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Legacy

von

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»… acy. Legacy erwache, erscheine. Hilf … . Beeilung. Rette … .«

Ein Traum. Immer wieder derselbe Traum. Nacht für Nacht. Wann hat er nur angefangen, wann wird er enden? Jede Nacht dieselben Worte, jede Nacht dieselbe Stimme. Thela war schweißgebadet aufgewacht und saß nun aufrecht im Bett. Draußen tobte ein Sturm, wo durch der Regen an die Fenster gepeitscht wurde. Langsam stieg Thela aus dem Bett und strich sich die ins Gesicht hängenden langen schwarzen Haare, welche mit roten Strähnen durchzogen waren, aus dem Gesicht. Anschließend ging sie ins Bad und spritzte sich eisig kaltes Wasser ins Gesicht. Müde blickte sie in den Spiegel. Unter ihren Augen waren Andeutungen von Augenringen erkennbar. Obwohl Thela keine Lust hatte sich noch einmal ins Bett zu legen, hatte sie keine andere Wahl, denn am nächsten Tag war wieder Schule und diese durfte sie an ihrer Stelle nicht verpassen. Für manche mochte die Schule eine Erfüllung ihrer Träume sein, einen Startschuss in deren berufliche Karriere. Für sie aber war es eine Last. Am liebsten hätte sie die Schule geschmissen, doch sie wusste, dass dies nur alles schlimmer machte als es jetzt schon war. So konnte sie wenigstens etwas vorzeigen, sobald sie diese beiden letzten Jahre auf dem Gymnasium auch hinter sich gebracht hatte. Zumindest lag ihre Hoffnung darin. Ihre Noten waren nicht die Besten und ihr betragen gegenüber anderen ließ sehr oft zu wünschen übrig. Die Lehrer würden sie lieber heute als morgen aus der Schule werfen, doch solange sie sich nichts Schwerwiegendes zu Schulden kommen ließ, konnte sie ihr nichts anhaben. Langsam ging sie zurück ins Bett, legte sich hin und schlief nach einer Ewigkeit endlich wieder ein. Traumlos. Um halb sieben schrillte ihr Wecker durch den Raum. Thela brummte der Schädel und stellte den Wecker ab. Kurz darauf schlief sie wieder ein.

»Na endlich. War ja nicht anders zu erwarten!«

»Schon gut. Du hättest auch schon vorgehen können«, zeterte Thela Mîra an. Mîra war Thelas beste Freundin und hatte rotblonde Haare und dunkelblaue Augen. Des weiteren beschäftigte sie sich mit Esoterik, also mit Tarotkarten in die Zukunft blicken. Ihr Klamottenstil besaß hauptsächlich blaue und grüne Farben und in Jeansoptik. Thela dagegen hatte dunkelbraune Augen. Sie bewunderte Mîra bezüglich ihrer Fähigkeiten mit den Karten und in der Schule, gab dies aber nie offen zu. Ihre Klamotten waren eher unauffällig und der Mode nicht entsprechend, wie denen Mîras. Thelas Klamotten waren meist rot und schwarz.

»Was soll ich denn da ohne dich? Mich langweilen?« Mîra verdrehte in gespielter Frustration die Augen. »Jetzt erzähl. War es wie sonst auch?«

»Wie immer halt«, erwiderte Thela gähnend.

»Und immer noch keinen Anhaltspunkt woher dir die Stimme bekannt vorkommt?«

»Nein. Ich hör zwar seit Jahren diese Stimme und von irgend woher kommt sie mir auch bekannt vor, nur ich weiß nicht wo ich sie schon einmal gehört haben sollte. Das Seltsame aber ist … », Thela hielt mitten im Satz inne und sprach nicht weiter.

»… ist was?«, hakte Mîra fordernd nach.

»Wie? Ach so nichts. Mir kam nur grad ein Gedanke, aber der ist mir wieder entfallen.«

»Sicher?«

»Ja was sollte sonst noch sein?«, entgegnete Thela bissig.

»Wir müssen uns beeilen. Ansonsten sind wir noch später dran.«

»Ja ja. Trotzdem will ich mir den neuen Antiquitätenladen noch vor der Schule ansehen«, entschied Thela.

»Muss anscheinend so toll dort sein«, erwiderte Mîra resigniert. Die ersten zwei Stunden konnten sie eh schon vergessen. Nichts Ungewöhnliches bei Thela.

Kurze Zeit später kamen sie an. Ein klingeln signalisierte das Eintreten der Mädchen. Der Laden war klein und düster, überall lagen Kisten verstreut auf dem Boden und in den Regalen türmten sich, unter einer dicken Staubschicht vergraben, relativ alte Bücher, die schon beim bloßen Hinsehen auseinander fallen könnten. Obwohl eine Lampe an der Decke hing, schien es als hätte niemand sich die Mühe gemacht eine funktionierende Birne einzuschrauben. Der Lampenschirm war mit Rissen übersät. Im hintersten Teil des Raumes stand eine brennende Kerze, die unheimliche Schatten an die Wand warf. Dies war die einzige Lichtquelle, die es zu geben schien. Neben der Kerze saß eine, in dunklen Tüchern gehüllte, bewegungslos dasitzende alte Frau. Auf ihrer Stirn schimmerte durch das fahle Licht eine goldene Kette.

»Kommt ruhig näher«, krächzte die Alte leise, erhob sich aber nicht von ihrem Platz, sondern blickte die beiden aus stechenden Augen an. Thela schluckte, denn sie kam sich durch die Augen beobachtet vor. Mîra dagegen widmete sich rasch eines der verstaubten Bücher und entging somit Thelas Unbehagen. Nachdem Thela sich wieder gefasst hatte blickte auch sie sich im Laden um. Während Thela mehr im vorderen Teil des Ladens war, ging Mîra den hinteren Teil ab. An einem hohen Bücherregal blieb sie stehen und holte ein dickes und zugleich schweres Buch, mit einem Ledereinband heraus. Den Staub wischte sie mit dem Handrücken ab. Der Ledereinband war in einem dunkelgrün und auf der Vorderseite war ein Pentagramm zu erfühlen. Erst bei genauem Hinsehen erkannte man dieses als solches. Das Pentagramm war in den Einband eingestanzt.

»Suchst du im Herzen, so findest du es. Suchst du es aber mit dem Verstand, so entschwindet es dir bald. Unauffindbar dann wird es dir bis in Ewigkeit sein.«

Erschrocken drehte sich Mîra um und presste das Buch an ihre Brust, damit dieses ihr nicht aus den Händen entglitt. Sie blickte genau in die Augen der Alten, die sich leise hinter Mîra geschlichen hatte. »Suchst du im Herzen, so findest du es. Suchst du es aber mit dem Verstand, so entschwindet es dir bald. Unauffindbar dann wird es dir bis in Ewigkeit sein«, krächzte die Alte noch einmal. Verwirrt über diese Äußerung stellte Mîra das Buch weg und blickte sich verwirrt nach Thela um. Diese schien nichts bemerkt zu haben und ging in Richtung Tresen. Rasch folgte Mîra ihr. Am Tresen erwartete die Alte die beiden schon. Wie war sie so schnell wieder an ihren Platz gekommen?

Thela reichte der Alten einen Gegenstand und bezahlte diesen.

»Und wieder gibst du Geld aus.«

»Na und? Hat mich einfach so überkommen.«

Thela nahm den runden Gegenstand, der an einem schmalen Kettchen hing, wieder entgegen und steckte diesen in ihre Hosentasche.

In der Schule angekommen eilten beide in Richtung Klassenzimmer, welches im zweiten Stock lag.

»Und wieder dürfen wir Strafarbeiten abarbeiten. Konnten wir denn nicht später dorthin gehen?«, nörgelte Mîra herum, »und jetzt haben wir auch noch Miss Endorra. Du kennst sie ja, wie sie auf dich zu sprechen ist.«

»Nicht DIE. Kann die sich nicht einfach in Luft auflösen?«, stöhnte Thela. Nun legten die beiden noch einen Zahn zu, damit sie es hinter sich bringen konnten. In der Halle und auch in den Gängen schien es wie ausgestorben, denn alle waren in ihren Klassenzimmern, als sich unnötig in der Halle aufzuhalten. Es kam auch nicht vor dass die Schüler freiwillig schwänzten, denn die Eltern gaben viel Geld dafür aus, damit ihre Kinder dorthin gehen konnten, auf die beste und teuerste Privatschule der Stadt. Auf dem Boden lagen noch nicht einmal kleine Papierfetzen rum. Genauso wenig fand man irgendwo Staub auf den Regalen und Vitrinen, in denen Kunstwerke von den Schülern ausgestellt wurden. Ein Reinigungsdienst säuberte das Gebäude zweimal täglich. Dies alles hatte Miss Endorra, die Direktorin, eingeführt, damit jeder wusste das Ordnung eine Wichtigkeit im Leben eines jeden war. Vorwiegend traf man in dieser Schule Mädchen, obwohl es eigentlich keine reine Mädchenschule war. Jungs waren trotzdem die Ausnahme. Ohne auf ihre Umgebung zu achten, schritten sie schneller durch die Aula, welche die beiden im ersten Stock durchqueren müssen, um zur gegenüberliegenden Treppe zu gelangen. Immer schneller gingen Thela und Mîra. Völlig unerwartet stieß Thela gegen jemanden, der ihr gerade im Weg stand. Durch den Zusammenstoß saß Thela auf dem Boden und fing an zu fluchen. Mîra stand nur wortlos daneben und musste sich das Lachen verkneifen. Böse blickte Thela nun auch Mîra an und rappelte sich wieder auf. Nun erst registrierte sie den Jungen, gegen den sie gerade zusammengestoßen war. Dieser saß ebenfalls auf dem Boden und suchte gerade seine Sachen zusammen, anstelle Thela und Mîra zu beachten. Mit einer unwirschen Handbewegung ergriff Thela Mîras Handgelenk und zog diese in Richtung Treppe mit sich.

