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Der Wandel mit dem Detective

von

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02. Oct. 2025 - Klavier (2/2)

Situationen wie diese waren einfach nicht cool. Als ich hierher kam, wollte ich nichts weiter, als mit Daryan meinen neuen Song besprechen. Stattdessen sah ich mich mit einer Zusammenkunft konfrontiert, die grotesker nicht hätte sein können. Bevor sich die Dinge noch endgültig überschlugen, entschied ich, den größten Störfaktor in Gestalt dieses keifenden Dinosauriers, zu beseitigen. Als ich mich vergewissert hatte, dass Mrs. Oldbag den Weg nach draußen gefunden hatte, wollte ich verdammt noch mal wissen, was hier los war. Und wer war dazu besser geeignet, als mein liebreizender Detective?

"Fräulein Skye! Ich dachte Sie wären am arbeiten."

"Ich war am arbeiten, im Gegensatz zu Ihnen! Und Sie halten es nicht mal für nötig, Mrs. Oldbag darüber aufzuklären, dass sie absolut falsch liegt. Bin ja nur ich, die sich den Terror weiter antun muss, weil sie verdammt noch mal in meinem Haus wohnt! Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?"

Das war unschön. Es gab Momente, in denen ich ihre Impulsivität ganz unterhaltsam fand, aber wenn sie nicht bald ihr Temperament zügelte, würde ich andere Saiten aufziehen müssen.

Um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, wandte ich mich von dem kochenden Fräulein ab und ließ ihrer Begleitung meine Aufmerksamkeit zukommen.

"Ich bedaure, dass wir uns erst jetzt kennenlernen. Leider musste ich zusammen mit Detective Crescend eine dringliche Angelegenheit besprechen, so dass ich Sie nicht persönlich treffen konnte...."

Mir hatte ein Blick auf Staatsanwalt Edgeworth genügt um zu realisieren, dass er zu den Gentlemen gehörte, die man weder mit Smalltalk noch mit Komplimenten beeindrucken konnte, von daher beließ ich es bei Sachlichkeit. Zumal mir nicht entgangen war, dass mein Erscheinungsbild außerordentlich dazu beitrug, dass er sich fragte, was er von mir halten sollte.

"Bevor Detective Skye und ich so rüde unterbrochen wurden, hat sie mir freundlicherweise einen Einblick in die Akten gegeben. Ich stehe Ihnen selbstverständlich für alle offenen Fragen zur Verfügung, wobei ich anmerken möchte, dass ich mit der Überführung des Leichnams die Fallbearbeitung guten Gewissens an Detective Skye übergeben möchte. Sie hat sich wirklich empfohlen."

Ach, hatte sie das?

"Es ist beruhigend zu hören, dass man sich auf seine Leute verlassen kann."

Das langte jetzt auch an Worten über Fräulein Skye. Erstens hatte sie sich gerade einen sehr uncoolen Schnitzer erlaubt und zum Zweiten wollte ich endlich den Fall zur Sprache bringen. Wenn sie sich so empfohlen hatte, konnte sie das auch gleich unter Beweis stellen, ja? Ich staunte nicht schlecht, als mir so plötzlich etwas in die Hand gedrückt wurde. Die Fallakte.

"Danke für Ihre Zusammenarbeit, Mr. Edgeworth."

Ich konnte nur noch zusehen, wie sie im Laufschritt die Dachterrasse verließ. Hinter mir hörte ich Daryan, der etwas keuchte, das verdächtig nach "Fuck!" klang.

Ich wusste nicht, was Fräulein Skye mit ihrem melodramatischen Abgang bezweckte, aber für mich stand fest, dass sie sich hiermit eine Abmahnung eingehandelt hatte. Auf einer Blamagenskala von Eins bis Zehn hatte sie mir gerade eine formvollendete Zwanzig beschert.

Herr Edgeworth räusperte sich dezent.

"Vielleicht versuchen Sie zunächst die Differenzen zwischen Ihnen und Detective Skye zu klären. Ich überlasse Ihnen vorerst die Fallakte des 23. Bezirks. Übermitteln Sie einfach die Originale nach Abschluss des Falls an unser Archiv."

Er öffnete seine Tasche und gab mir besagte Unterlagen.

"Sollten sich noch weitere Fragen ergeben, können Sie mich jederzeit in meinem Büro kontaktieren. Alles Gute." Er reichte mir zum Abschied kollegial die Hand und nickte Daryan kurz zu, bevor auch er die Treppe abwärts nahm.

"Manchmal will ich echt nicht in deiner Haut stecken, Klav."

Natürlich wollte er das nicht. Ich knallte den bürokratischen Ballast auf den Tisch, ließ mich auf meinen Stuhl fallen und starrte finster in meinen Eistee. Daryan war so nett, die nächsten Minuten zu schweigen, was auch daran liegen mochte, dass unser bestelltes Essen gebracht wurde und er sich mit dem Appetit eines ausgehungerten Löwenrudels darüber hermachte. Ich nahm mir Edgeworth' Akte zur Hand und blätterte oberflächlich darin. Der Name Cadaverini sprang mir recht schnell ins Auge und mein erster Impuls war, den Fall einfach abzutreten. Kein Staatsanwalt in L.A. hatte noch Lust, Prozesse über tote Cadaverinis und Kitakis zu führen, da sie sich in aller Regelmäßigkeit über den Haufen schossen.

"Isst du das noch?"

