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Unsterblich

My Immortal ~ Eternal Chronicles
von

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Nur geträumt

Irgendwann, sie wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, erwachte Leana wieder. Noch bevor sie die Augen öffnete, nahm sie einen durchdringenden Geruch wahr, der sie das Gesicht verziehen ließ. Es war der schwere Duft von Rosen, der ihr absolut zuwider war, weil er sie ihr ganzes Leben hindurch begleitet und untrennbar mit ihr verbunden war, allein schon durch ihr Shinken und ihren Eternal-Namen. Shoubi no Leana; Leana der Rose, beheimatet in der Rosenwelt und ehemalige Kommandantin der Rosenritter. Manchmal, besonders wenn sie krank war, hatte sie selbst in anderen Welten, selbst in der Monobe Akademie, geglaubt, dass sie den Duft von – nicht anwesenden – Rosen wahrnehmen konnte.

Um einen solchen Fall musste es sich auch dieses Mal handeln, davon war sie jedenfalls überzeugt, während sie sich auf die Seite drehte, um noch ein wenig zu schlafen – und dabei irritiert innezuhalten, als sie feststellte, dass sie nicht auf dem harten Boden oder in Leinenbettwäsche lag, sondern Matratze, Kissen und Decke tatsächlich mit Baumwollbezügen versehen waren, die ihren eigenen Geruch verströmten, was dafür sprach, dass sie jede Nacht in diesem Bett schlief und das wiederum passte so gar nicht zu ihren Erinnerungen, die langsam wieder einsetzten.

Also öffnete sie die Augen, um herauszufinden, wie das alles zusammenpassen konnte. Allerdings vergaß sie vor lauter Überraschung fast das Atmen, als sie entdeckte, dass sie sich in ihrem Zimmer in der Rosenwelt befand.

Schnell war sie aus dem Bett und drehte sich einmal im Kreis, nur um erneut festzustellen, dass sie offenbar wirklich in der Rosenwelt war, auch wenn diese Erkenntnis nur langsam in ihr Bewusstsein tropfte und dabei mit dem Wissen rang, dass das eigentlich unmöglich sein müsste.

Sie entdeckte 'Shoubi', das auf einem Podest ruhte und wollte danach greifen, in der Hoffnung, dass Isolde ihr verraten könnte, was geschehen war, aber ihre Hand blieb wenige Zentimeter über dem Griff schweben, als Leanas Augen etwas auf der Klinge entdeckten, das dort eigentlich gar nicht hingehörte. Ihr Herz schien ein ganzes Stück zu sinken, denn sie erinnerte sich noch gut daran, wie dieses Etwas dort hingekommen war und was es damals für sie bedeutet hatte.

Der Riss, der entstanden war, als sie den kraftlosen Zetsu in der toten Welt beschützt hatte und der verantwortlich gewesen war, ihr Shinken nutzlos zu machen. Damals war sie vor die Wahl gestellt worden, nach Hause zurückzukehren oder ein Eternal zu werden, um das Shinken zu reparieren und bei Zetsu zu bleiben. Ihr Wunsch, bei ihm sein zu können, hatte sie dazu bewogen, ihre Heimat für immer hinter sich zu lassen und ein Eternal zu werden.

Und doch war der Riss immer noch da, die Macht des Shinken nicht existent – und sie war in der Rosenwelt.

Aber es machte einfach keinen Sinn, nichts von alledem passte zusammen. Sie müsste jemanden fragen, der mehr wusste als sie, jemanden wie-

„Faris!“

In aller Eile entledigte sie sich des weißen Nachthemds, das sie zum Schlafen getragen hatte und nahm sich wahllos eine ihrer Uniformen aus dem Schrank. Der viel zu schwere Stoff zog ihre Schultern nach unten und kratzte unangenehm auf ihrer Haut, aber für den Moment kümmerte sie sich nicht weiter darum, es war lediglich ein zweckdienliches Mittel, damit sie das Haus verlassen und Faris aufsuchen konnte.

Ihre Füße trugen sie direkt zum Gebäude, in dem die Ritter sich am Morgen zur Besprechung trafen, fast so als wäre sie nie fortgewesen, ihr Körper erinnerte sich besser an den Weg als ihr Gedächtnis.

Dabei besaß sie keinerlei Blick für die prachtvollen Rosen, die überall blühten als würde es sie keinerlei Anstrengung kosten, stets den blutroten Blütenkopf oben zu halten und Leana dabei höhnisch anzugrinsen.

Sie stürzte ins Gebäude, stolperte fast, weil die Tür leichter nachgab als sie angenommen hatte und blickte sich dann hektisch atmend um.

