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Der Zirkusjunge

Von Seiltänzern und schwarzen Haaren ...
von

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Brüder, kleine Hunde und Lagerfeuer

Brüder, kleine Hunde und Lagerfeuer
 

Als ich die Tür aufstoße, steigt mir bereits der Duft von selbstgebackener Pizza in die Nase.

„Jessi?“, rufe ich überrascht durch den Flur, meine ich doch zu wissen, dass sie heute eine Stunde mehr hat als ich.

Leise Schritte ertönen in der Küche. Seltsam, so läuft meine kleine Schwester eigentlich nicht. Normalerweise hat sie eine hektische, schnelle Art zu gehen, nicht leise und langsam. So läuft nur …

„Hallo, Daniel.“

„… Mama?“ Entsetzt starre ich sie an. „Was zum Teufel machst du denn schon hier?“

Ein mattes Lächeln streicht über ihr Gesicht, während sie sich mit zitternden Fingern eine Strähne hinters Ohr steckt. Das letzte Mal, dass ich sie so fertig gesehen habe, ist bereit ein Jahr her.

„Ich bin im Krankenhaus zusammengeklappt. Der Chef meinte, ich sollte in den nächsten Tagen vielleicht besser nicht arbeiten und hat mich nach Hause geschickt.“

Moment, eine Sekunde. Zusammengeklappt? Nach Hause geschickt?

„Gott, Mama!“ Schnell lasse ich meine Schultasche von der Schulter gleiten, lasse meine Jacke auf einen der Stühle im Flur fallen und laufe auf meine Mutter zu, um sie zu umarmen. „Jessi und ich sagen doch schon immer, dass du dich nicht überanstrengen darfst! Das ist überhaupt nicht gut für die Gesundheit! Und Papa sagt das auch!“

Das stimmt. Schon vor einem Jahr hatte meine Mutter einen Totalausfall, war zwei Wochen krankgeschrieben. In dieser Zeit hatten Jessi und ich noch mehr zu tun als sonst: Nicht nur, dass wir selbst unsere Aktivitäten organisieren mussten, uns um Haushalt und Kochen gekümmert haben, nein, zudem lag auch noch eine völlig überforderte Mutter im Bett, der schlecht wurde, wenn sie nur an das Wort ‚Arbeit‘ dachte. Damals habe ich mir nicht viele Gedanken darum gemacht, warum meine Mutter sich so in ihre Arbeit reinhängt. Habe gedacht, vielleicht will sie, das von Grund auf gütige Wesen, einfach nur helfen. Aber in den letzten Monaten ist mir mehr und mehr in den Sinn gekommen, dass es daran liegt, dass meine Ma keinen Partner hat, der da ist. Seit Dad fast permanent unterwegs ist, ist sie irgendwie unglücklicher geworden. Hat viel gearbeitet, viel Zeit in die Beziehung zu ihrem Chef gesteckt, die sich um einiges gebessert hat – sonst hätte er ihr nie erlaubt, nach Hause zu fahren.

„Ich weiß, ich weiß. Aber jetzt haben wir mal ein bisschen mehr Zeit füreinander, das ist doch schön, oder nicht? Und jetzt komm erst mal rein, sonst wird die Pizza noch ganz kalt. Wann kommt Jessi?“

Typisch. Wie immer hat Ma keine Ahnung von unserem Leben. Neulich hat sie sogar Cleos Namen vergessen und mich gefragt, zu wem ich denn bitte gefahren bin, als sie den Zettel mit der Aufschrift ‚Hi, Mama. Ich komme ein bisschen später, bin bei Cleo.‘ gefunden hat. Auch von meiner kleinen Schwester weiß sie mittlerweile nicht mehr viel. Noch vor ein paar Jahren hat sie genau gewusst, wer von uns beiden wann Schulschluss hat, welche Freunde an welchem Tag zu Besuch kommen und welches Hobby uns an dem und dem Nachmittag erwartet. Heute können wir uns freuen, wenn unsere Mutter nicht vergisst, dass sie zumindest sonntags mit uns Essen kann und nicht in die komische Kantine der Mitarbeiter des Krankenhauses muss.

