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Trust me

Eternal Chronicles
von

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Sie sind keine Menschen.

Am nächsten Tag gab es es eine weitere Leiche.

Für die meisten Schüler war es lediglich ein nerviger Umstand, dass sie nun nicht den direkten Weg durch den Park, sondern einen Umweg gehen mussten, für mich war es aber viel mehr.

Es war meine Schuld. Wäre ich am Abend zuvor in den Park gegangen, um die Lakaien zu bekämpfen, wäre das nicht geschehen. Ich hätte es verhindern können.

Der Schultag ging an mir vorüber, ohne dass ich sonderlich viel davon mitbekam, weil ich mir immer nur vorstellen musste, wie diese Person auf einen Lakai getroffen und getötet worden war, noch bevor sie verstanden hatte, was eigentlich vor sich ging.

Die Stimmen der anderen vermengten sich zu einem Chor, dessen genaue Worte ich nicht mehr verstand, aber auch so unerheblich war, dass es vollkommen egal war, was gesagt wurde.

Mechanisch schrieb ich alles mit, was an die Tafel geschrieben wurde, ohne etwas davon in mich aufzunehmen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich das richtige mitschrieb.

Isolde blieb den ganzen Tag über still, aber ich war mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen oder es schlecht finden sollte. So gab es nämlich nichts und niemanden, der mich von meinen finsteren Gedanken abhielt, die sich immerzu im Kreis drehten und dabei alles blutrot färbten …

Erst als der Schultag sich dem Ende neigte, hörte ich erstmals wieder Isoldes Stimme und sie kam mir wie eine Erlösung in diesem Chaos vor: „Nun mach dich nicht so fertig. Stell dir doch lieber vor, dass der Tote irgendein ganz krummer Hund war. Wer sollte sonst um die Zeit im Park herumlaufen?“

Du meinst, außer Leuten wie mir?

Oder Shou. Aber bei dem hätte ich kein … nein, ich konnte es mir nicht einreden. Selbst wenn Shou derjenige gewesen wäre, der getötet worden war, hätte ich mir Vorwürfe gemacht. Nur weil ich jemanden nicht leiden konnte, bedeutete das immerhin nicht, dass ich wollte, dass dieser Person etwas zustieß.

Aber der Gedanke war auch überflüssig, denn Shou ging es ziemlich gut. Ich hatte ihn vor der Schule gesehen, er hatte gegrinst und sich mit Subaru unterhalten, deswegen wusste ich das so genau.

„Wenn du nicht willst, dass es dir noch einmal so geht, solltest du dich eben wirklich an deine Arbeit halten“, mahnte Isolde, was mir so gar nicht weiterhalf.

Als die Schulglocke das Ende des Tages verkündete, war ich regelrecht dankbar. So schnell ich konnte, packte ich meine Sachen zusammen und begab mich in Richtung Ausgang. Doch ich war kaum aus dem Klassenzimmer getreten, als ich hörte, wie jemand meinen Namen rief. Ich hielt inne und wandte mich Konara zu, die gerade auf mich zukam. „Hallo, Vartanian-san.“

Es war seltsam, sie heute in Schuluniform zu sehen – auch wenn ihre anders aussah als die der anderen Schüler. Sie trug ein weißes Hemd und einen knielangen schwarzen Rock, noch dazu fast kniehohe schwarze Stiefel. Warum durfte sie so anders herumlaufen als wir anderen?

„Hallo, Kashi-san.“

Ich fragte mich, ob ich etwas falsch gemacht hatte beim Training gestern, aber ihre nächsten Worte beruhigten mich sofort: „Hast du nach der Schule etwas vor?“

Wahrheitsgemäß schüttelte ich mit dem Kopf und erwähnte natürlich nicht, dass ich mir immer noch Gedanken über die Leiche machte und dass es meine Schuld war. Ich zeigte nach außen hin nicht einmal, dass es mir etwas ausmachte.

„Würdest du dann mit mir essen gehen?“

Das überraschte mich wirklich. Wer rechnete denn damit, zum Essen eingeladen zu werden. Offenbar war meine Überraschung deutlich zu sehen, denn Konara erklärte sofort: „Du bist doch neu hier, nicht wahr? Und du bist in meinem Verantwortungsbereich. Ich möchte dir gern beim Einleben helfen.“

Das war ein so großzügiges Angebot, das ich nicht im Mindesten gewöhnt war, dass meine einzige Reaktion daraus bestand, zu nicken. Ich kannte Konara kaum, aber sie schien mir eine angenehme Gesellschaft zu sein, deswegen sprach nichts dagegen.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, dann setzte sie sich in Bewegung und ich schloss mich ihr sofort an.

„Magst du scharfes Essen?“, fragte sie mich nach wenigen Schritten.

