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Der Spiegelfechter

von

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Mitternacht

Es war Nacht. Der Himmel war Sternenklar und in dem kleinen Städchen in dem ich mich befand lagen die meisten Bewohner bereits friedlich schlafend in ihren Betten. Sho von den Sternen hatte mich auf den Marktplatz bestellt, von wo aus mich ein Bote abholen sollte. Er war noch nicht gekommen, doch Sho wollte mich in einer Angelegenheit sprechen, die viel zu wichtig war, als das sie mich einfach hätte vergessen können.

Die Abenddämmerung, zu der sie mich herbestellt hatte, lag bereits zwei Stunden zurück und ich lief frierend - denn es war Winter und des Schnee durchweichte meine Stiefel - auf und ab.

Einer ihrer chinesischen Krieger holte mich schließlich ab. Er hatte eine Hellebarde in der Hand und musterte seine Umgebung misstrauisch, bis er mich schließlich ansprach: "Siegfried?"

Ich nickte.

"Mitkommen."

Er drehte sich um und ich folgte ihm durch die Schneebedeckten Straßen. An jeder Kreuzung blieb er stehen und sah sich sorgfältig um. Er wählte einen verschlungenen Weg durch enge Gassen und versteckte Wege. Schließlich betraten wir eine Herberge, wobei wir den Hintereingang benutzten. Ein zweiter Krieger stand hinter der Tür und musterte mich aufmerksam. Ich beachtete ihn nicht weiter und folgte meinem Führer die Treppe hinauf. Sho empfing mich im letzten Zimmer, das man über den Flur im Obergeschoss erreichen konnte. Sie saß am Tisch und war in eine Schriftrolle vertieft, die mit winzigen chinesischen Schriftzeichen überzogen war. Als ich eintrat sah sie auf und bedeutete dem Mann, der mich hergeführt hatte uns allein zu lassen.

"Hallo Siegfried", begann sie.

"Hallo", erwiderte ich, "wie war die Reise."

"Reisen nach Europa sind immer anstrengend", erwiderte sie, "aber lass uns zur Sache kommen. Diese Angelegenheit ist ernst."

Ich nickte: "Bist du sicher, da uns niemand hört?"

"Totsicher", erwiderte sie. "Du kannst dir sicher vorstellen, wie sehr der Diebstahl die Priesterinnen in Aufruhr versetzt hat."

Ich ging zu einem Stuhl und setzte mich.

"Ja, soetwas passiert ja nicht täglich."

"Nein, und es kann gravierende Folgen für uns alle haben."

"Wieviel Zeit haben wir noch?", fragte ich.

"Nach meinen Berechnungen zwischen 500 und 600 Jahren", erwiderte Sho.

"Und hast du schon eine Idee, wer dahintersteckt?"

"Nicht wirklich."

"Eigentlich kann es nur einer von uns sein, oder eine der Priesterinnen", mutmaßte ich.

"Ich glaube nicht, dass es eine Priesterin war", sagte Sho mit Nachdruck.

"Ich auch nicht", gab ich zu, "aber wir können nichts mit Bestimmtheit sagen und... Sie könnte auch auf Befehl von jemandem gehandelt haben."

"Ich glaube nicht, dass sich eine der Priesterinnen bestechen ließe, falls du darauf hinaus willst", erwiderte Sho.

"Giesela könnte sie manipuliert haben."

"Eine Priesterin?"

"Warum nicht? Ich weiß, dass sie ihre Fähigkeiten trainiert hat."

"Schon möglich", gab Sho zu. Nachdenklich sah sie auf ihre Hände. Nach einer kurzen Pause sah sie wieder auf und schlug vor: "Wir könnten ja zumindest mal mit ihr reden."

Ich schüttelte den Kopf: "Sie kann Gedanken lesen!"

"Ach komm schon, du glaubst doch nicht ernsthaft an diese Gerüchte!"

"Ich glaube nicht, dass das bloß Gerüchte sind! Ist dir aufgefallen, wie sie mit Bal geredet hat?"

"Ja, etwas merkwürdig war das schon, aber... Kann das nicht einfach an ihrer Erfahrung liegen?"