Faris zuckte erschrocken zusammen, als die Tür mit einem derart lauten Knall geöffnet wurde und wandte sich dann ihr zu, er lächelte ein wenig, also erinnerte er sich immerhin an sie, das war schon einmal ein Vorteil, wie sie fand.

„Was ist denn los, Leana?“, fragte er mit einem Anflug von Spott in der Stimme. „Stimmt etwas nicht, dass du so hereinstürmen musst?“

Sie ging auf ihn zu und ergriff ihn an den Schultern, was ihm einen verwirrten Gesichtsausdruck abrang.

„Warum bin ich hier!?“, fragte sie atemlos. „Wo ist Zetsu!?“

Sie konnte deutlich sehen, wie die Verwirrung in seinem Inneren wuchs, während er leicht den Kopf schüttelte und dabei ganz offensichtlich zeigte, dass er absolut keine Ahnung hatte, wovon sie eigentlich sprach.

„Wer?“

Es war nur ein Wort, eine kurze Frage, die ihr ohnehin schon angeschlagenes Herz in unzählige Scherben zu zerschlagen schien, die sich allesamt auf ihrer Seele verteilten, wo sie alsbald ihr Glitzern verloren und zu stumpfen, dunklen Fragmenten wurden.

Während ihr Herz seine Arbeit somit aufzugeben schien, arbeitete ihr Gehirn auf Hochtouren und brachte ihr sofort die Erklärung für diesen Umstand: Eternal wurden vergessen, sobald sie eine Welt verließen, das war ihr Fluch, den sie auf sich nahmen, um ewig leben zu können und die Macht zu erhalten, ihre Wünsche zu erfüllen. Zetsu war nicht vergessen worden, als er die Rosenwelt verlassen und sie zurückgelassen hatte, aber kaum dass sie ein Eternal geworden war, waren die Erinnerungen an sie beide aus dem Gedächtnis der Bewohner verschwunden und nun, da ihr Shinken beschädigt war, fand sie eine ähnliche Situation vor. Das war es, was sie zu dem Schluss führte, dass die Erinnerungen an Zetsu an 'Shoubi' gebunden sein mussten, auch wenn sie sich im Moment nicht erklären konnte, wie das sein konnte. Sie hatte noch nie zuvor von einem derartigen Fall gehört.

„Alles in Ordnung?“, fragte Faris besorgt, als ihr Schweigen länger anhielt.

„Ich habe Kopfschmerzen.“ Sie ließ ihn los und griff sich stattdessen an die Stirn, hinter der es tatsächlich zu schmerzen begonnen hatte. „Was ist geschehen?“

Er griff ihre gedankenverlorene Aussage auf, um ihr zu helfen: „Du bist gestern wieder heimgekehrt, offenbar hat irgendetwas dein Shinken beschädigt, als du der Brigade in der Manawelt geholfen hast... dann bist du ins Bett und jetzt wirkst du leicht... durcheinander.“

Also war sie heimgekehrt, statt ein Eternal zu werden. Aber waren dann all die Erlebnisse, die sie als Eternal durchlebt hatte, nur ein Traum gewesen? Sie konnte sich noch gut an die Schmerzen erinnern, die Tränen und auch die Freude, die sie in all der Zeit mit Zetsu erlebt hatte...

Die Schmerzen!

Ihr Blick fiel auf ihr Handgelenk, das durch einen Unfall, den sie während ihrer gemeinsamen Zeit erlitten hatte, in Mitleidenschaft gezogen worden war – doch sie konnte keinerlei Einschränkungen feststellen, das Gefühl war vorhanden, sie spürte sogar den Schmerz, als sie die geballte Faust gegen die Wand donnerte, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.

Faris keuchte erschrocken über diesen plötzlichen Ausbruch. „Leana! Was ist denn los!?“

Sie war fast schon versucht, es ihm zu sagen, die Gelegenheit zu nutzen sich ihm an die Brust zu werfen und einfach nur hemmungslos zu weinen wie niemals zuvor.

Aber sie tat es nicht, nichts von dem, was eigentlich vernünftig gewesen wäre. Stattdessen schluckte sie all ihre Gefühle hinunter, gemeinsam mit den Tränen und verbarg beides in einer finsteren Kammer, die sie sorgsam mit einem schweren Schloss versah, damit sie nicht einfach wieder hervorbrechen würden. Das war etwas, was sie gut konnte – und was ihr nun helfen sollte.