Ich sah auf und weil Daryan noch einen hungrigen Eindruck machte, gab ich mein Boeuf Miroton zur Vernichtung frei. Und die Akte in meiner Hand flog lieblos auf den Tisch zurück.

"Jetzt werd nicht sentimental."

"Ach? Soll ich vor Begeisterung Detective Skye vielleicht eine Dankeskarte zukommen lassen? Oder hier!" Ich schlug mit der flachen Hand auf die oberste Akte. "Den toten Cadaverini dafür umarmen, dass er sich in meinem Bezirk abknallen ließ? Hör auf zu lachen, ja?"

Daryans Gegacker war nicht gerade förderlich für meine Laune, auch wenn ich ihm nicht wirklich verübeln konnte, dass er sich über die Leiche amüsierte, mit der ich gesegnet wurde.

"Die Serviette hat dir vorhin 'nen heißen Tipp gegeben. Kümmer dich um deinen Detective und dann kümmerst du dich um alles andere. Lass dir von dem Girly nicht so auf der Nase rumtanzen. Weißt du, was dein Problem ist? Du bist viel zu nett. Die Kleine kennt ihre Grenzen nicht. Zeig ihr die mal ganz deutlich."

Aus Daryans Mund klang die Sache so klar und erfrischend wie eine sprudelnde Bergquelle. Ich stand auf und nahm die beiden Akten und den Songentwurf an mich.

"Übernimmst du die Rechnung? Ich revanchier mich heute Abend", sagte ich beiläufig, als ich im Begriff war zu gehen.

"He, Klav! Welcher Cadaverini war's eigentlich?", rief Daryan mir nach, kaum dass ich die Treppentür erreicht hatte. Ich hielt inne und warf ihm einen Blick über die Schulter zu.

"... Enzo."

"Verdammt, den mochte ich ganz gern. Der hatte so geile Steel Samurai-Witze drauf."

Was auch immer...

Als ich das Rodex verließ, überlegte ich, ob ich zuerst in die Staatsanwaltschaft oder ins Präsidium fahren sollte.

"Oh mein Gott, da ist er!"

Großartig. Ich ohrfeigte mich in Gedanken, weil ich vorhin mein Bike so nachlässig auf der Straßenseite geparkt hatte, denn jetzt hatte ich ein gutes Dutzend kreischender Fräuleins am Hals.

Es war nicht einfach, zu meinem Motorradsitz vorzudringen, zumal sie die Auffassung teilten, dass ich erfreuter war, je dichter sie mir ihre Fotohandys und Autogrammbücher vor das Gesicht hielten. Erst als ich die Fallakten unter meinen Sitz verfrachtet hatte, wandte ich mich meinen Fans zu um ein paar Autogramme zu unterschreiben.

"Wann kommt eure neue Single?"

"Ike ist so süß – hat er eine Freundin?"

"Ist Daryan auch hier?"

"Klavier, hast du mein Geschenk bekommen?"

"Ich stand gestern in der ersten Reihe. Hast du mich gesehen?"

"Kriege ich eine Widmung? K-a-t-h-l-y-n."

Ich ließ mich dazu hinreißen, unter Kathlyns Widmung noch ein Herz zu malen, was darin endete, dass sie mit zitternden Fingern ihren Stift von mir entgegen nahm.

"Klavier, ich auch! Ich hab keine Widmung. Gibst du mir auch eine?", kam es hysterisch von allen Seiten. Ich fand, dass es genug war. Mir klingelten die Ohren und außerdem hatte ich keine Zeit mehr. Die Proteste ignorierend, bestieg ich meine Maschine und als ich den Motor aufheulen ließ, nahmen auch die letzten Fräuleins Vernunft an und machten Platz, damit ich auf die Straße fahren konnte.

Ich entschied, zuerst das Präsidium aufzusuchen, schon allein, weil ich sehr gespannt war auf Fräulein Skyes Erklärung zu ihrer oscarreifen Vorstellung.

In der Eingangshalle des Präsidiums wurde ich vom Pförtner angehalten.

"Jetzt nicht", versuchte ich ihn abzuwimmeln.

"Ich habe hier etwas von Detective Ema Skye. Sie sagte, es sei dringend."

Ich nahm ihm den unbeschrifteten weißen Umschlag ab und öffnete ihn mit meinem Motorradschlüssel. Die folgenden Zeilen ruinierten mir endgültig den Tag.

"Atroquinin, meine Liebe."

"Was haben Sie gesagt?" Der Pförtner sah mich verdutzt an, weil ich Deutsch gesprochen hatte, aber diese Worte waren auch gar nicht für ihn bestimmt.

"Ist Detective Skye noch hier?"

"Sie hat vor etwa einer halben Stunde das Präsidium verlassen."

Aha. Wie feige.

"Soll ich ihr eine Nachricht zukommen lassen, Mr. Gavin?"

"Danke, nicht nötig."

Ich ließ den Pförtner stehen und nahm den Fahrstuhl. Leider kannte ich mich im Präsidium nicht gut aus, weil ich eher selten hierher kam. Das machte es mir nicht unbedingt leicht, diesen Oberinspektor zu finden, dessen Namen ich ständig vergaß. Dann endlich – ich war mittlerweile im achten Stock angekommen – sah ich durch eine Glastür, die den Blick auf ein Großraumbüro frei gab, meinen gesuchten Mann. Scheinbar hatte er zu viel Zeit, denn als ich das Büro betrat, war er damit beschäftigt sieben oder acht Detectives mit einer Geschichte in seinen Bann zu schlagen. Sobald die ersten Zuhörer meine Anwesenheit bemerkten, wandten sie sich schnell anderen Dingen zu um zu demonstrieren, wie hart sie arbeiten konnten, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gab.