»Wie schön, wie schön«, murmelte der Junge amüsiert und stand, nachdem die Mädchen außer Sichtweite waren, ebenfalls auf. Anschließend folgte er den beiden langsam.

»Ist das die Möglichkeit? Unsere beiden notorischen Schwänzer, allen voran Thela, haben es doch tatsächlich noch vor der fünften Stunde geschafft, uns mit ihrer Anwesenheit zu beehren.« Lautes Gelächter erschallt nach diesen Worten, als Thela und Mîra sich langsam zu ihren Plätzen begaben. Miss Endorra, wie sie von ihren Schülern genannt werden wollte blickte beide nur herablassend an.

»Wisst Ihr beiden überhaupt welch ein Vermögen eure Eltern für diese Schule ausgeben? Und was macht ... «

»Und wissen Sie wie oft sie mit dieser Leier kommen, Miss Endorra? Es ist ihnen wohl immer noch nicht klar wer das alles finanziert«, konterte Thela wütend.

»Mîra, mein Kind, du weißt doch genauso gut wie ich, wie wichtig es für dich ist pünktlich zu erscheinen. Denk nur an den Ruf deiner Eltern und was sie sich von ihrer begabten Tochter wünschen. Eines Tages sollst du die Kanzlei deines Vaters weiterführen und das Ansehen deiner Familie in der Gesellschaft erhalten«, textete sie Mîra die Ohren voll.

Es stimmte zwar, dass Mîras Vater einer der angesehensten Leute war, aber musste sie deswegen gleich in die Fußstapfen ihres Vaters treten?

Thela blickte Mîra an, die zusammengesunken auf ihrem Stuhl saß, denn Miss Endorra verstand es wie kein anderer, die Schwachpunkte ihrer Schüler gekonnt gegen sie selber einzusetzen.

»Wäre es nicht einmal an der Zeit eine ganz andere Masche auszuprobieren, als immer dieselbe?« Thela blickte Miss Endorra in gespielter Unschuld an, damit sie die Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte und Mîra in Ruhe gelassen wurde. Diese nickte unmerklich Thela dankend zu und tat so als wäre sie mit ihrer Schultasche beschäftigt.

Nun war es an Miss Endorra wütend zu sein, denn es passte ihr gar nicht, wenn ihr jemand daneben kam. Mit einer solchen Wucht das selbst die Fensterscheiben klirrten, schlug sie ihre Faust auf den Tisch von Thela. Diese zuckte bei dem Knall kurz zusammen, senkte ihren Blick aber dennoch nicht. Angst hatte sie keine, nicht einmal vor der Direktorin.

»Eine solche Unverschämtheit lasse ich mir nicht bieten. Deine Strafe wird diesmal nicht so leicht ausfallen wie die letzten Male. Außerdem solltest du dankbar sein, dass deine Verwandten so ein gutes Herz haben und für dich sorgen.«

»Dankbar sein? Denen kommt das doch gerade recht. Die sind froh mich hier losgeworden zu sein«, erwiderte Thela ruhig, doch innerlich wollte sie dieser Frau an die Gurgel springen.

»Du ... «, begann Miss Endorra den Satz, wurde aber jäh unterbrochen als an der Türe geklopft wurde. Ebenso das ständige Gekichere erstarb, denn jeder war Neugierig wer da vor der Tür stand.

»Herein«, herrschte die Direktorin die Tür an und ging entschlossen zu ihrem Pult zurück. Etwas zögerlich öffnete sich die Tür. Herein trat ein hagerer, aber dennoch muskulöser Junge, der zurück gekämmtes, kurzes, braunes Haar hatte. Seine Augen waren ebenfalls in diesem dunkelbraun. Eine lange, graue Hose und ein schlichtes kurzärmliges Hemd trug er.

Nachdem er eingetreten und die Türe hinter sich geschlossen hatte, ging er auf Miss Endorra zu und blieb vor ihr stehen.

»Name?«

»Ray. Ray Takyno.«

»Du bist spät. Aber was soll man von Neuankömmlingen anderes auch erwarten.«

Wieder Gelächter. Thela betrachtete den Typen genauer. Irgendwoher hatte sie ihn schon einmal gesehen.

»Setz dich neben Thela. Hoffen wir sie färbt nicht ab und bist einsichtiger als dieses sture und dumme Kind«, fügte sie abwertend hinzu. Das Gelächter schwoll weiter an. Ray setzte sich auf den freien Platz, während Thela mit Mühe eine Bemerkung verkniff.

»Anscheinend bist du recht beliebt hier in der Klasse. Kein Wunder das du jeden so einfach umrennst und nicht darauf achtest wohin du gehst«, flüsterte er Thela hämisch lächelnd zu. Ihre klappte der Mund auf. Prompt fiel ihr ein woher sie diesen Kerl kannte. Das war der Typ, der ihr im Weg stand.

Sie schloss den Mund wieder und setzte zu einer Antwort an, doch bevor sie dazu kam, teilte Miss Endorra jedem einen Prüfungsbogen aus.

Thela verdrehte mürrisch die Augen. Sie hasste Prüfungen, ganz besonders Miss Endorras. Ray dagegen blickte Thela aus den Augenwinkeln amüsiert an.

So als würde Thela seine Blicke nicht bemerken tat sie so als würde sie sich auf die Prüfung konzentrieren.

Na toll. Der Kerl geht mir jetzt schon auf die Nerven nur mit seiner bloßen Anwesenheit, dachte sie bei sich.
 

Am Ende des Schultages ging Thela schlecht gelaunt aus dem Gebäude.

»Kann die sich denn keinen anderen Beruf aussuchen? Die passt doch hervorragend als Aufseherin in den Knast!« Thela kickte einen Stein in Richtung Schultor und moserte weiter rum. Ihre Hände hatte sie derweil in ihre Hosentaschen gesteckt.

»Ist das denn so ungewöhnlich, dass sie ständig auf dir rumhackt? Wie hätten den Laden heute meiden sollen«, versuchte Mîra Thela zu beschwichtigen, erhielt aber von ihr nur einen anklagenden Blick. »Ich meinte ja nur. Wären wir nicht vor der Schule dort hin, dann hätten wir es noch vor Miss Endorra in den Unterricht geschafft und größerer Ärger wäre uns erspart geblieben.«

Thela starrte nur schweigsam in den Himmel. So zeigte sie Mîra ihren Unmut und stimmte ihr gleichzeitig nicht zu. Auch Mîra erwiderte nichts mehr. Sie blickte in die Ferne und erkannte sogleich drei aneinander gereihte Hochhäuser, die jedem ins Auge fielen. Diese Hochhäuser waren ein Erkennungsmerkmal für die Elite der Gesellschaft und dem nobelsten Viertel der Stadt. Genau in diese Richtung waren die beiden Mädchen unterwegs. Beide besaßen dort ihre Wohnungen. Mîra lebte mit ihren Eltern dort, während Thela alleine dort lebte und ihre Verwandten diese finanzierten. Je näher sie den Häusern kamen, umso schicker und teurer wurden die Geschäfte, Karosserien und sogar die Anwohner ließen es sich nicht nehmen ihren Reichtum zur Schau zu stellen.

Hoch ragten die Gebäude, kalt und grau, über allen anderen. Die Hochhäuser hatten jeweils 10 Etagen mit jeweils 6 Wohnungen. Die Mädchen wohnten im Mittleren der drei im 5. Stock. Die beiden Wohnungen lagen zwar gegenüber, wurden aber durch ein langes und gleichzeitig breites Treppengeländer getrennt. An beiden Seiten der Etagen war jeweils ein Aufzug vorzufinden.

»Puh endlich wieder daheim«, seufzte Thela erfreut und streckte die Hände in die Luft.

»Jetzt sag schon. Was hast du dir in dem Laden nun gekauft?«

Beide kamen am Aufzug an und Thela drückte auf den Knopf bevor sie antwortete.

»Ach nichts Besonderes. Nur so eine alte Taschenuhr«, meinte Thela schulterzuckend bevor die Türen des Aufzuges sich öffneten und beide eintraten.

»Wozu das?« Mîra zog die Stirn in Falten, als sie Thela skeptisch anblickte. Diese drückte auf den Knopf, der sie in ihr Stockwerk beförderte.

»Nur aus einer Laune heraus«, gab sie ruhig zurück.

»Also mir war der Laden mehr als suspekt, vor allem diese alte Frau.«

Der Aufzug hielt.

»Jedem das Seine«, erwiderte Thela, als sie an Mîra vorbei aus dem Aufzug ging und zu ihrer Wohnung. Mîra folgte ihr langsam, wobei sie auf der anderen Seite des Treppengeländers war. Thela blieb vor ihrer Wohnung stehen und blickte kurz zu ihrer Freundin hinüber. Kein Kommentar kam mehr von ihr bezüglich des Ladens.

»Wir sehen uns dann morgen wieder.« Mit diesen Worten schloss sie ihre Wohnung auf.

»Und wie immer sind wir die letzten die im Unterricht erscheinen«, meinte Mîra kopfschüttelnd.

»Du musst ja nicht warten, wenn es dir zu stressig ist«, konterte Thela mürrisch.

»So war das doch nicht gemeint. Wir sind Freundinnen!« Mîra hatten ihren Blick auf Thela gerichtet, die ihr den Rücken gekehrt und die Türe einen Spalt geöffnet hatte. »Dann bis morgen«, fügte sie rasch hinzu und verschwand selbst in ihrer eigenen Wohnung, bevor Thela noch etwas erwidern konnte.

Nachdem Thela die Tür ins Schloss fallen hörte, trat sie selbst in ihre Wohnung. Ein heilloses Durcheinander erwartete sie schon im Gang. Klamotten lagen auf den Schränken, Schuhe mitten im Weg.

