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Blonde Engel

...und plötzlich verschwunden...
von

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Lindenblütengrab

In dunkler Nacht

Ein Engel lacht

Mit schwarzen Flügeln

Seinen Übermut versucht zu zügeln

Mit schwarzem Haar

Jedes Gewissens ist er bar

Demütig liegt ein blonder Engel ihm zum Fuße

Wartend auf den Moment zur Buße

Gebettet auf Lindenblüten und roten Samt

Hell und fromm wie ein Lamm

Wenn blonde Engel ihre Augen schließen

Weiß der „Engel der Nacht“ es zu genießen

Die Schwärze umschließt ihn ganz

Das letzte Licht ist der Sterne Glanz

Der „Engel der Nacht“ entflieht in die Dunkelheit

Verlässt den blonden Engel in bedrückender Einsamkeit
 

Auch bei den anderen Teams konnten sie Max nicht finden, aber sie versprachen, Bescheid zu geben, wenn er auftauchen sollte. Ray, Tyson, Hilary, Kenny, Kai, Hiro und Yuna teilten sich auf um Max auch in der Stadt und im Umland zu suchen.

Ray entschied sich für den unwahrscheinlichsten Ort an dem er suchen würde: den Friedhof und das Viertel darum. Ich glaube nicht, dass er hier irgendwo ist… Das ist so unwahrscheinlich, völlig irrsinnig… Aber einen Versuch ist es ja wert…

Mit einem mulmigen Gefühl betrat er die Ruhestätte von Rumoi und ging an den Gräberreihen vorbei. Es war fast totenstill, nur ein paar einsame Vögel zwitscherten noch in der Nacht und ein undefinierbares Geräusch war dazwischen zu hören. Und gerade dieses Geräusch zog Rays Aufmerksamkeit voll und ganz auf sich und er folgte dem.
 

Langsam wachte Max wieder auf. Um ihn herum war es stockdunkel, unheimlich eng und es roch ekelhaft süßlich. Es war geradezu stickig mit dieser süßen Luft. Er versuchte sich zu bewegen, aber er konnte es nicht. Er war bewegungsunfähig. Es half nichts. Und dann spürte er unter sich etwas, dass sich unheimlich anfühlte. Panik erfüllte er und er versuchte wieder sich zu bewegen, doch das Einzige, was ihm möglich war, war mit den Füßen gegen hartes Holz zu treten.
 

Ray folgte den dumpfen Geräuschen bis zu einer offenen Grabstelle. Er runzelte die Stirn. Wie konnte eine Grabstelle denn offen bleiben? Und vor allem ungesichert? Und es lag ein Sarg darin. Um die ganze Grabstelle herum lagen Unmengen von Lindenblüten und Ray beschlich ein ungutes Gefühl. Er trat an die linke Seite des eigenartigen Grabes und schaute schwer schluckend hinein. Der Sarg darin war sauber, fast als wäre gerade hineingelegt worden. Oh bitte… Alles, nur das nicht…

Er holte tief Luft und zwängte sich in den schmalen Zwischenraum zwischen Erde und Sarg. Okay... Ich sollte vielleicht dafür beten, dass es nicht so ist, wie ich gerade denke… Bitte, lass es nicht so sein! Ray nahm allen Mut zusammen und schob den schweren Sargdeckel mit aller Kraft beiseite. Oh mein Gott!!

Ray wäre beinahe das Herz stehengeblieben, als er Max, umgeben von Lindenblüten, auf rotem Samt und noch etwas anderem, undefinierbarem liegen sah.

In Sekundenschnelle schnappte Max nach Rays Hand, die er ihm zittrig darbot.

Ray zog ihn schnell heraus und in seine Arme. Ihm war sofort aufgefallen, dass Max viel zu dicht unter dem Sargdeckel gelegen hatte. Um zu erfahren, warum, warf er einen Blick zurück in den Sarg… und erstarrte vor Schreck – Max war nicht allein da drin gewesen!

So schnell er konnte hob er Max aus der Grube und folgte ihm. Max wollte auch zurückschauen, doch Ray verwehrte es ihm. Er legte eine Hand in Max‘ Nacken und zog ihn an seine Schulter, wo er ihn fest an sich drückte. Er wollte nicht, dass Max dies sehen musste.

„Nicht. Schau nicht hin.“, bat er mit einem Blick auf die schon halb verweste Leiche in dem Sarg. Wer macht denn sowas? Das ist ja schrecklich…

Er wandte seinen Blick rasch wieder ab und suchte sein Handy. Die erste Nummer, die ihm in den Sinn kam, war Kais.

„Kai? Hört auf zu suchen, ich hab ihn gefunden!“, meldete er sich sofort.

„Wo?“, fragte Kai.

„Ich bring ihn zum Hotel zurück, dort sag ich es euch.“, antwortete Ray und legte wieder auf.

Er war zum einen jetzt nicht im Stande, es den anderen zu sagen und zum anderen wollte er Max die Worte ersparen, die er hätte sagen müssen.

„Max, warte einen Moment. Bleib da.“, sagte Ray und ging zu der Grube zurück. Er ließ sich vorsichtig hinunter gleiten und bemühte sich, nicht in den Sarg hinein zu schauen. Er zog mit aller Kraft an dem schweren Holzdeckel und schloss den Sarg wieder. Dann beeilte er sich zurückzukommen, warf Max einen mitleidigen Blick zu und nahm ihn kurz aber fest in den Arm. Dann führte er ihn behutsam zum Hotel zurück.
 

Kaum, dass sie dort ankamen, nahm Kai das Telefon der Hausherrin. „Wo hast du ihn gefunden?“, fragte er.

„Auf dem Friedhof, es war knapp.“, sagte Ray leise, damit Max es nicht hören musste.

Kai sah ihn beinahe erschrocken an. Es war ihm klar, dass Max so etwas nie von allein täte. Er wählte die Nummer der Ortspolizei die auf dem Telefon notiert war.
 

Takeshi kam aufgeregt in Yuuris Büro gestürmt. „Yuuri! Notfall, wir müssen raus!“, hechelte er.

„Was?? Wohin denn überhaupt?“, fragte sie überrascht.

„Hotel Sakura.“, antwortete Takeshi.

Yuuri ließ alles stehen und liegen und holte rasch Sorata Moun, ihren älteren Kollegen.

Als die beiden Männer angeschnallt im Auto saßen, trat Yuuri heftig auf das Gaspedal und raste zum Hotel.

„Um was genau geht’s, Takeshi?“, fragte sie.

