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Nummer 35.679

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Nummer 35.679

Sicher war es schon später Nachmittag, oder vielleicht doch gerade mal Mittag? Er war sich dem nicht sicher. Würde er seinen Blick von der dreckigen Zimmerdecke abwenden und der tickenden Uhr einen Blick schenken, so würde er die Uhrzeit kennen... Jedoch war er dazu nicht in der Lage. Sein Gehirn spielte gerade wieder Gedanken ab, die er lieber vergessen mochte.
 

Vergessen... Leider konnte er dies nicht. Er kann Nichts vergessen, selbst wenn er es wollte. Jeder andere würde mit seinem Fotografischen Gedächtnis wohl verrückt werden. Auch er hatte manchmal das Gefühl verrückt zu sein. Es gab Momente, da konnte er Realität von Erinnerung nicht mehr unterscheiden.
 

"Jeden Tag, jede verdammte Sekunde, kannst du dich an jeden Toten, an jedes tote Augenpaar erinnern, das du je gesehen hast?", Dougs blaue Augen blickten ihn durchdringend an.

Ein Nicken und ein Grinsen seinerseits. Warum er grinste wusste er nicht... Ah, stimmt. Lavi grinste fast immer.
 

Nun wirkte es so, als würden ihn die blauen Augen mitleidig ansehen. "Das tut mir leid, Lavi."

Der Finder streckte die Arme nach ihm aus und umarmte ihn. Warum tat es ihm leid? Warum umarmte er ihn? Wollte Doug ihm Trost spenden? Aber er brauchte keinen Trost. Die Toten waren nur Zahlen, die er sich merkte und auf ein Blatt Papier niederschrieb.
 

Nichts weiter. Nur Zahlen.
 

Zahlen.
 

Warum konnte Doug nicht auch zu diesen Zahlen gehören?
 

Warum war es immer noch Doug? Und nicht Nummer 35.679?
 

"Warum?", hauchte er. Seine Finger krallten sich an die Mappe, in der er den Tot von Nummer 35.679 - Nein. Den Tot von Doug, beschreiben sollte. "Verdammt warum?!"

Die Mappe flog durch sein Zimmer und prallte mit einem Knall gegen die Wand und ging zu Boden.
 

Wieder kamen ihm die Tränen. Egal wie oft er sie wegwischte, sie kamen immer wieder. Er hatte es nie geschafft gar nichts zu fühlen, er hatte immer Gefühle gehabt... Nur waren sie nie so stark gewesen. Er wusste nicht, wie er mit diesem Gefühl umzugehen hatte.
 

Was fühlte er überhaupt?
 

Hass? Hass, der sich gegen die Akumas richtete?
 

Trauer? Weil Doug gestorben war?
 

Wut? Weil er es nicht verhindern konnte, das Doug zum Akuma geworden ist? Weil Doug durch seine Hand gestorben ist?
 

Er wusste es nicht.
 

...Aber wann hat es angefangen, dass er etwas für den jungen Finder empfand?
 

Diese Gefühle kamen so schleichend leise, das er es einfach nicht wusste. Er hatte Angst. Angst vor diesen Gefühlen. Sie waren einfach so stark. Sie brachten ihn zum weinen, sie gaben ihm das Verlangen zu schreien, sie gaben ihn Bauchschmerzen, sie nahmen ihm sein Hungergefühl, sie brachten ihn um den Schlaf... Und was noch viel schlimmer war; sie brachten ihn um den Verstand.
 

Er wollte sich nicht daran erinnern. Er wollte sich nicht daran erinnern, wie Doug durch die Flammen seines Innocence zu Asche wurde. Seine Gedanken machten ihn verrückt. In seinen Kopf spielten sich Gedanken ab, die er das erste mal dachte.
 

Vielleicht sollte er seinen Kopf gegen die Wand hauen, so oft, bis er alles über Doug vergaß.
 