„Die kommt in ungefähr einer Stunde“, sage ich leise, noch ganz in Gedanken, und folge meiner Mutter in die Küche. Der Tisch ist auffällig hübsch gedeckt, in der Mitte steht eine kleine Ansammlung grüner Kerzen, die mit einem Päckchen von meinem Vater gekommen sind. Er hat sie zu Mamas Geburtstag geschickt, konnte aber keine vernünftiges Geschenkt mitschicken, zu teuer. Dafür hat er den Kerzen einige Bilder von sich und seinem besten Freund Benjamin beigelegt, mit dem er häufig unterwegs ist. Die beiden haben schon in ihrer Kindheit ein gutes Team abgegeben.

„Magst du dich nicht setzen?“, fragt sie und lächelt mich schief an, deutet dann auf einen Küchenstuhl. Ich nicke und setze mich. Seltsam, wie fremd es sich anfühlen kann, mit der Mutter zu Mittag zu essen. Ich hätte nie gedacht, dass ich in absehbarer Zeit hier sitze und mir nichts sehnlicher wünsche, als dass sie bitte, bitte zur Arbeit gehen möge, damit ich nicht völlig wortlos vor mich sitzen muss. Meine Mutter kommt mir vor wie ein stummes etwas, das darauf wartet, unterhalten zu werden und das dich anschaut, bis du dich unter dem Blick windest, weil du nicht weißt, was du tun sollst.

Schweigend piekse ich in meine Pizza, trenne sorgfältig ein Stück ab, schiebe es mir in den Mund. Sie schmeckt gut, fast so gut wie Jessis, aber nur fast. Kein Wunder. Wenn meine Ma mal da ist, essen wir meist Fertiggerichte oder meine kleine Schwester kocht, weil Mama zu überarbeitet und müde ist. Man kann ihr dann einfach nicht zumuten, auch noch für Essen zu sorgen.

„Du, Mama. Hast eigentlich Papas Brief gelesen?“, frage ich, nur um die Stille aufzulösen, da ich weiß, dass die Frage vollkommen überflüssig ist. Natürlich hat sie! Sie liest jeden Brief, tausend mal raus und runter. Sowohl das Blatt, das immer an Jessi und mich gerichtet ist, als auch das, das Papa direkt an sie schreibt.

Sie lächelt noch ein wenig mehr. „Ja, habe ich. Es ist schön, dass er uns besuchen kommen will, nicht?“

„Ja, ist es.“

„Wie läuft es in der Schule?“

„Geht so. Heinzl nervt ein bisschen.“

„Heinzl? Ist das Herr Hinsemann?“

„Mhm …“

So läuft das immer, wenn Mama da ist, auch am Wochenende. Gespräche ohne Hintergrund, unwichtiges Zeug, nie irgendwas wichtiges, ohne die eigenen Gefühle einzubringen. Ich kenne Leute – unter anderem Jamil und Cleo – die mit ihren Eltern über alles und jeden reden, sogar mit ihnen lästern können. Es fällt ihnen nicht schwer, mit dem Vater ein tiefgründiges Gespräch zu führen oder, in Jamils Fall, mit der Mutter einen Nachmittag im Schwimmbad zu verbringen. Jessi und ich hingegen sind sowas überhaupt nicht gewohnt. Wir hängen immer zusammen, wenn wir jemanden zum Reden brauchen, wenden wir uns an den anderen oder an Freunde. Unternehmungen mit der Familie heißt bei uns so viel wie: Jessi und ich gehen ins Kino, schlendern zur nächsten Eisdiele oder shoppen gemeinsam. Nie ist Mama dabei.

Verkrampft konzentriere ich mich auf meine Pizza, esse extra langsam, um nicht reden zu müssen. Meine Hände schneiden wie in Trance ein kleines Stückchen nach dem anderen ab, schieben diese unschlüssig auf dem Teller herum. Irgendwie ist mein Appetit ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen worden.
 

Ich weiß nicht, wie lange ich schweigend vor meiner Mutter gesessen habe, aber wie so oft rettet mich meine kleine Schwester.