„Um einen jungen Mann. Sein Freund hat ihn noch lebend retten können, meinte aber, es sei bereits ziemlich knapp gewesen.“, berichtete Takeshi.

„Was? Mehr nicht?“, hakte sie nach.

„Nein, leider hab ich keine weiteren Informationen bekommen. Tut mir Leid, Yuuri.“

Yuuri bog scharf um eine Kurve. „Schon gut. Hast ja erst vor kurzem angefangen.“

In dem Moment meldete sich Sorata zu Wort. „Du aber auch Yuuri.“

„Das ist aber schon ein Jahr her. Takeshi ist gerade mal vier Monate dabei. So, da sind wir.“, sagte Yuuri und bremste abrupt ab. Sie öffnete ihr Tür als erste, war aber diejenige, die sie als letzte wieder schloss.

„Okay, dann wollen wir mal. Bin ja mal gespannt, was da passiert ist.“, meinte sie und schritt voran. Vielleicht bekommen wir ja sogar Infos zum ‚Engel der Nacht‘…

Takeshi und Sorata folgten ihr hinein in das Hotel. Im Empfangsbereich war niemand und sie betraten den einzigen Saal, den sie finden konnten. „Oh… Äh… Wer von Ihnen hat uns angerufen?“, fragte sie irritiert, als sie eine größere Gruppe vorfand, die versammelt im Saal saß oder stand.

„Ja, ich.“, meldete sich Kai.

Yuuri kam zu ihnen und setzte sich. „Was ist passiert?“, fragte sie.

Kai schaute zu Ray und nickte ihm zu. Ray erwiderte gleichermaßen seine Geste und wandte sich dann Yuuri zu, die sich nun ihm gegenüber zuwandte. Sie wiederholte ihre Frage nochmal an ihn gewandt.

„Wie soll ich da anfangen… Naja, wir wollten hier unten ein bisschen feiern, nur Max hatte einen Jetlag oder er war einfach nur müde und wollte eigentlich schlafen. Dann kam Tyson und hat gesagt, dass Max nicht in seinem Zimmer ist. Das kam mir komisch vor, schließlich war kurz vorher noch bei ihm gewesen. Ich bin raufgegangen und er war wirklich nicht mehr da.“, sagte Ray.

„Und dann?“, fragte Yuuri.

Doch bevor Ray darauf antworten konnte, funkte Tyson dazwischen. „Wie heißen sie überhaupt?“, fragte er patzig.

„Mein Name ist Yuuri Shiuni und das sind meine Kollegen Takeshi Hirata und Sorata Moun. Können wir jetzt fortfahren? Dass ich vergessen habe, mich und meine Kollegen vorzustellen, liegt an einem anderen Fall, an dem wir gerade arbeiten.“, erklärte sie und wandte sich dann wieder Ray zu. „Weiter, was ist dann passiert?“

„Ich hab mich in Max‘ Zimmer umgesehen und das einzige was mir komisch vorkam, war, dass das Fenster offen war. Ob Max es aufgemacht hat oder nicht, kann ich nicht sagen, aber auf dem Fensterbrett lag ein Büschel Lindenblüten. …Ah ja und daneben war ein Kreuz in das Holzfensterbrett geritzt.“, berichtete Ray.

Kaum, dass Ray die Blüten erwähnt hatte, war Yuuri aufmerksamer geworden. Lindenblüten... Und ein Kreuz… das hört sich sehr nach dem Engel an…

„Und dann haben sie ihn gesucht?“, fuhr sie fort.

Ray nickte. „Zuerst hier im Hotel, aber weil er hier nirgendwo gewesen ist, haben wir ihn in der Stadt gesucht. Das heißt, die anderen haben in der Stadt gesucht und ich hab mich auf dem Friedhof umgesehen. Ich dachte, das wäre unsinnig, so abwegig, weil es mir so unmöglich vorkam. Nur leider hab ich ihn dann doch dort gefunden.“

Takeshi und Sorata hatten aufmerksam mitgeschrieben und Yuuri hatte ein Diktiergerät auf dem Tisch zu liegen. „Und wo haben Sie ihn dort gefunden?“, fragte sie.

Ray schluckte schwer. „In…“, er stockte erst. „… in einem Sarg…“, sagte er leise.

Takeshi und Sorata sahen erschrocken auf und Rays Freunde warfen ihm und Max entsetzte Blicke zu.

„Ist das Ihr Ernst?“, fragte Yuuri. Das gibt’s doch gar nicht! Das kann nicht der ‚Engel der Nacht‘ sein! Wir haben-

Ray bestätigte es noch einmal und Yuuri sah ihn ungläubig an.

„Und warum hat man uns das nicht gleich gesagt?!“, fragte sie fauchend.

„Wie sollte ich?! Ray hat davon nichts gesagt!“, verteidigte sich Kai, der bis eben noch den Chinesen entsetzt angesehen hatte und den Yuuri nun fixierte.

Das kann einfach nicht wahr sein! „Okay… In Anbetracht der Situation seh‘ ich mal darüber hinweg…“, knirschte Yuuri und atmete tief durch.

„Yuuri… Beruhige, das kann jedem mal passieren. In so einem Moment denkt man vielleicht nicht gleich daran.“, beruhigte Takeshi sie.

„Das weiß ich auch. Kann es jetzt weiter gehen?“, knurrte sie und wandte sich dann seufzend wieder Ray und Max zu. „War da noch etwas? Irgendwas Auffälliges? Was Besonderes?“

Ray sah betreten zu Max und wieder zu Yuuri zurück. Die allerdings hatte seinen Blick sehr genau wahrgenommen und war nun auf Max fixiert.

Max sah sie stumm an. Warum schaut sie mich denn so an? … Wie soll ich das denn in Worte fassen?

Als Max nicht antwortete, wollte Ray ihn erlösen und für ihn weitersprechen, doch Yuuri fuhr ihm über den Mund.

„Nein! Du hast jetzt deine Perspektive schon erläutert. Ab jetzt ist er dran mit erzählen.“, stoppte sie ihn.

Max senkte den Blick. Muss das denn sein? Ich will nicht… Ich fühl mich absolut nicht wohl...

Yuuri seufzte. „Wie war dein Name? Ich hab das wohl schon wieder vergessen…“

„Max…“

„Also, Max. Jetzt hör‘ mir mal zu… Ich weiß, dass das hier nicht gerade leicht für dich ist. Schon wegen der Tatsache, dass er dich in einem Sarg finden musste. Aber wenn wir dir helfen sollen, dann musst du mit mir reden… War da irgendetwas Besonderes? Hast du den Täter gesehen? Kannst du ihn beschreiben?“, fragte sie, ganz auf Max fixiert.