"He, ich war noch nicht fertig! Das Beste kommt ja noch."

Jetzt hatten auch die letzten Detectives ihre Monitore fixiert und Herr Scheherazade kratzte sich am Kopf angesichts seines abgesprungenen Publikums.

"Auf diese Weise werden Sie die Masse niemals zum Tanzen bringen, Inspektor."

"Ich weiß auch nicht, was... MR. GAVIN! Sie – ich, eh – ich meine Sie haben-"

"Auf ein Wort, ja?", bat ich und steuerte die Schreibtischgruppe am Fenster an, weil dort niemand arbeitete und ich das Gespräch möglichst diskret halten wollte. Ich drehte den Umschlag mit Ema Skyes Kündigung in meinen Händen und obwohl ich vor wenigen Sekunden noch vorgehabt hatte, ihre Entscheidung unverzüglich weiterzuleiten, nagte etwas an meinem Bewusstsein. Mein Verstand sagte mir, dass sie nicht dafür geschaffen war, mit mir auf einer Bühne zu stehen. Mein Herz jedoch protestierte und wollte ihre Kündigung nicht akzeptieren.

"Mr. Gavin?"

Da ich mich nicht entscheiden konnte, wollte ich es der Schicksalsgöttin überlassen. Ich sah in das Gesicht des zermürbten Inspektors, der wohl eine Standpauke von mir erwartete.

"Könnten Sie bitte versuchen, Detective Skye telefonisch zu kontaktieren?"

"Ich glaube, sie und Mr. Edgeworth-"

"... hatten eine Besprechung, richtig. Und jetzt möchte ich, dass Sie Detective Skye anrufen."

Wahrscheinlich fragte er sich, weshalb ich mich nicht selbst ans Telefon klemmte, aber ich hatte meine Gründe.

"Was soll ich ihr denn sagen?"

"Dass der Pförtner ihren Umschlag nicht mehr findet."

"Und was mache ich, wenn sie nicht zu Hause ist?"

Mein Kiefer verspannte sich, weil ich die Zahnreihen zu stark aufeinander presste.

"Sie wird ein Handy haben, ja? Von mir aus versuchen Sie es mit einer Brieftaube oder geben Sie Rauchzeichen."

"Jetzt gleich?"

"Ja, jetzt gleich", sagte ich gedehnt und endlich entfernte er sich um meinen Auftrag auszuführen. Mir blieb nichts anderes übrig, als hier zu warten und vor lauter Langweile, begann ich den Raum zu taxieren. Entgegen meiner Erwartung entdeckte ich tatsächlich etwas, das ich mir mal genauer ansehen wollte. Ich näherte mich dem Papierkorb, den ich soeben anvisiert hatte. Er quillte über mit diesen Plastiktütchen, die ich bisher nur in den Händen von Fräulein Skye gesehen hatte. Ein Blick auf die Schreibtischoberfläche offenbahrte mir eine dezente Krümelspur. Ohne Zweifel war dies der Arbeitsplatz von Fräulein Skye. Aber warum hatte sie kein eigenes Büro wie Daryan, als er noch mein Partner war?

Ich griff nach einem Bilderrahmen, der neben der Tastatur stand und betrachtete das Foto. Es war schon etwas älter, die Farben wirkten verblichen. Ich sah zwei salutierende Personen, darunter eine junge Frau in Officer-Uniform; ihre zarten Gesichtszüge erinnerten mich sofort an jemanden, der bevorzugt Laborkittel trug. Und als ich das kleine, lachende Mädchen neben ihr betrachtete, tippte ich darauf, dass es sich bei dieser festgehaltenen Erinnerung um Fräulein Skye und ihre ältere Schwester handelte. Ich erinnerte mich, dass sie in ihrem Lebenslauf eine Schwester angegeben hatte. Weshalb ich unablässig dieses Bild anstarrte, auch nachdem ich es ausgiebig inspiziert hatte, wusste ich nicht. Aber je länger ich es betrachtete, desto lauter wurden die Sirenen in meinem Kopf. Ich hörte Quarten, nichts als Quarten von diesem Notarztwagen. Polizeibeamten gingen in unserem Haus ein und aus und Kristoph redete mit Engelszungen auf mich ein.

"Klavier, du kannst da nicht rein!"

"Lass mich los!"

"Komm mit mir."

"Nein, du sollst mich loslassen! Sie ist im Haus, stimmt's? Mama ist..."

"Ich lasse dich los, wenn du dich beruhigst und mitkommst. Ich werde dir alles erklären."

"Es ist Papas Schuld..."

"Klavier, bitte! Du fantasierst."

"Ich hasse dich!"

Eine schallende Ohrfeige traf mein Gesicht. Ich kniff die Augen zusammen und hielt mit Daumen und Zeigefinger meinen Nasenrücken umklammert. Diese Erinnerung war... Ich musste mich setzen.

"Ich hab's versucht. Ich hab's wirklich versucht, Mr. Gavin!"

"... Was?"

Ich öffnete die Augen und betrachtete unverwandt diesen Inspektor, der mit seiner gesamten Körpersprache signalisierte, wie verzweifelt er war. Ein einziges Häufchen Elend.