„Halloooooo!“, schreit sie bereits, als sie die Haustür aufzieht. Anschließend fliegen ihre Schuhe in die Ecke, ihnen folgen ihre Schultasche und die Jacke, dann poltert sie in Richtung Küche. „Tut mir wahnsinnig leid, dass ich gestern nicht mehr gekocht hab! Ich hatte echt keine Zeit mehr! Aber wie rieche, hast du- … Mama?“

Mit offenem Mund steht meine kleine Schwester in der Küchentür, sieht irritiert zwischen mir, mit der mittlerweile kalten Pizza, und unserer Mutter hin und her.

„Hallo, meine Süße.“ Noch immer liegt ein Lächeln auf ihren Lippen – wie immer.

„Hallo, Mama. Was machst du denn schon hier? Und wieso hast du Pizza gemacht? Das ist doch viel zu anstrengend! Wenn du schon mal hier bist, dann lässt du dich doch bitte auch bekochen!“

Aufgeregt weiterplappernd fischt Jessi sich einen Teller aus dem Schrank und lässt sich dann auf den Stuhl neben mir plumpsen. In ihrem Gesicht prangt ein so sorgloses Strahlen, dass sie mich wie so häufig an ein fünfjähriges Kleinkind erinnert. Sie freut sich immer, wenn Mama da ist, trotz der Tatsache, dass wir uns nicht mehr wirklich nahestehen. Vielleicht liegt es daran, dass sie im Gegensatz zu mir schafft mit Appetit zu essen.

„Was habt ihr zwei Lieben denn heute so vor?“

Eigentlich habe ich bereits auf Durchzug geschaltet, aber dieser Satz weckt mein Interesse … Da war doch irgendwas.

„Keine Ah-“

„Doch“, unterbreche ich sie schnell, als es mir wieder einfällt, „du hast eine Ahnung! Wie müssen zum Zirkus!“

Hach, wie herrlich, wenn man Leute zum Lachen bringen kann! Denn genau das tue ich gerade. Meine kleine Schwester guckt mich irritiert an, dann beginnt sie haltlos zu lachen.

„Was denn?“

„Du?! Zirkus?? Freiwillig?! Willst du mich verarschen??“

Sich krümmend vor Lachen hält sie sich an der Tischkante fest, ignoriert Mamas bösen Blick angesichts des ‚bösen Wortes‘.

„Äh … ne, das meine ich ernst.“

„Echt jetzt?“ Ihr Lachen hört schlagartig auf. „Was ist denn dann kaputt?“

„Nichts, ich möchte da einfach noch einmal hin.“ Möglichst unschuldig lächle ich in die Runde, räume mein Geschirr weg und gehe, den Kopf hoch erhoben, in mein Zimmer.
 

Als Jessi mein Zimmer betritt, bemerke ich sie erst gar nicht. Erst, als sie sich stumpf auf meine Beine fallen lässt, schrecke ich zusammen.

„Mann, Dani! Sitzt du schon die ganze Zeit hier und starrst die Wand an?“

Nicken meinerseits.

„Ganz ehrlich mal: Warum willst du zum Zirkus?“

Ich seufze, diese Frage musste schließlich kommen.

„Is halt so …“

Meine kleine Schwester grinst und zieht die Augenbrauen hoch. „Es ist wegen dem Seiltänzer, stimmts?“

Unbewusst beginne ich, mich auf meinem Stuhl zu winden. Der berühmte Aal im Anzug ergreift von mir Besitz, während sich in mir alles um sich selbst dreht. Wie ein Wirbelsturm. Herum und herum und herum, immer wieder.

„Ja“, gebe ich schließlich leise zu, „auch. Ich … er ist in meiner Klasse, seit heute.“

„Echt jetzt? Oi, wie cool is das denn?!“ Beinahe bekomme ich ihre Hände gegen den Kopf, als sie fröhlich in die Hände klatscht. „Das ist ja mal ein cooler Zufall! Ich hab jetzt auch ein Zirkuskind in der Klasse. Sie heißt Linda.“ Kurz strahlt sie mich noch an, bevor sie merkt, dass ich ihre überschwängliche Begeisterung nicht so ganz teilen kann.