„Ich…“, Max schniefte. „Ich… war nicht allein in dem Sarg… Es war so eng und unter mir…-“, erzählte Max, brach dann aber ab.

Ray sah, wie Tränen an Max‘ Wangen herabliefen. Takeshi und Sorata musterten ihn ebenfalls und warteten darauf, dass er weitersprach, doch Max schüttelte nur den Kopf. Es ging nicht, er konnte nicht weitersprechen. Ich kann das nicht!

Ray brauchte keine Worte mehr um zu verstehen, dass Max nicht weiter darüber reden wollte und es auch nicht tun würde. Er schaute zu Yuuri. „Das kann ich Ihnen auch sagen, Ms Shiuni.“

Yuuri sah ihn grimmig an. „Und du meinst, dass hilft ihm, wenn du ihm die Bürde abnimmst? … Spitz‘ mal die Ohren! Das hilft ihm nämlich überhaupt nicht!“, entgegnete sie ihm und wandte sich dann unmissverständlich wieder Max zu.

Sie schaute ihn fordernd an, doch Max vergrub sein Gesicht an Rays Schulter.

„Okay… beruhige dich erst einmal wieder. In fünf Minuten bin ich wieder da. Takeshi, Sorata..." Yuuri schaltete das Diktiergerät ab, nachdem sie eine Notiz gesprochen hatte und verließ dann mit ihren Kollegen den Saal. Ich kann ja verstehen, dass er traumatisiert ist, aber es ist trotzdem wichtig, dass er spricht…!

Kaum, dass die Tür zu war, wandte sich Ray an Kai. „Kai! Was ist das denn für ein Drachen? Sie kapiert nicht, was Max fühlt! Wir sehen doch alle, wie mies es ihm geht!“, entrüstete er sich.

„Und du verstehst anscheinend nicht, warum sie unbedingt will, dass Max es sagt!“, entgegnete Kai.

„Wie bitte?“

„Oh Mann, Ray! Max hatte ein traumatisches Erlebnis! Das Ganze ist fest in seinen Erinnerungen und vor allem in seiner Seele verankert, das wird er nicht mehr los! Aber er kann den Schmerz lindern, wenn er davon erzählt, wenn er mit jemandem darüber redet! Hast du das noch nie gehört? Das man sich solche Sachen von der Seele reden kann um sie leichter zu machen? Ich dachte du wüsstest sowas, lernt man das nicht bei euch in China?“, erklärte Kai.

Ray schaute ihn erst stutzig an, doch dann sah er zu Max. „Aber ich finde trotzdem, dass sie zu hart mit ihm umgeht.“, meinte er.

„Vielleicht, aber sie macht doch auch nur ihren Job. Außerdem hat sie doch gesagt, dass sie noch einen anderen Fall hat, der ihre Aufmerksamkeit erfordert. Vielleicht nimmt ja gerade der sehr viel mehr Zeit und Kraft in Anspruch, dass sie deshalb auch etwas forsch ist.“, sagte Kai.

Tyson trat hinzu und warf Kai einen fragenden Blick zu. „Sag mal Kai… kann es sein, dass du sie magst?“, fragte er.

„Nein, ich schau mir nur beide Seiten der Medaille an!“, knurrte er und sah Tyson wütend an. Wie konnte er nur auf solch dämliche Gedanken kommen?

Tyson verstummte sofort wieder und schlich sich zu Hilary zurück, die ihn kopfschüttelnd ansah.

Kai seufzte. Die haben ja gar keine Ahnung… Nagut, sowas ist ja auch noch nie vorgekommen, aber sowas weiß man doch, oder erwarte ich jetzt etwa zuviel? … Ob ich sie mag! So ein Blödsinn… Ich glaub, es hackt, oder was?!
 

Die junge Kommissarin hielt die gegebenen fünf Minuten genau ein und setzte sich nun wieder Ray und Max gegenüber und sah den Blondschopf an. „Geht’s jetzt wieder?“, fragte sie vorsichig.

Ray war erstaunt, dass sie jetzt so sanft klang. Was ist denn jetzt? Man könnte fast meinen, sie hätte gehört, was ich gesagt habe… Bloß nicht…

Max nickte und Yuuri schaltete ihr Diktiergerät wieder ein. Sie sprach eine Notiz darauf, dass es jetzt weiterging und legte es wieder zwischen sich und Max auf den Tisch. „Gut, dann versuchen wir es jetzt nochmal… Was war da unter dir?“

Max atmete hörbar tief durch und Ray ahnte bereits, dass es wohl wieder nichts werden würde. Er erwartete das auch nicht von Max, doch- „… Da war ein Toter… und ich habe auf ihm gelegen…“, sagte Max leise.

Takeshi und Sorata schauten erst einander, dann Yuuri an.

Tyson und die anderen, außer Ray, sahen Max entsetzt an.

„Um Himmels Willen, Max!“, hauchte Hilary geschockt.

„Und das erfahre ich erst jetzt?“, fragte Yuuri bemüht ruhig.

Niemand sagte etwas. Yuuri sprang auf und schlug ungehalten die Hände flach auf den Tisch.

„Warum erfahre ich das erst jetzt?!? Hätte das nicht früher passieren können? Das hätte Hirata auch am Telefon gesagt werden können! Ich lasse ja vieles durchgehen, aber DAS geht zu weit!“, fluchte sie laut.

Max war so sehr zusammengezuckt, dass er wie ein hilfloses Bündel neben Ray hockte und sich die Ohren zuhielt. Und dabei hatte sie nicht einmal ihn persönlich angeschrien. Auch die anderen nicht. Sie hatte nur zu Kai gesehen und zu Ray.

Sorata legte ihr die Hände auf die Schultern. „Ganz ruhig. Du hast gerade einen Fehler gemacht… Du hättest jetzt nie die Ruhe verlieren dürfen.“, flüsterte er an ihrem Ohr.

Yuuri konnte seinen warmen Atem spüren und entzog sich ein Stück seiner Nähe. „Tut mir Leid… Du weißt, wie ich auf sowas reagiere.“, gab sie leise zurück.