"Ich konnte Detective Skye nicht erreichen. Ihr Handy ist aus. Und bei ihr zu Hause kam ich nicht durch, die Leitung war blockiert."

Die Schicksalsgöttin hatte also für mich entschieden. Ich stellte den Bilderrahmen an seinen angestammten Platz zurück und händigte dem Inspektor den Umschlag aus, der das Unausweichliche verkündete.

"Waaaaaaaaaaaas?", brüllte er, kaum dass er den kurzen Zweizeiler verdaut hatte. "Sie hat doch gerade erst angefangen!"

"Bedauerlich. Und jetzt brauche ich einen neuen Detective!"

"Ich verstehe das nicht...", murmelte er. Der Kerl fing an mich zu nerven.

"Sie sind doch für Personalfragen zuständig. Treiben Sie mir einen guten Detective auf, vorzugsweise mit Diensterfahrung und das Ganze bis spätestens morgen Früh."

"Bei allem Respekt, Mr. Gavin, aber ich muss das an den Polizeipräsident weiterleiten und auch Oberstaatsanwältin Freyer darüber informieren. Und die Kapazitäten in dieser Abteilung lassen kaum Spielräume."

Ich lachte.

"Achtung! Wagen Sie es nicht zu sagen, dass eine schnelle Entscheidung in diesem Präsidium unmöglich sei. Daryan Crescend konnte nicht schnell genug versetzt werden, ja?"

Ich ging zur Tür und als ich die Klinke in der Hand hatte, drehte ich mich nochmals zu ihm um.

"Wie heißen Sie?"

"Gumshoe. Oberinspektor Dick Gumshoe."

"Cooler Name! Den werde ich mir merken. Besonders, da Sie sich so für mich ins Zeug legen. Für den Fall, dass es mit meinem neuen Detective bis morgen Früh nichts wird, werde ich mich selbstverständlich beim Polizeipräsident für Sie und Ihre Vision als Alleinunterhalter stark machen, versprochen!"

Vielleicht war es nicht die feine Art, ihn derart unter Druck zu setzen, aber ich ließ mich nicht zum Narren halten und außerdem wollte ich ihm einen Ansporn verschaffen.
 

Drei Stunden später saß ich in meinem Büro und war damit beschäftigt, sämtliche Dokumente und Fotos der beiden Bezirksakten zu digitalisieren. Zwischendurch rief Mr. Bennett aus der Forensik an, weil er Fräulein Skye nicht erreichen konnte. In erster Linie aber, um zu bestätigen, dass bei Louis Hiller Schmauchspuren an Händen und Kleidung gefunden wurden. Mit dieser Info konnte ich noch nicht viel anfangen, von daher machte ich mir eine kleine Notiz um das Puzzlestück später einsetzen zu können. Und jetzt, da ich so fleißig alle Daten auf meinen Computer geladen hatte, wollte ich mir den Fall genauer ansehen.

Es hatte seinen Grund, weshalb über meinem Schreibtisch drei Monitore hingen. Mittels Fernbedienung konnte ich eine große Bandbreite an Beweisen und Informationen analysieren, hinzufügen und zuordnen. Schon nach wenigen Minuten wurde mir klar, dass es sich hierbei nicht um einen klassischen Cadaverini-Fall handelte. Jemandem eine Kugel in den Hals zu jagen und ihn anschließend ein paar Bezirke weiter abzulegen, war an sich schon spektakulär, aber der Mörder wollte die Polizei unbedingt wissen lassen, dass er Cadaverini im sechzehnten Bezirk umgebracht hatte, ansonsten hätte er nicht so ein Blutbad veranstaltet. Und dann war da noch Louis Hiller, über dessen Rolle ich mir erst klar werden musste. Ich nahm mir meine Notiz zur Hand. Schmauchspuren. Nicht übel, Fräulein Skye. Unter dem Aspekt fing die Sache an interessant zu werden. Ich holte mir Hillers Bericht auf einen der Monitore. Gelesen hatte ich ihn schon einmal, aber nur flüchtig. Sein Führungszeugnis war blütenrein... ein mittelloser Student, der mit 31 Jahren noch immer bei seiner Mutter wohnte. Das einzig Aufregende in seinem Leben war sein desaströser Gesundheitszustand.

Trotzdem musste ich der Sache nachgehen, also notierte ich auf meiner kleinen Ermittlungsliste die Untersuchungsanordnung zu Hillers Wohnung. Und selbstverständlich würde ich es mir nicht nehmen lassen, der liebreizenden Viola Cadaverini einen Besuch abzustatten um über ihre Familienangelegenheiten zu plaudern. Das Einzige, was mir wirklich Kopfzerbrechen bereitete, war die verschwundene Mordwaffe. Ohne sie konnte ich derzeit keinen Bezug zu Cadaverinis Mörder herstellen, egal ob es sich um Hiller oder eine andere Person handelte.

Bis in die frühen Morgenstunden klopfte ich die gesamten Falldokumente auf offensichtliche und versteckte Hinweise ab und ergänzte meine Ermittlungsliste. Irgendwann wurden mir dann doch die Augen schwer und als ich Gefahr lief den Weltrekord im Dauergähnen aufzustellen, ließ ich mich in meinen Sessel sinken und schloss für einen kurzen Moment die Augen...
 

... Das Telefon riss mich erbarmungslos aus meinem Sekundenschlaf. Ich raffte mich verärgert auf mit dem Gedanken, welcher Armleuchter zur nachtschlafenden Zeit in der Staatsanwaltschaft anrief, bis mir auffiel, dass es bereits hell draußen war. Noch halb benommen nahm ich den Hörer ab.