„Aber jetzt mal ehrlich: Du willst wegen ihm mit mir da hin, oder?“

„Wie gesagt, auch. Er hat mich nur gefragt, ob du immer so gut mit Tieren umgehen kannst … Ja, und da hab ich halt ja gesagt. Und dann meinte er, dass wir halt mal vorbeikommen sollen …“

Mit den letzten Worten ist meine Stimme zu einem unverständlichen, leisen Genuschel mutiert, meine Wangen färben sich rot, Hitze steigt in meinen Kopf. Sie pulsiert in meinem Kopf und ich fühle mich, als wäre er jederzeit explosionsgefährdet. Peinlich. Scheiße, ist das peinlich! Hätte ich gewusst, dass es einem selbst vor der eigenen Schwester peinlich ist, zuzugeben, dass man eventuell ein Auge auf jemanden geworfen hat, hätte ich jetzt sicherlich schön den Mund gehalten.

Glücklicherweise sagt Jessi nichts, steht allerdings auf und deutet auffordernd in Richtung Tür.
 

„Mama? Wir gehen dann mal!“, schreit Jessi, bereits im Türrahmen stehend, die Jacke über dem Arm.

Mama liegt mittlerweile im Wohnzimmer und liest ein Buch, das Papa mal geschickt hat. Irgendeinen Reiseführer über Australien. Unsere Mutter liebt Australien seit einigen Jahren, wünscht sich nichts sehnlicher, als ein einziges Mal mit Jessi, Paps und mir in einen Flieger Richtung Sydney zu fliegen.

„Viel Spaß, ihr zwei Süßen! Ich mache Abendessen, also seid bitte früh genug wieder da, ja?“

„Jaaaa“, geben wir einstimmig Antwort, dann fällt die Tür hinter uns zu.
 

Das Mädchen mit den rotblonden Haaren – die im Übrigen schon beinahe orange sind – und den vielen Sommersprossen, das wir in der Manege treffen, ist allem Anschein nach Linda … ich bezweifle, dass es meiner kleinen Schwester sonst begeistert um den Hals gefallen wäre. Denn: Wer würde das, abgesehen von mir, tun, nach mehr als einer Stunde mit ihr in einem Raum? Mein Verdacht wird bestätigt, als Jessi das Mädchen freundlich mit dem Namen Linda begrüßt und mich anschließend als „ihren großen Bruder“ vorstellt, was ich freundlicherweise noch

mit meinem Namen ergänze.
 

„Hey, hi. Freut mich dich kennenzulernen, Daniel. Jessi hat dich schon beschrieben … Hat dich ganz gut getroffen.“ Sie grinst freundlich und strahlt mich aus ihren blauen Augen an. Das Licht fängt sich in dem kleinen Kreuzanhänger um ihren Hals und die Sommersprossen tanzen fröhlich

über ihre Wangen. Ja, wäre ich nicht am anderen Geschlecht interessiert, dann würde ich sie sicherlich sehr attraktiv finden – abgesehen davon, dass ich nicht unbedingt mit einem Mädchen in Jessis Alter zusammen sein wollen würde. „Darf ich fragen, was ihr zwei hier macht?“

„Jaaa, das ist irgendwie ein wenig seltsam …“, beginne ich und spüre, wie meine Wangen wieder rot werden. „Da ist dieser Typ, der hier auch wohnt. Jerome. Er ist jetzt in meiner Klasse und meinte, Jessi und ich sollten doch bitte heute vorbeikommen und-“

„Aaach, dann hat Jeri von Jessi geredet, als er meinte, er hätte unsere Aushilfe gefunden!“

In diesem Moment sieht meine kleine Schwester aus, als hätte man sie mit offenem Mund eingefroren. Ich sehe wahrscheinlich auch nicht besser aus: Sperrangelweit geöffneter Mund, weit aufgerissene Augen und ein so planloser Ausdruck, dass selbst ein Auto vor Neid erblasst wäre.

„A- Aushilfe?“, fragt Jessi verwirrt.

„Du weißt das gar nicht?“ Überrascht zieht Linda eine Augenbraue hoch, dann winkt sie lässig ab.