„Ja und ich hab dir oft genug gesagt, was dich das kostet!“

Yuuri schwieg. Sie wusste es ganz genau. Ich weiß, dass es mich das Vertrauen der Opfer und Angehörigen kostet… Aber ich bin an der Stelle nun mal so impulsiv. Sie atmete tief durch. „Tut mir Leid… Und es tut mir auch Leid, dass wir da jetzt hinfahren müssen… Ihr zwei kommt bitte mit. Takeshi, du sitzt hinten bei den beiden und Sorata vorn bei mir.“, sagte sie und schaute die genannten Personen der Reihe nach an.

Ray missfiel die Idee der Kommissarin, musste sich dann aber eingestehen, dass es so sein musste und Max nicht darum herumkommen konnte…
 

Sorata richtete während der Fahrt den Blick stur geradeaus und klammerte sich am Sitz fest. Er mochte Yuuri zwar sehr, aber ihren Fahrstil konnte er ganz und gar nicht leiden. Denn wenn Yuuri es eilig hatte, dann jagte sie meistens mit mehr als hundert Sachen durch die Straßen. Yuuri… Dein Fahrstil… Ich bitte dich! Du bist Kommissarin!

Vor dem Friedhof bremste sie scharf ab. Ray, Max und die Beamten stiegen aus. Max konnte sich nicht an den Weg erinnern, also übernahm Ray die Führung und brachte sie zu der Grube. Es war alles noch unberührt und die Lindenblüten lagen noch immer darum verstreut. Endlich machte Sorata die Taschenlampe und leuchtete einmal über die Grabstelle und den Sarg.

Das gibt es doch nicht! Wo kommen denn die ganzen Blüten her? „Warum ist der Sarg geschlossen?“, fragte Yuuri.

„Ich hab ihn zugemacht. Ein wenig Pietät wollte ich schon wahren.“, antwortete Ray mit einem leicht pikierten Unterton.

Sie nickte und gab Takeshi ein Zeichen, dass er hinuntergehen sollte und Sorata, dass er die Taschenlampe auf den Sarg halten sollte. Takeshi schluckte, dann schob er den Sargdeckel beiseite. Sie hörten ein Würgen und dann sahen sie, wie Takeshi aus der Grube eilte und sich dann geräuschvoll hinter dem erstbesten Marmor-Grabstein übergab. Scheiße…!

Yuuri sah hinein. Wer ist das?

Während Sorata schwer schlucken musste, betrachtete Yuuri eingehend, die Leiche in dem Sarg.

Ray atmete tief ein. Gott, im Licht sieht das ja noch schlimmer aus…

Mir wird schlecht! … Das ist ja schrecklich… Max sah weg und vergrub sein Gesicht an Rays Schulter, der ihn, ohne den Sarg aus den Augen lassen zu können, fest an sich drückte.

Plötzlich sprang Yuuri in den schmalen Spalt zwischen Sarg und Erde und betrachtete die Leiche genauer. Das sieht aus wie… Moment, nein! Das ist kein Samt! Das sind rote Dahlien! Nagut… darunter ist roter Samt, aber die Dahlien! Kann es sein…

„Sorata? … Rote Dahlien?“

„Rote Dahlien?“, hakte Sorata nach.

Yuuri nickte.

„Meinst du… Glaubst du wirklich, dass es Marisa Gaetano sein könnte?“, fragte er.

„Ich denke schon. Als sie verschwunden ist, waren da auch rote Dahlien und das eingeritzte Kreuz.“, sagte sie und drückte sich aus dem Erdloch heraus.

Indessen kam auch Takeshi hinter dem Grabstein wieder hervor. Er war blass, sah geradezu wie eine Kalkwand aus und es wirkte so, als würde er sogar einen Moment schwanken.

Yuuri holte drei Fotos aus ihrer Hosentasche. Allesamt sahen sie aus, als würde sie sie tagtäglich mit sich herumtragen. Das dritte davon nahm sie hervor und bat Sorata es anzuleuchten.

Ray stand mit Max im Arm etwas abseits und schaute perplex zu. Was, bitte, machen die da?

„Max…“ Yuuri kam auf sie zu. „Du hast offensichtlich riesiges Glück gehabt. Hätten deine Freunde, allen voran er hier, dich nicht so schnell vermisst, dann wärst du schon längst tot. Die Frau dort drin, wenn sie es denn wirklich ist, liegt bestimmt schon mehrere Wochen da drin. Du wärst damit der erste, der dem ‚Engel der Nacht‘ entkommen ist.“, erklärte sie.

Max hatte ihr entsetzt zugehört. „‘Engel der Nacht‘?“, fragte er matt.

„Ja, das scheint ein Serientäter zu sein. Es sind drei Frauen verschwunden. Und dann kamst du und du hast heute Abend überlebt. Nun wissen wir, wo wir die anderen beiden zu suchen haben, jetzt da wir Marisa Gaetano hier in diesem Sarg gefunden haben. Wobei es nicht einfach sein wird, auf Verdacht eine Genehmigung zu bekommen, um hier einige Gräber öffnen zu lassen und auf gut Glück zu suchen.“, berichtete Yuuri.

Max senkte erschöpft den Blick.

„Hey, Max… Sei froh, dass du lebst!“, sagte Ray, doch er erhielt keine Reaktion darauf.

Yuuri legte eine Hand auf Rays Schulter und schüttelte nur den Kopf. Dann wandte sie sich ihren Kollegen zu. „Takeshi! Sorata! Sorgt dafür, dass die Spurensicherung hier eintrifft. Ich bring die beiden ins Hotel zurück. Takeshi, du übernimmst vorerst die Leitung hier. Wenn du Probleme hast, Sorata ist ja da und ich bleibe vorerst im Hotel. Meine Handynummer hast du ja. Wenn etwas Wichtiges ist, dann ruf mich an.“, sagte sie und schob dann Ray und Max vor sich her zum Auto.

„Wenn wir da sind, dann geht ihr sofort duschen! Oder von mir aus baden, was auch immer die im Hotel haben. Bei so einem Verwesungsprozess werden eine Menge Gifte und Bakterien freigesetzt. Die müsst ihr sofort abwaschen und natürlich jeder, der mit euch in Berührung gekommen ist. Das könnte ansonsten ernsthaft gefährlich werden!“, erklärte sie, als sie losfuhr. „Kann das einer von euch euren Freunden sagen?“, fügte sie hinzu und reichte ihr Handy nach hinten.

Ray nahm es ihr ab. „Ich hab die Nummer vom Hotel nicht.“, sagte er.

