hätte die Präsenz der Rune enttäuscht schmollen können, hätte sie es vielleicht getan. „Ich verstehe Eure Sorge, Lexa, glaubt mir. Um ehrlich zu sein, gefällt mir diese psychologische Kriegsführung selbst nicht – aber sie ist notwendig. Nur so können wir Greenhill ohne unnötiges Blutvergießen einnehmen.“ Er genehmigte sich noch einen Schluck Tee, der ihn zwar nicht wärmte, aber wenigstens ein wenig beruhigte, denn sein Herz schlug noch immer unangenehm schnell nach diesem Ausbruch.
 

Riou hätte bestimmt nicht so reagiert, flüsterte die leise, verbitterte Stimme in seinem Hinterkopf.
 

Wen kümmert Riou?, erwiderte die Rune höhnisch und Jowy fuhr sich müde über die Augen. Vielleicht wurde er ja wirklich verrückt? Woran merkte man, dass man den Verstand verlor?
 

„Also warten wir jetzt ab“, sagte Jakob ein wenig unsicher. Jowy blickte zu ihm auf und nickte.
 

„Jetzt warten wir ab.“
 


 

Dreizehn Tage lang hatte Jowy nun mit einem furchtbar mulmigen Gefühl zur Stadt hinübergeblickt und zu den Runen gebetet, dass Leons Plan aufgehen würde, dreizehn Tage lang hatte er kaum geschlafen, wenig gegessen, weil ihm zu schlecht dafür gewesen war. Dreizehn Tage lang hatte er die Warterei verflucht, war in seinem Zelt unruhig auf und ab marschiert.
 

Doch noch bevor Jowy am Morgen des vierzehnten Tages sein Zelt verlassen hatte, hatte man ihm gemeldet, dass sie Verstärkung erhalten hatten, eine zusätzliche Einheit von gut 1500 Mann, angeführt von den Lords Culgan und Seed. Allerdings waren nicht sie es gewesen, die er zuerst gesehen hatte, nachdem er auf die Neuankömmlinge zugeeilt war – sondern Rowd, der im Moment einen Soldaten zur Schnecke machte, weil sich noch keiner um sein Pferd gekümmert hatte. Schlagartig wurde dem Aristokraten gleich noch ein wenig schlechter. Der hatte ihm gerade noch gefehlt. Was war das, eine Strafe der Runen dafür, dass seine eigene Rune im Duell gegen seinen ehemaligen Befehlshaber die Kontrolle übernommen hatte?
 

Er verkniff sich ein lautes Stöhnen und mühte sich nach Kräften, ein ernstes Gesicht zu machen, als er sich von dem verräterischen Bastard abwandte und zu Seed und Culgan sah, die nun auf ihn zukamen.
 

„Wie ich sehe, haltet Ihr Euch gut für einen Anfänger“, bemerkte Culgan, sobald er in Hörweite war. „Ich hätte nicht gedacht, dass jemand so Junges derart erfolgreich sein würde – meinen Respekt.“
 

„Vielen Dank, Mylord“, nickte Jowy, etwas überrumpelt von dem Lob. „Ich muss aber auch meinen Männern Respekt aussprechen, dass sie jemandem wie mir vertrauen.“ Seed tauschte mit dem älteren Culgan einen anerkennenden Blick, dann erklärte er:
 

„Lord Luca hat uns befohlen, Euch zur Seite zu stehen, da er wohl nicht glaubt, dass Ihr die Stadt allein einnehmen könnt, Oberleutnant… Aber ich denke“, fügte er nach einem schnellen Blick auf das Camp und die dahinterliegenden Stadtmauern von Greenhill hinzu, „Ihr schlagt Euch allein ganz gut.“
 

„Es heißt, es hätte bisher keine Kampfhandlung gegeben“, brummte Culgan nun und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ist das wahr?“ Jowy reckte entschlossen das Kinn vor und blickte dem Mann in die kühlen, hellblauen Augen.
 

„Das ist richtig, Lord Culgan“, bestätigte er betont ruhig.
 