Ohne dies allem Beachtung zu schenken ging sie schnurstracks ins nahegelegene Wohnzimmer. Obwohl die Wohnungen der anderen Leute in dem Gebäude größer und mehr Zimmer besaßen, fiel es niemanden auf, dass Thela das kleinste der Wohnungen besaß. In ihrem Heim gab es nur ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Bad, sowie eine Küche, während in den anderen noch einige Nebenzimmer vorzufinden waren. Wo andere ihre eigene Ordnung liebten, mochte Thela lieber das Chaos, so wie es selbst in ihrem Leben auch aussah. Es störte Thela nicht, dass die meisten lieber sofort wieder aus ihrer Wohnung verschwanden sobald sie die Unordnung bei ihr sahen, denn sie lebte am liebsten alleine. So konnte sie mit Gewissheit sagen, dass ihre Verwandten ihr garantiert fern blieben, solange sie diese chaotische Lebensweise führte, denn Thela war das genaue Gegenteil ihrer Verwandten.

Erschöpft ließ sie sich in einen ihrer zwei Sessel fallen und schloss müde die Augen. Sie hasste die Schule von Tag zu Tag mehr. Einfach nur alles hinschmeißen. Der Direktorin nicht mehr täglich begegnen und deren Geschwafel nicht mehr hören wollen.

Eine Weile blieb sie so sitzen bevor Thela durch ein lautes Kratzen aufgeschreckt wurde. Verwirrt blickte sie sich um, woher das Kratzen kam und was dieses Geräusch verursacht hatte. Noch einmal, direkt hinter ihr. Sie drehte sich rasch um. War da gerade noch ein Schatten? Doch bevor sie was erkennen konnte, war das Fenster wieder klar und nichts stand davor. Noch einmal vergewisserte sie sich mit einem Blick. Doch das einzige was Thela sah, waren die Dächer der umliegenden Geschäfte.

»Ich fange schon an Gespenster zu sehen«, murmelte sie leise vor sich hin und strich sich eine Haarsträhne unwirsch aus dem Gesicht. »Wahrscheinlich war es nur ein Vogel, der das Fenster getroffen hatte.« Sie seufzte kurz und drehte sich wieder richtig herum. Kurz darauf nickte sie ein. Ein unruhiger Schlaf überfiel sie, doch an den Traum sollte sie sich später nicht mehr erinnern können.

»Lasst mich in Ruhe! Verschwindet!« Thela wälzte sich in dem Sessel hin und her. Ein leises Klick machte es hinter ihr am Fenster, doch sie bekam dies nicht mit. Leise schlich die unbekannte Gestalt in dem Zimmer umher, mit Bedacht um Thela nicht zu wecken. Nun stand der Unbekannte hinter ihrem Sessel. Noch immer wälzte sie sich darin. Der Fremde hob etwas und ein lautes Platsch war zu hören. Blitzschnell verschwand der Fremde wie er gekommen war, ohne eine Spur von sich zu hinterlassen.

Thela dagegen sprang nach luftschnappend aus dem Sessel, als sie den Wasserschwall abbekommen hatte. Ungläubig und noch nicht ganz wach, blickte sie mit nach unten ausgestreckten Armen an sich herab. Von oben bis unten tropfte das Wasser auf den teuren Perserteppich. Ebenso der ebenfalls nicht gerade günstige Ledersessel war durchnässt. Ein kühler Windhauch strich durch das noch offene Fenster. Thela fing an zu frösteln, obwohl es ein lauer Frühlingsabend war. Instinktiv schlang sie die Arme um ihren Körper um sich zu wärmen und eilte ins Badezimmer. Damit entging sie der Gestalt, die außerhalb des Fensters amüsiert hineinblickte und bei genauem Hinsehen bemerkt werden müsste, da es noch nicht allzu dunkel draußen war. Anschließend verschwand diese Person über den Sims der außerhalb des Gebäudes angebracht war.

Im Badezimmer angekommen schnappte sie sich ein dort hängendes Handtuch und trocknete sich, sobald sie sich ihrer Klamotten entledigt hatte, ab. Das Handtuch wickelte sie sich dann um den Körper und stemmte ihre Hände auf den Waschbeckenrand, wobei sie in den dahinter hängenden Spiegel blickte.

»Was war DAS jetzt?« Thela tat so als würde der Spiegel ihr die Antwort darauf geben können. »Das kann unmöglich Zauberei gewesen sein, sowas existiert nur in der Fantasie mancher Schwachsinniger Leute. Nicht in der Realität!«

Vereinzelte Wassertropfen landeten von ihren Haarspitzen auf ihre Schulter. Unbewusst strich sie sich die Tropfen mit dem Handrücken von der Schulter.

»Es ist zum verrückt werden! Unmöglich! Wasser kann sich nicht von alleine bewegen! Schon gar nicht, wenn keine Wasserleitung durchs gesamte Wohnzimmer geht.«

Sie grübelte weiter wie das Wasser hätte eindringen können. Durch die oberen Nachbarn? Ein Wasserschaden bei denen? Nein, ganz und gar nicht. Ansonsten war es mehr als Zufall, dass genau Thela getroffen wurde und der Rest des Zimmers unbeschadet geblieben war. Ohne weiter darauf einzugehen zog sie sich trockene Klamotten, die sie aus ihrem Wäschekorb gefischt hatte, an. Anschließend ging sie wieder ins Wohnzimmer rüber. Suchend blickte sie sich um und blickte zur Decke hinauf. Ein unsichtbarer und unbekannter Wasserhahn? Die Decke war trocken. Im gesamten Zimmer. Weiter blickte Thela sich um. Sie fand nichts was ihr Aufschluss gegeben hätte wie sie eine kalte Dusche abbekommen konnte. Zuletzt blieb ihr Blick am Fenster hängen. Ein eisiger Luftzug wehte hinein. Hatte sie das Fenster offen gelassen? Nicht das sie sich entsinnen konnte. Rasch schloss sie das Fenster, denn sie fing mehr und mehr an zu frösteln.

»Ich halluziniere schon. Wahrscheinlich war das Fenster nicht richtig verschlossen gewesen und ein Windstoß hat dieses dann geöffnet.« Thela sprach sich selbst Mut zu, denn es war ihr fast schon unheimlich, dieses Geschehnis. Um sich nicht weiter damit beschäftigen zu müssen, ging sie in ihr Schlafzimmer und legte sich dort in das Doppelbett. Unruhig wälzte sie sich hin und her und schlief dann endlich nach einer Ewigkeit ein.
 

»Das musst du mir noch einmal erklären. Aber diesmal in allen Einzelheiten.« Mîra stellte diese Aufforderung nun das dritte Mal an diesem Tag. Die letzten Male wurden sie ständig durch andere unterbrochen, so dass keine Möglichkeit bestand bis ins kleinste Detail alles zu erzählen. Jetzt war die Schule schließlich zu Ende und die Schüler gingen quatschend und beratschlagend, zu welchem Kurs sie demnächst gehen wollten oder bei welcher angesagten Party sie feiern wollten.

»Also erzähl endlich.«

»Was soll ich denn noch genauer erklären? Ich hab es geschafft mal pünktlich im Unterricht zu erscheinen. Was soll daran so spannend sein?«

»Naja, das Spannende ist daran, dass du bis jetzt noch nie pünktlich warst.«

Das stimmte. Thela war in ihrer gesamten Schulzeit kein einziges Mal rechtzeitig zum Unterrichtsstart erschienen. Wieso eigentlich jetzt? Sie konnte sich nur dunkel daran erinnern, dass sie nach der unfreiwilligen Dusche in ihr Bett gegangen war, und dann? Irgendwie hatte sie ihren Wecker gehört, konnte ihn aber nicht wie sonst mit einem Schlag zur Ruhe stellen, wie sie es sonst immer tat. Auch das Läuten des Weckers kam ihr zu dem Zeitpunkt weit entfernt vor. Ja sogar so weit weg, als wäre es nicht einmal in ihrer Wohnung. Es schien ihr so, als würde Thela einen langen und dunklen Gang entlang blicken, ohne überhaupt einen Ausgang zu entdecken. Aber war es dann wirklich ein Gang? Doch bevor das Mädchen einen Schritt in das Ungewissen gehen konnte, wurde sie in die Wirklichkeit zurückgeholt und befand sich dann wach liegend in ihrem Schlafzimmer. Der Wecker schrillte noch immer neben ihrem Bett, auf einem niedrigen, daneben stehenden Nachttisch.

»Ich warte noch immer.« Mîra hatte Thela die ganze Zeit über dieselbe Frage gestellt. Doch Thela war in ihren Gedanken zu tief gesunken gewesen, als das sie darauf reagieren konnte.

»Wie?« Thela blickte fragend zu Mîra.

»Achso. Es gibt nichts darüber weiter zu erzählen.« Dabei hielt sie ihre Schultasche über ihre rechte Schulter.

»Wie du meinst.«

»Lust noch eine Runde in den Park zu gehen? Mich erwartet daheim nur mörderische Langeweile.«

»Ich kann nicht. Mein Vater will, dass ich die Beste der Besten bin und hat mich gestern für die nächste Zeit zur Nachhilfe angemeldet.« Betroffen senkte Mîra den Kopf. Ihr Vater lenkte größtenteils ihr Leben. Ganz gleich ob es die Schule, ihre Freunde oder ihre Hobbies waren.

»Ich kapier dich nicht. Sag deinem Vater endlich die Meinung, sag ihm was DU willst!«

»Weil er es nicht verstehen würde. Außerdem will ich ihn nicht enttäuschen. Er setzt so große Hoffnungen in mich«, erwiderte Mîra und hoffte nicht wieder eine Standpauke von Thela zu erhalten, denn obwohl Mîras Vater Thela nicht mochte, billigte er die Freundschaft, aber ohne große Freude darüber. Thela schüttelte nur verständnislos den Kopf, erwiderte aber nichts mehr zu diesem Thema. Sie hatte zu oft schon dagegen geredet, deswegen war sie es leid jetzt schon wieder ihre Meinung dazu zu äußern.

Beide waren am Schultor stehen geblieben und verabschiedeten sich kurz. Danach ging Mîra zu ihrer Nachhilfe, die in der Universität abgehalten wurde. Thela hingegen schritt in den nahe gelegenen Park.
 

