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Die Entscheidung

Kampf, Schmerz, Entscheidung
von

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Kampf

Es war bereits Nacht und alle anderen schliefen schon. Er hatte sich dazu bereit erklärt die erste Nachtwache zu übernehmen, während die anderen sich die nötige Ruhe gönnten. Sie waren gezwungen die Nacht draußen zu verbringen, da sie allesamt müde und ausgelaugt waren und die nächste Stadt gute drei Stunden Fußmarsch entfernt lag. Der Kampf an dem gerade vergangenen Tag war anstrengend und lang gewesen. Mindestens fünfzig Level 1 Dämonen, angeführt von fünf Level 2 waren ihnen zuvor gekommen und wollten das Innocence zum Grafen bringen, damit dieser es zerstören konnte. Doch mit vereinter Kraft hatten sie es letzten Endes geschafft diese besondere Kraft Gottes zu bergen und alle die gequälten Seelen zu retten.

Nun saß er da, die Beine angezogen, beide Arme darum geschlungen und das Kinn auf die Knie gebettet und starrte in die kleiner werdenden Flammen. Sein Gesichtsausdruck ließ Sorge und Traurigkeit erkennen. Dinge, die er bis vor einigen Wochen nie gezeigt hatte. Doch mittlerweile waren sie so stark, dass sie nicht mehr mit einem fröhlichen Lachen zu überdecken waren.

Seine Gefühle hatten eine sehr beunruhigende Richtung eingeschlagen. Und als er es richtig registriert hatte, konnte er sie schon nicht mehr ignorieren. Zu Beginn hatte er seine Zuneigung für den anderen Exorzisten als Freundschaft ab getan. Doch je mehr Zeit er mit diesem verbracht hatte, desto stärker wurde die Verbundenheit und er konnte nicht länger weg sehen. Er hatte sich eingestehen müssen, dass er ihn wirklich liebte. Doch das war nicht das, was ihm am meisten Sorgen bereitete.

Er konnte es sich nicht erlauben jemanden zu lieben. Geschweige denn überhaupt Gefühle gegenüber jemandem zu entwickeln. Er war ein Bookman. Jemand der am Rande des Lebens existierte und nur dazu da war die Geschichte aufzuzeichnen und für die Nachwelt abrufbar zu machen. Es war ihm untersagt Gefühle zu haben, da sie seine unparteiische Objektivität zunichte machten. All die Menschen, mit denen er in Berührung kam waren nur Tinte auf Papier. Zumindest sollten sie es sein. Und er hatte es sich auch lange Zeit eingeredet. Aber Gefühle und Emotionen kann man nicht ignorieren. Denn, wenn man sich abstreitet werden sie nur noch stärker. Das hatte der Rothaarige mittlerweile am eigenen Körper erleben dürfen.

Sein Meister war sicher böse auf ihn. Zwar hatte dieser ihn in letzter Zeit nicht mehr darauf angesprochen, doch er wusste, dass sein Alter ahnte, was er durchmachte. Und im Endeffekt musste er sowieso selber damit klar kommen.

Er hatte sich eingestanden, dass er Allen liebte, damit er nicht verrückt wurde. Und seither war sein innerer Kampf auch abgeschwächt. Aber jetzt? Was war der nächste Schritt, um seine Gefühle zu verlieren, damit er ein echter Bookman werden konnte? Er wusste es nicht; und je mehr er darüber nachdachte, desto weiter entfernte sich die Lösung von ihm. Aber er konnte einfach nicht anders. Seine Gedanken kreisten immer wieder um diese eine Sache. Um diesen einen jungen Exorzisten. Er war schon nahe dran gewesen seine Ausbildung aufzugeben, nur damit er den schmerzhaften Kampf mit seinen Gefühlen beenden konnte. Doch schnell war ihm bewusst geworden, dass das nicht des Rätsels Lösung war. Seitdem schwamm er innerlich auf unsicherem Eis. Immer wieder nahe daran den Halt zu verlieren und zu ertrinken.

Sein Blick schweifte vom Feuer weg und zu dem Weißhaarigen, welcher seelenruhig schlief. Er hatte die erste Nachtwache übernommen, weil er genau wusste, dass er nicht schlafen konnte. Das kam immer häufiger vor, wodurch seine körperliche Ausdauer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Aber nicht nur das hatte seine Freunde darauf aufmerksam gemacht, dass etwas mit dem jungen Bookman nicht stimmte. Er war zunehmend abweisender, stiller und weniger fröhlich geworden. Manchmal reagierte er sogar schon so sehr wie Kanda Yu. Allerdings war ihm nicht entgangen, dass dieser sich ebenfalls zu verändern schien. Kanda wurde zunehmen etwas freundlicher und war nicht mehr ganz so kalt und abweisend. Es kam ihm so vor, wie wenn sie die Rollen tauschen würden.

Ein bitteres Lächeln legte sich auf seine Lippen, während seine Augen immer noch voller Schmerz und Verzweiflung waren.
 