„Ach, das ist mal wieder typisch Jeri. Er mag es, Leute zu überrumpeln. Aber egal. So wie ich das verstanden habe, wollte er dich bitten, uns beim Versorgen der Tiere zu helfen. Drei Monate sind echt lang, wenn man die Zeit nur auf einer einzigen Wiese verbringt und damit die Tiere genügend Abwechslung bekommen, brauchen wir Hilfe. Hunde ausführen, mit den Pferden aufs Land fahren, so was halt … Jeri meinte, du kannst gut mit Tieren umgehen und deswegen stehst du auf unserer Liste der potentiellen Helfer ganz oben.“

„Schön, dass ich das auch mal weiß …“, stellt Jessi fest, schaut zwei Sekunden extrem beleidigt drein, bevor sie über das ganze Gesicht zu strahlenbeginnt. „Oh mann, das ist aber ja mal das geilste Angebot, dass ich je bekommen hab! Wann soll ich anfangen?“

„Jetzt. Komm mit, ich stell dir die Tiere vor!“

Und schon sind sie weg. Super! Und was mach ich jetzt?

„Äääh, hallo?“, rufe ich unsicher durch das leere Zirkuszelt. „Ist hier noch wer?“

„Jahaaaa, einen Moment. Ich kommeeee!“

Es dauert ein Weilchen, bis ich die Richtung ausgemacht habe, aus der jetzt Schritte ertönen, doch als ich die Person schließlich erblicke, weiß ich sofort, wen ich da vor mir habe. Ihr langes schwarzes Haar hat sie zurückgebunden, ihr Körper steckt in bunten Trainingsklamotten und sie ist, nicht wie in

der Schule, ungeschminkt.

„Bist du wegen der Pflergerstelle hier?“, fragt sie interessiert und will mir gerade ihre Hand hinhalten, als sie die schwarzen Flecken auf ihren Handflächen bemerkt.

„Oh, entschuldige bitte“, grinst sie peinlich berührt, während sie versucht, sich das Zeug an ihrer Hose abzuwischen, „das Gerüst mit den Bänken ist ein kaputt und ich muss da so ein bisschen was reparieren – da bleiben meine Hände leider nicht ganz verschont.“

„Kein Problem“, gebe ich ein wenig unsicher zurück.

„Und, bist du jetzt hier wegen der Stelle hier?“

„Indirekt.“

„Wie jetzt?“

„Ja, dein komischer Freund hat meine Schwester ohne ihr Wissen engagiert … sozusagen. Also er hat sie und mich eher hier herbestellt und deswegen stehe ich jetzt desorientiert in eurem Zirkuszelt.“

Obwohl ich dachte, mich klar ausgedrückt zu haben, sieht Jeromes Freundin noch viel verdatterter aus als vorher.

„Mein … Freund?“ Irritiert zieht sie eine Augenbraue hoch. „Eeeeh, ich hab keinen Freund, sorry. Sag mal, bist du nicht einer aus der Übergangsklasse von meinem Bruder?“

Die Alarmglöckchen in meinem Kopf beginnen so laut zu schrillen, dass ich mir beinahe an die Schläfen gefasst hätte. Ihr Bruder? Ihr Bruder?! Ich verdammter Idiot!! Jerome ist gar nicht … ihr Freund, sondern ihr … Bruder? Na klasse! Fettnäpfchen.

„Oh mein Gott, das ist jetzt peinlich.“ Noch während ich das sage, wird mein Kopf feuerrot.

Sie beginnt, wissend zu grinsen. „Achsooo, verstehe. Der Herr Bruder hat sich mal wieder einen Kerl angelacht und der denkt jetzt, ich wär seine Freundin … Aber ich kann dich beruhigen: Jerome ist single. … Gott, der hat aber wirklich ziemlich Talent dafür, es sich mit allen zu verderben …“

Halt, stopp! Zu viele Informationen! Nochmal von vorne: Jerome hat eine Schwester, die nicht seine Freundin ist – logischerweise – und er ist … schwul? Bi? Und zur Krönung ist das Mädel da auch noch der Überzeugung, Jerome hätte mich – äh – angelacht? Gott ey, jetzt bin ich endgültig überfordert!

„Das verwirrt dich jetzt, was? Übrigens, wenn ich mich mal kurz vorstellen darf, muss mich doch Jeris Zukünftigem vorstellen, ich bin Vanessa. Du kannst dir aussuchen, ob du mich Nessa oder Nessi nennen willst.“

Fröhlich lacht sie mich an, ich starre völlig verdattert zurück. Noch ein Stück Info zu viel mehr.

Himmel, ich dreh hier noch durch!