"... Ja."

"Hier ist Oberstaatsanwältin Freyer. Spreche ich mit Mr. Gavin?"

Als ich diese süße Stimme hörte, war ich mit einem Schlag hellwach.

"In der Tat. Das heißt, falls Sie es diesmal auf den jüngeren abgesehen haben."

Diane Freyer war nicht nur meine Vorgesetzte, sondern auch eine gute Freundin meines Bruders. Kristoph hatte sie mir vorgestellt, als ich vor ein paar Monaten meine Staatsanwaltslaufbahn wieder aufnahm. Ich konnte mich nicht entsinnen, je eine Frau getroffen zu haben, die so viel Anmut und Feinfühligkeit besaß wie sie. Diane war dermaßen süß, dass ich allein vom Hinsehen Karies bekam. Ich war direkt ein bischen verknallt, ja? Unter normalen Umständen hätte ich sie sofort gedatet, mich störte ja nicht mal die Tatsache, dass sie in Kristophs Alter war, so Anfang Dreißig. Dianes berufliche Position verbot es mir einfach. Ach, und außerdem war sie überglücklich verheiratet.

"Es ist schön, dass ich Sie gleich erreiche. Leider rufe ich in einer prekären Angelegenheit bezüglich des AK-416-Falls an. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr fallhabender Detective gestern die Kündigung eingereicht hat. Sie wissen, was das für Sie bedeutet?"

Mein Mund fühlte sich plötzlich so trocken an, dass ich hart schlucken musste. Ich tastete blind nach der Wasserflasche auf meinem Tisch. Sie war leer. Ich hatte eine leise Ahnung, worauf Diane hinaus wollte, trotzdem sagte ich nichts.

"Es tut mir leid, aber so wie die Dinge stehen, muss ich Sie von dem Fall abziehen."

"Das ist doch lächerlich!", entfuhr es mir. Sie seufzte und es klang etwas mitleidig.

"Sie wissen, dass ich viel von Ihnen halte, aber ich kann Sie nicht ohne Detective die Anklage führen lassen."

Selbst jetzt klang ihre Stimme betörend in meinen Ohren, obwohl sie mir Dinge sagte, die ich absolut nicht hören wollte. Das - und nur das! - hielt mich davon ab, komplett aus der Haut zu fahren.

"Mal unter uns... finden Sie das fair?" Ich versuchte das Gespräch auf eine vertraute, persönliche Ebene zu lenken. Ein halbgarer Trick aus der Mottenkiste und höchst unprofessionell, aber mir fiel im Moment nichts Besseres ein.

"Ich kann Ihnen nicht folgen."

"Es ist das Eine, wenn mir ein äußerst kompetenter Partner entrissen und mir dann jemand ohne Berufserfahrung vor die Nase gesetzt wird. Ich habe mich nie beschwert. Aber wenn mein Detective ohne nennenswerten Grund von Heute auf Morgen hinschmeißt, können Sie mich nicht dafür bestrafen!"

Sie schien sich ihre Antwort gut zu überlegen, denn es war ausgesprochen still am Ende der Leitung. Gerade wollte ich in meiner Argumentation noch einmal nachsetzen, aber sie kam mir zuvor.

"Ich kann gut verstehen, dass Sie sich beweisen wollen, nachdem Ihr Debut damals so viel Aufsehen erregt hatte. Aber ich frage Sie ganz offen: Brauchen Sie diesen Fall wirklich?"

Ich stutzte, weil sie den Nagel so präzise auf den Kopf traf.

Seit einer gefühlten Ewigkeit haftete mir der Ruf eines Wunderknaben an, weil ich in meinem ersten Prozess den ach so legendären Phoenix Wright gegen die Wand fuhr. Sowohl die Medien, als auch die juristische Fachwelt bestaunten damals dieses Kunststückchen, das keines war. Es war mir schleierhaft, weshalb Wright überhaupt so viel Aufmerksamkeit genossen hatte, denn in meinen Augen war er nichts weiter als ein schmieriger Winkeladvokat. Seine Fallstrategie entsprach einem wahllosen Herumstochern in Zeugenaussagen und Nebensächlichkeiten. Eine völlig veraltete und durchsichtige Methode, die heutzutage jedem Erstsemester ein müdes Lächeln entlockte. Obwohl mich das unendlich gelangweilt hatte, wäre das alles noch zu verschmerzen gewesen, aber dann hatte er etwas getan, dass ich ihm nie verzeihen würde: Er legte einen gefälschten Beweis vor. Zu seinem Pech flog der Schwindel auf und es kostete ihn seine Anwaltsmarke. Für Phoenix Wright hatte ich nur noch ein Wort übrig: Armselig. Und ich war es leid, ständig mit ihm in Verbindung gebracht zu werden.

"... Sind Sie noch dran?"

"Sorry, ich war in Gedanken."

"Darf ich auch daran Teil haben?"

Ich lachte leise.

"Sie haben mir gerade vor Augen geführt, wie sehr ich diesen Fall brauche."

"Und was soll ich jetzt Ihrer Meinung nach tun?"

"Zeit. Geben Sie mir ein wenig Zeit, ja?"

Die folgende Pause zog sich quälend lange hin.

"Also schön, die Sache duldet eigentlich keinerlei Aufschub, aber wenn Sie bis heute Abend um 18 Uhr einen fallführenden Detective angeben können, bleibt die Anklage bei Ihnen."

