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Tochter der Schatten

von

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Nichts als ein Stein und sein Schatten

Es war einmal eine junge Frau, die sehnte sich nach einer gerechten Welt.

Obwohl dies kein ungewöhnlicher Anfang für eine Geschichte ist (denn viele Geschichten, ob über junge Frauen oder Männer, könnten auf ähnliche Weise beginnen), war an der jungen Frau und ihrer Geschichte doch etwas Seltsames.

So seltsam, das sie nicht einmal begriff, welch skurriles Schicksal sie ereilte.

Die Geschichte beginnt unter einem Kieselstein.

Kieselstein? Kieselstein? Wovon um alles in der Welt redet diese Person?

Hier ist des Mysteriums Lösung:

Wenn ich über die Welt blicke, dann sehe ich tausende weiße Kieselsteine, die im Sonnenlicht funkeln und nur darauf warten aufgehoben zu werden. Denn jeder hat eine Geschichte zu erzählen.

Jetzt fragen Sie sich sicher: Kieselsteine, die Geschichten erzählen?

Ja, antworte ich ihnen. Jedes Leben, jede Sekunde ist wie ein Kieselstein. Etwas ganz banales und dennoch bei näheren Untersuchungen erkennt man, die Schönheit und die Einzigartigkeit jedes einzelnen Steines.

Jeder einzelne der weißen Kieselsteine ist ein Leben, eine Sekunde, eine Geschichte, die darauf wartet erzählt zu werden.

Unsere Welt ist gepflastert von solchen Kieselsteinen, überall liegen sie herum, und ab und zu hebe ich einen auf, untersuche ihn eingehend und erzähle ihnen, was ich sehe.

Einige Kieselsteine sind gewaltig, das man sie fast schon Findlinge nennen kann, wie die Geschichte von dem Jungen mit dem Schaukelstuhl. Andere sind klein, aber nicht von minderer Wichtigkeit, wie der Mann mit dem einäugigem Esel.

Alles sind Kieselsteine, die ich aufgehoben habe oder eines Tages aufheben könnte, um nach ihren faszinierenden Geschichten zu schauen.

Aber bei all dem gibt es ein Problem:

Jedes mal, wenn ich einen Kieselstein aufhebe, um seine Geschichte zu erzählen, scheinen darunter noch mehr Steine versteckt zu sein.

Wie dem auch sei, seien Sie dabei wenn ich nun den weiße Kieselstein der jungen Frau, die niemals den vollen Umfang ihrer Geschichte begriff, aufhebe. Lassen sie uns nicht nur nachschauen, sondern auch nach den Steinen darunter blicken.

Nun die Geschichte begann – wie alle Geschichten – unter einem Kieselstein:
 

Dies ist die Geschichte von Esterial, in deren Adern der Tod floss.
 

Ein Blitz zuckte durch die Nacht, dessen heller Schein durch die bunten Fenster des großen Saales drang, und lustige Phantome an die Wände zeichnete. Ein Donnerschlag folgte ihm sogleich.

Esterial sah von dem großen, in Samt gebundenen Buch auf und ließ ihren Blick schweifen. Zu dieser späten Stunde wagten sich nur wenige Studenten hinaus in die alten Hallen, um nach den Schätzen der Vergangenheit, wie der Direktor die ungezählte Bücher in der Bibliothek nannte, zu suchen. Der Direktor, ein zugleich liebenswürdiger und strenger Mann, dessen Charme manchmal an den eines Ghuls erinnerte, hatte Esterial adoptiert, als diese noch ein Kleinkind war. Noch gut konnte sich Esterial an den Schock erinnern, der in ihren Knochen saß, als der Direktor ihr unter angstvollem Gesicht stand, nicht ihr leiblicher Vater zu sein. Und obgleich der Direktor Esterial sie mit der selben Liebe und Wärme großzog, so war ihr immer klar gewesen, das sie anders war. Es war als herrsche eine Leere in ihrer Brust und gleich was sie tat, das Loch wollte sich nicht schließen. Ihr Herz hungerte und nichts schien diesen Hunger stillen zu können.
 

Müde strich sich Esterial die Strähnen ihres langen silbernen Haares zurück. Sie wusste nicht wie lange sie schon in der Bibliothek saß und die Chroniken der alten Fürstenfamilien durchsuchte, das Einzige, was sie wusste, war das sie furchtbar müde war.

Wann war eigentlich die Sonne unter gegangen?

Der Mond stand violett und noch tagesblass am Firmament. Eine kühle Brise wehte durch das steinerne Gemäuer. Die letzten Studenten zogen sich in ihre Schlafgemächer zurück. Als der Mond sich dem Horizont entgegenneigte, erhob sich Esterial und schlug mit einem lauten Knall das große Buch zu.

Sie durchquerte die prachtvolle Eingangshalle der alten Universität Zölestine. Unterwegs zu ihrem Quartier kam sie an einigen Studenten vorbei. Gestaltwandler, Hexen, Magier, Elben und allerlei anderer Spezies lernten unter der Führung des Direktors ihre Fähigkeiten zu meistern und die Gesetze, an die sich zu halten hatten.
 

Doch keiner der Vorbeigehenden nahm wirklich Notiz von Esterial.

