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Der Wandel mit dem Detective

von

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01.Oct. 2025 - Klavier

Ich raste am frühen Morgen mit fast zweihundert Sachen über den Highway. Einerseits hatte ich kaum geschlafen, und zum anderen schmollte Daryan mir immer noch. Zumindest hatte er sich nicht einmal zu einer patzigen SMS der Marke 'schwul mich nicht an!' herab gelassen. Ich hatte noch bis spät in die Nacht hinein überlegt, ob ich ihn anrufen sollte (immerhin musste ich heute Abend mit ihm auf der Bühne stehen). Weshalb ich dann nur mit Ach und Krach pünktlich zum angesetzten Briefing erschienen war. Und da erwartete mich die nächste Enttäuschung. Ich hatte, wie es sich für einen Gentleman gehörte, eine halbe Stunde auf Fräulein Skye gewartet, doch sie war einfach nicht erschienen. Auf mein Anfragen teilte man mir mit, dass sie mir auch keine Nachricht hinterlassen hatte. Und obendrein musste in einer Stunde jemand am Tatort sein und für mich ermitteln. So langsam hatte ich wirklich das Gefühl, irgendwer da oben hatte was gegen mich. Wenigstens fand ich Fräulein Skyes Adresse in ihren Bewerbungsunterlagen. Mich interessierte es brennend, was sie davon abhielt, ihrem Job nachzugehen. Vor dem Apartement-Store, in dem Fräulein Skye wohnen sollte, parkte ich ordnungsgemäß mein Bike, und indem ich einer älteren Frau lächelnd die Tür aufhielt, schaffte ich es sogar ins Haus, ohne unten klingeln zu müssen. Ich war schließlich kein ungeliebter Bittsteller.

Oben richtete ich mit geübten Bewegungen meine Erscheinung, setzte das 'Nur-für-Fräuleins'-Lächeln auf und betätigte den Klingelknopf.

Nachdem keine Reaktion folgte, versuchte ich mein Glück gleich noch mal. Und noch mal. Und... ach, diese Klänge waren einfach ein Traum.

Als dann endlich die Tür geöffnet wurde, erhaschte ich einen recht... interessanten Blick auf Fräulein Skye in nichts außer einem T-Shirt und - hoffentlich - einem Unterhöschen darunter, bevor sie die Tür wieder zuschlug. Ich seufzte; so spannend ich dieses Spiel auch unter normalen Umständen gefunden hätte, gerade jetzt war meine Zeit knapp bemessen. Also betätigte ich erneut den Klingelknopf und, einfach, weil ich nicht widerstehen konnte, rief ich in einer Lautstärke, die nicht nur das Fräulein Skye, sondern auch sicher jeder ihrer Nachbarn verstehen konnte: "Sie haben eine Schwäche dafür mit Türen zu knallen, ja? Wenn Sie mich reinlassen, dürfen Sie noch mal mit meiner Tür knallen!"

"Verschwinden Sie, bevor es gleich richtig knallt!"

Wie könnte ich? Ich hatte anderes im Sinn, zumal ich beobachtete, wie sich eine Wohnungstür öffnete und ein grauer Schopf neugierig heraus sah. Vielleicht sollte ich heute doch noch ein wenig Spaß bekommen. Mit einer Stimme, die vor Verzweiflung triefte, unterhielt ich mich weiter mit der Tür (vorher versuchte ich der Klingel noch den Anfangsrhythmus von Smoke on the water zu entlocken).

"Aber Fräulein Skye! Nun seien Sie doch nicht so grausam zu mir! Gestern waren Sie noch so süß und ich habe mich wirklich auf unser Date heute gefreut, ja? Wieso lassen Sie mich jetzt einfach vor der Tür stehen. Bin ich Ihnen nicht gut genug?"

