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Unsterblich

My Immortal ~ Eternal Chronicles
von

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Ayumus Fehler

Obwohl schon mehrere Stunden seit ihrer Flucht vergangen waren, befand sich die Burg immer noch in heller Aufregung. Er saß auf dem Dach des Wachturms, damit er von niemandem gesehen werden würde – es sei denn, jemand würde dem Impuls folgen, aus dem Fenster zu blicken und den Kopf in den Nacken zu legen – und beobachtete, was vor sich ging. Auf dem Hof liefen immer wieder Wachen umher, kamen und gingen oder verließen einfach für kurze Zeit sein Sichtfeld, möglicherweise um sicherzugehen, dass nicht wieder eine ganze Einheit einschlief und es von niemandem rechtzeitig bemerkt wurde. Im Wachturm, nicht weit unter ihm, standen mehrere Männer und unterhielten sich leise miteinander. Er konnte vereinzelte Wörter verstehen, die ihm selbst ohne jeden Zusammenhang verrieten, dass Eos fürchterlich zornig darüber war, dass Leana hatte fliehen können.

Lakaien konnte er nirgends entdecken, aber er nahm dennoch an, dass sie irgendwo im Inneren der Burg noch da waren und darauf warteten, dass jemand dumm genug war, sich ihnen zu nähern. Sie lauerten, im Dunkeln, auf Mana, das leicht zu verdienen war, das konnte er spüren... oder er glaubte das zumindest. Er war sich nicht ganz sicher, ob er sich nicht doch nur einbildete, weil er es spüren wollte. Viel wahrscheinlicher war es doch, dass es keine Lakaien mehr in dieser Burg gab, weil Leana den Kern dessen, was sie erschuf, zerstört hatte. Herausfinden wollte er es allerdings auch nicht.

Er konnte Hyperions Blick auf sich spüren, auch wenn er den anderen nicht sehen konnte. Aber allein das verriet ihm, dass er nicht ewig Zeit hatte. Nur weil Hyperion ihm in diesem Moment freie Hand ließ, bedeutete das nicht, dass er es sich nicht vielleicht doch noch anders überlegen würde.

Nachdem er den Hof inspiziert hatte, wanderte sein Blick über das Dach und die darin eingebauten Fenster. Die meisten waren verschlossen, mit einem stabilen Riegel, wie er vermutete, aber einige von ihnen standen tatsächlich offen, als würden sie eine stumme Einladung aussprechen. Als gaukelten sie ihm vor, dass er willkommen wäre und nicht in der Dunkelheit Lakaien nur darauf warteten, jedem ungebetenen Eindringling die Kehle durchzuschneiden.

Er schüttelte mit dem Kopf, um den Gedanken wieder loszuwerden und überlegte dann, welches Fenster ihn am ehesten zu Eos führen würde, ohne einen Lakaien. Natürlich gab ihm nichts an der Architektur Aufschluss darüber – und selbst wenn, hätte er dahinter nur eine Falle vermutet – aber dennoch blieb sein Blick wie selbstverständlich bei einem bestimmten Fenster hängen. Es sah aus wie jedes andere, aber er fühlte ein unbändiges Ziehen, das ihn genau dorthin führen wollte.

Es bestand kein Zweifel, dass Eos in diesem Zimmer war. Und wenn er das spürte, wusste sie vielleicht auch bereits, dass er hier war, mit der Absicht sie zu töten.

Damit sie ihm nicht zuvorkommen oder sich wirklich darauf vorbereiten könnte, erhob er sich und begab sich lautlos und für die Wachen nicht sichtbar, zu dem Fenster, um in den Raum dahinter zu treten. Doch zu seiner Enttäuschung fand er Eos nicht vor.

Die einzige anwesende Person saß auf dem Boden, an dem niedrigen Tisch, den Kopf gesenkt, als würde er schlafen. Es war ihr Diener, dessen Namen er nicht kannte. Aber dennoch war es als würden Bruchstücke von Gedanken und Erinnerungen anderer Personen – möglicherweise die von Eos – in seinen Kopf eindringen und ihm den Namen verraten: „Yori.“

Es war nicht viel mehr als ein Flüstern, aber es genügte, um den Mann dazu zu bringen, den Kopf zu heben und Ayumu mit fragend geneigtem Kopf anzublicken, möglicherweise hatte er doch nicht geschlafen. „Wie kommst du hier herein?“

Er klang wirklich müde, aber Ayumu konnte darauf keine Rücksicht nehmen, wenn er seinen eigenen Plan verfolgen wollte. Er deutete auf das Fenster, worauf Yori einen verstehenden Laut von sich gab – und vielleicht, hinter seiner ausdruckslosen Miene, bereute, es nicht geschlossen zu haben. „Und was möchtest du jetzt hier? Eos-dono ist nicht hier, wie du siehst.“

Offenbar nahm er automatisch an, dass Ayumu zu ihr wollte und auch, wenn es stimmte, ärgerte es den Ninja, dass es nun jemanden gab, der seine Absicht kannte.