„Aber sicher die deiner Freunde.“, gab Yuuri zurück, während sie um eine Kurve fuhr. Diesmal fuhr sie ruhiger. Dass Ray im Moment kaum logische Gedanken fassen konnte, konnte sie verstehen.

Ray tippte die erstbeste Nummer ein, die ihm einfiel. „Tyson? … Ja, alles in Ordnung, aber wir haben ein anderes Problem! Ihr müsst sofort alle duschen, jeder der mit Max oder mir in Berührung gekommen ist. Und möglichst auch alles saubermachen, was er oder ich angefasst haben! Wir haben irgendwelche Gifte und Bakterien an uns.“

Er nahm nur wahr, dass Tyson irgendetwas in die Gruppe sagte und dass er es offensichtlich als unangenehm empfand, was er gerade gehört hatte. Dann fragte er wieder etwas.

„Ja, das hat Ms Shiuni gesagt. Macht das einfach. Wir sind gleich da!“ Ray legte wieder auf und wollte es Yuuri wieder zurückgeben.

„Leg es dahin, ich kümmere mich später darum.“, sagte sie. Ich bin sowas von müde… aber das Auto muss ich noch sauber machen…

Die Kommissarin hielt den Wagen vor dem Hotel an und öffnete den beiden die Tür. „So und jetzt geht erstmal duschen. Ich bin auch gleich im Hotel.“, sagte sie.

Ray führte Max ins Hotel und ohne Worte an ihren Freunden vorbei hinauf ins Zimmer, wo er Max direkt ins Bad und unter die Dusche schickte. Derweil wartete er auf ihn. Besser, ich rühre hier nichts an…

Nach einer Weile kam Max wieder raus und er ging unter die Dusche. Max hingegen setzte sich auf das Bett und schaute sich müde um.

Ray brauchte nicht ganz so lang und war kurz darauf wieder bei Max. Er trocknete sich gerade die Haare, während er ins Zimmer zurückkam und Max auf dem Bett sitzen sah. Ich würde ihn nur zu gern in den Arm nehmen… Aber ob er das möchte? Ray schlüpfte rasch in saubere Sachen.

Max schaute ihm zu und Ray musste schlucken, als er den wehleidigen Blick in seinen Augen sah.

„Oh, Max… Ich hätte doch bei dir bleiben sollen!“, sagte er und nahm den Blondschopf in seine Arme.

„Ray… lass mich los, bitte.“

Doch Ray reagierte nicht darauf.

„Lass mich los! Ray, ich kriege keine Luft mehr!“, flehte Max und seine Stimme klang gehetzt.

Ray ließ ihn sofort los, doch seine Hände lagen noch immer fest auf Max‘ Schultern. „Geht’s wieder?“

Max entwand sich ihm. Warum hab ich plötzlich solche Angst bekommen? Er hat mich doch nur in den Arm genommen… Er schwieg. Wie sollte er denn auf Rays und seine eigene Frage antworten? Und wirklich gut ging es ihm sowieso schon nicht.

„Komm… Ich denke mal, Ms Shiuni wartet schon auf uns.“, sagte Ray und führte Max in den Saal hinunter. Wer weiß, was jetzt noch kommt… Hoffentlich bringt sie Max nicht zum Nervenzusammenbruch…
 

Als sie unten bei den anderen ankamen, war Yuuri noch nicht da. Dafür jedoch alle anderen Teammitglieder. Die PBB Allstarz kamen auf sie zu und Max wich an Rays Seite zurück.

„Mann Leute, was ist denn passiert? Uns sagt hier ja keiner was!“, maulte Rick.

„Nun übertreib mal nicht! Tyson und Hilary haben uns gesagt, dass Ray Max auf’m Friedhof gefunden hat!“, versetzte Michael.

Rich rollte mit den Augen und seufzte.

„Jungs, bitte ja! Max geht’s nicht so gut. Es hat schon gereicht das Shiuni ausgerastet ist!“, erwiderte Ray und bahnte sich mit Max an der Hand einen Weg durch die PBB Allstarz zu zwei Sitzplätzen.

„Wer ist Shiuni?“, fragte Rick.

„Ich bin Shiuni! Kommissarin Yuuri Shiuni, wenn’s recht ist!“, zischte die Kommissarin, die gerade den Saal betreten hatte und schob laut die Tür hinter sich zu.

Rich verstummte sofort. Heilige Scheiße… Was ist das denn für eine süße Schnecke!?

Yuuri jedoch schien seine Gedanken geradezu gelesen zu haben, denn sie bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick und ging sofort zu Max und Ray.

„Jetzt sind es ja noch mehr. Was ist denn hier los?“, fragte sie und schaute sich dann um.

„Das sind unsere anderen Teams.“, erklärte Ray und stellte sie nacheinander vor.

„Oh… okay. Das hört sich ja nach sehr vielen Nationen an…“, meinte Yuuri perplex.

„Sozusagen. Miguel und sein Team kommen aus Frankreich, die PBB-Allstarz aus Amerika, die White Tiger X aus China, wir aus Japan und das BEGA-Team ist ein bunter Mischmasch.“, sagte Ray.

Kai ließ ein leises Knurren hören und Ray sagte Yuuri auch, woher das Team Demolition Boyz kam.

Yuuri schien dadurch nur noch verwirrter. Das heißt, es gibt hier mindestens vier Europäer… Und der ‚Engel der Nacht‘ hat sich bisher nur für Europäer interessiert. Das heißt... Mit Ausnahme von Max Tate, der ist Amerikaner. „Und Bega? Welche Nationen sind denn da vertreten?“, fragte sie.

„Oh… Äh Hiro? Du weißt das doch besser.“, wandte sich Ray an den ehemaligen Trainer des BEGA-Teams.

„Kein Problem. Ming-Ming kommt aus Korea, Crusher aus New York, Garland aus Indien und Brooklyn und Mystel aus Griechenland.“, sagte Hiro und deutete dabei jeweils auf die genannte Person.

„Äh… Okay, machen wir weiter.“, meinte Yuuri. Jetzt sind es sechs Europäer… Worüber denke ich hier eigentlich nach?! Das wird ja wohl das einzige Mal gewesen sein, dass ich hier unter dieser illustren Truppe ermitteln muss. Jedenfalls hoffe ich das… Sie holte ihr Diktiergerät heraus und legte es, wie zuvor schon, auf den Tisch.

„Max, kannst du dich an den Täter erinnern? Wie hat er ausgesehen?“, fragte sie.

Max verneinte.

„Bist du sicher? Du warst doch wach?“

„Ja, aber… Ich hab ihn nicht gesehen.“, sagte Max.