Diese Gedanken beunruhigten ihn. Er fühlte sich erdrückt, bekam plötzlich schwer Luft. Sofort richtete er sich auf, zog seine Stiefel an und verließ sein Zimmer mit schnellen Schritten und ging. Wohin er ging wusste er nicht. Hauptsache weg von seinem Zimmer.
 

Sein Kopf spielte wieder alle Erinnerungen ab, die sich um Doug drehten. Doug, der ihn erst nicht vertraute und nicht mochte. Doug, der ihn anlächelte. Doug, der ihn mitleidig ansah und ihn umarmte. Doug, der ihn Freund nannte. Doug, der zu ihm sagte, das er daran glaubte, das Lavi Gefühle hatte.
 

Lavi sollte eine Persona sein, die es leichter machte, die bisschen Gefühle, die er empfand, vor Bookman zu verstecken. Aber nun sind aus dem kleinen Gefühlen große Gefühle geworden, die ihn verwirrten und erdrückten.
 

Seit wann hatte er die Kontrolle über diese Persona verloren? Wann wurde Lavis gespieltes Lachen, zu einem echten, gefühlvollen Lachen?
 

Bookman hatte ihn weinen sehen. Er konnte Bookmans undefinierbaren Blick vor sich sehen, als er ihm sagte, das er es gut gemacht hatte... Und ihn dann mit Dougs Asche zurück ließ.
 

Gramps war sicher enttäuscht. Hatte er doch so viel Arbeit in ihn reingesteckt, um ihn auszubilden... Und nun? Er hatte Gefühle! Er wusste das er diese Gefühle nicht mehr los werden würde. Sie klebten an sein Herz und brachten es dazu, im schnellen Rhythmus zu schlagen. Dabei sollte er doch kein Herz haben. Er musste sie vor Bookman verstecken.
 

Er musste es.
 

Seine Beine stoppten. Überrascht stellte er fest, das er draußen war. Warum war er hier? Sein Blick richtete sich auf eine Person, die auf einer Wiese trainierte. Elegant und geschmeidig waren dessen Bewegung. Fast wie ein Tanz. Ein schöner Tanz, der aber leider für dessen Tanzpartner oft den Tot bedeutete.
 

Ein kleines Lächeln schlich über seine Lippen. Mit seinem Ärmel wischte er sich die Tränen weg, ehe er sich auf den Baumstumpf setzte, auf dem er immer saß... Nur diesmal ohne ein Buch.
 

Ohne es zu merken, hörte er auf an Doug zu denken. Sein Blick klebte an der Person fest, die mit ihrem Innocence die Luft zu schneiden schien.
 

Das scharfe Innocence stoppte, senkte sich langsam. Er spürte, den Blick, der auf ihn lag und erwiderte ihn. Diese blauen Augen, schienen ihn zu durchstechen und in sein Inneres zu schauen. Dieses Gefühl hatte er immer, wenn ihn der Asiate so ansah.
 

Ein schiefes Grinsen bildete sich auf seinen Lippen und brachte den anderen zum schnauben, ehe dieser sich in Bewegung setzte. Es wirkte so, als würde er genau auf ihn zu kommen... Aber es wirkte nur so. Stattdessen ging er ganz nah an ihm vorbei. Ob er davon wusste? Wusste er schon über Dougs Tot bescheid?
 

"Yuu."
 

Dieser blieb nicht weit entfernt hinter ihm stehen. Er hörte wie dieser sich umdrehte und die Luft mit seinem Innocence zerschnitt. Yuu hatte Mugen auf ihn gerichtet. "Hör auf mich so zu nennen, oder ich schlitze dich auf.", zischte dieser drohend.
 

Aber Lavi störte es nicht. Es hatte ihn nie gestört, wenn dieser sein Innocence auf ihn richtete. Es ist einfach alltäglich geworden... So makaber es auch für andere klingen mag.
 

"Besuchst du mit mir Dougs Grab?"
 

Es wurde still zwischen ihnen. Er lauschte, hörte wie Mugen in seine Schwertscheide verschwand und Yuu sich mit einem leisen Seufzen in Bewegung setzte.
 