„Gar nichts ist los“, antwortete sie gefasst und derart kühl, dass ihr beinahe selbst ein Schauer über den Rücken lief. „Wir sollten uns besser an die Arbeit machen, denkst du nicht auch?“

Er war immer noch sichtlich verwirrt, aber sie konnte auch die Erleichterung bemerken, als er feststellte, dass sie nun wieder zu einem Thema kam, das er verstand und mit dem er durchaus umgehen konnte. Fast schon freudig eilte er an den Tisch, an dem sie ihre Einsatzbesprechungen vollführten und sie folgte ihm, mit Schritten, die nicht verrieten, dass sie gerade innerlich zerbrochen war und sich doch so unendlich schwer anfühlten.
 

Es dauerte nicht lange, bis Leana wieder ganz in ihrem alten Leben angekommen war, auch wenn die Umstellung, alles aus eigener Kraft zu schaffen und nicht auf das Shinken vertrauen zu können, zu Beginn recht hart gewesen war. Es war fast ein halbes Jahr vergangen und der Schnee fiel in kunstvollen Flecken sacht auf die Rosen herab, die der Kälte erstaunlicherweise trotzten und nach wie vor ihre roten Köpfe in die Luft reckten als freuten sie sich über den Winterhimmel.

Ihre Erinnerungen an ihre Zeit mit Zetsu, ja sogar an seinen Tod und ihrer anschließenden Trauer waren immer diffuser geworden, immer undeutlicher, die Gefühle weniger greifbar, wie bei einem Traum, an den man sich nach den Aufwachen vielleicht noch erinnern konnte, der aber alsbald wie Sand zerrann und höchstens unbedeutende kleine Körner in der Erinnerung zurückließ.

Mit Schrecken wachte sie eines Tages, an dem der Himmel grauer als sonst schien, auf und stellte fest, dass sie selbst die Erinnerung an Zetsus Stimme verlor, an sein Lachen und der unterschwellige Ton von Trauer, wann immer er über seine Vergangenheit sprach. Sie fragte sich, wie lange genau sein Haar gewesen war, hatte es wirklich die Farbe von Silber? Waren seine Augen überhaupt blau?

Stück für Stück brach ein Teil von ihm und verschwand aus ihrem Gedächtnis, bis nur noch die Wärme seiner Hand zurückblieb und das Gefühl seiner Lippen auf ihrer Haut. In einem Versuch, sich diese Erinnerungen zu erhalten, hielt sie so verzweifelt wie möglich an ihnen fest, mit der stets vorherrschenden Furcht, eines Tages auch davon nichts mehr zu wissen.

In diesen Tagen der wachsenden Verzweiflung, sah sie den Jungen zum allerersten Mal. Er tauchte nicht in ihren Erinnerungen auf, in keiner einzigen, aber sie wusste sofort, dass er etwas mit Zetsu zu tun haben musste – auch wenn sie sich nicht sicher sein konnte, ob sie sich wirklich ähnlich sahen.

Er mochte höchstens zehn Jahre alt sein, hatte silbernes Haar und blaue Augen. Er stand zwischen den Rosen und hob sich geradezu unangenehm von dem Rot um ihn herum ab, doch genau deswegen fiel auch ihr Blick sofort auf ihn, als sie gerade aus dem Fenster sah.

Wer er war oder was er da tat, konnte sie nicht erkennen, obwohl sie ihn auf die Entfernung zu mustern versuchte. Was auch immer er an diesem Ort, dem königlichen Rosengarten, verloren hatte, er schien mit reiner Selbstverständlichkeit einfach nur dazustehen.

Ihre Beobachtungen wurden unterbrochen, als einer der Ritter sie plötzlich ansprach. Sie wandte ihm den Blick zu und vergaß dabei für einen kurzen Moment den Jungen. Als der Ritter schließlich wieder davonging, kam ihr auch der Junge wieder in den Sinn, doch als sie erneut zum Fenster hinaussah, war er spurlos verschwunden.

Somit verwarf sie die Gedanken an ihn endgültig wieder und widmete sich ihren Aufgaben.
 

Der Frühling kam und schmolz den Schnee und immer noch schienen die Rosen sich nicht im Mindesten um die Natur und ihren Wandel zu kümmern. Die eingesetzte Wärme erlaubte es wieder, dass Leana mit dem jungen Prinzen Alvis im Garten spazieren konnte. Selbst ohne ihr Shinken war er immer noch geradezu begeistert von ihr, hing an ihren Lippen, wenn sie erzählte und wollte am Liebsten den ganzen Tag mit ihr verbringen.