Yuuri schaute seufzend zu Boden.

„Alles, was ich sehen konnte, war ein schwarzer Mantel…“, überlegte Max.

Sie schaute sofort wieder auf. „Das ist doch was. Du hast ihn gesehen, wenn auch nur in diesem schwarzen Mantel! Ist dir vielleicht sonst noch etwas aufgefallen?“, fragte sie.

„Nein… obwohl…“,begann Max.

Yuuri unterbrach ihn sofort, als Max einen Augenblick innehielt.

„…Nein, das war wohl nur Einbildung. Ich war irgendwie müde. Das war ich aber sowieso schon, obwohl es sich nicht so anfühlte, es wäre es von einem Jetlag oder einfach nur Müdigkeit.“, sagte Max.

Yuuri zog die Augenbrauen zusammen. Müde? Aber nicht wie man gewöhnlich müde oder erschöpft vom Flug ist?

„Vielleicht warst du ja wirklich nur müde?“, fragte Hilary vorsichtig.

„Nein, das glaube ich nicht. Das hat sich angefühlt, als würde ich sofort ein- und stundenlang schlafen können. Aber das ist nicht passiert, dazu war es zu schnell wieder weg…“, berichtete Max.

Das hört sich eigenartig an… Ganz so, als hätte ihn jemand betäuben wollen… Fragt sich nur noch womit. „Das hört sich nach einem Betäubungsmittel an… Max, ich rufe Dr. Nakahara an. Der wird schon rausfinden, was das war.“, sagte sie und zog ihr Handy aus der Tasche.

Sofort wehte ein Geruch nach Desinfektionsmittel in ihrem Umkreis herum. Sie bestellte den Dr. Nakahara sofort ins Hotel ‚Sakura‘ und legte dann wieder auf.

„Max, hör mir bitte zu. Dr. Nakahara wird dir jetzt Blut abnehmen müssen. Darin kann er nach allen möglichen Beruhigungsmitteln suchen, die unseren Datenbanken hinterlegt sind. Du wirst daran nicht vorbei kommen. Es ist sowohl für und als auch für dich sehr wichtig. Bei den Frauen, das heißt, wenn die anderen beiden auch tot sein sollten, können wir das nicht mehr feststellen. Es sei denn, es wurde ihnen intravenös etwas gegeben, wovon ich aber nicht ausgehe.“, erklärte sie ihm.

Max nickte und sie bat ihn, hier zu warten, bis Dr. Nakahara angekommen war.
 

Nachdem Dr. Nakahara seine Arbeit getan hatte, verließ er mit den Blutröhrchen wieder das Hotel. Yuuri schickte die Reisegruppe in die Betten. Inzwischen war es schon nach Mitternacht und die meisten waren nun doch müde geworden, einige auch vom Flug.

Während sie alle in ihre Zimmer verschwanden, quartierte sich Yuuri in das letzte verbliebene Zimmer ein. Und das befand sich genau neben Kai seinem.

Kaum, dass sie den Futon ausgerollt hatte, klingelte auch schon ihr Handy. Es war Takeshi.

„Du hattest Recht. Es ist wirklich Marisa Gaetano. Und sie ist schon mehrere Wochen da drin.“, berichtete er.

„Was macht ihr gerade?“, fragte Yuuri.

„Wir heben jetzt den Sarg heraus, damit die Spurensicherung feststellen kann, wo er herkommt.“

„Gut… Was ist da los? Was sind das für Geräusche?“, fragte Yuuri.

Im Hintergrund war es lauter geworden und Stimmengewirr war jetzt zu hören.

„Warte…“, sagte Takeshi und Yuuri hörte, wie er nachfragte, was passiert war. Nur leider konnte sie die Antwort nicht verstehen.

„Yuuri, ich ruf dich gleich zurück! Das muss ich mir genauer ansehen!“, murmelte Takeshi.

„Was denn?“, fragte Yuuri, doch ihr jüngerer Kollege hatte schon aufgelegt. Okay Takeshi-san! Das üben wir aber noch! Du kannst doch nicht einfach auflegen!

Vor Wut schnaubend warf sie ihr Handy auf die Bettdecke und verschwand ins Bad. Während sie duschte und ihr Handy ab und zu unaufhörlich klingelte, lag Ray auf dem Sofa des Zimmers und starrte zur Decke hinauf. Max hingegen lag im Bett und wollte Ray eigentlich nicht sehen. Eigentlich niemanden. Ray allerdings zermarterte sich das Hirn, wie er ihm helfen konnte. Er ist völlig verwirrt und verängstigt, dass versteh‘ ich ja, aber ich tu‘ ihm doch überhaupt nichts…

Max hatte sich unter der Bettdecke verkrochen. Er schleuderte sie jedoch schnell wieder von sich, weil sie ihm die Luft raubte. Er seufzte und erhob sich ein Stück auf seinem Kissen. Wenn ich jetzt zu Ray gehe... dann nimmt er mich wieder in den Arm. Aber davor hab ich Angst… Warum? Wir sind doch Freunde, warum habe ich dann so eine Angst vor seiner Umarmung? … Ich will doch bei ihm sein… Eine einsame Träne fand ihren Weg über seine Wange und an seinem Hals hinunter. Dann sank er in das Kissen zurück.
 

Mitten in der Nacht, nachdem er bereits geschlafen hatte, riss Max ein Albtraum wieder hoch. Im ersten Moment war ihm heiß, dann wurde es plötzlich kalt, er zitterte. Er zog die Decke fester um sich. Der starke Duft nach Lindenblüten stieg ihm in die Nase. Er schreckte hoch und sah sich um. Da lagen sie! Die Blüten lagen auf dem Fensterbrett und verströmten ihren Duft. Es war nur sehr schwach, aber er nahm den Geruch wahr. Max schluckte schwer. Diese Blüten… Ich kann sie nicht mehr sehen… Sie werden mich ständig und immer, wenn ich auch nur welche sehe, daran erinnern!

Das Fenster war geschlossen und doch befürchtete Max, dass es jeden Moment aufgehen könnte und dieser Wahnsinnige wieder auftauchen würde. Ich würde ja zu Ray hinübergehen, aber… Ich will ihn jetzt auch nicht aufwecken. Und die Kommissarin wird sicher auch schon schlafen… Obwohl… sie ist sicher noch viel weniger hilfreich…
 

Doch Yuuri schlief nicht. Ganz im Gegenteil. Sie tigerte durch ihr Zimmer und wartete auf einen Anruf von Takeshi, den sie vorhin unter der Dusche ja nicht annehmen konnte. Takeshi! Ruf an! ... TAKESHI!! Du schaffst es noch! Ruf endlich an, Takeshi!