Dort angekommen tummelten sich schon einige Familien, die den warmen Tag genossen. Deren Kinder spielten ausgelassen in der Wiese, während die Mütter sich über den neuesten Klatsch unterhielten. Ältere Kinder fuhren Inliner oder kickten sich ständig einen Fußball hin und her. Auch ein paar Cliquen aus ihrer Schule trafen sich im Park und redeten über den coolen Typen in ihrer Klasse oder über die neueste Mode.

Thela fand ein ruhiges, etwas abseits gelegenes Plätzchen unter einer der Kirschbäume. Die Blüten schimmerten im Licht der Sonne rosa und weiß. Eine Besonderheit, denn ausschließlich dieser Baum trug zweifarbige Blüten, während die anderen nur rosafarbige besaßen. Sie setzte sich auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken an den Stamm des Baumes. Ein kurzer Blick in den Himmel und sie senkte zu gleich den Blick auch wieder. Stattdessen holte sie aus ihrer Schultasche den Gegenstand aus dem Laden. In ihrer flachen Hand wiegte sie den runden, sehr alten und verschmutzen Gegenstand. Er war nicht größer als ihre Handfläche. Ihr fiel auf, dass der Gegenstand im Gegensatz zu seiner Größe, verhältnismäßig schwer war.

Neugierig was sich unter der Schmutzschicht verbarg, versuchte sie mit einem Finger der anderen Hand vorsichtig den Schmutz abzukratzen. Der Schmutz war widerspenstig und ließ sich ohne weiteres nicht abkriegen. Frustriert steckte sie den Gegenstand wieder in die Tasche zurück und blickte noch einmal in den Himmel.

Der Baum spendete Schatten, vor der gleißenden Sonne. Erschöpft schloss sie die Augen und ließ sich von der Sonne wärmen. Langsam nickte sie ein.
 

»Kehre um. Verlasse diesen Ort. Verschwinde von hier. Lass uns unseren Frieden.«

Thela stand in völliger Dunkelheit, sah weder ihre eigene Gestalt, noch einen Ausgang aus dieser Finsternis. Nur diese Worte drangen zu ihr.

»Wer ist da? Wo bin ich?« Sie drehte sich einmal um sich selbst. Nichts.

»Du hast hier nichts verloren!«

Wieder eine Stimme. Eine andere? Diesmal klang sie tiefer und erzeugte so etwas wie Furcht in Thela.

»Zeigt euch!« Thela war entschlossen, sich nicht vertreiben zu lassen. Sie schüttelte die aufkommende Kälte ab.

»Es ist besser wenn du es nicht weißt.«

Diesmal wieder die erste, sanfte, ruhige Stimme.

»Seit ihr es, die Nacht für Nacht nach mir rufen? Antwortet!«

Keine Reaktion. Völlig Stille war wider eingetreten.

»Ihr seit mir eine Antwort schuldig! Zuerst wollt ihr, dass ich jemanden helfe und jetzt soll ich verschwinden. Das kann nicht Euer ernst sein!«

Thela schrie in die Dunkelheit hinein, wollte sich so leicht nicht zufrieden geben.

Noch einmal wand sie sich um. Diesmal konnte sie schemenhaft etwas erkennen, denn die Dunkelheit ließ langsam nach. Aber nicht sehr viel. Selbst wenn sich Thela anstrengte mehr zu erkennen, spielten ihre Sinne ihr einen Streich. Oder war es die Umgebung? Zwei Gestalten waren das Einzige was sicher zu sagen war.

»Du bewegst dich immer weiter in etwas, was zu erfüllen niemand vermag.« Die erste Stimme.

»Wir haben dich nicht die ganze Zeit gerufen zu kommen. Wer auch immer es war, seine Macht scheint grenzenlos zu sein.« Jetzt die zweite.

»Wenn ihr es nicht wart, wer dann? Wenn ihr es wisst dann antwortet!«

»Es ist genug! Du bewegst dich gefährlich nahe deinem Ende. Akzeptiere die Antwort und verschwinde.«

Noch einmal die zweite Stimme, begleitet von einer schemenhaften, raschen Bewegung einer Hand.

Thela hielt sich schützend die Arme vor dem Gesicht, denn sobald die Bewegung zu Ende war, traf ein starker Windstoß Thela und schickte sie zurück in die Realität.
 

Mit einem kurzen Aufschrei kam Thela wieder zu sich. Um sie herum war alles still. War sie noch immer dort? Nein. Sie blickte sich um und stand dabei auf. Der Himmel dämmerte schon. Ein dunkles Rot, so rot als würde der Himmel brennen, lag darauf. Der Park war leer. Es fröstelte Thela noch immer von diesen beiden Gestalten aus ihrem Traum. War es wirklich nur ein Traum?

Eilig schnappte sie sich ihre Tasche und lief nach Hause.
 

In ihrer Wohnung war alles ruhig, nachdem sie in das Halbdunkel des ersten Raumes eintrat. Die Sonne verschwand fast gänzlich am Horizont.

Erleichtert nichts Ungewöhnliches vorzufinden knipste sie den Lichtschalter im Gang an. Kurzzeitig flimmerte das Licht an und wieder aus, bis es dann schließlich ganz an blieb. Nichts worüber Thela sich Sorgen machte, denn das Licht hatte schon seit längerem diese Macke. Ihre Schultasche ließ sie stets in der Ecke gleich neben dem Wohnzimmer fallen, an der Stelle wo sich immer ein Stapel an ungelesener Werbung befand. Sobald Thela die Tasche dort losließ, ging sie ins Wohnzimmer, hörte aber auf das bekannte Geräusch wenn die Tasche die Prospekte berührte. Doch anstelle des Raschelns, bekam sie nur einen dumpfen Knall zu hören, als die Schultasche den Boden berührte.

Rasch drehte sich Thela um und ging noch einmal zurück. Wo sonst der Prospektstapel unordentlich auf dem Boden lag, war nun ... Nichts.

»Bin ich nun total bescheuert? Wo ist der Stapel hin? Verdammt noch mal es gibt keine Zauberei und Magie!«

Thela blickte fragend an die Stelle und knurrte den letzten Satz entschieden. Schließlich machte sie sich wieder zum Wohnzimmer auf, grübelte aber weiterhin darüber nach.

Und das sollte auch so bleiben. Nachdem sie das Wohnzimmerlicht anschaltete erhielt Thela die nächste Überraschung.

»Was zum Teufel.....?«

Im Türrahmen blieb sie abrupt stehen. Kein einziges Kleidungsstück oder sonstiger Kleinkram lag in dem Zimmer mehr herum. Alles war aufgeräumt und abgewischt worden.

Völlig perplex schritt sie einmal durchs Zimmer und blickte auch die anderen an.

In der Küche war das gesamte Geschirr abgespült und aufgeräumt, die Mülleimer ausgeleert worden.

Im Bad die schmutzige Wäsche gewaschen worden. Ebenfalls war der Mülleimer leer.

Im Schlafzimmer lag auch keine benutzte Wäsche mehr herum. Die gewaschene Wäsche lag fein säuberlich zusammengelegt in den Schränken. Das Bett ist auch frisch bezogen und gemacht worden.

In der gesamten Wohnung wurden die Schränke und Tische abgestaubt. Der Boden war auch gewischt und gesaugt worden.

Es war Thela ein Rätsel. Sie wusste, sie habe die Wohnung so verlassen, wie sonst auch. Unordentlich, alles herumliegend. Und nun?

Völlig verwirrt setzte sie sich auf ihr Bett. Ein süßer, aber angenehmer Duft lag in den gesamten Räumen. Rosenduft.

»Ich schlafe noch. Das kann unmöglich die Realität sein. Wahrscheinlich sitze ich noch im Park und bin nur in den nächsten Traum entschwunden.«

Thela klatschte sich mit beiden Händen ins Gesicht.

»Aus der Traum. Es ist wirklich so. Kruzifix wer zum Teufel ist in mein Heim eingedrungen? Ich bring denjenigen eigenhändig um!«

Wütend stand sie auf und wollte aus der Wohnung eilen. Doch dazu kam sie nicht, denn nachdem sie aufgestanden war, läutete es an der Tür.

»Wer kann das nun sein? Vielleicht Mîra?«

Skeptisch machte sie sich in Richtung Wohnungstür auf und öffnete diese.

»Ja?« Verdutzt blickte sie den Gang auf und ab. Niemand war da.

»Idioten!«, fauchte sie und wollte die Türen wieder schließen. Da fiel ihr Blick auf den Fußabtreter vor der Tür. Ein großer Strauß roter Rosen, in einer Glasvase. Inmitten dieser blutroten Rosen stachen zwei andersfarbige Rosen heraus. Eine besaß ein strahlendes weiß, die andere war pechschwarz, mit einem violetten Stich.

Noch mehr verwirrt, als sie sowieso schon war, nahm sie die Blumen mit rein und wollte diese in den nächsten Container werfen.

Sie wollte keinen Verehrer und auch sonst nichts mit Jungs anfangen. Männer waren ihr einfach zu suspekt und nervtötend, kindisch und konnten es nicht akzeptieren erwachsen zu werden.

Doch bevor Thela sich der Blumen entledigte, entschied sie zum Wohle der Rosen, diese ins Wohnzimmer zu stellen. Dem Verehrer musste sie ja keine Beachtung schenken, die Rosen konnte aber letztendlich für ihr Schicksal nichts. Auf dem Tisch blickte sie, doch neugierig geworden, ob nicht irgendwo ein Kärtchen hing, von wem diese Blumen seien. So konnte sie diesem Typen erst recht aus dem Weg gehen.

Einmal umrundete sie mit den Fingern vorsichtig den Strauß. Nichts. Weder ein Name noch sonst irgendwas. Nun fiel ihr erst die Vase auf, in denen die Rosen ihr restliches Leben verbringen durften.