"Auch, wenn sie diese ganzen Psycho-Bücher gelesen hat - nein."

"Also gut, wenn wir davon ausgehen, dass die Gedanken lesen kann, dann müssen wir ihr in Zukunft aus dem Weg gehen."

Ich nickte: "Aber gleichzeitig müssen wir versuchen, herauszubekommen ob sie es überhaupt war."

"Wer war zu der Zeit im Tempel zu Gast?"

"Nicht viele", antwortete Sho. "Willhelm aus dem Wald, Valentin der Vogel, ich und Falinda."

"Falinda?"

"Ja, auch Falinda war da."

"Das Drachenei direkt vor Falindas Nase zu rauben ist dreist."

"Das finde ich auch,aber es gibt offensichtlich jemanden unter uns, der dreist genug dazu ist!"

"Gisela kann sehr dreist sein", sagte ich.

"Gisela, Gisela, Gisela... Ich finde wir sollten uns nicht so schnell festlegen."

"Auf jeden Fall müssen wir das Ei schnellstmöglich zurückbringen."

Sho nickte: "Wir müssen uns nur überlegen, wo wir anfangen."

"Wurden alle Anwesenden verhört?"

"Falinda höstpersönlich hat das Verhör geführt."

"Und natürlich durftet ihr nicht erfahren, was die anderen gesagt haben."

Sho lächelte: "Natürlich nicht."

Ich sah sie fragend an.

"Ich habe gesehen, wie Valentin die Dokumente heimlich gestolen und dann kopiert hat, damit er die originale zurückbringen konnte."

"Und dann hast du natürlich das selbe bei ihm getan."

"Nein", sagte Sho, "während Valentin die Fähigkeit hat, Dinge zu verdoppeln, würde das kopieren bei mir ewig dauern. Ich habe ihm gesagt, dass ich weiß, was er getan hat und als Gegenleistung, dafür, dass ich nichts verate..."

"...hat er dir eine Kopie angefertigt", beendete ich ihren Satz. "Verstehe."

"Du kannst sie lesen, wenn du willst", sagte sie und hielt mir einen Stapel Papier hin.

Zögernd griff ich danach. Das Papier war mit einer schrägen gut lesbaren Handschrift in lateinischer Schrift beschriben. An einigen Stellen hatte Falinda Kommentare zwischen die Zeilen des Schreibers gesetzt. Ihre beinahe unlesbare Schrift hob sich deutlich vom Rest des Textes ab.

"Ich würde vorschlagen, du liest dir erstmal alles in Ruhe durch und morgen treffen wir uns zur selben Zeit hier wieder", sagte Sho.

Ich nickte schon halb in den Text versunken. Wir verabschiedeten uns voneinander und ich ging zu meiner kleinen Wohnung auf dem Dachboden von einem der Häuser.
 

Obwohl ich sehr müde war, ging ich noch nicht ins Bett. Die Dokumente, die Sho mir gegeben hatte interessierten mich. Genauso wie die Frage, wer das Drachenei gestohlen hatte. Wer auch immer es war, er würde zu großer Macht kommen, sollte der Drache bei ihm schlüpfen. Denn Drachen gehorchen bekanntermaßen demjanigen aufs Wort, dem sie nach ihrer Geburt als erstes in die Augen sehen. Dummerweise war in diesem Ei der letzte Drache, der noch lebte. In etwa 500 bis 600 Jahren würde er schlüpfen, bis dahin mussten wir ihn gefunden haben. Ich hoffte in den Aufzeichnungen einen Hinweis auf den Täter zu finden. Also legte ich mich also auf mein Bett und begann, die Seiten durchzublättern. Es handelte sich Hauptsächlich um Beschreibungen altäglicher Tätigkeiten. Die Frauen waren zur Zeit des Diebstahls mit ihren normalen Arbeiten beschäftigt gewesen: Die Felder bestellen, das Vieh Versorgen, Wäsche waschen, nähen, kochen... Nichts außergewöhnliches. Nach drei Seiten begennen die Texte mich zu langweilen. Ich begann sie nur noch zu überfliegen, manchmal übersprang ich ganze Passagen. Irgendwann muss ich dabei eingeschlafen sein.



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