Ich hatte schon die Befürchtung ein paar Tränen heucheln zu müssen. Aber der Spalt der gegenüberliegenden Wohnung vergrößerte sich und eine alte Dame – aha, Türen aufzuhalten hat durchaus seinen Sinn - fegte mit wutgerechten Schritten den Hausflur entlang.

"Das ist ja wohl die Höhe! Der arme junge Mann! Frau Skye, Sie sollten sich schämen!"

Ich feuerte die Alte siegessicher an, obwohl ich nach außen hin das emotionale Wrack spielen musste. Sie legte mir sogar mitfühlend eine Hand auf die Schulter und versicherte mir, dass junge Frauen nun mal zur Sprunghaftigkeit neigten. Als sie anfing über ihre verflossenen Liebschaften zu berichten, war ich versucht die Tür einzutreten und Fräulein Skye notfalls auch in ihrer spärlichen Bekleidung zum Tatort zu zerren. Zum Glück erübrigte sich das im nächsten Moment. Ich erhaschte einen weiteren Blick auf Fräulein Skye, leider war sie diesmal korrekt angezogen.

"Mrs. Oldbag... Hi! Dieser arme junge Mann hatte gestern das Vergnügen mit mir ein Vorstellungsgespräch zu führen. Leider genügte ich seinen Ansprüchen nicht, was er zum Ausdruck brachte, indem er sich über mich lustig machte. Und jetzt steht er vor meiner Tür und belästigt mich. Wenn doch nur jeder Morgen so wundervoll beginnen würde..."

Das war gerissen, aber nichts, das mich auch nur im Entferntesten beirren konnte. Im Gegenteil: Jetzt da sie endlich nicht nur in Hör- sondern auch in Reichweite war, beugte ich mich zu ihr herab, so dass es fast so aussah, als wolle ich sie küssen.

"Was habe ich nur getan, dass Sie mich mit derart falschen Beschuldigungen verletzen wollen, Fräulein Skye? Stehe ich nicht hier vor Ihnen, nachdem ich besorgt zum vereinbarten Zeitpunkt auf Sie gewartet habe? Ich hatte schon befürchtet Ihnen wäre etwas zugestossen! Ich bin, so schnell ich nur konnte, zu Ihnen gefahren, um mich zu vergewissern, dass es Ihnen gut geht, ja? Schließlich wollen wir doch heute zusammen rocken." Die Alte neben mir hatte ich eigentlich vergessen, aber ich konnte sie schlecht ignorieren, wenn sie wie ein Maschinengewehr redete.

"Ach nun, vergeben Sie dem jungen Mann doch, Frau Skye! Sehen Sie nicht, wie sehr er sich um sie bemüht? Lassen Sie sich auf einen hübschen Kaffee einladen und dann werden Sie schon sehen, dass er gar kein so schlechter Kerl ist. Zumeinerzeithatmanesnatürlichnichtnurbeieinemkaffeegelassenhachjaaberzumeinerzeitwarsoeineromanzezwischenchefundangestelltennatürlichundenkbarhätemansichdamalsauchnurgewagt..."

"Sie missverstehen da was, Mrs. Oldbag. Er ist nicht mein Chef und ich bin nicht seine... Angestellte. Ich kann mich nicht mal an einen Arbeitsvertrag erinnern. Wie dumm von mir."

Ich war wirklich ein friedfertiger Mensch, aber auch meine Geduld hatte irgendwann ein Ende.

Also drehte ich mich kurz mit einem Schwiegersohnlächeln zu – Sie hieß Mrs. Oldbag, richtig? - und zwitscherte ein "Sie entschuldigen?" Ich schob Fräulein Skye in die Wohnung und schloss die Tür mit dem Fuß, bevor der Dinosaurier noch auf den Gedanken kam uns zu folgen.