Schüchtern sehe ich sie an, dann hole ich Luft, um einiges klarzustellen: „Äääääh, ich glaubeeee, du hast so ein bisschen was falsch verstanden … Jerome hat mich nicht ‚angelacht‘ oder so … er ist nur in

meiner Klasse.“

„Oh, scheiße! Dann seid ihr gar nicht …?“

Seufzend lässt sie sich in die Holzspäne der Manege fallen und schlägt sich resigniert die Hand vor den Kopf.

„Verdammt! Ich rede einfach zu viel, was? Oh Gott, Jeri sagt immer, ich soll nicht bei jedem erstbesten Typen, der nach ihm fragt, erzählen, dass er schwul ist … auf die Gefahr hin, dass ich damit mal wieder den falschen erwischt hab. Das tut mir jetzt echt leid, wirklich! Aber ich freu mich immer für ihn, wenn er eventuell wen gefunden hat, weil er sonst immer so allein … Ach, ist je auch egal. Jetzt hab ichs wieder vermasselt … Entschuldige … Wie heißt du überhaupt?“

Ich sehe sie an, als hätte sie mir gerade eröffnet, dass gleich Florian Silbereisen hereinspazieren und mich auf eine Reise durch die wundervolle Welt der Schlager mitnehmen wird. Sprich: Vollkommen entsetzt.

„Ähm …“ Hirn, bitte geht an, ich brauche dich! Hallooooo? Ist da was bei mir oben drin? Haaaallo? …

Anscheinend nicht. Schöne Scheiße aber auch!

„Du heißt Ähm? Schöner Name, hab ich ja noch nie gehört.“

„N- nein, also … ich bin Daniel Sch- schön, dich kennen zu lernen.“

Nessi lächelt. „Okay. Hi, Daniel. … Falls du willst, zeig ich dir mal, wo deine Schwester ist.“ Fragend sieht sie mich an, lächelt freundlich, doch ich merke, dass sie sich innerlich noch immer eine Ohrfeige

nach der anderen verpasst.

„Klar, danke.“

„Na dann komm mal mit.“

Nervös folge ich Jeromes Schwester nach draußen, werde von ihr zu mehreren gelben Zelten geführt, während sie die ganze Zeit vor sich hin brabbelt. Je näher wir dem ersten Zelt kommen, desto unruhiger werde ich. Was, wenn Jerome auch da ist? Wenn ich ihm jetzt gleich begegne? Ja, er weiß nichts von dem Gespräch mit Vanessa, aber es wäre mir wirklich trotzdem wahnsinnig peinlich.

Vielleicht, weil ich gar nichts dagegen gehabt hätte, hätte er mich wirklich angelacht, um es mit den Worten seiner Schwester auszudrücken.

„Dani, da bist du ja!“, ruft Jessi freudig, als wir in den ersten ‚Stall‘ eintreten, mir mit einem Hundewelpen auf dem Arm entgegenrennt. „Guck mal, das hier ist Milky. Ist er nicht total süß??“

„Ja, ja, das ist er.“ Verträumt streiche ich durch das Fell das kleinen Golden Retrievers und bin plötzlich sehr erleichtert, dass meine Schwester noch immer nur mit Linda hier ist.

„Und stell dir mal vor, sie können ihn hier nicht behalten! Sag mal, können wir ihn nicht behalten? Er ist soooo niedlich!“

Ich seufze leise. Damit hätte wirklich rechnen können. Jessi ist ein sehr tierlieber und vor allem hundebegeisterter Mensch. Als Jamil das erste Mal mit Fina angerückt ist, ist sie dem Hund um den Hals gefallen, bevor sie meinen besten Freund begrüßt hat.

„Vielleicht …“

„Daaaankeschön!“ Dieses Mal umarmt sie mich wirklich – allerdings nur mit einem Arm, auf dem anderen hängt immer noch Milky.

Hinter mir ertönt ein leises Lachen, dann spüre ich warmen Atem in meinem Nacken. Nur ein leichtes, weiches Streichen, doch ich spüre es trotzdem so intensiv, als würde mir eine Windböe unter den Kragen kriechen. Ein Schauer rennt über meinen Rücken, noch bevor ich mich umdrehe, um zu sehen, wer da hinter mir steht – auch, wenn ich es eigentlich bereits weiß. … Und ich liege sogar richtig. Es ist niemand anderes als Jerome. Er trägt ein weißes Shirt, das über uns über mit Farbklecksen übersäht ist und eine ausgewaschene blaue Jeans. Es ist ein Wunder, dass er es trotzdem schafft wahnsinnig gut auszusehen.

