Der verhasste Regen
Über die Hafenstadt Ischido ergießt sich schon seit einigen Tagen dichter Regen. Der schwarzhaarige junge Mann hat das Gefühl, als wolle sich das Wetter über seinen Verlust lustig machen. Seine beste Freundin hatte es immer gehasst, sich länger als nötig im Regen aufzuhalten. Er hingegen hatte den Regen immer gemocht, doch das tat er nun nicht mehr. Immerhin war dieser Schuld daran, dass seine Weggefährtin und beste Freundin nicht mehr am Leben ist.
Seufzend wendet er sich nach stundenlangem aus dem Fenster starren ab und bemerkte, dass der Tee schon längst kalt geworden ist. Da er auf kalten Tee keine Lust hat, stellt er die Tasse, welcher er bis zu diesem Moment in der Hand gehalten hat, auf dem gegenüber befindlichen Tisch ab. Er lässt den Blick seiner grünen Augen durch den Raum schweifen. Als diese die blauen Haarspangen streift und sich daran festsaugt, versetzte es ihm einen schmerzhaften Stich. Dieser Gegenstand ist doch das einzige, was er damals von seiner verstorbenen Freundin gefunden hatte.
Taya und Sharaku haben ihren Auftrag, trotz des Versuchs einiger Banditen, die wertvolle Lieferung zu stehlen, erfolgreich beendet. Nun befinden sich beide auf dem Rückweg, um sich ihre Bezahlung von Ruka zu holen. Sie müssen nur noch das Gebirge durchqueren, dann haben sie den Großteil des Weges hinter sich gebracht. Dann würden sie in Kürze wieder zu Hause sein.
Als seine Begleiterin wieder laut zu fluchen beginnt, muss er einfach lachen. Immerhin regnete es schon, seit sie sich auf den Rückweg von ihrer Mission gemacht hatten. Nicht nur dass sie beide völlig durchnässt sind. Zu allem Überfluss ist der Weg so schlammig, dass Taya des Öfteren wegrutscht und es immer nur knapp vermeiden kann, auf dem schlammigen Untergrund zu landen. Natürlich bessert sich ihre Laune nicht, weil Sharaku das Ganze auch noch lustig findet.
„Das ist nicht witzig, Sha. Mir könnte immerhin etwas passieren.” Dabei machte sie ihren besten Schmollmund, um auf diese Weise etwas Mitleid von ihren Partner zu bekommen.
Dieser wäre fast in schallende Gelächter ausgebrochen, denn das Gesamtbild welches sich ihm bietet, ist einfach nur köstlich. „Tut mir leid Taya. Sobald wir zu Hause sind, koche ich dir als Entschädigung dein Lieblingsessen, während du dir ein langes, warmes Bad gönnen kannst.” Da sich Tayas Gesicht nach seinen Worten aufhellt, weiß er, dass sie besänftigt ist. Doch dass die Äußerung von Taya wirklich eintreffen sollte, hätte keiner der beiden geahnt.
Etwas weiter oben beginnt sich gerade ein Abhang in Bewegung zu setzten. Kurz darauf rollt eine große Schlammlawine in Richtung der beiden hinab.
Als Taya auf ein lautes Geräusch aufmerksam wird, blickt sie in die Richtung von selbiger. Was sie sieht, gefällt ihr überhaupt nicht. Plötzlich geht ein starker Ruck durch ihr Körper, ein Wimpernschlag später realisiert sie, das Sharaku sie am Arm gepackt hat und sie hinter her zieht.
Beiden ist bewusst, dass sie der Lawine wohl kaum entkommen können. Aber regungslos auf ihre Ankunft warten, möchten sie auch nicht. Was dann als nächstes geschieht brennt sich in Sharaku Erinnerung ein. Taya kommt auf den rutschigen Untergrund wieder ins Rutschen. Doch dieses Mal macht sie auch Bekanntschaft mit diesem, wodurch sie voneinander getrennt wurden. Zu dem rutschte Taya auch noch etwas bergab.
Sharaku will noch schnell zur ihr, doch stolperte er plötzlich über eine Wurzel, und macht ebenfalls Bekanntschaft mit dem matschigen Untergrund. So gleich rollte die Schlammlawine über die beiden hinweg.
Den Regen bemerkt Sharaku als erstes während er langsam wieder zu sich kommt. Dieser rieselt ihm ins Gesicht. //Die Lawine hat mich also nicht vollständig begraben.// Nach einer Weile schafft es Sharaku sich zu befreien. Mit dem Rücken auf dem Boden liegend atmet er schwer. Jede Faser seines Körpers schmerzt gewaltig.
Unter großer Anstrengung schafft er es sich aufzurichten und beginnt sich in der Umgebung um zusehen. Doch von Taya fehlt jeder Spur. Anscheint hatte sie nicht so viel Glück gehabt wie er. Angst und Sorge um sie steigen nun in Sharaku auf. Er muss sie so schnell wie möglich finden, wer weiß ob sie begraben oder schwer verletzt wurde.
Er hatte keine Ahnung wie lange er ihren Namen schon schreit und an verschieden Stellen nach ihr gräbt. Panik ist das einzige, was er jetzt noch spürt. Weder seine Erschöpfung noch seine Schmerzen nimmt er wahr.
Plötzlich stoppt er, als in seiner rechten Hand nun Tayas blaue Haarspange liegt. Die Hoffnung verleiht ihm Kraft und so gräbt er an dieser Stelle weiter. Doch werden seine Anstrengungen nicht belohnt. In ihm kommt ein erschreckender Gedanke, denn er befindet sich kurz vor einen Abgrund.
Mit wackligen Beine geht er zu diesem und schaut nach unten. Wenn sie wirklich über den Rand des Abgrundes gelangt war, Sharaku muss bei diesen Gedanken schlucken. Denn am Ende des Abgrundes befindet sich ein reisender Fluss.
Ein Klopfen an der Tür reist ihn aus seinen düsteren Erinnerungen. Die Tür öffnend, steht er einer jungen brünetten Frau gegenüber. Er kann an ihn ihren grünen Augen erkennen, dass sie ebenfalls Tayas Tod noch nicht verkraftet hat. Wobei dieser Tag nun über eine Woche zurückliegt
„Hallo Sharaku, kann ich dir vielleicht Gesellschaft leisten?”
„Natürlich Merle, komm rein.” Zur Bestätigung geht Sharaku zur Seite und lässt somit Merle eintreten. Kaum dass er die Tür schließt und sich umdreht, liegt die junge Frau schon in seinen Armen und krallt ihre Hände in sein schwarzes Shirt.
Beruhigend legt er seine linke Hand auf ihren Kopf, während er mit der Rechten ihren Rücken herab streicht. Dabei fährt er auch über ihr langes Haar. Er hat sie noch nie so aufgelöst oder gar weinen gesehen.
So stehen beide schweigen im Flur und die Stille wird nur durchs Merles Schluchzen durchdrungen. Beide hatten sich versprochen, dem jeweils anderen dabei zu helfen, über den Schmerz des Verlustes hinweg zu kommen. Der eine verlor seine beste und langjährige Freundin, während sie hingegen ihre heimliche Liebe verlor. Beide hoffen, dass nach dem verhassten Regen auch für sie beide die Sonne wider scheinen wird.
Ende