Wäre ich ein wandelndes Klischee, wie man sie aus Anime kannte, hätte ich nun zu strahlen und zu sabbern angefangen. Aber glücklicherweise war ich davon weit entfernt, deswegen konnte ich mich beherrschen. „Ich mag es sogar sehr.“

Und das war noch untertrieben, ich liebe scharfes Essen. Wasabi ist eines der besten Dinge, die ich jemals in meinem Leben gegessen habe.

„Das ist schön“, sagte Konara mit einem feinen Lächeln. „Dann lass uns Mābōdōfu essen gehen.“

Mābōdōfu. Davon hörte ich zum allerersten Mal, aber ich war bereits gespannt, besonders wenn es tatsächlich scharf war – und ich hoffte darauf, weil ich nach einer solchen Nachricht wie am Morgen wirklich etwas Scharfes brauchen konnte.

Schweigend ging ich neben Konara her. Sie führte mich in einen Einkaufsbezirk, nicht weit von der Schule entfernt. Die kleinen Läden wirkten heimelig, teilweise ein wenig, als könnte man verborgene Schätze entdecken, wenn man sich nur die Zeit nahm, sich im Inneren ausgiebig umzusehen. Wann immer ich einen Blick hinein erhaschte, sah ich eine ältere Frau hinter einem Tresen sitzen und eifrig stricken. Viel Kundschaft gab es in dieser Gegend wohl nicht.

Anders sah es in dem kleinen Restaurant aus, in das Konara mich führte. Fast jeder Tisch und jeder Platz am Tresen war besetzt, nicht nur mit Schülern, sondern auch mit Geschäftsmännern, die sich lachend miteinander unterhielten, während sie ihre Biere leerten.

Ein einziger Tisch war noch frei und an diesem ließen wir uns nieder. Der Dialekt der Bedienung war so stark, dass ich kaum ein Wort verstand, aber Konara übernahm es direkt, für uns beide zu bestellen. Wasser und zweimal Mābōdōfu mit Reis. Ich fragte mich immer noch, worum es sich dabei handeln mochte, beschloss aber, mich überraschen zu lassen und lieber etwas anderes zu fragen: „Warum trägst du eigentlich eine ganz andere Schuluniform?“

Ein wenig neidisch war ich schon, immerhin war ihre Uniform wesentlich weniger freizügig und wäre mir daher auch um einiges lieber gewesen. Aber Konara schien sich daran zu stören, denn sie runzelte ihre Stirn. „Ich bin eigentlich auch erst vor kurzem an die Monobe Akademie gewechselt. Mir wäre es lieber, ich hätte bereits eine normale Uniform. Aber mir wurde gesagt, dass es eine Weile dauern könnte ...“

Sie war erst vor kurzem gewechselt und bereits Teamleiterin beim Kendō? Sie bemerkte meine Verwunderung darüber wohl, denn sie holte sofort zu einer Erklärung aus: „Ich war an meiner alten Schule schon Teamleiterin und weil an der Monobe Akademie gerade der Posten freigeworden war, habe ich mich dafür beworben.“

Gut, das klang schlüssig. Außerdem hatte es zumindest am Vortag so gewirkt, als wäre sie wirklich an Kendō interessiert und dann war der Posten erst recht das Richtige für sie.

Dann interessierte mich aber noch etwas anderes: „Hast du privaten Kontakt zu Seraphca?“

Glücklicherweise wusste sie sofort, worauf ich anspielte, so dass ich nicht weiter erklären musste. Sie zuckte mit den Schultern. „Eigentlich habe ich eher Kontakt mit Epirma-san.“

Es kam mir vor, als hätte ich in eine Zitrone gebissen und mein Gesicht sah auch genauso aus. Wie konnte man nur freiwillig Kontakt mit diesem Kerl suchen? Klar, Subaru war vermutlich einfach sehr gutherzig, aber Konara hätte ich mehr zugetraut.

„Er ist eigentlich ganz in Ordnung“, sagte sie, da sie sich wohl bemüht fühlte, ihn zu verteidigen. „Manchmal lässt er sich nur in die falsche Richtung lenken. Wenn man aber weiß, wie man mit ihm umgehen muss, kommt man gut mit ihm klar.“

Eigentlich konnte ich mir das nicht vorstellen, aber wenn sie das meinte … Solange er nicht versuchen würde, uns gegeneinander auszuspielen, sollte mich das aber auch nicht weiter stören.

Als unsere Getränke kamen, stellte ich mit einem demonstrativ großen Schluck klar, dass ich über dieses Thema nicht weiter sprechen wollte und Konara tat mir diesen Gefallen.

Das Thema danach gefiel mir nur noch weniger: „Vartanian-san, du lebst doch neben dem Park, oder? Ist dir nachts einmal etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“

Ich fragte mich, was sie wohl über alles wusste. Hatte Shou sie eingeweiht? Wollte sie mich hier nur auf die Probe stellen? Oder wusste sie nichts, sondern ahnte nur etwas?

