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Trauma

von

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Kapitel 2

„Bist du dann soweit?“

Farin sah auf, sah zu Rodrigo, der in der Tür stand, ihn musterte.

Ein Seufzen.

Nein. Er war nicht soweit. Er würde nie soweit sein.

Dennoch nickte er nur, erhob sich vom Bett, strich sich das Sakko glatt, strich sich durch die Haare.

Ein prüfender Blick in den Spiegel, ein mehr oder weniger zufriedenes Nicken. Er sah beschissen aus. Genauso wie die letzten Wochen, seitdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

Seine Verletzungen waren großteils gut verheilt, nur innen drinnen sah es anders aus. Farin sprach nicht mehr. Die Sache mit Bela ging ihm einfach zu nahe. Es war nicht so, dass er nicht sprechen wollte, oh nein. Liebend gerne würde er Rodrigo anschreien, ihm seinen Kummer mitteilen, ihm erzählen, ihn fühlen lassen, wie absolut beschissen es ihm ging, seitdem Bela weg war. Aber nein, irgendwas in ihm sträubte sich dagegen. Hinderte ihn daran, auch nur einen Mucks zu machen.

Da Rodrigo kein Mann großer Worte war, verstanden sie sich auch stumm. Farin lebte bei Rodrigo, bis es ihm wieder besser ging. Darüber war der Blonde auch ziemlich froh, denn zuhause… zuhause würde er sich nur an Bela erinnern. Rodrigos Wohnung war kalt, beinahe steril und penibel ordentlich, genau das, was ihn nicht an Bela erinnern konnte.

Halbherzig versuchte er, den Stofffetzen, der eigentlich eine Krawatte sein sollte, in ebenjene Position zu bringen, doch vergeblich. Wie oft musste er sich schon eine Krawatte binden? Die Ereignisse konnte er locker an beiden Händen abzählen.

„Na komm her.“

Rodrigo lächelte sachte und trat zu Jan, legte die Hände an seine Brust, löste den wirren Knoten, band ihm fließend und geschickt sekundenschnell einen perfekten Knoten.

Farin sah zu ihm hinab, lächelte schwach, nickte dankbar, löste sich aber sogleich wieder.

„Komm, lass uns fahren.“

Und Farin nickte.
 

Normalerweise würde Farin ja nicht in die Kirche gehen. Er glaubte nicht an Gott, jetzt noch weniger, aber… was sollte er tun?

So saß er, neben Rodrigo, ganz hinten in der Kirche, hörte halb zu, was der Pfarrer zu erzählen vermochte. Man hatte von ihm erwartet, dass er eine Trauerrede hielt, doch unmöglich. Er hatte sich wortwörtlich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Was sollte er groß sagen? Bela war mehr als ein Freund. Ein Verwandter. Seelenverwandter. Etwas verband sie, was nicht mit Worten zu beschreiben war. Und Farin war Farin, er gab sich mit nichts halbem zufrieden. Alle, die sich heute hier versammelt hatten, wussten, wie die Beziehung zwischen Bela und ihm war, warum also darüber sprechen?

Farin starrte den Hinterkopf des Mannes vor sich an, sein Blick war erschreckend leer und glasig. Doch er konnte nicht nach vor sehen. Konnte nicht auf den Sarg blicken, auf den Pfarrer, der wohl glaubte, dass seine Worte irgendwie den Schmerz linderten, den er gerade so verspürte.

Farin schloss die Augen, atmete bebend durch, als…

„Du wirst doch wohl nicht heulen?“

Er zuckte so stark zusammen, dass Rodrigo ihn fragend anblickte.

Doch was Rodrigo wohl nicht sah, war Bela, der lässig neben Jan auf der Bank saß und ein Bein über dem anderen geschlagen hatte.

Farin musterte den Verstorbenen von der Seite.

Ja. Er war wohl verrückt.

Anders ließ es sich nicht erklären.

„Oh man. Was fürn hässlicher Holzklotz, in den ihr mich gesteckt habt.“

Bela grinste schief und lehnte sich zurück, kaute abwesend auf einem Kaugummi herum.