Ihren jüngeren Kollegen verfluchend starrte sie ihr Handy an. Als es dann endlich klingelte und sie am anderen Ende des Zimmers stand, hastete sie darauf zu und ging ran.

„Takeshi! Das machst du aber nur einmal! Hättest du mir nicht gleich sagen können, was los ist, statt einfach aufzulegen?!“, fauchte sie.

„Tut mir Leid…“, entschuldigte sich Takeshi.

„Na schön… Also was ist denn nun so komisch?“, fragte Yuuri. Takeshi, beeil dich! Ich bin müde!

„Yuuri… Setz dich bitte.“

„Was?“

„Tu’s einfach.“

Yuuri runzelte die Stirn. Oh bitte, Takeshi! Mach mich jetzt nicht unglücklich!

„Ich mach Schluss.“, sagte er.

„Hä?! Was soll das denn?“, fauchte Yuuri.

„Kleiner Scherz! Nein, im Ernst. Setz dich bitte.“

„Ich sitze.“, log sie und stand am Fußende ihres Futons.

„Hör mal… Unter dem Sarg von Marisa Gaetano…“, begann Takeshi.

„Ja? Was ist darunter?“, fragte sie mit wachsendem Interesse.

„… Noch so ein Sarg…“

Yuuri holte tief Luft. Damit hatte sie nicht gerechnet.

„Und keinesfalls ohne Inhalt… Ich hab sie schon zur Pathologie überführen lassen. Spätestens morgen früh, frühestens in ein paar Stunden weiß ich mehr.“, berichtete Takeshi.

„Sie?“, hakte Yuuri nach.

„Ja. Es sieht so aus, als wäre es eine Frau. Yuuri, um sie herum liegt irgendwas, das wie trockene Blumen aussieht.“

„Was? Das kann doch nicht wahr sein! Takeshi, das hättest du mir gleich sagen sollen!“, fauchte sie.

„Wie denn? Da haben wir doch grad den Sarg entdeckt. Was hätte ich dir denn sagen sollen?", entgegnete Takeshi.

Yuuri entging seine aufkommende Verzweiflung nicht. „Nun mal ganz ruhig. Es passiert ja nichts. Kannst du mir schon ein paar Infos geben? Dann frage ich mal bei Interpol und Europol nach. Geht das schon?“

„Naja, nicht wirklich. Ich ruf dich später an, ist das in Ordnung?“

„Gib mir die Infos, die du hast, den Rest kannst du mir immer noch geben.“, sagte sie ungeduldig. Red‘ nicht so lange… Ich hab Kopfschmerzen.

„Also… Alles, was ich dir sagen kann ist, dass sie offensichtlich blond war. Und der erste Eindruck der Pathologie war, dass sie etwa so alt wie die anderen Frauen war. Mehr kann ich dir auch noch nicht sagen.“

„Gut okay. Das reicht zwar noch nicht, aber ruf mich sofort an, wenn du weitere Infos hast.“ Sie wollte auflegen, doch Takeshi setzte noch einmal an.

„Yuuri?“

„Was denn noch?“

„Ist irgendwas? Du hörst dich irgendwie nicht gut an.“, sagte er.

Yuuri seufzte.

„Nichts, ich bin nur müde. Wo ist überhaupt Sorata? Ist er bei dir?“

„Nein, er sagte, er wollte zu dir, um dir das zu sagen, was ich dir eben gesagt habe. Kannst du ihm ja sagen, dass du es schon weißt.“

Yuuri lachte. „Ja mach ich. Ruf mich an, wenn du neue Infos hast.“, sagte sie und legte nun endlich auf. Mann, was ist denn los? Die Kopfschmerzen werden schlimmer…

Yuuri legte die Hand an ihren Kopf und holte tief Luft. Ihr Blick wanderte zum Fenster… und das verschwamm plötzlich leicht.

„Hrm!! … Fertig mit Telefonieren?!“

Yuuri wandte sich erschrocken zu der Zwischentür um, die ihr Zimmer mit dem Nachbarzimmer verband. Dort stand der, der die Polizei angerufen hatte. Seinen Namen hatte sie vergessen.

„Ist Ihnen eigentlich klar, wie spät es ist?“, maulte er und kam in ihr Zimmer spaziert.

Yuuri schaute sich kopflos um, konnte aber ihre Uhr nirgendwo finden. „Keine Ahnung…“, murmelte sie.

„Nur mal so zur Info: Es ist gleich halb drei nachts!“, fauchte er und sie bemerkte einen ironischen Unterton.

„Schon? … Mann, Takeshi arbeitet ja voll durch.“, sagte sie und fuhr sich durch die Haare.

„Sie offensichtlich auch!“

„Natürlich, ich muss. Ich leite diese Ermittlung schließlich!“

Er schüttelte den Kopf und ging zu seiner Zimmertür zurück.

„Was wollten Sie jetzt eigentlich? Mir nur sagen, wie spät es ist, oder was?“, fauchte sie plötzlich und er kam ein paar Schritte zu ihr zurück.

„Ja, das wollte ich! Sie fluchen hier rum, aber das andere Leute um diese Zeit tief schlafen, oder das zumindest versuchen, interessiert Sie wohl gar nicht, oder wie?!“, fuhr Kai sie leise zischend an.

„Ich arbeite und dass ich dabei fluche gehört bei meinem Job eben dazu! Und erst recht, dass ich Überstunden mache! Wenn Ihnen das nicht passt, dann kann ich daran auch nichts ändern!“, gab sie mindestens genauso aufgebracht zurück.

Sie schaute ihn wütend an, doch plötzlich verschwamm sogar er vor ihren Augen. Sie schloss sie kurz, atmete tief durch und schob ihn dann zu der Verbindungstür zurück. „Kann ich jetzt für einen Moment meine Ruhe haben, ich erwarte noch ein paar Anrufe.“, sagte sie matt.

Kai bemerkte ihre plötzliche Gemütsschwankung und sah sie jetzt mit anderen Augen an. Irgendwas stimmt doch mit ihr nicht. Sie sieht total abgekämpft aus… So, als hätte sie seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen! „Geht’s Ihnen nicht gut?“, fragte er besorgt.