"Wenn ich mich recht entsinne, hatte ich Sie gebeten heute um Sechs Uhr in mein Büro zu kommen, um mit mir ein Briefing durch zu führen. Liege ich da falsch? Nein. In diesem Briefing hätte ich Ihnen gerne erklärt, wie ich die Dinge mit meinem Detective handhabe und wäre den Arbeitsvertrag mit Ihnen durchgegangen. Unglücklicherweise sind Sie nicht erschienen, weshalb ich mich genötigt sah, bei Ihnen nach dem Rechten zu sehen. Und jetzt frage ich Sie ganz offen: Möchten Sie den Job immer noch? Wenn das der Fall sein sollte, dann werden Sie innerhalb von zehn Minuten gestiefelt und gespornt draußen sein und mit mir zum Tatort fahren. Andernfalls... muss ich wohl leider auf Sie verzichten, ja?"

Ich hoffte ganz einfach, dass die Autorität in meiner Stimme und Mimik deutlich machte, dass ich verdammt noch mal arbeiten wollte und dass sie, Geflirte hin oder her, zu spät an ihrem ersten Arbeitstag war. Und damit dieser Eindruck nicht flöten ging, ließ ich sie da stehen und verließ die Wohnung wieder. Warum Mrs. Oldbag mich mit glasigen Augen und einer fieberhaften Röte auf dem Gesicht empfing, war mir schleierhaft, aber ich streckte den Daumen nach oben und beeilte mich die Treppe hinunter zu kommen. Mein Bike hatte ich schon viel zu lange unten stehen gelassen.
 

Nachdem ich mich versichert hatte, dass mein liebreizender Detective auch den Weg zum Tatort gefunden hatte, fuhr ich zurück in mein Büro. Es dauerte eine Weile, bis ich den widerlichen Geschmack von Fräulein Skyes Knabberding los wurde. Dieser Keks war so süß, dass man ein Gefühl von rauschendem Zucker in den Adern bekam. Kein Wunder, dass sie permanent gereizt war.

Und es war nicht die Norm, dass ich einen Tatort mit meiner Anwesenheit beehrte. Dieser Ermittlungsgaudi interessierte mich nicht sonderlich und außerdem war ich Daryans Arbeitsweise gewohnt: Schnell, gründlich und bedacht darauf, dass ihm niemand im Weg stand. Von Bedeutung waren für mich brauchbare Ergebnisse für die Verhandlung. Solange Fräulein Skye den Tatort rockte – und ich hatte heute gesehen, dass sie darin recht versiert war – widmete ich mich inzwischen einem anderen wichtigen Thema: Mein neuer Songtext. Eigentlich bevorzugte ich es Texte auf Kompositionen zu schreiben, aber am Tatort waren mir so viele schöne Zeilen eingefallen, dass es einer Katastrophe gleichkam, diese nicht festzuhalten, ja?

Zwischendurch versuchte ich immer mal wieder Daryan zu erreichen. Leider erfolglos.

Gegen Abend betrachtete ich die wohl 79. Version meiner lyrischen Ergüsse und war trotz aller Korrekturen nicht zufrieden. Vielleicht war ich auch zu angespannt, weil ich in wenigen Stunden schon wieder auf die Bühne musste. Und das warf gleich die nächste Frage auf: Warum dauerte die Ermittlung so lange? Die Umstände waren mir herzlich egal, aber ich wollte letztendlich noch einen Blick in den Fallbericht werfen, bevor ich das Büro verließ.

Und endlich – ich war im Begriff zu gehen – betrat Fräulein Skye mein Büro.

"Toxilogischer Befund, erster Bericht. Pathologischer Befund, noch ziemlich ungenau. Tatortbilder. Aktueller Bestand der Beweisliste. Und hier noch ein paar Meldungen aus der Forensik."

Bevor ich mich versah, war das Fräulein Skye dabei, wieder aus meinem Büro zu rauschen. So reizvoll der Gedanke auch war, dass sie schnell zur Sache kam, ich konnte sie leider noch nicht ziehen lassen.

"Ich finde es äußerst nobel, dass Sie umsonst für mich arbeiten möchten, aber ich muss darauf bestehen, dass Sie Ihren Arbeitsvertrag unterschreiben, ja?"