Die Vase, welche aus kostbarem Glas bestand, war am oberen Rand mit Goldfarbe versehen, am unteren in Silber gehalten. Die Vase selbst umgab einige Verschnörkelungen, die bei näherem Hinsehen schlicht herüberkamen, von der Weite aber den Eindruck vermittelten, dass übertrieben viel auf der Vase vorhanden sei.

Die Verzierung zog sich vom unteren Rand, über die gesamte Vase in vielen Biegungen und Kehrtwendungen hinauf zum oberen Rand. Thela fuhr mit einem Finger das Muster von oben nach unten nach. Auffallend war, dass es nur ein Anfang und ein Ende gab, kein abbrechen zwischendurch und kein neuer Anfang mittendrin im Muster. Immer wieder fing sie an darüber zu streichen. Von oben nach unten und unten nach oben. Immer mehr verfing sie sich mit ihren Gedanken daran, das Rätsel des Musters zu erkunden. Wenn es überhaupt ein Rätsel daran gab. Die äußere Umgebung nahm sie nicht mehr war.

Ein lauter Knall riss sie schließlich und mit sofortiger Wirkung aus ihren Gedanken. Thela versuchte das Geräusch zu orten, woher es kam. Wieder ein Knall.

Fragend ging sie ans Fenster. Wieder war eines offen. Selbst offen gelassen? Sie wischte die Frage mit einer Geste ihrer Hand weg und lehnte sich aus dem Fenster. In der Nähe war ein Volksfest aufgebaut worden. Schon wieder ein Knall. Zur Einweihung des Festes wurde ein Feuerwerk veranstaltet. Daher der Knall. Sie hatte in der Richtung was gelesen gehabt, es aber nicht registriert. Feuerwerke hatten etwas Angenehmes an sich. Sie setzte sich auf das große Fenstersims, welches vor dem Fenster im Wohnzimmer angebracht war und blickte beruhigend auf die bunten Muster des hiesigen Feuerwerkes. In der Ferne erleuchtete ein weiteres das nächtliche Firmament. Selbst der Mond erschien am Himmel, mit seinen unzähligen Sternen.

Rot, grün, blau, violett, gelb. Alle Farben des Farbspektrums ließen die Stadt erleuchten.

Thela lehnte ihren Kopf gegen das kalte Glas des Fensters und ließ den Blick entspannt über die erleuchtete Stadt schweifen. Keiner der sie störte und nervte, keiner der ihr Vorschriften und Regeln vorschreiben konnte. Sie liebte die Einsamkeit in ihrem Heim.

Von irgendwo drang laute Blasmusik zu Thela hinauf. Es war ihr Unerträglich solch einen Krach hören zu müssen. Doch leider half es auch nicht viel, wenn sie die Fenster schloss, denn die Musik wurde durch die Fenster nicht abgehalten, weiterhin gehört zu werden. Dennoch entschied sie sich aufzustehen und das Fenster zu schließen. Gerne hätte sie dem Feuerwerk noch eine Weile zugeschaut, doch wollte sie dem Krach entgehen, den sie ansonsten unweigerlich mit anhören müsste. So ging sie in ihr Schlafgemach und zog sich um. In ihrem Bett lag sie noch lange wach und starrte unverwandt die Decke an, die Hände hinter ihrem Kopf verschränkt.

»Wo bleibst du? Wir brauchen Rettung! Legacy warum seid ihr entschwunden?«

Thela blickte sich um. Die Stimme schien von überall zu kommen. Sie befand sich auf einer Lichtung, inmitten eines dunklen Waldes. Vor ihr breitete sich ein riesiger See aus, der im Nichts zu verschwinden schien. In der Ferne, am anderen Ufer, waren einige Schemenhafte Gestalten auszumachen, die miteinander zu spielen schienen. Links und rechts erstreckten sich große Bäume, deren Blätterdach den Blick nach oben zum Himmel verwehrten.

Das Mädchen wusste nicht wo sie sich befand. Die Landschaft kam ihr zwar vertraut vor, doch konnte sie mit Gewissheit sagen nie an so einem Ort gewesen zu sein.

»Komme. Wir warten schon lange. Gib uns die Erlösung aus diesen Qualen.«

Noch einmal eine Stimme. War es dieselbe Stimme, eine kindliche Jungenstimme?

Thela vermochte es nicht genau zu sagen, denn die Stimmen kamen verzerrt an ihr Gehör und sie hatte Mühe überhaupt zu verstehen was von ihr verlangt wurde.

Etwas zog sie in Richtung der verzerrten Gestalten am anderen Ufer, doch bevor sie überhaupt einen Schritt tat, verschwamm die Umgebung und das Wasser schien sich in einem tosenden Wirbel aufzubäumen und alles um sich zu verschlucken. Selbst Thela erschien es, als würde sie mitgerissen werden, schloss instinktiv die Augen und hielt ihre Hände vors Gesicht.

Kurze Zeit später riskierte Thela einen vorsichtigen Blick und stellte fest, dass sie sich ganz woanders befand als Sekunden zuvor. Oder waren schon Stunden vergangen? Ihre Umgebung hatte sich komplett gewandelt. Aus dem düsteren Wald, war ein belebter Ort geworden, an dem die Stimmen der Tiere die Luft erklingen ließen. Weit weg standen auf einer Anhöhe zwei schemenhafte Gestalten, die ihren Blick auf Thela gerichtet hatten. Obwohl das Mädchen angestrengt versuchte diese Gestalten genau erkennen zu können, misslang es ihr. Es schien als würde ein Zauber auf ihnen liegen, der sie vor den Blicken anderer schützte. Auch der Versuch sich den beiden zu nähern endete in einer Sackgasse, denn für jeden Schritt den Thela in Richtung Anhöhe tat, entfernte sich diese immer mehr von ihrem Ausgangspunkt. Verwirrt blieb sie stehen und versuchte zu den Gestalten zu rufen. Doch es kam nichts. Thela versuchte es noch einmal. Wieder dasselbe. Es schien als wäre Thela stumm, denn obwohl sie aus vollem Halse zu den Gestalten rief, kam nicht einmal ein krächzen aus ihrem Halse. Noch einmal tat sie einen Schritt darauf zu. Diesmal entfernte sich die Anhöhe nicht, sondern eine Art Windstoß stieß das Mädchen zurück.
 

Mit einem leisen Aufschrei schreckte Thela aus dem Schlaf. Ihr Herz raste. Was war so eben geschehen? War dies wirklich nur ein Traum gewesen? Alles wirkte so realistisch.

Langsam erholte sich Thela von dem Schrecken. Wer waren diese beiden Gestalten, die gleichzeitig so nah und doch so fern von ihr gewesen waren?

»Es reicht! Schluss damit! Ich will nicht mehr darüber nachdenken!« Thela schrie diese Worte laut heraus, wobei sich ihre Hände fest in die Bettdecke krallten.

Kurz darauf meldete sich ihr Wecker. Ohne zu murren stand sie auf, ließ aber den Wecker weiter läuten. Das stete Gebimmel ließ sie ihre Gedanken vergessen.

» So langsam machst du mir Angst.«

»Na wenigstens einer«, erwiderte Thela schlecht gelaunt.

»Ist auch alles in Ordnung?« Mîra blickte ihre Freundin besorgt an.

»Na klar! Was sollte denn schon mit mir sein?«, keifte Thela Mîra an, während beide sich der Schule näherten.

»Deswegen frag ich dich ja. Ich mach mir nur Sorgen um dich. Das ist alles.«

»Unnötig.«

Mîra zuckte mit den Schultern. Danach blieben beide bis zum Klassenzimmer stumm. Auch während sie sich auf ihre Plätze setzten und von den Mitschülern mit offenen Mündern angestarrt wurden, sagte keiner ein Wort. Die Schulglocke läutete, zum Anfang der ersten Stunde.
 

»So meine Lieben, heute beginnen wir mit unseren Projekttagen. Ich werde euch in Gruppen aufteilen und anschließend die entsprechenden Themen verteilen.« verkündete die Direktorin, kurz nachdem sie das Klassenzimmer betreten hatte.

»Nicht schon wieder!«, stöhnte Thela leise.

Als ob sie dies gehört hatte fing sie absichtlich mit Thela an.

»Es gibt ausschließlich dreier Gruppen, außer einer. Die einzige Zweier Gruppe besteht aus Thela und Ray … «

»WAS!? Mit dem da!?« Thela war aufgesprungen und deutete mit dem Finger auf Ray. Beim ausstrecken ihres Armes hätte sie Ray fast eine gewischt, wenn er da gesessen hätte.

» ... und ihr werdet euch über die Mythologie informieren.«

Thela blickte angewidert zu Ray und senkte dabei ihren Arm. Noch immer stand sie. Rays Platz war leer. Thela blinzelte und blickte verdutzt. Ray fehlt? Währenddessen verteilte die Direktorin die weiteren Gruppen und Themen. Ohne darauf zu achten was die anderen sagten, setzte sich das Mädchen wieder auf den Stuhl. Ray war ansonsten täglich anwesend gewesen.

»Ihr habt drei Wochen Zeit für eure Projekte. Bis dahin seit ihr von der Schule befreit. Einmal in der Woche will ich aber einen ausführlichen Bericht haben. Am Ende der Projektzeit stellt ihr euer fertiges Projekt vor und erzählt an Beispielen und Informationsblättern darüber.« Endorra schloss ihr Notizbuch.

»Nun setzt euch zu euren Partnern und fangt an.«

Anstatt anzufangen drehte Thela zwischen den Fingern ihren Stift. Ihr war es zu blöd. Die letzten Jahre hat sie immer die anderen arbeiten lassen. Warum diesmal nicht auch?

Das schrille Läuten der Schulglocke verkündete das Ende der letzten Stunde. Nicht darauf achtend ob Mîra mitkam eilte Thela aus dem Klassenzimmer und wartete unten am Schultor auf ihre Freundin. Nach einer Weile traf Mîra auf Thela.

»Was ist denn los?« Mîra war außer Atem, nachdem sie Thela schnellst möglich hinterher geeilt war.

»Nichts. Ich bin nur stinksauer auf Endorras Einteilung!« Thela ballte die Hände zu Fäusten.