Schlussendlich entschied ich mich, so zu tun als wüsste ich nichts. „Nein, ist mir nicht. Für mich ist es eigentlich nur ein Park. Wäre er morgens nicht hin und wieder abgesperrt, würde ich ihn nicht mal seltsam finden.“

Sie schien ein wenig enttäuscht, aber wohl eher, weil sie mehr Informationen erwartet hatte. „Oh, ich verstehe. Ja, es werden ziemlich oft Leichen dort gefunden.“

Obwohl die Stimmung im Lokal im Allgemeinen fröhlich war, schien uns beide eine düstere Kuppel zu umgeben. Ich wollte sie irgendwie durchbrechen, aber ich war noch nie gut darin gewesen, über lustige, nicht so ernste Themen zu sprechen. Und Konara legte wohl nicht sonderlich Wert darauf, denn sie fuhr genauso düster fort: „Weißt du, was das Seltsame an den Leichen ist, die gefunden werden? Sie sind keine Menschen.“

Mir fuhr ein Schauer über den Rücken, als ich direkt an die Lakaien denken musste. Sie sahen aus wie Menschen, waren aber keine. Waren diese Leichen etwa Lakaien?

„Sie sehen aus wie Menschen“, fuhr Konara fort. „Aber sie sind keine. Und jede Leiche verschwindet nach einigen Tagen, deswegen kommt die Polizei auch nicht weiter.“

„Woher weißt du das?“, fragte ich.

„Ich weiß, es klingt verrückt.“ Es war, als hätte sie mich gar nicht gehört. „Aber du musst mir glauben, sie sind keine Menschen.“

„Was sind sie dann?“

Sie antwortete nicht, ihr Blick hing wie hypnotisiert auf ihrem Glas Wasser, ich glaubte, die Anspannung direkt in meinem Körper spüren zu können – und dann, als wäre ein Schalter umgelegt worden, war dieser Moment plötzlich vorbei. Konara blinzelte mehrmals, während sie mich wieder ansah. „Tut mir leid. Ich habe dich nicht eingeladen, um dir so seltsame Dinge zu erzählen. Eigentlich ist das auch nur eine Verschwörungstheorie, die im Internet umgeht.“

Das erschien mir wie eine billige Ausrede, besonders wenn ich an die Lakaien dachte, aber ich konnte ihr das schlecht an den Kopf werfen, ohne mich dabei nicht selbst zu verraten. Also ließ ich das Thema einfach fallen, beschloss aber, es im Hinterkopf zu behalten und bei einer besseren Gelegenheit noch einmal zur Sprache zu bringen.

Zu unserem Glück kehrte die Bedienung zurück und stellte vor uns beide jeweils eine Porzellanschüssel ab. Auf einem Bett aus Reis befand sich eine rot-braune Soße mit Hackfleisch Tofustücken. Ich konnte die Schärfe regelrecht riechen, sie stach mir in die Nase – und ich liebte Mābōdōfu bereits dafür, noch bevor ich einen Bissen genommen hatte.

„Die Soße wird hier noch mit Szechuanpfeffer gemacht“, erklärte Konara. „Deswegen esse ich hier am liebsten. Überall anders wurde das Gericht bereits entschärft, weil es für viele zu scharf ist.“

Das klang vielversprechend. Ich nahm den bereitgestellten Porzellanlöffel, nahm ein wenig Reis und Soße auf und kostete.

Ob es die Schärfe oder die Freude war, die mir Tränen in die Augen trieb, wusste ich nicht so recht, aber in diesem Augenblick wusste ich, dass ich meine absolute Leibspeise gefunden hatte – und allein dafür hatte sich die Verbannung nach Japan gelohnt. Ich war fast schon glücklich, dass meine Eltern mich ans andere Ende der Welt geschickt hatten, wenn es hier eine solche Köstlichkeit gab.

Begierig aß ich weiter, um noch mehr von dieser Schärfe in mir aufzunehmen. Konara betrachtete das mit einem sanften Lächeln, während sie ebenfalls zu essen begann, wesentlich vorsichtiger als ich.

Der Geschmack des Szechuanpfeffers und des darin gekochten Tofus nahm mir meine Sorgen und Gedanken des Vormittags. Für diesen Moment fühlte ich mich nicht mehr schuldig und ich dachte auch nicht mehr darüber nach, was Konara eben noch gesagt hatte. In diesem Moment war endlich einmal alles gut und ich wollte es so lange genießen, wie es mir möglich war, ohne mir Schuldgefühle machen zu müssen oder an Leute zu denken, die ich nicht leiden konnte.

Während dieses Gerichts gab es nur noch die Schärfe und mich – und das war auch gut so.



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