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Spiegel deiner Selbst

...bis du ganz unten angekommen bist...
von

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Hotel de la vérité Miroir

„Alice, wo bleibst du denn so lange?“

„Ich komm ja schon Mamileiiiin“

Vergnügt tänzelte ich durch die Straßen und verlor mich in einem Schaufenster nach dem anderen. Irgendwie war es schon fast schade. Gerade heute, auf dem Weg zu meinem einzig wahren Ziel, beutelte mich eine mörderische Lust mich in die Läden zu schlagen. Eines wusste ich schon jetzt. Ich würde mich auf jeden Fall heute noch mit einer kleinen Shopping-Tour durch meine Lieblingsläden belohnen, ganz egal wie das Ergebnis meines Vorstellungsgespräches ausfallen würde.

„Alice! Wir sind nicht zum Bummeln hier! Wenn ich also bitten dürfte?!“

Mit einer wischenden Handbewegung deutete sie mir, die Führung zu übernehmen.

„Ja ja, schon gut, ist ja gut“ grinste ich sie an und schnitt ihr den Weg ab um sie einmal kräftig zu umarmen.

„Danke das du mich begleitest Mama, das bedeutet mir wirklich viel“

Ihre Verwunderung über meine Verhalten erlaubte ihr keine Reaktion und noch ehe sie fähig war zu realisieren, löste ich mich mit einem Kuss auf ihre Wange und trabte artig voraus. Gleich würden wir ankommen und langsam fing mein Herz an rebellisch zu pochen. Nervös umklammerte ich mein Handgelenk, trommelte in verspielter Gelassenheit darauf herum und versank in Vorstellungen wie ich mich in dem bevorstehenden Gespräch machen würde. Ich sah mich schon jetzt sprichwörtlich auseinander genommen.

Ich bog in die nächste Seitenstraße ein, stockte und verlor für einen Augenblick die Fähigkeit zu atmen. Ich kannte das Hotel bisher nur aus Zeitungsartikeln und vagen Beschreibungen von Freunden die vor mir schon hier gearbeitet hatten. Es war wunderschön. Viel schöner als es jede Erzählung hätte beschreiben könnte. Durch seine Architektur wirkte es fast, als wäre es ein kleines Schlösschen das sich hoch zum Himmel hinauf schwingen wollte, fernab jeder Verbindung zum Asphalt. Ja, wie eine fliegende Festung auf Wolken die von unzähligen geschwungenen Tor- und Fensterbögen und einer kolossalen Wendeltreppe zum Eingang hinein in eine völlig neue Welt einlädt.

„Sieh dir das an Mama“ stotterte ich atemlos als ich mitbekam das sie bereits an meiner Seite stand und meinen paralysierten Blick musterte. „ich hätte nie gedacht dass es so atemberaubend ist“

„Wie wahr, es ist wunderschön. Trotzdem solltest du dich jetzt zusammen reißen und endlich hinein gehn. Schließlich willst du doch nicht zu spät kommen, oder?“ Sie strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr, zupfte meine Bluse zurecht und mit einem letzten Lächeln schob sie mich in richtung Treppe. Verunsichert blickte ich mich noch einmal um, um ein letzte mal ihren Rückhalt zu spüren.

„Machs gut Mami, bis später“

„Ich drück dir die Daumen Alice“ aufheiternd zwinkerte sie mir zu.

Mit schweren Beinen stapfte ich die Treppe hinauf, die sich extra für mich noch ein Stück weiter zu entfalten schien, so dass sich mir das unbestimmte Gefühl aufzwang, mich geradewegs in den Schlund der Hölle zu begeben. Und je weiter ich empor stieg, umso mehr beschlich mich ein Gefühl, dass das Gebäude, dessen zierliches Emblem in Goldranken geschwungen über mir prangte, keine Verbindung mehr zum Erdboden aufwies. Ich war mir sicher, würde man die Treppe wegklappen können, dann würde ich jetzt schweben und schon die geringste Erschütterung würde mich wieder hinunterpurzeln und auf den Boden der Tatsachen fallen lassen. Ein Höhenflug vom Hotel de la vérité Miroir. Ein faszinierender Gedanke der mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken trieb.

Ich war kaum ganz oben angekommen als sich die drei Mann große Eingangstür ruckartig unter lautem Knatschen öffnete und mir ein leuchtendes paar Augen entgegen starrte. Erschrocken wich ich zurück Ich hatte Mühe mich an die gediegenen Lichtverhältnisse des Eingangs zu gewöhnen und war nicht schlecht überrascht. Welch seltsame Begrüßung. Jetzt stand ich also hier und wurde ohne jedes Wort mit Blicken durchlöchert.