»Jetzt mach dir mal keinen Kopf. Sind ja nur noch drei Wochen. Danach musst du mit ihm nichts mehr zu tun haben.«

»Was darfst du tolles machen?«

»Mich über das Rechtswesen referieren. Als wenn ich mich damit auskennen würde.«

»Dein Vater ist Rechtsanwalt. Der kennt sich doch damit aus.«

»Ja schon. Muss wohl Schicksal sein, genau dieses Thema bekommen zu haben«, seufzte Mîra schlapp.

Die Mädchen schlugen den Weg Richtung Park ein.

»Glaubst du ans Schicksal?«

»Wieso sollte ich?« Thela blickte Mîra fragend an.

»Es muss doch irgendeinen Sinn geben, weshalb wir genau so leben wie wir es jetzt tun.«

»Der Sinn besteht darin, dass wir eigens für unser Schicksal verantwortlich sind.«

»Aber warum bist du dann genau mit dem zusammengekommen, den du auf den Tod nicht ausstehen kannst?«

»Womöglich weil es offensichtlich war, dass ich ihn hasse und Endorra mir eins auswischen wollte.« Thela zuckte dabei mit den Schultern.

»Mit den Tarotkarten ist es fast ähnlich. Man stellt eine Frage, zieht eine Karte und die Antwort ist hinter einem langen Text versteckt, welcher bei jedem anders interpretiert werden muss.«

»Egal mit was man meint die Zukunft vorhersagen zu können, die Antworten können nicht stimmen, denn mit jedem tun verändern wir unsere Zukunft«, erwiderte Thela.

»Dennoch denke ich, ein kleines Quäntchen Glück und Schicksal gibt es trotzdem.«

»Wenn dem so sei, müssten wir für unsere Zukunft nichts mehr tun! Rein gar nichts von all dem ist für unsere Zukunft verantwortlich. Nur unsere eigenen Entscheidungen sind für die Zukunft entscheidend.«

»Aber wozu sollte es all diese Dinge geben?« Mîra zweifelte an Thelas Aussage.

»Weil es Menschen gibt, die an etwas glauben müssen, um überhaupt Leben zu können.«

»Und du glaubst du an nichts?« Mîra blickte zu Boden. Solche Diskussionen konnte man mit Thela nicht sonderlich gut führen, denn sie beharrte konsequent auf ihrem Standpunkt und machte andere Antworten nieder.

»Ich glaube daran, dass jeder einzelne für sein tun selbst verantwortlich ist und keine höhere Macht. Nur so kann sich jeder über das freuen, was dieser aus eigenem Antrieb geschafft hat und nicht schon längst vorherbestimmt ist.«

»Aber dann müsste all das selbst entschieden worden sein und dem ist nicht so. Nicht alles ist beeinflussbar. Selbst du musst dies einsehen!«

Mîra blickte Thela das erste Mal herausfordernd an. Für Thela eine neue Erfahrung, denn ansonsten schwieg Mîra, wenn es ihr zu viel wurde.

»Hmpf. Ich bleibe dabei. Wozu sonst sollte man dann leben?«

»Um das zu erledigen weshalb man hier ist!«

Danach schwiegen beide. Mîra war es nur recht. Thela blickte nur mürrisch.

»Wir sehen uns morgen wieder. Hab noch Nachhilfe.« Mîra verabschiedete sich knapp von Thela und ging.

Auch Thela blieb nicht länger im Park sondern ging in die andere Richtung nach Hause.
 

Dunkelheit. Eisige Kälte.

Thela versuchte etwas zu erkennen. Nichts.

»Wo bin ich hier?«

Sie ging einige Schritte. Oder glaubte sie es nur?

Kein anderes Lebenszeichen erkannte sie.

Ein Schauer durch fuhr sie und der Wind tat sein übriges dazu.

Oder täuschte sie sich?

»Verdammt noch mal! Wo zum Teufel bin ich hier?«

»Warum? Warum nur kommst du immer zu uns her?« Es klang wie ein schluchzen.

»Wie oft noch?«

Thela drehte sich in die Richtung der Stimmen. Die Dunkelheit war einer Höhle gewichen, deren Ritze Sonnenlicht herein ließen.

»Wer bist du?« Es war niemand zu sehen.

»Je näher du kommst, desto zerstörerischer wird es sein.«

»Wovon redest du?« Thela trat einen Schritt vor.

»Der Lauf der Zeit rückt unaufhaltsam vor. Deshalb …«

»Was geht hier vor sich?«

»... verschwinde endlich von hier!« Der Wind verstärkte sich und erschien wie ein Widerhall der Worte zu sein, welche Thela weg wehte.
 

Schweißgebadet und vor Kälte frierend schreckte Thela aus ihrem Traum, der ihr wie jedes mal real erschien.

»Was geht da nur vor sich?« Der Wecker schrillte. Thela klappte ihre Decke auf und schaltete den Wecker aus. Anschließend ging sie unter die Dusche.

Zehn Minuten später stand sie fertig angezogen und für die Schule bereit, im Treppenhaus und wartete auf Mîra.
 

»Schon angefangen mit deinem Thema?« informierte sich Mîra vorsichtig bei Thela.

»Das kann er allein machen. Ich bleibe dabei. Ich werde mit dem nicht zusammen arbeiten.« Thela rümpfte angewidert die Nase.

Die beiden Mädchen waren gerade auf den Weg zu Mîras Gruppenmitgliedern.

»Aber du solltest dich dennoch etwas damit beschäftigen. Sich selber zu informieren schadet ja nicht.«

»Mal sehn. Wir treffen uns vielleicht später.«

Womöglich sollte ich doch in die Bibliothek gehen. Obwohl es mir gar nicht behagt. Zumindest kann mir diese Hexe nichts unterstellen.

So schritt Thela in Richtung Stadtbibliothek.

Dort angekommen schnappte sie sich das erst beste Buch über Mythologie und verkroch sich ungesehen in die hinterste Ecke der Bücherei.

Lustlos blätterte sie in ihrem Buch und blickte ab und an die wenigen Bilder der Sagengötter an.

»Was kann man daran nur spannend finden?«, murmelte Thela müde und wollte das Buch gerade zusammenklappen, als sie durch das laute aufschlagen eines Bücherstapels auf den Tisch aufschreckte.

Genau vor ihr stapelten sich etwa zehn Bücher über die Mythologien der gesamten Welt. Nachdem Thela die Titel überflogen hatte, blickte sie verwirrt und skeptisch zu ihrem gegenüber auf.

»Na dann viel Spaß beim Lesen«, sagte sie schroff, als sie in das Gesicht von Ray blickte und war dabei von ihrem Stuhl aufzustehen.

»Hier haben wir die Gedanken und Erzählungen der alten Zeit.« Ray blieb ruhig.

»Wie?« Wieder zeichnete sich Verwirrung auf Thelas Gesicht.

»Nun zu deiner Frage was so spannend daran sei.« Er setzte sich gegenüber von Thela und schob den Stapel Bücher auf die Seite. Thela blieb weiterhin stehen.

»Zu welchen Erkenntnissen bist du bis jetzt gekommen?«

»Zu keiner.« Sie setzte sich wieder hin und lehnte sich dabei im Stuhl zurück. Dabei verschränkte sie die Arme vor der Brust und blickte Ray herausfordernd an.

Dieser ignorierte die Herausforderung und erwiderte ungerührt: »Dann sollten wir uns erst einmal darüber informieren, wann die erste Myth...«

»Nein!«

»... ologie erschienen ist.«

»Ich sagte NEIN!«

»Anschließend … «

Thela riss der Geduldsfaden. Mit einem Ruck stand sie wieder auf und schlug die Handflächen auf den Tisch.

»Hörst du mir wohl mal zu! Ich sagte Nein! N-E-I-N!«

Immer noch ruhig bleibend blickte er das vor sich tobende Mädchen an.

Seine Stimme war leise und eisig geworden.

»Sei still und setz dich gefälligst wieder hin. Wir beenden dieses Projekt gemeinsam.«

Thela zuckte etwas zusammen, doch anstelle was zu protestieren, tat sie wie ihr geheißen.

Ray genoss diesen Sieg. Thela dagegen lief vor Zorn rot an.

»Also wo waren wir stehen geblieben … ach ja anschließend befassen wir uns mit einzelnen Sagen.« Die Eisigkeit aus seiner Stimme war verflogen.

Schweigsam hörte sie nur zu. Sie musste sich zusammenreißen nicht auszurasten.

Die nächsten Wochen studierten die beiden zahlreiche Mythologien, die von Odin und seinen Valkyren, über den Nibelungenschatz bis zu Troja und den griechischen Göttern reichte.

Jede Woche überbrachten sie der Direktorin ihren Bericht.

Am letzten Tag der Projektwochen saßen beide im Park und gingen ihr Thema noch einmal durch, Thela mürrisch, Ray locker.

»Die Zeit schreitet voran,

der Kriegszug rüstet sich dabei,

Sonne und Mond machen sich bereit,

und bangen zusamm' «, murmelte Ray so leise wie möglich.

»Is was?« Thela war hellhörig geworden.

»Was meinst du?« Ray gab sich unwissend.

»Jetzt tu nicht so!«

»Willst du es wirklich wissen?«

»Jetzt sag!« Sie blickte ihn grimmig an.

Er war mit seinem Gesicht näher an ihres herangekommen.

»Das ..«, fing er langsam an und noch bevor Thela etwas erwidern konnte, hatte Ray eine Hand in ihren Nacken gelegt und ihr hinterhältig einen Kuss aufgedrückt. Gleichzeitig drückte er sie sanft und doch bestimmt auf den Boden. Thela wusste nicht wie ihr geschah. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab und ihr war zugleich heiß. Doch bevor er den Kuss vertiefen konnte, stieß sie ihn brutal von sich.

»Du elender Mistkerl!«, fauchte sie ihn zornig an. Gleichzeitig war sie aufgesprungen.