Ich griff in meine Schreibtischschublade nach dem Vertrag nebst Ausweis und Dienstmarke und überließ ihr sogar meinen Kugelschreiber.

"Nehmen Sie Sich ruhig Zeit beim Durchlesen. Nicht, dass Ihnen wieder etwas entgeht."

Während sie mit dem Vertrag beschäftigt war, lehnte ich mich im Sessel zurück und blätterte die Dokumente durch. Das war alles noch recht... spekulativ. Wie schade. Aber wozu hatte ich einen Detective?

"Sagen Sie mir, Fräulein Detective, was halten Sie davon?"

Anstatt mir eine brauchbare Antwort zu geben, warf sie mir einen pikierten Blick zu.

"Wissen Sie, ich habe heute noch nichts Anständiges gegessen. Gute Nacht, Gavin."

Offenbar war sie sehr erpicht auf ihre emotionale Flexibilität und ich war gewillt Verständnis zu zeigen.

Ich nahm meinen Schlüssel und verriegelte sorgsam mein Büro – immer zweimal, da ich keine Lust hatte meinen Detective auf einen vermeidbaren Fall von Gitarrendiebstahl ansetzen zu müssen.

"Wie Sie wünschen, Fräulein Skye! Dann können Sie mir ja morgen früh um halb Sechs Ihre Meinung zu dem Fall sagen."

Wenn sie flexibel sein wollte, dann wollte ich das umso mehr, ja?

"Halb Sechs? Das machen Sie doch mit Absicht!"

Natürlich machte ich das mit Absicht, aber ich war nicht verpflichtet das offen zuzugeben.

"Kann ich Sie nach Hause fahren?" Ich stellte die Frage nicht, damit sie mein Angebot annahm – Nein, vielmehr hatte ich den Verdacht, dass sie auf Offerten reagierte wie der Pawlowsche Hund auf eine Klingel. Weniger sabbernd, mehr bissig.

"Nein, Sie können mich nicht nach Hause fahren. Aber Sie können mich mal kreuzweise!"

Ding. Ding. Ding – Volle Punktzahl, Gavin.

"So schmeichelhaft das auch klingt, Fräulein Skye, ich bin doch dafür, dass wir uns erstmal näher kennen lernen, bevor ich auf Ihre Einladung eingehe, ja?", rief ich und sah dem Fräulein noch einen Moment hinterher. Mit Sicherheit würde sie mir in den nächsten Wochen noch ein wenig den Arbeitsalltag versüßen. Sie war nicht ganz der Detective, wie ich ihn mir vorstellte und dennoch hatte sie heute bewiesen, dass sie nicht auf den Kopf gefallen war. Wenn sie mir morgen pünktlich unter die Augen trat, könnte ich eventuell meine Meinung über ihre Arbeitsmoral noch ändern.

Ich sah auf die Uhr – es war kurz nach Sieben. In einer Stunde musste ich beim Soundcheck sein. Die Konzerte der Gavinners begannen seit ein paar Monaten recht spät – niemals vor 22 Uhr, aber das ließ sich schlecht ändern, wenn man sich die außermusikalischen Aktivitäten von uns allen betrachtete. Unsere Fans schien das nicht zu stören – das Konzert war innerhalb von vier Stunden ausverkauft. Ohne Restbestände, ja?

Leider hielt mich der Feierabendverkehr auf und ein paar kreischende Fräuleins, die es sich vor dem abgeriegelten Parkplatz am Hintereingang bequem gemacht hatten. Zum Glück war die Security zur Stelle, bevor sie mich von meiner Maschine reißen konnten. Ach, aber so etwas motivierte ungemein. Ich spürte schon jetzt, wie wir das Kolloseum zum beben brachten.