„Gu..Gu… Guten Tag, mein Name ist Alice Finkenlied.“ stammelte ich und streckte dem jungen Mann der sich als Portier entpuppte unsicher meine Hand entgegen.

Mit straffen Schritten stolzierte er auf mich zu so dass ich ihn in strahlendem Tageslicht erkennen konnte. Er musste etwa 1,78 groß sein, 25 Jahre alt und glänzte mit einer äußerst athletischen Figur. Seine pechschwarzen Haare ließen sein Gesicht äußerst blass wirken, fast schon weiß. Das Rot seiner Dienstkleidung unterstrich diesen Kontrast erheblich. Was mich allerdings verschreckt hatte war nicht etwa diese Blässe die ihn schon fast krank wirken ließ. Nein, es waren seine kastanienbraunen Augen, durchzogen von Orangen lodernden Flecken, die mir regelrecht entgegen leuchteten. Mit sorgenzerfurchtem Gesicht sah er mich an.

„Alice Finkenlied also…“ flüsterte er mich knapp an. Seine unterkühlte Art ließ mich derart frösteln, dass ich ohne weiter auf eine Reaktion zu warten meine Hand wieder sinken ließ.

„Ähm… ja, so heiße ich.

„Ein Hauch von Unwissenheit haftet an dir, mein Mädchen.“

Er kniff seine Augen zusammen die plötzlich schmutzig und matt wirkten und jede Leuchtkraft versagten.

„Wenn du Schuld mit dir trägst…. dann dreh um so lange es dir möglich ist“

„Ich… ähm… Entschuldigung, aber…“

„LUCIEN!“

Aus den schwach-matten Lichtverhältnissen des Hotels konnte ich eine weitere Person erkennen die sich hektisch mit erhobenem Arm auf uns zu bewegte. Je näher sie kam, desto klarer wurden die Konturen. Umrisse die verrieten, dass sein Arm nicht grundlos in die Höhe gehalten war. Denn sie würde jeden Moment, mit dem Gegenstand der bedrohlich in die Höhe zeigte, wieder in die Tiefen schnellen. Großer Gott, was hatte diese Person da nur in der Hand?

„Lucien, du Schwachkopf! Wie oft den noch?!“

Das Gezeter wurde immer lauter. Die Stimme eines alten Mannes donnerte bedrohlich durch den Eingang und hallte von allen Seiten wieder. Kein Zweifel, sie gehörte eindeutig der Person die sich jetzt aus dem Dunklen löste und dem Portier ohne jede Vorwarnung eine Zeitung auf den bedeckten Kopf donnerte.

„Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du unsere Kunden nicht verschrecken sollst?!“

Lucien hieß er also. In einer geschmeidigen Bewegung bückte er sich um sein Hütchen aufzusammeln das dem Schlag nicht stand hielt und zu Boden fiel. Als er sich aufrichtete, setzte er es wieder auf und zupfte seine Dienstkleidung zurecht.

„Verzeiht, es kommt nicht wieder vor.“ Sprach er mit fester Stimme und seine Augen glommen gefährlich auf ehe er sich dem zornigen Blick seines Gegenübers entzog, sich verbeugte und rückwarts wieder in die Dunkelheit des Hotels verschwand.

Der Alte, der eben noch so aufbrausend war drehte sich nun zu mir und lächelte mich verlegen an. Silbrige Fäden durchzeichneten sein braunes Haar das er sich in einem ordentlichen Seitenscheitel zurechtfrisiert hatte. Ich schätze ihn auf etwa 50 Jahre, denn tiefe Falten gruben sich unter seine Augen und die Mundwinkel.

„Entschuldigen sie Frau… verzeihung, wie war noch ihr Name?

„Ich heiße Alice. Alice Finkenlied“

„Aaaah, sie sind also die Neue. Wir haben sie schon erwartet.

In schier gewohnter Freundlichkeit legte er seine Hand auf meinen Rücken und führte mich in die große Eingangshalle hinein. Sie war von überwältigender Größe.

„Sie gestatten, mein Name ist Ruben von Morrington. Ich bin der Chef und gleichzeitig Besitzer dieses Hotels.“

Prüfend blickte er auf seine Armbanduhr die sich perfekt mit seinem schwarzen Anzug ergänzte. Das Glas war Lupenrein und das grobmaschige Metallarmband glänzte als hätte man es frisch auf Hochglanz poliert und an den Rändern mit Diamanten besetzt.