„Sieht aus, als müssten wir uns zumindest um Milky keine Sorgen mehr machen.“

„Hey“, unterbrach ich seine Freude, „ich sagte vielleicht!“

„Ach was, das ist doch schon ein halbes Ja! Und wenn du Milky besser kennst, wirst du ihn behalten müssen!“
 

Einige Stunden später sitzen wir alle – heißt: Jessi, Jerome, Nessi, Linda, ich und einige andere Artisten – um ein großes Lagerfeuer herum. Wir haben unsere Ma angerufen und angekündigt, dass Es etwas später werden könnte. Tja, und jetzt sitze ich hier, dicht eingequetscht zwischen Linda und Jerome und habe Angst mich zu bewegen, weil ich dann eventuell gegen den Jungen an meiner Seite

Stoßen könnte.

„Du, Daniel?“ Ich zucke zusammen, als ich Jeromes Stimme neben meinem Ohr höre. „Ich wollte mal fragen, wie es dir hier gefällt.“

„Es ist schön hier, warum?“

„Also erlaubst du deiner Schwester hierher zu kommen?“ Er grinst mich freundlich an, die Flammen spielen auf seinem Gesicht. Ja, er ist schön. Ich komme nicht umhin, das festzustellen.

„Ja klar.“

„Kommst du dann auch mal mit?“

„Ja, warum nicht?“

„Das ist schön.“
 

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Hayoooo!

Neues Kapitel! <3

Ich hoffe, ihr hattet euren Spaß.
 

Uuuund, hrhr, Jerome freut sich auf Daniel ^^

Wer weiß, wer weiß, was daraus so wird :D
 

Nocheinmal ein rieeesiges Danke an meine Favo-Leute und die Kommentar-Feen <3

Herzlichstes Dankeschön, wirkich!

Es sit immer toll, Rückmeldungen zu seinem "Baby" zu bekommen.

Vielen, vielen Dank!
 

Ganz lieben Gruß,

lady



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

Kommentar schreiben
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Von:  funeral
2012-01-09T22:14:01+00:00 09.01.2012 23:14
Ich spüre das knistern zwischen jeromi und daniel richtig xD hihi die zwei sin ja auch süß ...o.O GOTT hätte ich mich noch mehr überforderter gefühlt, hätte nessi mir so sachen gesagt o.O
Von:  klene-Nachtelfe
2011-12-19T06:30:34+00:00 19.12.2011 07:30
Oh mein Gott!!!!!
Das ist genial!!!
Sorry das ich erst jetzt schreibe, weisst ja das ist eigendlich nicht so meine Art, aber ich konnte einfach nicht aufhöhren weiter zu lesen und wenn ich jetzt nicht in die Schule müsste -.- hätte ich wohl noch das Nächste direkt gelesen, einfach weil das hier sooooo packend und spannend und TOLL ist!!!
Wirklich klasse!!!
LG -^.^-
Von:  Jeschi
2011-10-04T15:36:29+00:00 04.10.2011 17:36
Ach, was für ei süüßes Kapitel.
Ich mag, wie du auf die Sache mit ihrer Mum eingehst. Das war eigentlich das schönste, am Kapitel.
Auch wenn der zweite Teil ein wenig Klarheit gebracht hat und der Schluss sehr süß war. xD
lg
Von:  eden-los
2011-10-03T12:09:10+00:00 03.10.2011 14:09
hey, ist wirklich wieder ein schönes kapitel geworden. und jerri scheint wirklich auf dani zu stehen xD ...
wir brauchen unbedingt mehr ^^

lg eden ^^
Von:  Salix
2011-10-03T10:04:18+00:00 03.10.2011 12:04
Hi,

das Kapitel ist echt niedlich. Mir gefällt der Schluss am besten, das Lagerfeuer beim Zirkuszelt. Ich kann es mir sehr gut vorstellen und es ist einfach eine gemütliche Atmosphäre.

LG


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