Diese Mission hatten sie zu viert bestritten. Seine drei besten Freunde waren mit dabei gewesen: Allen Walker, Yu Kanda und Lenalee Lee. Ja, er nannte sie Freunde. Auch wenn er wusste, dass es nicht gut war. Das wusste er nur zu gut. Doch es machte die Sache auch nicht besser, wenn er seine Gefühle abstritt.

Verkrampft verbarg er das Gesicht in den Armen. Er fühlte sich wieder so hilflos und verlassen. Er dachte er würde es schaffen alleine die Welt zu bereisen und die Geschichte aufzuzeichnen. Er hatte versucht keine Gefühle zu entwickeln. Doch es war schwerer, wie er erwartet hatte. All dieser Schmerz und die Verzweiflung arteten mittlerweile hin und wieder in leichten Depressionen aus. Die Dunkelheit wurde für ihn immer mehr Freund und Begleiter. Aus einem lebensfrohen, humorvollen, witzigen und ausgelassenen Jungen, war ein zerbrechlicher, schweigsamer und trauriger junger Mann geworden.
 

„Lavi? - Ich löse dich ab!“ Der Angesprochene zuckte heftig zusammen und riss den Kopf hoch. Er blickte in die klaren, besorgten Augen von Lenalee. „Du hast das Feuer ausgehen lassen. - Ist dir kalt?“

Er hatte begonnen zu zittern. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Es würde ihn nicht wundern, wenn er noch daran stürbe.

„Verzeihung! - Danke, dass du mich ablöst“, erwiderte Lavi nur leise und trocken, stand auf und kuschelte sich in seinen Schlafsack. Er konnte noch genau Lenalees besorgten Blick auf sich spüren, ehe sie das Feuer erneut entfachte. Augenblicklich wurde es wärmer. Doch die Wärme konnte die Kälte und Verzweiflung in seinem Innern nicht vertreiben, weshalb er nicht schlafen konnte. Und so döste er nur hin und wieder bis zum Morgengrauen, als die anderen beiden wieder aufwachten.

Seine drei Freunde machten sich gleich an das spärliche Frühstück, das sie noch hatten. Doch Lavi ließ die Finger davon und begann seinen Schlafsack einzupacken. Er hatte mal wieder keinen Hunger. Plötzlich tauchte eine wohl bekannte Hand mit einem Reisbällchen vor seiner Nase auf. Er wagte nicht den Blick zu heben.

„Iss! - Bitte!“ Allens Stimme war fast flehend. Einen Moment zögerte er. Doch er konnte ihm selten etwas ablehnen. Also nahm er das Reisbällchen und bedankte sich bei seinem Freund. Aber schon beim ersten Bissen wurde ihm speiübel und er musste sich zwingen das Bisschen zu essen, was der immer hungrige Allen ihm gegeben hatte. Aber für ihn würde er alles tun. Ja, wirklich alles, worum dieser ihn bitten würde. Leise seufzend ließ er kurz den Kopf hängen. Dann riss er sich aber zusammen, schüttelte sich kurz, um die düsteren Gedanken los zu werden und half dann den Rastplatz aufzuräumen.

Wenige Minuten später waren sie schon wieder unterwegs zur nächsten Stadt.
 

„Was ist mit dir los, Lavi?“, brach die Siebzehnjährige das Schweigen. Alle Blicke waren auf ihn gerichtete und sein eigener verfinsterte sich. Er konnte nichts wirklich darauf antworten. Auch wenn er nur zu gerne endlich jemanden hätte, um darüber zu reden.

„Ihr würdet es nicht verstehen“, erwiderte er nur leise. Nein, sie würden es sicher nicht verstehen. Sie waren ja nicht in seiner Lage. Und wieso sollten sie sich um einen Bookman kümmern? Er würde eines Tages eh verschwinden, um seiner eigenen Arbeit nach zu gehen...

„Du versuchst ja noch nicht mal es uns zu erklären!“ Allen klang vorwurfsvoll und es stach ihm im Herz. Kurz biss sich Lavi auf die Unterlippe.

„Das kann ich nicht!“
 

Und er war der erste der reagierte. Sein Hammer vergrößerte sich und blockte den Angriff des Dämonen ab, der hinter ihnen aufgetaucht war.

„Nicht schon wieder!“, stöhnte Allen. „Es kommen noch mehr!“ Mit seinem linken Auge konnte der weißhaarige Exorzist erkennen, wer ein Dämon war und wo er sich versteckte.

„Verdammt! Wir sind alle nicht in der Verfassung für einen weiteren Kampf“, sagte Lenalee besorgt.

„Geht vor und bringt das Innocence ins Hauptquartier! Wenn ich hier fertig bin komm ich nach!“ Der Rothaarige wurde erschrocken von den anderen angesehen.

„Na, macht schon!“, rief er, als eine Salve der tödlichen Geschosse auf sie regnete. Zum Schutz hatte er seinen Hammer noch einmal vergrößert.