Wobei mir Daryan wieder einfiel. Ich konnte unmöglich mit ihm auf die Bühne, bevor ich mich mit ihm ausgesprochen hatte. Anderfalls endete das womöglich in einem hörbaren Fiasko, das nur Skepsis bezüglich der horrenden Ticketpreise hervorgerufen hätte. Ich wollte, dass alles perfekt war, sobald die Vorgruppe die Bühne geräumt hatte.

Als ich die Garderobe betrat, wusste ich, wer sich auf der Couch entspannte, ohne dass ich extra hinsehen musste.

"Lenny, draußen gibt es Aschenbecher. Es ist nicht nötig, dass du unsere Garderobe vollqualmst, ja?" Ich lächelte unseren Keyboarder nett an, obwohl ich ihn lieber mit Eiswasser übergossen hätte. Der Geruch würde wahrscheinlich die nächsten Stunden in der Luft hängen und ich konnte es partout nicht ausstehen. Und tatsächlich verließ die brennende Zigarette den Raum, zusammen mit Lenny. Das machte es wesentlich einfacher mich auf die Songliste zu konzentrieren. Geplant waren 22 Songs und zwei Zugaben. Aber um ehrlich zu sein: Vielmehr freute ich mich, heute mit vier verschiedenen Gitarren rocken zu können. Um sicher zu gehen, dass auch auch alle Instrumente den Weg in die Halle gefunden hatten, begab ich mich zur Bühne.

Was jetzt kam, war nur noch Routine: Gespräche mit den Tontechnikern, dem Tourmanager und das Stimmen der Instrumente. Auch die Bodengeräte funktionieren reibungslos. Normalerweise machte ich das mit Daryan und Ike, unserem Bassist, zusammen. Ike war da und auch Tjark spielte sich bereits am Schlagzeug warm, aber von Daryan fehlte jede Spur. Und so langsam wurde ich unruhig.

Wie sollte ich einen Soundcheck abhalten, wenn die zweite Gitarre fehlte!?

"Ich geh' noch mal eine rauchen", sagte Lenny.

"'Nein!' Wir fangen jetzt mit dem Soundcheck an", stellte ich klar.

"Wieso – der Pimmelkopf fehlt." Ich mochte meine Jungs wirklich, aber in Momenten wie diesen hätte ich Lenny gern den Hals umgedreht.

"Ach, das ist mir gar nicht aufgefallen. Wir fangen trotzdem an, ja?", sagte ich mit einer gehörigen Portion Zucker in der Stimme und wenn das passierte, wussten sie, dass jedes weitere Widerstandswort überflüssig war.

In den folgenden drei Songs spielte ich Daryans Part – meinen kannte ich zu Genüge, allerdings dröhnten die Instrumente in meinem In-Ear dermaßen laut, dass ich meine Stimme beim Singen nicht mehr hörte. Aber für so etwas waren Soundchecks schließlich da und eine kurzer Wortwechsel mit dem Tonmeister schaffte dieses Problem schnell ad acta. Und gerade, als ich mir den Kopf

darüber zerbrach, ob die fehlende Gitarre später richtig ausgepegelt sein würde, sah ich wie Daryan die Bühne betrat und mit einer Seelenruhe Geeter aus ihrem Gitarrenkoffer befreite.

"Schön, dass du es geschafft hast!"

Ich war sauer. Besonders, weil Daryan mich offensichtlich ignorierte und seine Gitarre stimmte. Als er dann endlich aufsah und nicht den Eindruck machte, als ob ihn diese peinliche Verspätung kümmerte, entschied ich, dass auch ich ignorant sein wollte.

"Guilty love", kommandierte ich und ließ Tjark anzählen. Der Song war brandneu und als nächste Single vorgesehen. Ich war mir sicher, dass sie Platin holte, aber dreifach Platin war nun mal ein wenig... reizvoller, ja? Unser heutiger Auftritt entschied darüber, wie schnell die Internetportale mit schlecht aufgenommenen Handyvideos überflutet wurden.