"... Diane, Sie rocken."

"Ich weiß. Machen Sie das Beste draus."

Mit diesen Worten legte sie auf und ich atmete hörbar aus. Diane gewährte mir nur ein knappes Zeitfenster, aber es war immerhin eine Chance und außerdem war der Tag noch jung.

Nachdem ich mein Büro verlassen hatte, machte einen kurzen Abstecher zu Starbucks, weil ich einen starken Kaffee brauchte. Schon allein, weil Daryan gestern Abend sechs Anrufe und zwei SMS auf mein Handy abgefeuert hatte, die ich erst jetzt bemerkte, weil ich auf lautlos gestellt hatte um ungestört arbeiten zu können.

Aus den Nachrichten "Beeil dich mal! Ich will Carl nicht vierteilen, bevor du da bist!" und "Klav, du Idiot! Warum hast du mich hängen lassen? Hab Carl zu Haifutter verarbeitet. Küss mir die Füße, Bitch!" las ich heraus, dass ich Daryan mindestens drei Stripperinnen und eine neue Fender spendieren musste, bevor er mir wieder mit mir redete. Das Treffen mit Carl hatte ich bei dem ganzen Stress völlig vergessen und es tat mir leid, dass Daryan sich allein mit ihm rumschlagen musste, aber ich hatte jetzt keine Zeit um meinem schlechten Gewissen nachzuhängen.

Ich fuhr erneut zum Präsidium um diesem Gumshoe in Sachen 'Wo bleibt mein neuer Detective?' auf den Zahn zu fühlen. Zur Not würde ich einfach jemanden zwingen, für mich zu ermitteln.

Als ich auf dem Parkplatz meinen Motorradschlüssel abzog, erblickte ich zu meiner Überraschung Fräulein Skye auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Na, wenn das mal kein Zufall war!

Sie hatte mich bemerkt, kaum dass sie die Ampel überquert hatte. Für einen Moment hielt sie inne wie ein Kind, das bei einem Streich erwischt wurde, setzte dann aber ihre Schritte ziemlich energisch ins Präsidium fort. Ich folgte meinem Fräulein Ex-Detective in die Eingangshalle und da es nur einen Fahrstuhl gab, wollte ich ihr beim Warten etwas Gesellschaft leisten. Bei der Gelegenheit konnten wir gleich mal über unsere Differenzen plaudern, wie Staatsanwalt Edgeworth es so schön ausgedrückt hatte. Tatsächlich schielte sie kurz zum Treppenaufgang, aber für die acht Stockwerke war ich ihr wohl doch nicht unerträglich genug.

"Guten Morgen, Fräulein Skye. Schön, Sie mal wieder zu sehen", durchbrach ich das Schweigen.

"Ich wünschte, ich könnte das Gleiche sagen."

Sie schlug ein paar Mal recht dynamisch auf die Ruftaste, obwohl der Fahrstuhl längst unterwegs war.

"Holen Sie Ihre Sachen ab?"

"Was wollen Sie, Gavin?"

"Betrachten Sie es als ein nettes, entspanntes Gespräch."

"Wenn das meine Anwesenheit nicht einschließt, tun Sie sich keinen Zwang an."

Ich fand das nicht nur kindisch, sondern wirklich respektlos, auch weil sie nicht mal den Anstand besaß, mir ins Gesicht zu sehen. Vielmehr musterte sie auf das Hartnäckigste die Fahrstuhltür. Ich ermahnte mich zur Ruhe, da der Impuls, Fräulein Skye ihren süßen Hals umzudrehen, immer stärker wurde.

Als wir den Fahrstuhl endlich betreten konnten, wollte ich einen weiteren Versuch starten. Ich wartete, bis wir anfuhren und schlug einen äußerst sanften, versöhnlichen Ton an.

"Wissen Sie, warum es keine Acapella-Rocker gibt? Weil nur eine eingeschworene Band richtig rockt."

"Demzufolge rocken Sie kein bisschen, weil Sie eine ewig langweilige One Man Show sind", kam es patzig zurück. Damit hatte Fräulein Skye den Bogen überspannt.

Sie fuhr erschrocken herum, als es einen heftigen Ruck gab und der Fahrstuhl stehen blieb.

"Sind Sie wahnsinnig, Gavin!?"

Ich nahm meinen Finger vom Tastentableau und zu meiner Genugtuung sah sie mich nun doch endlich an. Hatte auch lange genug gedauert.

"Wir haben Klärungsbedarf, ja?"

"Ich wüsste nicht, was wir noch zu klären hätten", sagte sie und als sie ihre Hand ausstreckte um den Fahrstuhl wieder in Gang zu setzen, packte ich sie am Oberarm und drückte sie außer Reichweite des Tableaus an die Fahrstuhlwand.

"Sie hätten ein kompetenter Detective sein können, eine richtige Leadgitarre. Sie sind innovativ, aufmerksam und verfügen über einen fundierten Sachverstand. Nur haben Sie es scheinbar darauf abgesehen, meine Karriere zu versauen. Wissen Sie eigentlich, was ich Dank Ihnen für einen Ärger am Hals habe?"

"Wissen Sie, wie egal mir das ist? Und jetzt lassen Sie mich los, bevor ich mich vergesse."

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich körperlich viel zu dicht aufgedrängt hatte. Ich nahm trotzdem nicht allzu viel Abstand.

"Sie schulden mir eine Antwort, Fräulein Skye."