Ray amüsierte sich sichtlich über Thela und beendete nebenbei seinen Satz, es sei Geheimnis. Sie ignorierte ihn und wollte sich aus dem Staub machen.

»Wo willst du jetzt hin?« Wider dieser eisige Unterton. Thela blieb stehen, sie drehte sich weder um noch sagte sie ein Wort.

»Du kommst wieder her. Wir sind noch nicht fertig!«

Obwohl Thela dagegen ankämpfte nicht das zu tun was Ray wollte, fühlte sie etwas in sich, das danach Drang umzukehren. Sie begann bei dem Gedanken zu frösteln. Doch bevor Ray diesmal seinen Willen bekam und sie tat was er wollte, rannte sie einfach los, ohne sich umzublicken. Nur noch rennen. Weg, weit weg von ihm.

»Nun wird es erst richtig interessant.«
 

Erst als die Wohnungstür hinter ihr ins Schloss fiel, holte sie tief Luft und ließ sich in den nächsten Stuhl sinken. Die letzten Wochen fühlte sich Thela total elend. Jedes mal wenn sie versuchte ihren Willen zu bekommen, machte Ray es zu nichte, indem er sie zwar freundlich anblickte, aber seine Stimme eisig war. Egal was sie dagegen versuchte, es half nichts, sich seinem Willen zu entziehen.

Nach einem tiefer Seufzer stand Thela auf und ging an eines der Fenster, dieses sie öffnete. Sie beugte sich heraus und schloss die Augen. Ein lauer Windstoß zog vorbei.
 

»Warum hast du es auf einmal nur so eilig in die Schule zu kommen?«

»Ich will mir jegliches Gemeckere ersparen.«

Beide gingen ins Klassenzimmer und setzten sich auf ihre Plätze. Thela vermied es Ray anzublicken. Dieser ignorierte sie ebenfalls.

Die Stunden schlichen nur so dahin. Als es zur Pause läutete, steckte Ray wortlos einen Zettel in Thelas Hand und eilte aus der Tür. Thela blickte irritiert hinterher.

»Thela was ist los?« Mîra legte eine Hand auf ihre Schulter.

»Nichts. Gehen wir.«
 

Nachdem beide in den Schulhof traten und ein ruhiges Plätzchen fanden, öffnete Thela den zusammengeknüllten Zettel.

»Vor Pausenschluss im alten Schuppen.«

»Was soll das heißen?« Mîra legte ihre Stirn in Falten.

»Womöglich will er uns irgendwelche Schauermärchen erzählen« Thela murrte dabei grimmig.

»Wieso uns?«

»Wieso nicht? Steht ja nicht wer kommen soll,« erwiderte Thela trotzig.

»Stimmt. Also … « Mîra ließ ihren Blick auf ihre Armbanduhr schweifen. »haben wir noch etwa 20 Minuten bis der Unterricht wieder beginnt.«

»Dann lass uns gehen. Je eher wir rausfinden was er will. Desto schneller sind wir ihn los.«

Ohne weitere Worte schritten sie zum alten Schuppen.

Der Schuppen war ein kleines, längst baufälliges Gebäude, welches einst als Lagerraum für Projektarbeiten verwendet wurde. Jetzt waren dort nur noch Gartenwerkzeuge gelagert, die sehr selten Verwendung fanden.

Dennoch erzählen sich die Schüler ab und an Geschichten über den alten Schuppen, der vom Schulgelände abgelegen lag.

Manchmal handeln sie davon, dass Kinder, die den Schuppen betraten, spurlos verschwanden, andere davon, dass irgendwelche Ungetümer dort von Zeit zu Zeit hausten und bei absoluter Stille soll man diese auch kreischen hören können.

Thela und Mîra ignorierten diese Märchen, denn es schien ihnen als wären es nur Fantasiegeschichte.

Mit einem letzten Blick zu allen Seiten vergewisserten sie sich, das niemand ihnen gefolgt war. Anschließend betraten sie den Schuppen.

Finsternis umfing sie und ihre Augen brauchten lange um sich an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen.

»Ray?«

Keine Antwort.

»Wo steckt der?« Thela blickte sich um. Ein Schatten erschien kurz an der anderen Wandseite, verschwand aber im nächsten Augenblick wieder.

»Ray! Bleib da!« Die Mädchen wollten dem Schatten folgen und taten einen Schritt vor. Ein kurzer Schrei und beide fielen durch ein schwarzes Loch, dessen Ende nicht abzusehen war.

»Wieso? Wieso nur hast du uns hier her gebracht?« Die Stimme hallte durch die Dunkelheit. »Wärest du nie zu uns gekommen! Es beginnt wieder alles von neuem, sich zu drehen.«

»Aua. Was war das gerade?« Thela schüttelte sich den Staub von ihrem Gewand.

»Ich weiß es nicht. Jedenfalls war Ray nicht dort.«

Beide blickten sich fragend um.

»Wo sind wir hier?«

Um sie herum erstreckte sich ein weitläufiges Gelände, umsäumt mit hohen Bäumen, welche ein stetiges Schattenspiel taten. In der Ferne ragten Berge auf, bei denen die Spitzen durch eine schwarze Wolkendecke verdeckt war.

»Besser gesagt, was ist nur passiert? Das ist eindeutig nicht mehr der Schuppen!«

Thela blickte sich stirnrunzelnd um. Mîra war ebenso ratlos.

Neben sich bemerkte Thela etwas am Boden blitzen. Sie wollte sich gerade bücken um die Spieluhr, welche ihr aus der Tasche gefallen war, aufzuheben, als aus dem nächsten Gebüsch ein Schatten hervorsprang und die Spieluhr mit sich nahm. Gleich darauf war der Schatten wieder verschwunden.

Die Mädchen sahen sich fragend an, ehe Thela fluchend dem Dieb hinterher eilte.

Mîra blieb allein auf der Lichtung zurück.

Immer tiefer lief Thela in den dichten Wald. Sie hatte den Schatten verloren. Gleichzeitig wusste sie selbst nicht mehr wo sie war. Thela hatte sich gnadenlos verlaufen. Keuchend lehnte sie sich an einen Baum und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

»Verdammt noch mal! Besser kann es gar nicht laufen«, knurrte Thela außer Atem.

Plötzlich vernahm sie lautes rascheln und Stimmen in der Nähe. Ohne zu überlegen schritt sie ein paar Schritte in dessen Richtung, denn sie meinte Mîra sei ihr gefolgt, doch blieb sie abrupt stehen, als Thela die nicht gerade sympathisch aussehenden Typen erblickte. Auch die drei Männer hatten das Mädchen gesehen. Einer von ihnen hielt sich weit im Hintergrund und wurde von den Schatten der Bäume teils verschluckt. Die anderen beiden blickten Thela nur hämisch grinsend an.

Nach einem Wink des dritten, verschwand dieser und die anderen beiden näherten sich ihr.

»Der Boss meinte zwar, wir sollen dir kein Haar krümmen, doch er hat uns nicht verboten unseren Spass vorher zu haben. Komm doch her Mädchen.« Das war der Kleinere von beiden. Dieser leckte sich über seine Lippen und entblößte kurz darauf, zum Teil verfaulte Zähne.

Thela ging einen Schritt zurück. Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus. Ihr einziger Gedanke war nur noch Flucht.

»Schnapp sie dir!« befahl der Kleine seinem Kumpanen. Mit großen Schritten ging er auf Thela zu.

Ehe diese weglaufen konnte, hatte der Größere ihre Hände gepackt und sie gegen den nächsten Baum gedrückt. Dort stand sie nun, mit dem Rücken zum Baum. Thelas Angst stieg und sie schluckte schwer.

»Nun wollen wir uns mal unseren Fang besehen. Wenn der Boss dich nicht für sich selbst haben wollte, könnten wir ein schönes Sümmchen für dich bekommen.« Auch der Kleinere war dichter an sie herangetreten. Er streckte eine Hand nach Thela aus. Das Mädchen begann sich zu winden, wobei der Druck auf ihre Handgelenke stärker wurde.

Sie hatte keine Chance, sich selbst zu befreien. Der Größere hielt sie trotz größter Versuche eisern fest und wich keinen Schritt zurück.

»Nein! Lasst mich los!«

»Dir wird es auch gefallen. Glaub mir, Mädchen.« säuselte der Kleine und riss ihr mit einem Ruck die Bluse vom Körper.

»Nein! Bitte!« Thela flehte. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie wollte, dass die Beiden sie einfach nur in Ruhe ließen.

Ohne ein weiteres Wort griff der Kleine nach ihrer Brust und drückte diese fest. Vor Schmerz stöhnte Thela auf. Der Kleine grinste dabei zufrieden. Mit der anderen Hand strich er ihr Bein nach oben, unter ihren Rock zu ihrem Schritt.

Thela zog es die Kehle zu und kniff die Augen zu.

Ihr Körper zitterte und sie wollte schreien, als sie etwas warmes an ihrem Körper hinab fließen spürte. Auch der Druck um ihre Handgelenke war verschwunden.

Unsicher öffnete sie wieder die Augen. Vor sich erblickte sie die toten Körper der beiden Gauner. Ein heftiger Schauer durchfuhr sie, als sie die Leichen sah. Was war geschehen?

»Hattest ganz schön Glück. Was sucht auch ein Kind allein im Wald?«

Erst jetzt registrierte Thela den jungen Mann vor sich. Er schien um die 20 zu sein, hatte längere Haare, welche im Nacken zusammengebunden waren. Sie besaßen einen grünlichen Schimmer. Des weiteren hatte er eine braune Stoffhose und eine Jacke an, die aus Schuppen zu bestehen schien.

»Wie?« Thela war verwirrt.

»Das waren Sklavenhändler.«

Thela blickte verständnislos zwischen den Gaunern und dem Jungen hin und her. Als sie endlich verstand, atmete sie erleichtert aus.

»Danke.«

»Nichts zu danken.« Er war näher an sie herangetreten, achtlos auf die Leichen gestiegen und knapp vor ihr stehe geblieben.