Sie lief weiter und schlüpfte durch das Portal, welches die Menschenwelt von den Schatten trennte, und fragte sich unwillkürlich was wohl geschehen würde, wenn sie auf das Portal klettern und darauf laufen würde. Als sie durch das Portal schritt,seufzte die Welt auf und trat zu Seite. Als würde sie vor einer großen Fackel stehen, grub sich plötzlich ein großer Schatten vor ihr in den Boden. Der Schatten wölbte sich und gewann an Volumen. Er zog Esterial in einen Raum, in dem es nur Schatten gab. Die Farben der Welt verblassten, alles außerhalb der Schatten schien unendlich langsam abzulaufen. Die Schatten berührten Esterial, und sie fürchtete sie nicht. Die Welt der Schatten war ihr Zuhause. Sie flüsterten Esterials Namen, und es klang wie ein Willkommen. Ja, die Schatten hießen sie willkommen mit ihren leisen körperlosen Stimmen, schwer von Sehnsucht, als wäre sie ein lang vermisster Freund, der endlich zurück kehrte.

Kein Mensch vermochte in die Schatten zu gehen. Sie spürten sie, ja, wie sie um sie herum existierte, aber sehen oder gar betreten konnten sie die Welt der Schatten nicht. Die Schatten offenbarten das wahre Gesicht jedes Wesen, nur das der Menschen nicht, denn der Mensch war ein Geschöpf mit vielen Gesichtern, in dessen Brust ein dunkles Loch klaffte, das keine Macht, zu heilen vermochte.

In diesem Punkt ähnelte Esterial den Menschen, denn auch ihr Loch konnte nicht gefüllt werden.

In der Welt der Schatten war Esterial sicher vor den Jägern, Menschen aus dessen Nichtverständnis Hass auf alle magischen Wesen wuchs.

Allem voran jagten sie Vampire und Werwölfe. Die Geschichten, die die Menschenfrauen ihren Kindern erzählten, um ihn vor der Dunkelheit Angst zu machen, von blutsaugenden Bestien, die wahllos mordeten, mochten größtenteils frei erfunden sein, aber ohne Zweifel, Vampire brauchten Blut um zu überleben. Vampire waren tot, sie konnten nicht ohne fremdes Leben existieren. Blut war der Saft des Lebens. Doch Vampire liefen nicht durch die Weltgeschichte, und schlugen dem erst besten Menschen ihre Zähne in den Hals, sie mussten sich wie alle magischen Wesen an Gesetze halten. So durfte jeder Vampir nur eine bestimmte Anzahl Menschen töten, um das Gleichgewicht der Spezies nicht zu zerstören.

Die Vampire waren ein aussterbendes Volk. Nur wenige überlebten den Kreuzzug der Menschen. Esterial war eine Vampirette, und wie alle Angehörigen ihres Volkes sehnte sie sich nach einer Welt in der auch sie ein Recht auf ihre Existenz hatten.
 

Und obwohl sie nichts davon ahnte, so war es doch Esterial, die ihr Volk in jenes Zeitalter der Freiheit führen sollte.
 

Der Mond ging unter. Der Himmel über Esterial war tiefdunkel. Die Schatten hatten alle Farben des sonst schwarzblauen oder violetten Himmels gefressen. Die Schatten saßen neben Esterial in ihrem Bett und aufs neue war sie wie berauscht. Sie atmete sie ein, spürte sie durch die Poren ihrer Haut. Leise summten sie ein Lied, nur für Esterial, und trugen sie in das Land der Träume.
 

Helles Licht schien ihr ins Gesicht als sie aufwachte. Nun, war es überhaupt Licht? Konnte Licht im Reich des Schatten existieren?

Esterial wusch sich das Gesicht und ging hinüber zu ihrem Kleiderschrank. Ihr helles funkelndes Kleid schmiegte sich an ihren Körper wie flüssiger Silber. Sie ging in die Küche, küsste dem Direktor auf die Wange und nahm sich einen Bauern-Laib sowie einen Becher mit frischem Schweineblut. Falls irgendwer glaubte Schweineblut schmeckte lecker, so irrte er gewaltig. Nur mithilfe des Brotes schaffte Esterial es, die warme Flüssigkeit herunter zu würgen.
 

Esterial trat aus den Schatten und begab sich sogleich wieder in die Bibliothek, um ihr Vorhaben vom Vortag zu beenden. Sie suchte in den alten Chroniken der Vampirfürsten nach einem Wappen. Es war nicht irgend ein Wappen, nein, es zierte Esterial Wange seit sie denken konnte.
 

Doch wurde sie nicht fündig. Wieder einmal saß sei Stunden in den alten Hallen. Es war zum verzweifeln. Ihre letzte Hoffnung war es die Schatten zu rufen, doch war dies Verboten, das Gleichgewicht würde gestört werden. Die Schatten zu rufen hatte Konsequenzen. Alles im Leben hatte Konsequenzen.

War sie wirklich bereit diese zu tragen?
 

Wie lange hungerte Esterials Herz schon? Die Zeit war gekommen das Loch zu fülle!

Sie ging durch das Portal, und rief sie.

Nur mit den Armen rief sie sie, den ihr Name war Abgrund, tausend Nächte tief.
 

Und die Schatten antworteten...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-08-27T12:17:30+00:00 27.08.2011 14:17
Ein sehr schöner Prolog!!!
Und die Idee deiner Geschichte ist sehr gut.
Ich würde mich freuen wenn du weiter schrieben würdest!!


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