„Und ich dachte, dass man für den Grafen wenigstens etwas Edles nimmt. Aber nein, hab ich mich wohl mein kurzes Leben lang in meinen Freunden getäuscht.“

Farin bebte. Diese Stimme, wie sehr hatte er sie vermisst. Diese kratzige, dunkle Stimme, die leicht brach, wenn Bela lachte. Farin lächelte schwach, atmete zittrig durch.

Seit dem Vorfall im Krankenhaus hatte er ihn nicht mehr gehört, war auch ganz froh darüber. Nach einigen Tagen glaubte er, er habe das im Koma geträumt. Aber anscheinend war es nicht so.

„Hörst du überhaupt zu, man? Hey, ich sterbe nur einmal, lass dir das nicht entgehen!“

Bela grinste schief, tätschelte Farins Knie, musterte ihn mit solch einem Lachen in den Augen, wie Farin es nur bei Bela kannte.

„Ich meine, wenn du mich schon killst, solltest du auch aufpassen, was man so über mich labert.“

Das Beben wurde stärker und Rodrigo besorgter.

„Alles okay?“, fragte der Chilene leise.

„Ja, Jan. Alles okay?“ Bela grinste.

„Möchtest du rausgehen?“

„Ach, Rodrigo, zuvorkommend wie eh und je. Ihn vermisse ich auch ganz schön. Na, Süßer?“ Bela lehnte sich über Farin hinweg und musterte Rodrigo aus nächster Nähe.

„JETZT HALTET DOCH ENDLICH MAL EURE VERDAMMTE KLAPPE, HERRGOTT NOCH MAL!!!!!“

Mit einem Satz stand Farin, verließ so schnell es seine Verletzungen zuließen, die Kirche, ignorierte die verstörten, verwirrten, teils vorwurfsvollen, teils mitfühlenden Blicke der Trauernden, ließ Rodrigo und Bela wo sie waren und stieß die schweren Holztüren auf, trat nach draußen.

Mit einem herzzerreißendem Heulen sank Farin auf die Knie, sank in den Schotter vor der Kirche und fing an zu weinen. Es war kein Weinen wie im Film, nein. Es war ein heiseres, angsteinflößendes und herzzerreißendes Weinen. Eines, welches nur von einem Menschen kommen konnte, der die Liebe seines Lebens, den Sinn und die Hoffnung verloren hatte.
 

„Mach dir nicht ins Hemd, ey.“
 

Farin zitterte, wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht, blickte langsam auf. Sah Bela in die Augen.

Mit einem sachten Schmunzeln auf den Lippen ging Bela vor ihm in die Hocke, strich ihm durch die Haare.

„Is ja gut, Großer.“

Bela war nie gut darin, die richtigen Worte in solchen Momenten zu finden. Normalerweise war Farin immer derjenige, der Bela trösten musste. Doch in wenigen Momenten war es umgekehrt. Damals, in jungen Jahren, als Farin von seiner ersten großen Liebe verlassen wurde. Oder vor 2 Jahren, als seine Mutter starb. Oder als sein Hund das Zeitliche segnete.

Da war auch Bela für ihn da. Meistens waren es ungelenke Worte, simple, abgedroschene Phrasen, doch Farin halfen sie, weil er wusste, dass sie von Herzen kamen. Bela war in solchen Situationen nicht besonders wortgewandt, eher im Gegenteil. Er setzte auf Körpernähe, strich Farin über den Rücken, durch die Haare, gab ihm einen freundschaftlichen Kuss, ließ ihn einfach an sich lehnen.

So auch jetzt.

Belas Lächeln ließ Farins Herz zerspringen.

Langsam strich Bela ihm durch die Haare, kraulte seinen Nacken sanft.

„Ich glaube, ne Tasse Tee und eine Runde Schlaf würde dir guttun, mh?“

Farin nickte langsam. Ja. Schlafen. Bela hatte wohl recht…

So schloss er die Augen, sank komplett zusammen und kippte zur Seite.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Toozmar
2012-03-26T18:00:45+00:00 26.03.2012 20:00
was hab ich mich gefreut als mich die Nachricht angelächelt hat... XD

einfach klasse. Super geschrieben und herzerreißend. Musste mir ab und an schon eine Träne verkneifen.

Ich bin weiterhin gespannt wie es weiter geht =)


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