„Wie ich sehe, haben wir noch ein bisschen Zeit. Sehen sie sich doch in der Zwischenzeit ein bisschen um, ehe wir zum eigentlichen Gespräch kommen. Ich werde sie rufen lassen Frau Finkenlied.“

„In Ordnung“ presste ich hervor und blickte ihm verunsichert hinterher. Jedes Wort viel mir schwer, je länger ich mich umsah. Gebannt verfolgte ich seine Wege die abrupt endeten als er hinter dem Empfang in ein Zimmer verschwand.

Was sollte ich nun tun. Umsehen hat er gesagt. Bedeutete das, dass ich mich hier in diesem großen Saal umsehen soll? Oder hieß das, dass ich frei hier umher spazieren durfte um einen groben Eindruck über das zu bekommen was mir bevor stand. Sekunden des Rätselns verstrichen.

„Es ist viel los Alice, nun geh schon. Deinen Rundgang im Hotel wird sicherlich niemand bemerken“

Du liebes bisschen, ich tat es schon wieder. Wann immer ich mich unbeobachtet fühlte, führte ich Selbstgespräche und steckte meine Nase in Dinge die mich gar nichts angingen. Aber was sollte ich machen? Meine Neugierde hatte in den letzten Monaten ein neues Rekordlevel erreicht und ich machte noch nicht einmal mehr vor fremden Unterwäscheschränken halt. So war es nicht verwunderlich das ich eine gute Freundin verärgerte, nur weil ich in ihrem Tagebuch gelesen hatte und in ihrem hoch intimen Zimmer Dinge hervorgekramt hatte, die niemanden etwas angingen. Sie war mir bis heute noch böse. Aber jetzt war mit Sicherheit nicht die Zeit um in Erinnerungen zu schwelgen und mich über ihren hoch roten Kopf zu amüsieren. Was konnte ich denn dafür, dass ich so neugierig war?

Ich beschloss meinen Rundgang an dem Punkt starten zu lassen, wo er angefangen hatte. Am Einganstor. Der Empfang war etwa zehn Meter vom Tor entfernt und ein roter Teppich mit nachtschwarzer seidener Borte bahnte sich seinen Weg dorthin. Der Kristallleuchter der von der Decke baumelte, schien direkt auf das goldene Emblem das den Mittelpunkt des Raumes auf dem Teppich markierte. Am Empfang selbst kümmerten sich drei eifrige Damen um die Belange eintreffender Gäste. Linker Hand, etwa 15 Meter weiter von mir, standen sieben Portiers unterschiedlicher Größe und Statur mit Gepäckwägen bereit, während bereits zwei andere mit vollen Wägen in richtung Aufzug steuerten der Links neben dem Empfang in die Mauern eingelassen wurde. Die Wände selbst waren mit verspielten Wandfackeln bestückt, die warmes Licht spendeten und wunderschöne Landschaftsportraits in Szene setzten. Eigenartiger Weise waren weder diese Wandfackeln, noch der pompöse Kronleuchter und die riesigen Fenster im Stande diesem Raum ein ordentliches Licht zu verleihen. Es war fast so, als würde dieser Raum jegliches Licht in sich einsaugen und verschlucken.

Zielstrebig setzte ich meinen Rundgang fort und entschied den rechten Gang hinunter zu gehen der direkt an der Lounge für die angereisten Gäste vorbei führte. Am vorbeilaufen erhaschte ich so manchen Gesprächsfetzen der mir ein Grinsen entlockte. Angeregt unterhielt sich ein junges Paar über die Aktivitäten die sie in den verschiedenen Räumlichkeiten gerne ausprobieren wollten. Ich wäre zu gerne stehen geblieben um das ganze weiter zu verfolgen. Aber heute… nein, heute waren wichtigere Dinge an der Reihe. Der Gang machte abrupt einen Knick nach links und schon die erste Tür die ich danach erspähte, riss ich in erwartungsvoller Haltung auf. Fehlanzeige. Hier befand sich nur die Küche in der gereizte Köche darüber diskutierten wie die Menüs auf den Tellern auszusehen hatten.

„Hey, du da! Das hier ist kein Spielplatz für kleine Kinder!“

So ein Mist aber auch, man hatte mich erwischt.

„Ich darf doch sehr bitten“ polterte ich los und trat hinter der Tür hervor, wo ich mich vor wenigen Sekunden noch versteckt hatte „ich bin doch kein kleines Kind mehr. Ich habe mich lediglich verlaufen! So eine Frechheit!“ wortlos wandte ich mich ab und zog meiner Wege.