Leana tat alles, was er wollte, auch wenn das bedeutete, dass sie kaum Freizeit oder Schlaf bekam, aber immerhin hinderte sie das auch daran, über denjenigen nachzudenken, den sie vergessen hatte. Was von ihm geblieben war, brannte in ihrer Brust, wann immer ihre Gedanken auf ihn kamen, aber sie wusste weder wie er aussah, wie seine Stimme klang oder gar seinen Namen. Alles war fort, hatte nur dieses Brennen zurückgelassen, das sie daran erinnerte, einst geliebt zu haben und glücklich gewesen zu sein. Emotionen, die nur noch in ihrem Gedächtnis existierten.

Bei einem dieser Spaziergänge entdeckte sie den Jungen wieder. Erneut stand er einfach nur inmitten der Beete und betrachtete die Rosen, so als würde er sie zum allerersten Mal sehen.

Im ersten Moment glaubte sie, sich seine Anwesenheit nur einzubilden, doch plötzlich schnaubte Alvis und ging auf den Jungen zu. „He! Was hast du hier im königlichen Rosengarten verloren!?“

Seiner Stimme hörte man deutlich an, dass er es gewohnt war, dass die Leute ihm gehorchten und ihm auch ohne seine Aufforderung Auskunft erteilten.

Der Junge war aber offenbar kein Untertan, denn er nahm den Blick von den Rosen, um Alvis verwirrt anzusehen. Er wusste anscheinend nicht, was der Prinz von ihm wollte oder gar warum er ihn gerade so anging.

Leana sprang sofort ein und kam ebenfalls näher. „Wer bist du? Und was tust du hier?“

Als der Junge sie ansah, schienen seine Augen geradewegs aufzuleuchten, so als würde er sie erkennen und sich freuen, sie endlich wiederzusehen, obwohl sie nach wie vor sicher war, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben.

Er legte eine Hand auf sein Herz. „Du weißt, wer ich bin.“

Sie deutete ein Kopfschütteln an, sagte aber nichts, sondern wartete darauf, dass er fortfuhr, was er auch sofort tat: „Ich bin hier, um mit dir zu sprechen. Es ist Zeit für eine Entscheidung.“

In diesem Moment schien die Welt um sie herum zu ergrauen und lediglich sie und diesen Jungen in einem Lichtkegel zurückzulassen. Alvis wurde eingehüllt von einer undurchdringlichen Dunkelheit, die Geräusche des täglichen Lebens wurden erst dumpf und verhallten dann ganz.

„Was für eine Entscheidung?“, fragte sie und auch wenn ihre Stimme von einem Widerhall begleitet war, als befände sie sich in einem leeren Saal, hörte sie ihre eigenen Worte mehr als nur deutlich.

„Die Entscheidung darüber, was du als nächstes tun willst“, antwortete der Junge und seltsamerweise gab es bei seiner Stimme keinerlei Echo.

Dafür glaubte sie aber, unterschwellig die eines anderen zu hören und jene Stimme griff in ihre Brust hinein, um die Scherben ihres Herzens zusammenzusuchen, in einem zaghaften Versuch, es wieder zu kitten.

„Du hast die Wahl, in diesem Traum zu verharren, für immer und ewig den Alltag in deiner Heimat zu durchleben, ohne jede Erinnerung an mich. Ohne jedes Glück.“

Er verzog schmerzhaft das Gesicht als würde ihm die Aussicht, dass sie auf ewig unglücklich sein würde, tatsächlich das Herz zerreißen.

„Oder du entscheidest dich, aufzuwachen. Die Realität mag, besonders in diesem Moment, schmerzhaft sein. Du hast die Person verloren, die dein Herz berührte, für die du all das hier aufgabst und nun ist auch noch deine engste Vertraute vorübergehend verlorengegangen.“

Er hielt inne und sie erinnerte sich an Isolde, an die Zeiten, in denen sie schier an ihrem Shinjuu verzweifelt war, aber auch an all jene Momente, in denen sie ihr beigestanden, in denen sie Leana nach Kräften unterstützt und sogar getröstet hatte. Ohne Isolde wäre ihr Leben in dem Moment, in dem er gestorben und sich in zahllose Funken aufgelöst hatte, vorbei gewesen. Aber ihr Shinjuu hatte ihr die Kraft gegeben, weiterzugehen.

Der Gedanke an sie und dass sie nicht mehr da war, ließ ihr beinahe die Tränen in die Augen steigen, doch sie schafften es nicht, sich aus der sorgsam verschlossenen Kammer zu befreien.