„Und weshalb, wenn ich fragen darf?“
 

„Ich ziehe es vor, kein unnötiges Blut zu vergießen“, gab Jowy zurück. „Wozu soll ich meine Männer opfern, wenn ich die Staatler auch auf andere Weise genau so effektiv besiegen kann?“ Er registrierte die erstaunten Blicke der beiden Männer und lächelte schmal. „Ich versichere Euch, dass es nicht mehr lange dauert, bis Greenhill kapituliert.“ Culgan runzelte die Stirn und schien etwas sagen zu wollen, doch in diesem Augenblick hallten Rufe durch das gesamte Camp. Jowy, der seit zwei Wochen auf diesen Augenblick gewartet hatte, fuhr sofort herum. Sein Blick suchte den Fahnenmast auf der Stadtmauer, an dem bisher die Flagge des Staates dem Wind getrotzt hatte.
 

Nun wehte dort ein strahlend weißes Stück Stoff – Greenhill hatte die weiße Flagge gehisst. Sie kapitulierten. Sie kapitulierten!
 

Jowys Herz machte einen erleichterten Hüpfer.
 

Seed pfiff beeindruckt durch die Zähne und schlug dem Jungen dann überraschend auf die Schulter.
 

„Meinen Glückwunsch, Oberleutnant“, sagte er, „sieht aus, als wären wir völlig umsonst hergekommen.“
 

„Sirs!“ Es war Jakob, der nun herbeigeeilt kam und vor den drei Männern salutierte. „Gerade ist ein Bote von Lady Teresa angekommen.“ Mit diesen Worten reichte er Jowy eine Rolle Papier, auf der lediglich ein paar Zeilen standen:
 

Ich, Teresa Wisemail, amtierende Bürgermeisterin der Stadt Greenhill, erkläre hiermit im Namen Greenhills absolute Kapitulation vor dem Königreich Highland.

Ich bitte Euch nur darum, die Akademie der Stadt nicht zu schließen; viele unserer Studenten kommen von weit her, um hier zu studieren, und das neue Semester beginnt in Kürze. Bestraft die Studenten von Greenhill nicht dafür, dass sie etwas lernen wollen, Oberleutnant.
 

Darunter befand sich eine geschnörkelte, jedoch deutlich zittrige Unterschrift und das offizielle Siegel der Stadt Greenhill. Einen Augenblick lang starrte Jowy das Papier in seinen Händen fassungslos an, als ihm bewusst wurde, wie viel Überwindung Teresa dieser Brief wohl gekostet hatte.
 

„Sie haben die Tore der Stadt geöffnet“, fügte Jakob vorsichtig hinzu. „Wie lauten Eure Befehle, Oberleutnant Jowy?“
 

„Ja“, sagte Seed, „wie lauten Eure Befehle?“ Der Aristokrat spürte die Blicke der Umstehenden auf sich. Nur gut, dass er diese Entscheidung schon getroffen hatte, noch bevor Teresa nach ihrer ersten Unterredung sein Zelt verlassen hatte.
 

Jowy straffte die Schultern und blickte seinen Leutnant entschlossen an, ehe er befahl:
 

„Nehmt die Stadt ein und konfisziert jedes Schwert, das Ihr findet. Ihr werdet keinen der Bewohner mehr als nötig belästigen, aber macht ihnen unmissverständlich klar, dass Greenhill ab jetzt ein Teil des Königreichs Highland ist! Und bringt mir Lady Teresa und ihren Leibwächter – aber lebend!“
 

„Was ist mit der Akademie? Greenhill wird zum Großteil von den Studierenden finanziert“, wandte Culgan milde interessiert ein. Jowy warf ihm einen kurzen Blick zu und sagte dann:
 

„Die Akademie bleibt offen. Jeder neue Student wird aber bei Ankunft ausgiebig durchsucht und kontrolliert.“ Er blickte Jakob in die Augen. „Verstanden?“
 

„Ja, Sir!“ Der Leutnant salutierte, deutete eine Verbeugung an und machte auf dem Absatz kehrt, um die Befehle sofort weiter zu tragen und auszuführen. Jowy atmete leise durch und lächelte dann Culgan und Seed zu.
 

„Darf ich Euch einen Tee anbieten? Wir können dann gern die weiteren Schritte der Einnahme Greenhills besprechen.“
 

TBC.



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