Ich durchkämmte die gesamte erste Ebene und suchte akribisch nach Details, nach Verstecken und schmutzigen Geheimnissen die das Hotel mit Sicherheit inne hatte. Doch es war zum verrückt werden, ich fand nichts. Nicht die geringste kleine Spur, nichts seltsam anmutendes, ja noch nicht einmal ein kleiner Staubfussel der nicht von den Zimmermädchen beseitigt wurde. Diese penibel, perfekte Ausstrahlung war nicht auszuhalten und so beschloss ich das nächste Stockwerk in Angriff zu nehmen. Ich lief den Gang zurück und drängelte mich in den Gästeaufzug hinein der in eine frei schwebende Säule rechter Hand etwa 5 Meter vom Empfang eingelassen war. Ich war mir so sicher das man mich nicht bemerken würde, dass ich mich schon fast ertappt fühlte als mich ein Aufzugpassagier nach dem Stockwerk fragte in das ich müsse. Stocksteif blickte ich auf die Anzeigetafel die von verspielten Knöpfen gesäumt war.

„Ich… ich ähm… ich muss in den zweiten“ stammelte ich.

„In den Zweiten? Achso, dann sind sie eine Mitarbeiterin?“ fragte mein Gegenüber freundlich aber betont zurückhaltend und tippte auf die Zwei. Die alte Dame mit dem brünetten, krausen Haar schien mich durchschaut zu haben. Was blieb mir also anderes übrig als die Wahrheit zu sagen? Die Wahrheit, so wie ich sie für richtig hielt.

„Nein nein, noch nicht. Herr von Morrington meinte ich solle mich ein wenig umsehn ehe er mich zu sich ruft. Also laufe ich ein wenig umher und versuche mir ein Bild über die Größe und die Einrichtung hier zu machen“

„Achso? Und ich dachte schon ich hätte hier eine kleine Schnüfflerin vor mir, die gerne die Privatsphäre der Kunden auf den Kopf stellt“ Ihr kühler Blick bohrte sich durch mich hindurch. Hatte ich womöglich eine Kleinigkeit in diesem perfekten Bild übersehen?

„Nicht doch“ widersprach ich in gekünstelter Lässigkeit.

Was jetzt, ich musste mit einer plausiblen Erklärung glänzen was ich hier machte. Aber, war es denn nicht schon plausibel genug?

„Wie ich schon erwähnte, ich sehe mich nur ein wenig um, schließlich möchte ich die Zeit die mir Herr von Morrington gegeben hat sinnvoll nutzen“.

„Nun gut, hier wären wir also“ zischte sie süßlich als sich die Aufzugstüren nach einem kurzen, aber bestimmten Klingeln öffneten. Ein erleichterter Seufzer entwich aus meinem angespannten Körper und ich huschte Blitzartig aus dieser menschenüberfüllten Falle heraus.

„Ach und noch etwas“ donnerte es mir hinterher.

„Ja, bitte?“

„Halt dich fern vom obersten Stockwerk wenn du größere Katastrophen vermeiden willst.“

Ich wand mich um und blickte der Frau entgeistert ins Gesicht.

„Du hast mich schon verstanden. Halt dich vom siebten Stock fern. Es gibt nur Ärger wenn man dich dort oben erwischt“

„I… In Ordnung“

Ich starrte noch eine ganze Weile verdrossen in Richtung Fahrstuhl. Als sich seine Türen erneut verschlossen und er sich in die nächste Etage hinauf schob, schossen mir noch unzählige Gedanken durch den Kopf. Hatte die alte Frau gerade vom siebten Stock gesprochen? Oder war sie am Ende schon so senil, das sie nicht einmal mehr die Anzeigetafel, die ganz eindeutig von 6 Stöcken und einem Kellerdeck zeugten, klar lesen konnte? So viel war sicher: sie kannte sich offensichtlich gut hier aus. Zu gut. Und so sehr ich ihre Warnung auch gerne ernst genommen hätte, sie hätte sie mir niemals aussprechen dürfen. Denn jetzt, tobte ein schwelender Brand in mir. Ein Fegefeuer das nach Wissen dürstete und Verzögerungen über Erkenntnisse nur mit schlaflosen Nächten erduldete. So oder so, über kurz oder lang würde ich mich ganz der Frage widmen, welche Geheimnisse hier verborgen lagen. Und ich würde nicht eher Ruhen, bis sie sich in meinen Fängen befanden.

So dachte ich jedenfalls….



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