„Allen, Kanda! Ihr bringt das Innocence in Sicherheit! Ich komm mit Lavi nach“, sagte Lenalee entschlossen.

„Aber-“, wollte Allen gerade einwenden. Doch Kanda zog ihn einfach hastig mit sich.

Lavi machte sich sogleich daran, die Dämonen aus dem Weg zu räumen. Jedoch merkte er schnell, wie ihn die Kräfte verließen. Der Schlaf- und Nahrungsmangel machten sich deutlicher bemerkbar. Das letzte was er mitbekam, war, dass er von einer Explosion erfasst gegen einen Felsen geschleudert wurde. Dann verlor er das Bewusstsein.
 

Als er das nächste Mal erwachte befand er sich liegend in einem Bett. Zuerst wusste er nicht, was mit seiner Umgebung anzufangen, dann erkannte er den Krankenflügen des Hauptquartiers.

„Na endlich!“ Du bist wach“, ertönte eine ihm wohl bekannte Altmännerstimme und er wandte den Kopf zu der Seite von wo sie gekommen war. Sein Meister saß auf einem Stuhl neben seinem Bett.

„Was hast du dir nur dabei gedacht! Miss Lenalee war ganz außer Atem und voller Sorge, als ihr Anruf hier einging. Glücklicherweise waren Walker und Kanda noch in der Nähe. Sonst hätte das richtig böse ausgehen können.“ Die tadelnde Stimme seines Meisters war im Moment das letzte was er brauchte. Seufzend richtete er den Blick wieder an die Decke. Was sollte er darauf schon groß erwidern. Schnell schloss er sein linkes, unversehrtes Auge, bevor der alte Mann mitbekam, dass ihm gerade zum Heulen zu mute war.

„Verzeih mit, Ji-Ji“, krächzte er nur mit belegter Stimme.

„Jetzt ruhe dich erstmal aus. Dir wird es sicher bald wieder besser gehen!“ Oder auch nicht, dachte er bitter.

Senior Bookman stand auf und ließ seinen Schüler alleine.
 

Allein! Ja, er war alleine. So gerne er auch jemanden bei sich haben würde, konnte er es doch nicht ertragen. Er war ein Bookman. Er war dazu bestimmt alleine zu sein. Und doch hatte er Sehnsucht nach ihm. Dem einen den er liebte.

Jetzt konnte er die Tränen nicht länger zurück halten und bedeckte seine Augen mit einem Arm. Man konnte sein leises, unterdrücktes Schluchzen hören.
 

Es vergingen einige Tage bis Lavi sich einigermaßen erholt hatte. Doch durch seinen seelischen Zustand wollte sich auch sein Körper nicht so recht regenerieren. Zwar sprach er auf die Behandlung an, aber der Heilungsprozess zog sich lange hin.
 

Mittlerweile ging es ihm schon wieder gut genug, dass er auf eigene Faust durch das Hauptquartier spazierte. Nur um nicht sinnlos im Bett herum zu liegen. Allerdings verschwanden auch so seine dunklen Gedanken nicht; doch irgendwie erschienen sie ihm erträglicher, wenn er sich bewegte. Er hatte keine große Hoffnung auf eine baldige Besserung. In manchen Momenten wünschte er sich zu sterben und dieser grausamen Welt zu entfliehen. Aber er riss sich immer wieder zusammen und kämpfte weiter. Weil er doch einen Funken Hoffnung gefunden hatte, an den er sich krampfhaft klammerte.

Allen gab auch nicht auf. Er hatte sein Schicksal und seine Aufgabe akzeptiert und kämpfte weiterhin für seine Ziele und Träume. Alleine deswegen, allein für Allen, weil er wusste, dass er selber für diesen ein guter Freund war, kämpfte er weiter. Versuchte für seine Träume und Ziele zu kämpfen. Doch die sollte es eigentlich nicht geben. Das was er sich wünschte, durfte er nicht besitzen.

Trotzdem gab er nicht einfach so auf. Er wollte, dass Allen glücklich war. Und er wusste, dass dieser sicher traurig wurde, wenn er einfach so aufgab und starb. Und genau das wollte er verhindern. Dass der Weißhaarige wegen ihm weinte. An dieses letzte kleinste Fünkchen Hoffnung klammerte er sich, während er durch die Gänge streifte.
 

Seine Füße trugen ihn fast automatisch zur Trainingshalle. Und als er an der offenen Tür vorbei ging, mit dem gerade gewonnen bisschen Mut in seinem Herzen, und einen Blick in den Raum warf, blieb für ihn die Zeit stehen. Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand sein Herz herausgerissen und begonnen es Stück für Stück - für Stück - für die Dauer einer Ewigkeit in kleinste Teile zu zerreissen. Jeder Herzschlag, jeder Atemzug war von unsagbaren Schmerzen gekennzeichnet, dass er weder denken noch irgendetwas anderes tun konnte.



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