Aber so wie sich das jetzt anhörte, klang das nicht nach Platin, sondern bestenfalls Gold. Falsch gespielte Achtel – stand ich hier mit einer Schülerband auf der Bühne!? Ich brach den Song ab.

"Im Takt, Daryan, bleib im Takt, ja? Was sollen denn die Fräuleins von uns denken?"

"Ich polier' dir gleich mal die Fresse im Takt! Was die Fräuleins denken, interessiert mich 'n Scheiß!"

"Nicht schon wieder ein Ehekrach...", murmelte jemand hinter mir.

"Halt's Maul!"

Tjark blinzelte irritiert, weil Daryan und ich ihn synchron angefahren hatten. Normalerweise vermied ich solch eine vulgäre Äußerung, aber sie war mir einfach in den Sinn gekommen.

Und das war unter anderen Daryans Schuld. Ich löste die Gitarre von meinen Schultern und zerrte ihn an den Bühnenrand.

"Du kommst zu spät, spielst falsch und führst dich auf wie ein zickiges Mädchen. Wenn du denkst, dass ich dich heute so auf die Bühne lasse, hast du dich geschni-"

"Das hast du nicht zu entscheiden, Klav! Die Band sind wir fünf, nicht du."

Wollte er mir unterstellen, dass ich Entscheidungen im Alleingang traf?

"Richtig. Wir hatten aber auch mal geschworen immer unser Bestes zu geben, ja?"

Ich sah ihn jetzt inständig an.

"Daryan, weißt du eigentlich wie viel die hinteren Stehplätze kosten – 119 Dollar! Das heißt, die Leute da hinten werden vermutlich nichts sehen für ihr Geld, aber sie sind gekommen um uns zu hören. Warum spielst du nicht für sie?"

Er wirkte immer noch beleidigt, aber zumindest war die Aggressivität aus seiner Körperhaltung gewichen und ich wollte die Gelegenheit nutzen.

"Hör zu, das mit deiner Versetzung tut mir leid, ja? Aber vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit bis-"

"Jetzt halt mal die Luft an, Gavin! Ich weiß, dass es nicht deine Schuld ist."

Ach, tatsächlich? Daryan war wirklich unberechenbar. Er strich über Geeters Gitarrenhals, als ob er sie beruhigen müsse.

"Weißt du, ich hab jetzt 'n größeres Büro. Nicht so 'ne Streichholzschachtel, die man kriegt, wenn man unter so 'nem Anfänger wie dir arbeitet."

Das Lächeln auf meinem Gesicht wurde immer breiter. Genau dafür liebte ich Daryan. Er konnte einfach nicht nachtragend sein. Davon abgesehen trug ich wirklich keine Schuld.

Ich legte meine Hand in seinen Nacken und schob ihn zurück in Richtung Bühne.

"Na komm schon, mein kleines Mädchen", raunte ich ihm zu und ich erntete einen Klaps auf den Hinterkopf.
 

Kurz nach Mitternacht betrat ich völlig verschwitzt die Garderobe. Ich hörte bis hier runter wie die Fans nach einer dritten Zugabe verlangten. Das klang wundervoll und ich musste zugeben, dass wir das Kolloseum verdammt gut gerockt hatten. Für einen kurzen Moment setzte ich mich auf die Couch und schloss die Augen. Zwar rauschte das Adrenalin noch immer durch meine Adern, aber ich spürte die körperliche Erschöpfung. In ein paar Stunden musste ich schon wieder im Büro sein und ich bereute schlagartig, dass ich einem gewissen Fräulein den Begriff von Pünktlichkeit beibringen wollte. Jemand warf mir ein Handtuch ins Gesicht.

"Du siehst aus wie 'ne ölige Tussi", sagte Daryan. Ich wischte mir den Schweiß vom Gesicht und antwortete: "Muss ich Angst haben, dass du mich abschleppst, ja?" Ich wich einer halbherzig geworfenen Wasserflasche aus und zog mich um. Als ich fast aufbruchbereit war, ging die Tür auf.