„Warum bist du hier, wenn sie es nicht ist?“, fragte er.

Die Unterhaltung kam ihm ein wenig unwirklich vor, aber er nahm an, dass der andere noch zu müde war, um zu realisieren, dass er gerade unvernünftig handelte.

„Ich bin ihre rechte Hand“, antwortete Yori arglos, mit unbewegtem Gesicht. „Ich warte darauf, dass sie fertig wird, mit was auch immer sie gerade beschäftigt ist.“

Ayumu stutzte einen kurzen Moment, als er das hörte. Dieser Mann war die rechte Hand der Person, die er finden wollte, das bedeutete, sie vertraute ihm und er lag ihr möglicherweise sogar irgendwie am Herzen. Warum sollte er sich das nicht zunutze machen?

„Ich verstehe“, sagte er lächelnd, kaum dass er seinen Plan gefasst hatte. „Dann werde ich einfach mit dir einen Termin ausmachen, um zu Eos zu kommen.“
 

Leana war erschöpft. Ihr Atem ging schwer, als sie endlich an der Burg ankamen. Ohne Shinken, Schlaf oder Nahrung, war es ungemein anstrengend, derart viel zu laufen. Ylva und Fuu ging es auch nicht sonderlich besser, wobei beide noch den Vorteil besaßen, zumindest ein wenig geschlafen zu haben. Tokimi dagegen schien nicht einmal im Mindesten von der Anstrengung berührt zu sein.

„Es sind ziemlich viele Wachen da“, sagte das Orakel. „Austricksen können wir sie diesmal vermutlich eher nicht.“

„Das war auch letztes Mal eigentlich mehr Glück als Verstand“, erwiderte Fuu mit einem leicht tadelnden Unterton in der Stimme. „Wachen im Dienst sollten sich nicht so leicht von Zaubertricks ablenken lassen.“

Ein Lächeln huschte über Tokimis Gesicht, ehe sie sich wieder der aktuellen Situation zuwandte. „Aber sie wirken nicht in Panik, eher in Bereitschaft. Ayumu ist entweder noch nicht hier oder er hat sich nur noch nicht gezeigt.“

Leana tippte eher auf Letzteres. Da er ein Ninja war, vermutete sie, dass er lieber unentdeckt bleiben wollte, um sich unnötigen Ärger zu ersparen, bis er seine Aufgabe hinter sich gebracht hatte.

„Was tun wir jetzt?“, fragte Fuu.

Tokimi überlegte bereits, aber Leana wartete nicht weiter darauf, dass ihr etwas einfallen würde, sondern setzte sich bereits in Bewegung, um den Hof zu betreten. Die anderen sahen ihr erschrocken hinterher und schlossen dann rasch zu ihr auf, um sie nicht zu verlieren.

Kaum hatte sie einen Fuß auf das Grundstück der Burg gesetzt, hielten alle Wachen augenblicklich inne und wandten sich ihr wortlos zu. In ihren Gesichtern konnte sie lesen, dass einige sich fragten, was sie hier wollte, während andere sie durchaus als Eos' Gast wiedererkannten, der geflohen war. Innerhalb kurzer Zeit brach ein wütendes Murmeln los, in dessen Verlauf den Unwissenden erklärt wurde, wer sie war und sich dann gefragt wurde, warum sie nun wieder vor ihnen stand, nachdem sie erst vor kurzem die Flucht geschafft hatte.

Leana blieb vollkommen ruhig, sie wusste genau, dass niemand ihr etwas tun würde, besonders nicht nachdem bekannt geworden war, dass sie von Eos geschätzt wurde. Keiner ihrer Untergebenen würde es wagen, ihren Unmut auf sich zu lenken.

