Tag 1, Teil 1
Ich glaubte nicht an Wunder, nicht an die unbeschreibliche Wissenschaft oder die Nachsicht einer höheren Macht. Ich wusste, dass ich sterben würde. Und ich wusste, dass es nichts gab, was es hätte verhindern können. Merkwürdigerweise fand ich es nicht schlimm. Es gab niemand, der mich vermisst hätte oder gar um mich getrauert hätte. Familie hatte ich keine, war ich doch als Waise groß geworden. Freunde blieben nur so lange an meiner Seite, bis sie für sich selbst den Eindruck gewonnen hatten, mit mir nichts anfangen zu können. Es war komisch, wie schnell ich mich mit der Diagnose abgefunden hatte und bereit war, die letzten Tage, Wochen oder gar Monate zu genießen und nicht, wie ein Häufchen Elend in meiner Wohnung zu sitzen und zu warten das es geschah. So hatte ich es also geschafft in den letzten Wochen einen abstrusen Alltag für mich zu konstruieren, den jeder andere, mit der zugrunde liegende Gewissheit des nahenden Todes, für absolut unnatürlich befunden hätte.
Genüsslich saß ich Stunden in Cafés und beobachtete das geschäftige Treiben der Menschen um mich herum, die vollkommen fern von jener Vorstellung lebten, dass jede Sekunde ihre letzte hätte sein können. Manchmal gab es noch Momente in denen ich mich ärgerte, wie wenig sie doch manche Dinge schätzten oder gar die subjektiv schlechtesten Nachrichten, als etwas hinnahmen, dass sie liebend gern gegen irgendetwas anderes eingetauscht hätten. Ihnen wäre der Gedanke fremd erschienen, selbst diese Dinge als einen positiven den Charakter formenden Part in ihrem Leben anzuerkennen. Was nützte es letztlich mich darüber zu ärgern, viel Zeit hatte ich dafür eh nicht mehr.
Manche würden in meiner Situation vermutlich die verrücktesten Dinge machen. Eine Weltreise oder aus einem Flugzeug springen. Ich war nicht der Typ, der kurz vor seinem Tod sich selbst noch in einen Zustand zu versetzen, der unnachgiebig an den Kräften zerrte und den Körper mit der Droge Adrenalin drangsalierte. Viel mehr sann ich nach innerer Ruhe und Ausgeglichenheit und dem Wunsch diese Welt mit einer Art von Gleichgültigkeit verlassen zu können. Ich wollte nichts vermissen müssen, wollte aber auch nichts finden, was es irgendwie hätte lohnenswert machen können, diesem Leben den Rücken zu zukehren. Was auch immer das hätte sein können.
Eigentlich funktionierte mein Plan bislang recht gut. Meine Katze bekam das kleine Mädchen von nebenan, meine Wohnung hatte bereits für Anfang nächsten Jahres einen Nachmieter und mein Nachlass ging an eine Stiftung. Man hätte meinen können, dass ich mir auch jederzeit einen Strick um den Hals hätte legen können aber das war mir irgendwie schon wieder zu geplant. Es wirkte, als hätte ich aufgegeben. Das tat ich nicht. Auch wenn manche mein Verhalten vielleicht so interpretieren mögen. Ich betrachtete es wie gesagt anders.
Aber meist war es leider im Leben so, auch wenn nur noch ein kleiner Teil von übrig war, machte das leider keinen Unterschied, dass es nie so kam, wie man es geplant hatte.