Yuuri wunderte sich zunächst über seinen veränderten Tonfall und sah ihn erst fragend an. „Nein… Nein, es ist… alles in Ordnung…“, murmelte sie und wollte Kai in sein Zimmer zurückschieben, doch der stand fest da. Dann fiel sie plötzlich nach vorn und direkt in seine Arme. Nein… Nicht doch… Yuuri! Steh auf! Du kannst doch jetzt nicht schlafen…!

„Oh… So etwas hatte ich schon fast erwartet…“, meinte Kai und nahm sie auf seine Arme. Sie ist leicht. Viel zu leicht… Der Fall zerrt wohl doch mehr an ihren Kräften, als man denkt... Und dann meckern immer alle, die Polizeibeamten unternehmen nichts…

Statt sie in ihr Zimmer zu bringen, wählte er den kürzeren Weg und legte sie auf seinen Futon, wo er sie zudeckte und ihr die Haare aus dem Gesicht strich. In diesem Moment wurde die Zimmertür auf ihrer Seite aufgeschoben.

„Yuuri?“

Kai stand auf und sah in Yuuris Zimmer. Dort stand der ältere Polizeibeamte, den Ms Shiuni als Sorata Moun vorgestellt hatte. Er machte sich räuspernd bemerkbar.

„Ms Shiuni ist bei mir. Sie schläft.“, sagte Kai.

Sorata verzog das Gesicht und kam schnurstracks zu ihm. Ohne Worte drängte er sich an Kai vorbei in dessen Zimmer und schaute auf Yuuri hinab. Dann sah er zu Kai. Gnade dir Gott, wenn du sie auch nur angerührt hast!!!

Kai verstand, dass Sorata eine Erklärung zu fordern schien. „Sie ist mir vor Erschöpfung in die Arme gefallen.“, sagte er und seine Stimme unschuldig. Man könnte meinen er wäre eifersüchtig...

Zumindest klang seine Stimme unschuldig genug, dass Sorata ihm Glauben schenkte. „Kein Wunder… Sie hat die letzten Wochen, seit klar ist, dass es sich um einen Serientäter handelt, voll durchgearbeitet. Sie hat sich selbst keine Pausen gegönnt. Geschlafen hat sie, wenn es hochkommt, über den Akten auf ihrem Schreibtisch und gegessen hat sie, wenn Zeit dazu war. Und die hatten wir kaum. Das war klar, dass ihr Körper das nicht lange mitmacht. Das musste irgendwann kommen.“, sagte Sorata.

Kai hatte aufmerksam zugehört und sich neben Yuuri gesetzt. Sorata lachte plötzlich und Kai schaute irritiert auf.

„Komischerweise ist Yuuri immer dann wieder sofort wach gewesen, wenn irgendwer gesagt hat, er hätte wieder geschlagen.“

„Was?! Wo?!“ Yuuri saß kerzengerade im Bett und sah sich um.

Kai war erschrocken zurückgefallen, stützte sich gerade auf seinen Händen rücklings ab und starrte sie entsetzt an. Okay…! DAS nenn‘ ich mal sprunghaft…!

Sorata hingegen lächelte ihr nur entgegen. „Keine Angst. Hat er nicht. Ich hab übrigens Neuigkeiten für dich.“

Yuuri ließ sich zurückfallen. „Weiß ich alles schon. Takeshi-san hat angerufen. Ich sag’s dir gleich: Für Interpol oder Europol reicht’s noch nicht!“, entgegnete sie.

Kai war überrascht. Es schien, als hätte sie nicht fünf Minuten sondern zehn Stunden geschlafen. Sie war hellwach. Das gibt’s doch gar nicht… Wie kann man nur so schnell wieder fit sein? Das geht doch gar nicht. Das ist doch unmöglich!

„Was machst du überhaupt hier? Du hättest doch genauso gut anrufen können. Du solltest doch Takeshi bei den Ermittlungen helfen!“, sagte Yuuri.

„Du hast ihn verdammt gut eingearbeitet. Er denkt von ganz allein daran, was zu tun ist. Da muss ich nicht unbedingt dabei sein.“, meinte Sorata.

Yuuri seufzte. „Lieber ein Ermittler mehr als einer zu wenig… Außerdem ist Takeshi noch zu unsicher! Du sollst ihm doch helfen, wenn er Hilfe braucht. Hatte ich mich nicht klar genug ausgedrückt?“, ermahnte sie ihn.

„Ist ja gut. Dann geh ich wieder und greif unserem jungen Freund ein wenig unter die Arme. Und du schläfst dich gefälligst aus, bevor du mir noch gänzlich ausfällst!“, sagte Sorata und ging.

„Er hat Recht… Sie sollten sich wirklich mal ausschlafen.“, meinte Kai.

Yuuri fixierte ihn mit einem Du-hast-doch-keine-Ahnung-Blick und schaute sich erneut um.

„Was mach ich eigentlich hier?“, murmelte sie fragend und blickte Kai ebenso an.

Kai zuckte nur mit den Schultern. Ihr das zu erklären, würde wohl wieder eine Diskussion herbeiführen, auf die er keine Lust hatte und sie anscheinend auch nicht. Er sah ihr bereits an, dass sie keinesfalls fit war. Sie sah war so müde, dass sie schon beinahe wieder einschlief, während sie ihn ansah. Sie stand auf und ging wortlos in ihr Zimmer zurück. Dass sie so müde war, sah man aber nicht, wenn man sie nicht vorher genau angeschaut hatte, wie Kai gerade.

Sie schob langsam die Verbindungstür zu und setzte sich dann auf ihren Futon. Sie nahm ihr Handy und fing an, eine SMS zu schreiben. Antworte… Bitte antworte mir endlich! Du kannst mich in diesem Chaos hier doch nicht einfach allein lassen!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yami-Bastat
2010-08-26T18:39:15+00:00 26.08.2010 20:39
Wow, dass war ein schönes Intro. Hast du das selbst verfasst?*.*
Yuuri hat echt einen impulsiven Charakter. XD Die Story gefällt mir immer besser. Besonders die ganzen Zusammenhänge mit dem Mörder.~
Ob der "Schwarze Engel" nocheinmal versucht Max zu töten?
Auf jeden Fall tut er mir schrecklich leid TT.TT Das war so rührend geschrieben...*schnief**voll mitleid hat*
Und auch die Szene wo sich der Komissarendickschädel Yuuri und der Eisblock Kai sich "näher" gekommen sind, hat mir gut gefallen.*smile* Ein Schritt vor in der "Beziehung" XD

L.G. deine Yami-Bastat


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