Sie hatte nicht überlegt, was sie tun sollte, wenn sie erst einmal im Burghof stand, sondern war einfach ihrer Intuition und dem Wissen gefolgt, dass ihr nichts geschehen würde. Also wollte sie einfach weiter so vorgehen und ihrem nächsten Impuls folgen. Sie öffnete den Mund, um nach Eos zu verlangen, da Ayumu dann sicher auch auftauchen würde, aber eine andere, wesentlich lautere Stimme, kam ihr zuvor: „Eos!“

Leana fuhr sofort zusammen, als sie das hörte. Es war eindeutig Ayumu, der da gerade nach der Präfektin gerufen hatte. Alle Anwesenden sahen sich nach der Quelle dieser Stimme um und plötzlich öffnete sich eine Schneise zwischen den Wächtern. Leana konnte Ayumu in einiger Entfernung von sich sehen, gemeinsam mit Yori, dessen Arme er gewaltsam hinter den Rücken hielt. Sein Gefangener sah nicht unbedingt gesund aus, er wirkte mitgenommen und auch verletzt, so dass Leana ihn am Liebsten gebeten hätte, den Mann wieder freizulassen – aber Ayumu achtete nicht auf sie.

Sein Blick galt einzig und allein einer Person, die Leana erst sehen konnte, als sie einige Schritte auf ihn zuging. Eos stand weiter rechts auf dem Hof, offenbar war sie gerade erst aus der Burg herausgetreten, in Begleitung mit Kobayashi. Sein Gesicht war verkniffen, offenbar war er wütend darüber, die Nacht über nicht wirklich geschlafen zu haben.

Eos schien davon nicht im Mindesten berührt. Sie reckte das Kinn, als würde sie auf Ayumu herabblicken wollen. „Was willst du hier?“

„Ich bin gekommen, um dir das Leben zu nehmen“, erwiderte er kühl, worauf Ylva ein erschrockener Laut entfuhr, den er auch nicht beachtete oder vielleicht nicht einmal bemerkte, da sie zu weit entfernt stand.

Leana wollte eigentlich vortreten, um ihn davon abzuhalten, ihm zu sagen, dass er solch einen Unsinn nicht einmal denken sollte. Aber dennoch bewegte sie sich nicht. Tief in ihrem Inneren gab es etwas, das sie davon abhielt, weil sie fürchtete, sich in etwas einzumischen, das sie nichts anging und das Zetsu quasi mit sich selbst ausmachen musste.

Eos hob nicht einmal eine Augenbraue. „Ach? Und dafür musst du meine Angestellten bedrohen?“

„Wenn du dich versteckst, muss ich dich eben irgendwie hervorlocken.“

„Du wirst diesen Ort nicht mehr lebend verlassen, Ayumu“, erwiderte sie. „In dem Moment, in dem du deine Deckung fallenlässt, wirst du sterben. Ob nun durch meine Hand oder die eines meiner Wächter.“

Kaum hatte sie das gesagt, waren zahlreiche Schwerter gezogen und auf Ayumu gedeutet worden. Doch ihn schien das absolut nicht zu kümmern. Leana konnte nicht sagen, ob das sein Selbstbewusstsein war oder er ohnehin nie damit gerechnet hatte, zu überleben.

„Ich werde vorher etwas anderes fallenlassen“, entgegnete er.

Noch im selben Moment zog er ein Messer aus seinem Gürtel und stach es ohne jede Vorwarnung in Yoris Seite. Leana sog scharf die Luft ein, als sie das beobachtete und dabei Zetsu zu sehen glaubte, der grundlos jemandem Schmerzen zufügte. Yori gab keinen Ton von sich, aber er verzog deutlich sichtbar das Gesicht, seine Augen flackerten.

Damit stieß Ayumu ihn von sich, worauf er zu Boden stürzte und sichtlich schmerzhaft landete. Eos' Mimik änderte sich, als sie das beobachtete. Diesmal hob sie tatsächlich die Augenbrauen, Wahnsinn flammte in ihrem gesunden Auge auf, getrieben von Rachsucht.

„Du!“, stieß sie mit vor Wut zitternder Stimme hervor.

„Dann wirst du jetzt gegen mich kämpfen, oder?“, fragte Ayumu, als wäre es vollkommen normal, Unschuldige zu verletzen, um andere zu provozieren.

