Phönixe brauchen Sonnenlicht
So weit Miles zurück denken konnte, hatte es niemals Geldsorgen gegeben. Sein Vater hatte als ausgezeichneter Anwalt immer genug verdient, um ohne Sorgen mit seinem Sohn leben zu können und von Karma als „finanziell sicher“ zu bezeichnen wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen.
So hatte Miles über die Jahre einen recht luxeriösen Geschmack entwickelt. Geschmack, den er sich leisten konnte. Es war recht witzig gewesen Phoenixs Reaktion zu beobachten, als diesen klar wurde, wie verdammt und unverschämt wohlhabend sein Freund war.
Besonders das Haus. Das große, im europäischen Stil gebaute Haus etwas außerhalb der Stadt mit dem großzügigen Garten. Drei Stockwerke hoch. Drei Badezimmer. Ein großes Schlafzimmer, ein von Trucy bewohntes Zimmer, zwei voll ausgestattete Gästezimmer und mehr Platz als Phoenix in all seinen bisherigen Wohngelegenheiten (inklusive Studentenwohnheim) zusammen hatte.
Worauf Miles in seinem Haus besonders Stolz war, war der Balkon im zweiten Stock, eine ebene Fläche in Südrichtung, auf der man herrlich die Sonne Californiens am Ende eines stressigen Tages genießen konnte.
Nun, selbst L.A. kannte den Winter und gerade Anfang Januar war es noch recht kalt im freien, trotz der scheinende Sonne. Deswegen war Miles recht erstaunt, als er eines Morgens zufällig an dem großen Fenster vorbei ging, welches auf den Balkon führte, und Phoenix erblickte.
Phoenix, wie er auf dem Bauch auf einer mit einem Handtuch bedeckten Liege lag. Splitterfaser nackt.
Komplett erstaunt (und auch ein wenig fasziniert), öffnete Miles das Fenster. Es war draußen exakt so kalt, wie er dachte. Es konnten maximal eine Hand voll Grad über Null sein. Sofort setzte Sorge ein (was macht dieser Idiot da draußen? Die neue Generation Grippeviren züchten?) und er eilte zu Phoenix, der zu schlafen schien.
„Phoenix?“
Leicht verschlafen hob Phoenix seinen Kopf und blickte Miles an.
„Oh... morgen...“, murmelte er, die Augen noch deutlich unfokusiert.
„Was tust du hier?“, fragte Miles etwas bestimmter und grummeliger, schien Phoenix doch offenbar nicht an der Schwelle zum Tod oder Wahnsinn zu stehen. Noch.
„Uh...“, machte Phoenix, sichtlich verlegen. „Ich äh... nehme ein Sonnenbad?“
„Ein Sonnenbad? Im Winter? VÖLLIG NACKT?“
Phoenix setzte sich auf, lachte verlegen, die Hand am Hinterkopf, wie immer, wenn er peinlich berührt war.
„Nun...“, stotterte er. „Es nennt sich „Polarbad“, um genau zu sein.“, fügte er entwaffnend lächelnd hinzu.
„Lass mich raten...“, fuhr Miles fort. „Eine Phönix-Sache?“
„Uhuum.“, machte Phoenix zustimmend. „Ich... brauche sozusagen Sonnenlicht. Im Winter bekommt man da nicht sehr viel davon, also... nehme ich da ein Sonnenbad...“
„So früh am Morgen?“
„Die ersten Sonnenstrahlen sind die besten.“
„Splitterfaser Nackt?“
„Mehr Oberfläche, die Sonne abbekommt.“
„Und bei der Kälte?“
„Uh...“, machte Phoenix verlegen. „Es... geht nun mal recht schlecht anders...“
„Erkältest du dich deswegen nicht?“
„Nun...“, sagte Phoenix deutlich unbehaglich. „Es KÖNNTE der Grund sein, warum ich ständig um diese Jahreszeit mir eine Grippe einfange...“
Wie auf Stichwort musste der Anwalt prompt niesen. Miles schloss die Augen und atmete tief durch.
Als Phoenix später in der Woche einen hartnäckigen Husten entwickelte, dachte Miles darüber nach, wie gut es war, dass er so unverschämt reich war. Die geplante Verlegung einer Fußbodenheizung auf den Balkon, die die Luft bis etwa eineinhalb Meter über den Boden auf angenehme dreiundzwanzig Grad erwärmen soll, wäre sonst wirklich zu teuer gewesen.