„Aber wenn du den Schmerz überstehst, ihn überwindest und dein Herz daran setzt, dann wird diese dunkle Zeit der Trauer enden und du wirst dein Glück zurückbekommen.“

Er sprach so zuversichtlich, seine Augen leuchteten regelrecht dabei, dass sie nicht eine Sekunde lang hinterfragte, ob es wirklich die Wahrheit sein könnte und falls ja, woher er sie denn wissen sollte.

„Allerdings habe ich keinerlei Zweifel, dass du irgendwann und irgendwie auch in diesem Traum glücklich werden könntest. Immerhin hast du auch hier die Ewigkeit für dich.“

Dabei kümmerte es sie nicht, ob sie hier auch glücklich werden könnte. Das Brennen in ihrer Brust, das sich verstärkte, während die Stimme ihr Herz weiter zusammensetzte und dabei äußerst erfolgreich war, verriet ihr eindringlich, dass es nur einen Ort gab, an dem sie glücklich werden könnte – und das war eindeutig die Realität, so schmerzhaft es auch sein würde, wenn die Erinnerungen erst einmal wieder vollständig wären.

Im selben Moment, in dem ihr das bewusst wurde, brach das Schloss, das die Kammer zugesperrt hatte und mit den Tränen, der Verzweiflung und dem unbändigen Schmerz, der erneut ihr Herz auseinanderzureißen drohte, kehrten auch die Erinnerungen zurück und drangen mit aller Macht auf sie ein, zwangen sie dazu, schluchzend in die Knie zu gehen und dabei blind vor Tränen die Arme nach jemandem auszustrecken, der freundlich genug wäre, sie tröstend an sich zu drücken. Zu ihrem Glück übernahm der kleine Junge diese Aufgabe und während sie hemmungslos schluchzte, spürte sie, wie er sich mit zunehmender Erinnerung zu verändern begann.

Stück für Stück wurde in ihrem Inneren das Bild eines Eternals wieder aufgebaut, dessen langes silbernes Haar in der Sonne glitzerte, dessen blaue Augen vor Schalk geradezu sprühten, der mit seinem einnehmenden Lächeln sofort die Herzen aller gewann. Sie erinnerte sich wieder an seinen Geruch und auch an seine Stimme, sein Lachen – und zuguterletzt, mit dem letzten Bruchstück, das ihr Herz wieder vollständig werden ließ, auch an seinen Namen.

„Zetsu!“, rief sie mit heiserer Stimme aus, als bräuchten sie diesen Beweis, dieses Aussprechen, damit sie wieder sicher sein konnte, dass es auch wirklich funktioniert hatte und sie nicht nur glaubte, sich wieder zu erinnern.

Durch den Schleier von Tränen hindurch, erkannte sie schließlich, dass der Junge sich zu einem Abbild ihrer Erinnerung gewandelt hatte, zu der Person, die sie so sehr vermisste, seit er von ihr gegangen war. Er lächelte sie an und dieses Lächeln hatte etwas Tröstliches an sich, während seine Augen traurig blickten, so als bedauere er es selbst, nicht bei ihr sein und mehr für sie tun zu können.

„Zetsu...“

„Alles wird wieder gut“, versprach er ihr sanft. „Und ich halte, was ich verspreche, das weißt du doch.“

Im selben Moment, in dem er das sagte, erschien ein sanftes blaues Glühen auf seinem Arm, die seltsamen Lettern bildeten seinen Orichalcum-Namen, jener, der ihn stets reinkarnieren lassen würde.

Ein rotes Leuchten brachte sie dazu, auf ihren eigenen Arm zu blicken, wo ebenfalls ihr eigener Orichalcum-Name erschienen war. Die Lettern lösten sich von ihrem Arm, so wie die seinen und verbanden sich mit dem jeweils anderen, die Farben gingen ineinander über und nahmen einen violetten Ton an – und das war für sie ein eindeutiges Zeichen, dass sie zusammengehörten, selbst über den Tod hinaus.

Er beugte sich mit geschlossenen Augen vor und legte seine Lippen auf ihre, worauf sie ebenfalls die Augen schloss, um diesen Moment, diesen ersten Kuss seit einer gefühlten Ewigkeit, zu genießen und sich dabei einzureden, dass all die schlimmen Erinnerungen nur zu einem Traum gehörten.

Zu ihrem Leidwesen hielt der Moment nicht lange an, denn schon nach wenigen Sekunden schwand ihr Bewusstsein und auch Zetsu und beide ließen sie allein mit ihrer Sehnsucht und dem Wunsch nach einer Besserung ihrer Situation in der Dunkelheit zurück.



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