»Nette Aussicht. Du solltest dir was anziehen. Wer weiß wann die nächsten kommen.«

»Ähm.... ja. Nur ich hab sonst nichts anderes dabei.« Skepsis machte sich in Thela breit.

Wortlos zog er sich seine Jacke aus und reichte sie ihr. Unter seiner Jacke kam ein muskulöser Oberkörper zum Vorschein. Perplex schluckte Thela bei dem Anblick.

»Nimm.« Er bemerkte amüsiert ihren Blick.

Ihr Blick war weiter skeptisch, doch konnte sie sich von seinem Anblick nur sehr schwer losreißen. Es war als würde sie der Junge in seinen Bann ziehen.

»Jetzt nimm schon.« Seine Stimme wurde dabei härter und fordernder.

»Da...danke.« Thela schreckte auf und nahm vorsichtig die Jacke. Sie war überrascht. Die Jacke war leichter als es den Anschein hatte. Rasch zog sich Thela Jacke an und wollte diese gerade schließen, als er sie an den Schultern packte und gegen den Baum zurück drückte.

»Nun zu meiner Belohnung.«

Völlig entsetzt blickte sie ihn an. Das konnte einfach nicht wahr sein. Vom Regen in die Traufe.

»Aber … aber du sagtest ich brauche dir nicht zu danken.«

»Hab mich um entschieden. Nun wollen wir mal sehen, ob du es wert warst gerettet zu werden.« Über ihre Angst lachte er nur.

»Lass mich los! Sofort!« Thela schrie ihn an. Mit funkelnden Augen blickte sie ihn entschlossen an.

»Warum denn so aufmüpfig Mieze? Wir fangen doch erst damit an.«

Thela wollte sich wehren, nach ihm treten, sich irgendwie befreien, doch er war stärker. Noch stärker als die anderen beiden. Er ließ eine Schulter los und strich mit den Fingern die Konturen ihrer Lippe nach. Anschließend glitt der Finger über ihr Kinn und ihren Hals.

Thela zitterte bei seiner Berührung. Wieder stieg Angst in ihr auf.

Nun strich er über ihr Dekoltee. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab. Sie biss sich auf die Unterlippe, um aufkommende Tränen der Verzweiflung zu unterdrücken.

»Entspann dich, Mieze.« Er kam mit seinem Gesicht näher an ihres.

»Warum sollte ich?« Verzweifelt fauchte sie ihn an.

Sie wollte seinem Blick dabei ausweichen, doch fesselten seine Augen sie. Ohne Vorwarnung drückte er seine Lippen auf ihre und küsste sie stürmisch. Thela war überrumpelt, wollte ihn wegstoßen. Doch erwiderte sie auch unbewusst seinen Kuss. Mit ganzer Kraft drückte sie ihn dann von sich weg.

Anschließend ging alles sehr schnell.

Der Druck auf ihrer Schulter verschwand und der Kuss war beendet, der Junge und Thela hatten einigen Abstand zwischen sich und er hielt sich mit der rechten Hand seine linke Schulter. An seinem Arm rann eine rot-grüne Flüssigkeit hinab. Thela registrierte dies nicht, sondern zog sich die Jacke enger um sich. Aus dem Wald drangen Schritte und Gewieher, die kurz darauf bei den Beiden standen.

»Rýn, wir verhaften dich wegen Mordschlag an zwei Menschen.«

Die Soldaten, alle hatten silberfarbene Rüstungen mit bläulichen Ornamenten an. Bei jedem hing an der rechten Seite ein Schwert und jeder saß auf einem Ross.

Der Junge, Rýn, blieb wortlos an derselben Stelle stehen wo er stand. Er versuchte noch nicht einmal zu fliehen.

»Er hat mich gerettet. Deswegen hat er die beide getötet.« Thela war aus dem Schatten des Baumes getreten und stand näher an Rýn. Sie wollte ihm aus der Patsche helfen.

Die Soldaten gingen auf das Gestikulieren des Mädchens nicht ein.

»Es ist untersagt Menschen zu töten. Der da … « es wurde anklagend zu Rýn gedeutet » … weiß es genau.«

Thela blickte zu Rýn. Sie war verwirrt und verstand all dies nicht ganz. Am wenigsten warum er nicht einfach floh.

»Nehmt ihn fest. Sein Urteil wird in kürze vollstreckt. Auf dieses Vergehen steht allein die Todesstrafe!«

Ehe es sich Rýn anders überlegen konnte und floh, eilten Schritte zu ihm und ketteten ihn an Händen und Füßen fest. Ohne Grund wurde Rýn mit einem harten Gegenstand eines über den Kopf gezogen. Blut rann seine Stirn hinab. Dennoch war er noch bei Bewusstsein.

Thela unterdrückte einen Aufschrei, als sie das sah. Was ging da vor sich? Sie wollte einen Schritt auf Rýn tun, doch wurde sie aufgehalten. Einer der Soldaten, er hatte blondes Haar, hielt sie an ihrem Arm fest.

»Mädchen, du kommst ebenso mit uns mit.«

»Ihr wollt doch nur eins. Warum gebt ihr es ihr nicht gleich hier? Oder seid ihr Euch zu fein dafür?« Hämisch blickte Rýn zu dem Soldaten, der Thela festhielt.

Der Soldat blickte den Jungen wütend an, Thela dagegen ballte die Hände zu Fäusten.

Was dachte sich dieser Typ überhaupt?

»Dir wird dein Übermut noch Leid tun.« Mit einer Handbewegung des Blonden, schlug einer der anderen den Gegenstand wieder auf Rýns Kopf. Diesmal stöhnte Rýn auf und sackte leicht zusammen. Blut tropfte auf den Boden.

Ohne Worte wurde Thela auf eines der Pferde gesetzt und somit von Rýn getrennt. Sie ignorierte den ganzen Weg über Rýn, sondern blickte sich den Ritt über um.
 

In der Ferne erhob sich ein prächtiges Gemäuer. Der Trupp ging schweigend auf diesen zu. Thela blieb die Luft weg. Sie hatte bisher noch nie so etwas gesehen.

Vor dem Tor blieben sie stehen und Thela stieg, noch immer berauscht von dem Anblick, ab. Rýn wurde von vier Soldaten umringt und hinterher gezogen. Somit war es Thela verwehrt sich ihm zu nähern, wenn sie es überhaupt vorhatte. Zusammen schritten sie durch das Tor, Thela weiter vorne mit einigen Soldaten, Rýn hinterher. Der Schlosshof war groß. Ab und an ragten vereinzelt Büsche und Bäume hervor. In der Mitte war ein Brunnen erbaut worden. Er war rund und hatte in seiner Mitte eine Art Podest auf dem zwei Personen in unterschiedlichen Posen verewigt worden waren. Eine davon stand aufrecht und war gerade dabei ihr Schwert aus seiner Scheide zu ziehen. Ihr Blick war starr gerade ausgerichtet, so als würde sie auf etwas warten. Die andere Person kniete auf einem Knie, so als würde sie gerade aufstehen wollen. Eine Hand hatte sie dabei am Boden aufgestützt, die andere lag auf dem aufgestellten Knie. Auch ihr Blick schien auf etwas zu warten, doch ihrer hatte den Anschein weicher zu sein, als der von der anderen Statue. Beide Personen waren Mädchen, nicht älter als Thela selbst, welche mit dem Rücken zueinander waren. Der Stein der Knienden schien heller zu sein, als der Stein der Stehenden. Zumindest sobald Licht den Brunnen berührte. Aber woher kam das Licht? Thela blickte zum Himmel hoch. Außer Wolken war weder eine Sonne noch sonst eine Lichtquelle auszumachen.

Ihr Blick fiel aber rasch wieder zu dem Brunnen und den Statuen, welche sie faszinierte. Die Mädchen schienen so echt zu sein, so als hätte man sie unter dem Stein begraben, doch waren es nur Steinstatuen. Jedes einzelne Haar, jede Kontur des Gesichtes, selbst die Kleidung waren so Lebens echt hergestellt worden, dass man sie für echte Menschen halten konnte.

Thela ging näher an den Brunnen heran. Es war, als würde der Brunnen eine unbeschreibliche Macht ausstrahlen. Vor dem Brunnen blieb sie stehen und streckte die Hand nach den Statuen auf. Um sie herum nahm sie nichts mehr wahr. Sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie irgendetwas anderes aus ihrer Umgebung registrieren konnte. Was danach und währenddessen geschah, konnte sie sich nur noch schwer erinnern.
 

»Man kann es wohl nicht mehr ändern.« Aus der Dunkelheit seufzte eine sanfte Stimme.

Thela wollte die Augen öffnen, doch alles blieb schwarz. Sie setzte sich zwar auf. Oder meinte sie das nur?

»Bleibt nur zu hoffen, dass Er uns nicht findet.« Diesmal war es die härtere Stimme.

»Wer seid ihr? Wo bin ich hier?«

»Wer wir sind, solltest du nie erfahren. Aber du befindest dich nicht mehr in deiner Welt, sondern hier gelten andere Gesetze.« Wieder die härtere Stimme.

»Hüte dich, vor vorschnellen Versprechungen. Und erzähle niemanden von uns. Es ist auch zu deiner eigenen Sicherheit. Er will uns. Egal mit welchen Mitteln.« Nun die sanftere Stimme soeben.

Bevor Thela weitere Fragen stellen konnte, wurde ihr unsanft alles entrissen.
 

Langsam öffnete sie die Augen und blickte in verschiedene Gesichter. Verwirrt wo sie war, konnte sie niemanden zuordnen. Da war das Gesicht eines völlig alten Mannes, ein relativ junges mit blonden Haaren, wohl der von den Soldaten und das eines Mädchens. Thela erkannte das Gesicht des Mädchens als das von Mîra.

»Mîra! Wie kommst du hierher?« Thela setzte sich ruckartig auf, musste sich aber stöhnend zurücklegen. Ein Stich durchdrang ihren Kopf. Mit einer Hand stützte sie ihren Kopf ab. Was war geschehen?



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