"Ich schulde Ihnen gar nichts, Gavin!"

"Für Sie immer noch Mr. Gavin! Kommen Sie endlich runter von Ihrem hohen Ross! Und ich will jetzt eine Erklärung hören, verdammt noch mal!"

"Schreien Sie mich nicht so an!", brüllte sie zurück. Sie starrte mich an wie das Kaninchen die Schlange und ich bereute sofort, dass ich so laut geworden war.

"Dann zwingen Sie mich bitte nicht dazu, ja?", sagte ich gedämpfter, obwohl ich mich immer noch höchst angrifflustig fühlte.

"Ich habe nicht gekündigt um mich an Ihnen zu rächen."

"Ach?"

"Wir sind überhaupt nicht miteinander kompatibel. Kurz: Ich kann Sie nicht ausstehen!"

In mir keimte das Bedürfnis auf, sie herzhaft auszulachen. Einer Zwölfjährigen hätte ich das gern abgekauft, aber Fräulein Skye war den Kinderschuhen entwachsen, also wollten wir auch wie Erwachsene reden, ja?

"Das unterstreicht nur Ihre Unprofessionalität und ist kein Kündigungsgrund. Aber wo wir schon dabei sind – Was haben Sie gegen mich?"

"Die komplette Liste aufzuzählen würde Stunden dauern."

"Eine Kurzversion wird mir reichen. Los doch!" Es interessierte mich nicht im Geringsten, was sie an mir auszusetzen hatte, aber jetzt, da sie etwas zugänglicher geworden war, wollte ich ihr den kleinen Auftritt gönnen.

"Sie sind arrogant, selbstgefällig, affektiert, verarschen mich am laufenden Band, Ihre Rockstarattitüde ist zum kotzen und was gestern Mittag angeht, muss ich wohl hoffentlich nicht noch ins Detail gehen!"

Mit einem Lächeln lehnte ich mich seitlich gegen die Fahrstuhlwand.

"Was war denn gestern Mittag?", sagte ich in einem Tonfall, der schwer nach Denken Sie mal genau nach! klang.

"Sie haben mich vor Mr. Edgeworth total blamiert!"

War das ihre einzige Sorge?

"Verdrehen Sie bitte nicht die Tatsachen, Fräulein Skye. Sie hatten auf dem Dach einen Gefühlsausbruch, was Ihnen keiner nachtragen will, aber dann sind Sie einfach abgehauen und das geht nicht, ja? Ich kann Ihnen versichern, dass Staatsanwalt Edgeworth keinen Beifall geklatscht hat. Können Sie sich ausmalen, wie peinlich Ihre Vorstellung war?"

Sie drehte ihren Kopf zur Seite und zog den charmantesten Schmollmund, den ich je gesehen hatte! Ich musste der Versuchung widerstehen, um Fräulein Skye einen Halbkreis zu drehen, nur um sie ausgiebiger zu betrachten, denn ich war noch nicht fertig.

"Vorhin rief mich Oberstaatsanwältin Freyer an um mir mitzuteilen, dass ich vom Fall abgezogen werde. Und das alles nur, weil mein Detective aus einer kindischen Laune heraus hinschmeißt. Vielen Dank, Fräulein Skye. Coole Show, sehr coole Show."

"Jetzt tun Sie nicht so, als ob Sie total unschuldig wären. Wenn Sie mich nicht ständig provoziert hätten, wäre das gar nicht erst passiert!"

"Achtung! Hätte, Wäre und Wenn sind Geschwister, auf die kein Verlass ist."

Fräulein Skye schnaubte verächtlich.

"Hat eh keinen Sinn mehr, noch darüber zu diskutieren. Die Sache ist gegessen."

Sie machte Anstalten an mir vorbei zu gehen und weil sie sicher im Sinn hatte, uns endlich in den achten Stock zu befördern, schnippste ich einmal mit den Fingern scharf vor ihren Augen.

"Irrtum! Sie haben die einmalige und unwiderrufliche Gelegenheit, den Schaden zu begrenzen. Ziehen Sie Ihre Kündigung zurück!"

"Damit Sie mich nach Belieben weiter veralbern können? Sie warten doch nur darauf, mir endlich Ihre Abmahnung reinzuwürgen!"

"Ich weiß nicht, wie Sie auf diese Idee kommen, aber ich hatte nicht vor, Ihnen eine Abmahnung zu erteilen."

Das war gelogen. Um ehrlich zu sein, stand es sogar weit oben auf meiner Prioritätenliste, aber wenn es Fräulein Skye davon abhielt ihren wieder Job anzutreten, wollte ich gern darauf verzichten. Immerhin: Sie zog wieder den hübschen Schmollmund. Und jetzt wurde es Zeit, die letzten Register zu ziehen, damit die Sache endlich vom Tisch kam.

Ich griff mit beiden Händen nach ihren Schultern, beugte mich nach vorn und sah ihr ernst in die Augen.

"Wenn ich Sie in irgendeiner Weise verletzt haben sollte, dann tut mir das leid. Das war nicht meine Absicht... nicht wirklich. Sie haben so viel Potential und ich kann es nicht mit ansehen, wenn guter Wein vergossen wird. Bitte, Fräulein Skye, ich brauche Sie hier!"

Ich konnte ihrem Blick kaum entnehmen, ob sie mir das gerade abgenommen hatte oder nicht, aber sie schien jedes Wort intensiv abzuwägen, andernfalls hätte ich nicht so lange auf meine Antwort warten müssen. Dramatisches Schweigen war wohl eine beliebte Frauendisziplin, aber nicht unbedingt förderlich für meine Nerven.