Das hatte nichts mehr mit Zetsu zu tun, jedenfalls nicht mit dem Zetsu, den Leana kannte, weswegen sie es nicht akzeptieren konnte und langsam den Kopf schüttelte, in einem erfolglosen Versuch, dieses Bild wieder zu verdrängen. Doch es blieb und brannte sich ihr unaufhörlich ein, fast schon so als wollte es, dass ihr eigentliches Bild von Zetsu sich änderte und zerstört wurde, egal wie oft sie sich zu sagen versuchte, dass es Ayumu und nicht ihr Ehemann war, der dort handelte.

Aber all das half nicht. Auch nicht, als Eos einen wütenden Schrei ausstieß, ihr Schwert zog und schneller als jemand von ihnen es sehen konnte, auf Ayumu zustürmte und im nächsten Moment bereits ihre Klinge in seiner Brust versenkt hatte.

Sämtliche Geräusche um Leana schienen zu verstummen, alles andere wurde augenblicklich unwichtig, sie hörte nur noch ihren eigenen Herzschlag, der aufgeregt in ihren Ohren hallte.

Ayumu blickte überrascht hinunter, er sah aus, als hätte er noch nicht realisiert, was geschehen war, weil es sogar für ihn zu schnell passiert war. Eos bewegte keinen einzigen Muskel, sondern sah ihn nur an, mit einem Blick, der ihm sagen sollte, dass sie ihn nur seiner gerechten Strafe zugeführt hätte.

Der Moment schien ewig anzuhalten, bis Eos ihre Waffe wieder herauszog. Ayumu, dessen Gesicht nun trauriges Verständnis ausdrückte, stürzte. Im selben Moment rannte Leana los, um ihn aufzufangen, bevor er auf den Boden aufschlagen konnte. Sie ging in die Knie, um ihn besser halten zu können. Er wandte den Kopf, um sie anzusehen und obwohl er sichtlich kurz vor dem Tod stand und sich bereits violette Manafunken von seinem Körper lösten, lächelte er. „Leana... du bist gekommen... nur wegen mir?“

Sie konnte seine Stimme deutlich hören, obwohl alle anderen Geräusche noch immer ausgeblendet waren. Dabei stellte sie auch fest, dass keiner der anderen reagierte, sie alle standen nur da und beobachteten sie und den Verletzten.

„Natürlich bin ich das“, sagte sie und stellte dabei überrascht fest, dass sie trocken schluchzte. „Ich wollte das eigentlich verhindern.“

Und doch war es ihr nicht gelungen. Weswegen verlor sie nur alles, was ihr irgendwie wichtig war?

Ihre Familie, Zetsu, Isolde und nun auch Ayumu, ohne dass sie etwas hatte tun können. Sie spürte, wie sich etwas in ihr aufbaute, etwas Dunkles und Zerstörerisches. Aber noch schwelte es unter der Oberfläche. Lediglich das Brennen, das sie in ihrem Orichalcum-Namen spüren konnte, wies sie immer wieder darauf hin und ließ es sie nicht vergessen.

„Das freut mich wirklich“, sagte Ayumu. „Ich hatte gehofft, dass du kommen würdest.“

Er machte eine kurze Pause, um wieder zu Atem zu kommen. „Aber ich habe auch gehofft, dass ich besser aussehen würde...“

Einen kurzen Augenblick lang wollte sie ihm an den Kopf werfen, dass er einen Unschuldigen verletzt hatte mit seiner dummen Aktion, die am Ende zu nichts führte, aber der Anblick der immer schneller schwindenden Manafunken, mit denen sich sein Körper auflöste, ließ das nicht zu. Sie konnte nur den Kopf schütteln. „Es ist okay... wirklich... alles ist okay...“

Sie strich ihm durch das Haar, die glitzernden Funken fühlten sich warm und vertraut auf ihrer Haut an. „Du musst dir keine Vorwürfe machen.“

Es genügte immerhin, dass sie sich selbst Vorwürfe machte. Wenn sie schneller gewesen wäre, an jenem grauen Tag der Hinrichtung, wäre es nie zu dieser Sache gekommen. Auch Tokimi, Fuu und alle, die an Zetsus Spaltung schuld waren, standen dahinter zurück, wie sie fand.

All das war ihr Verschulden – und möglicherweise verdiente sie daher den Schmerz und die Einsamkeit, die sie in diesem Moment empfand.

„Es tut mir wirklich Leid“, flüsterte Ayumu kraftlos, ehe das Gewicht aus Leanas Armen verschwand, weil er sich vollständig aufgelöst hatte – und in ihrem Innerem zersprang etwas.



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