Ein leises Lachen seinerseits und er stand auf, beeilte sich um den anderen aufzuholen, um dann neben ihn her zu gehen. Sie redeten nicht und es war auch gut so. Ihm war nicht nach reden zu mute. Er wollte einfach nur, das Yuu ihn begleitete. Warum Yuu? Er wusste es nicht genau. Er vertraute ihn... Ja, wenn er so darüber nachdachte, dann vertraute er den Japaner.
 

Er musste leise kichern, auch wenn er so Yuu dazu brachte ihn skeptisch anzusehen. Andere würden ihn den Vogel zeigen. Yuu vertrauen. Aber er vertraute ihm wirklich. So oft hatte Yuu schon sein Leben gerettet. Ja, er vertraute ihm sein Leben an.
 

Schmunzelnd bückte er sich kurz und pflückte eine Blume, die ihm im Gras aufgefallen war.
 

Am Friedhof der Order angekommen, suchten sie das Grab von Doug. Noch immer schweigend blieben sie dann vor dem gefundenen Grab stehen. Sein Blick flog über die Buchstaben, die den Grabstein verzierten, ehe er in die Hocke ging und die Blume auf das Grab legte.
 

Es war die erste Blume, die er je auf ein Grab gelegt hatte. Nie zuvor hatte er Trauer verspürt. Nie zuvor hatte er das Verlangen gespürt, einem Toten eine Blume zu schenken. Ein bitteres Lachen entrann seiner Kehle. "Ich glaube...", fing er leise an. Seine Stimme kratzte. "Ich habe Gefühle."
 

So wie er es sagte, klang es so, als hätte er Yuu gerade gesagt, dass er eine schlimme Krankheit hätte. Aber vielleicht war es auch so. Bis jetzt wirkten diese starken Gefühle mehr wie eine Krankheit auf ihn.
 

Er richtete sich wieder auf, drehte sich um und schenkte Yuu ein ehrliches Lächeln. Er spürte es, das dies nicht Lavis falsches Lächeln war... Sondern seines. Sein echtes Lächeln. "Yuu, ich vertraue dir mein Leben an.", er ging einen Schritt auf den Japaner zu. Dessen Blick verriet nichts, sondern schien wieder ihn zu durchstechen und in seine Seele hineinzusehen.
 

"Diese Gefühle beunruhigen mich."
 

Gefühle waren zu Unglaublichen in der Lage. Es beunruhigte ihn sehr.
 

"Wenn Doug wegen meiner Trauer wieder zu einem Akuma wird, dann bring mich um."
 

Denn mit solch einer Schuld wollte er, und konnte er nicht leben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kuare
2012-07-14T17:32:33+00:00 14.07.2012 19:32
Aaaaaah, ich will das unbedingt weiter lesen.
Ich bin richtig fasziniert von deiner Geschichte - keine ahnung was ich noch sagen soll. Öhm...wird es eine Fortsetzung geben?
Von:  Diabolo_17
2012-04-20T08:41:07+00:00 20.04.2012 10:41
Awwww, vielen Dank für die Widmung *hug*

Du stellst Lavi wirklich gut dar, so wie er mit sich ringt und seine Gefühle abschalten will, aber nicht kann. Seine Verzweiflung und seine Traurigkeit Doug gegenüber und nicht der Nummer 35.679.
Ich kann mir schon vorstellen, dass es für ihn wie eine schlimme Krankheit sein muss, plötzlich zu fühlen. Er als Bookman Nachfolger darf so etwas nicht.
Eigentlich tragisch, dass er Kanda bittet, ihn im schlimmsten Fall umzubringen. Nur weiss ich nicht, ob Yuu ein weiteres Mal so kaltblütig ist und das auch tun könnte. Vielleicht wenn sein Leben bedroht ist, so wie damals bei Alma.

Schade, dass es nur so ein kurzer OS ist, würde doch so gerne weiter lesen, aber das weisst du ja schon :D

Lg. Dia


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