"... In Ordnung."

"In Ordnung? Etwas genauer bitte."

"Ich ziehe meine Kündigung zurück – zufrieden?"

Mehr als zufrieden!

Ich spielte hinter ihrem Rücken eine glückselige Runde Luftgitarre, während sie den Fahrstuhl in Gang setzte und die Digitalanzeige beäugte. Und als ob sie ein weiteres Paar Augen im Hinterkopf trug, schoss sie pfeilschnell herum und zerrte mich an meinem Hemd zu sich runter.

"Nur, damit wir uns nicht falsch verstehen: Sollten Sie mich jemals wieder so wahnsinnig machen, dass ich Sie selbst vor dem Richter als selbstgefälligen Windbeutel betiteln muss, ist unser Arbeitsverhältnis be-en-det!"

Ich hätte ja gern etwas erwidert, aber in dem Moment öffnete sich der Fahrstuhl und gab die Sicht auf eine Menschentraube frei, hübsch angesammelt auf dem Flur des achten Stockwerks. Wir hatten den Lift wohl doch etwas zu lange beansprucht.

Fräulein Skye ließ mein Hemd los, als hätte sie sich die Hand verbrannt und bahnte sich fast duckend einen Weg durch ihre Kollegschaft. Da die Augenpaare ihr nur bis zur nächsten Ecke folgen konnten, schnappten sie zurück zu mir.

Ich schloss den einen Hemdknopf, der sich durch Fräulein Skyes Engagement aus seinem Loch befreit hatte.

"Wir sind dann fertig. Sie können einsteigen", ermunterte ich die Damen und Herren.

Ich fand Fräulein Skye an ihrem Schreibtisch, mit Zornesfalten und wieder mal auf diesem Süßkram kauend, aber – und das war die Hauptsache – sie war da!

Ich zog mir einen Stuhl heran und wir spielten ein paar Minuten Wettglotzen, wobei Fräulein Skye darin nicht ganz so versiert war wie Daryan. Es gab sogar Gerüchte, wonach Tatverdächtige im Verhör mit ihm besonders schnell geständig waren.

"Ich brauche die Akten zurück, damit ich den Fall bearbeiten kann", nuschelte sie in einen ihrer Kekse.

"Verzichten wir erstmal auf das Kleingedruckte. Ich habe da etwas im Sinn mit mehr Unterhaltungspotential, ja?"

Fräulein Skye hatte natürlich keine Ahnung, worauf ich hinaus wollte, von daher sah sie mich äußerst skeptisch an.

"Nur ein kleiner Betriebsausflug zum Familiensitz der Cadaverinis."

Ich erhob mich von meinem Stuhl und streckte mich ausgiebig. Die Nacht im Büro hatte ich nicht sehr bequem geschlafen, das merkte ich jetzt, wo mir der Rücken schmerzte.

"Ich hole Sie in einer Stunde hier ab, Fräulein Skye. Vorher muss ich noch was Dringendes erledigen."

Vielleicht war mein Vorhaben nicht von außerordentlicher Bedeutsamkeit, denn ich hatte nur das dringende Bedürfnis nach einer Dusche und frischen Klamotten, aber so genau musste ich ihr das nicht aufs Auge drücken.

Aber Fräulein Skye wäre nicht Fräulein Skye, wenn sie auch hier nicht irgendetwas zu beanstanden hätte und so donnerte ihre Stimme über den verlassenen Flur der Abteilung Drei, während ich schon die ersten Stufen im Treppenhaus nahm.

"Moment! Was meinen Sie mit abholen?! Nennen Sie mir einfach die Adresse, okay?"

Als ich draußen mein Motorrad bestieg, fuhr ich nicht sofort los, sondern zückte mein Handy.

"Flowership Company, Sie sprechen mit Hillary."

"Einen wunderschönen Tag, Hillary. Hier ist Klavier Gavin."

"Mr. Gavin! Was kann ich heute für Sie tun?"

"Ich brauche einhundert Rote Rosen, langstielig, und ich will dreist sein: So schnell wie möglich."

"Sie haben Glück, dass der Lieferant gerade da war. Holen Sie die Rosen ab oder sollen sie durch einen Boten überbracht werden?"

"... Warten Sie. Streichen Sie die Rosen."

Ein kleiner Teufel hatte mich geritten bei der Wahl meiner Blumen. Das hätte die Empfängerin nur unnötig in Verlegenheit gebracht. Ich überlegte fieberhaft nach einer passenden Alternative.

"Vielleicht kann Ihnen helfen, Mr. Gavin?"

"... Jasmin! Haben Sie Jasmin-Blumen da?"

"Da muss ich leider passen, aber ich könnte jemanden zum Großmarkt schicken. Brauchen Sie die gleiche Menge?"

"Ja, einhundert Stück. Fügen Sie bitte noch einen Dankesgruß hinzu, möglichst schlicht. Ach, und das Ganze geht dann per Bote an Diane Freyer."

Ich buchstabierte ihr den Namen, ebenso die Adresse von Dianes Büro und ließ mir versichern, dass mein Blumengruß innerhalb der nächsten drei Stunden bei ihr ankam.

Zufrieden drehte ich meinen Motorradschlüssel und hätte bei aller Euphorie, die mich gerade durchströmte, fast den armen Gumshoe über den Haufen gefahren.



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