"Wo bleibt ihr denn? Die Aftershowparty hat angefangen!" Sowohl Daryan als auch ich sahen Ike mit einem Ich-höre-dich-aber-verstehe-kein-Wort-Blick an. Ike kratzte sich am Hinterkopf.

"Das war so eine Idee von Carl..." - Carl war unser Tourmanager – "Er meinte, dass es eine gute Gelegenheit wäre Künstler und Fans zusammen zu bringen."

Ich verstand immer noch nicht, was Ike von uns wollte. Wahrscheinlich war ich einfach nur zu müde.

"Hat Carl den Fans gesagt, dass wir auf der Party sein werden?", fragte Daryan.

"Ich dachte, ihr wüsstet Bescheid."

Als Daryan sein schönstes Haifischgrinsen aufsetzte, konnte ich nicht anders als lachen, zumal ich begriffen hatte, welcher Ragtime hier geklimpert wurde. Jetzt wusste ich auch, warum sich die überteuerten Eintrittskarten so gut verkauften – Carls Strategie war ziemlich einfach: Er garantierte den Fans eine gemeinsame Aftershowparty mit den Gavinners. Aber schön, mir war es recht; immerhin hatte er mir den perfekten Grund geliefert ihn endlich zu feuern, ohne dass er auf eine Abfindung hoffen durfte. Ich erholte mich von meinem Lachanfall, dann raffte ich mich auf.

"Geh zur Party, Ike", sagte ich und schloss die Tür.

"Mann, der Sack hat sie nicht mehr alle." Daryan stand auf und ordnete seine Frisur. "Aber wenn die Ladies schon Spalier stehen, kann ich mir auch was aufreißen. Kommst du mit?"

Ich schüttelte den Kopf. Selbst wenn ich keinen Arbeitstag und ein zweieinhalbstündiges Konzert hinter mir gehabt hätte, wäre ich nicht in Versuchung geraten. Das war zu Beginn meiner Rockstarkarriere noch aufregend gewesen, aber mittlerweile reizte es mich nicht mehr. Erstens ertrug ich dieses gehörgangmalträtierende Gequietsche aufgrund meiner Person nicht. Zweitens war ich ein ausgesprochener Ästhet und, wen auch immer ich mitnahm und sei es nur zur Bartoilette, ich konnte in 90% der Fälle sicher sein, dass das hübsche Fräulein in ordentlichem Licht nicht mehr ganz so hübsch aussah und bei allem Respekt, ich hasste Enttäuschungen. Drittens besaß ich nicht Daryans Bad Boy-Attitüde. Ich konnte ein junges Fräulein nicht einfach wieder vor die Tür setzen, nachdem ich mich ein wenig mit ihr vergnügt hatte. Was unweigerlich darin resultierte, dass ich mir am nächsten Morgen elendig lange Vorträge darüber anhören durfte, dass sie ja eigentlich gar nicht so ein leichtes Mädchen sei und große Ziele hatte (mit dem Chef einer Modelagentur schlafen, zum Beispiel). Zudem wurde meine Küche auf den Kopf gestellt, bei dem Versuch, mir ein Frühstück zu 'zaubern', was meist noch nicht einmal schmeckte, mein kostbarer Badezimmerspiegel wurde mit abgedroschenen Lippenstift-Botschaften beschmaddert und - und das war das wohl Schlimmste - ich hatte fremde Haare in meiner Bürste. Alles in allem, war es die Mühe wirklich nicht wert.

Daryan klopfte mir zum Abschied auf's Schulterblatt.

"War 'n guter Gig. Bis Morgen."

"Viel Erfolg", sagte ich und ging mit aufkeimenden Kopfschmerzen die unterirdischen Schachtelgänge des Kolloseums ab. Alles, was ich jetzt wollte, war mein Bett.



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