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Himmelsschlacht

von

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Schnabel

Da erstarrte der Schnabel. Offen um sie gebreitet, wie ein schützendes Dach, blieb er hängen wie ein alter Filmstreifen, der sich im Gerät verklemmt hatte. Mit einem leichten Zucken. Dann, langsam, wie in Zeitlupe, kippte er...
 

Der Schnabel kippte zur Seite, und mit ihm der ganze Adlerkopf. Weiter bergauf schlug etwas Größeres am Boden auf. Eine zähflüssige Substanz schlich sich an Hanas in Sprungstellung erstarrte Füße heran. Umspülte sie geduldig, mit der Ignoranz einer Naturgewalt, und hielt weiter auf die Gassen der Altstadt zu. In sanften Wellen kam immer mehr von der verschlafenen Substanz. Sie glänzte weinrot im warmen Licht der ersten Straßenlaterne. ...Blut?
 

Der riesige Adlerkopf krachte zu Boden und rutschte lose ein paar Meter den Hügel hinab. Der mächtige Löwenkörper dazu lag flach weiter oben, mit einer riesigen offenen Wunde an dem Ende, das Hana anglotzte. Ein Wirbel der Wirbelsäule war darin zu erkennen. Überall, doch besonders aus zwei großen Röhren, floss reichlich von der weinroten Substanz. Hana wurde schlecht und sie sehnte sich nach dem besänftigenden Geschmack von Kräuterschnaps auf ihrer Zunge. Hana neigte allgemein zum Alkohol, doch noch nie zuvor hatte es sie derart nach einem Rausch verlangt, wie in dem Moment.
 

Neben der riesigen Wunde, durch die schockierende Wirkung von offengelegten Muskeln und Sehnen leicht zu übersehen, stand eine Gestalt. Großgewachsen, hager, mit hochgeschlossenen Lederstiefeln, deren hohe Absätze massiv genug waren, um Leuten den Schädel einzuschlagen. Eine Frau. In einem hautengen, schwarzen Ledergewand, aus dem die riesigen Brüste wie zwei fette Knastbrüder auszubrechen versuchten. Sie wirkten wie das einzige Fettdepot des sonst so schmalen Körpers. Hana merkte, dass sie wie hypnotisiert auf die erstaunlichen Rundungen glotzte. Nur um nicht zum offenen Löwenkörper schauen zu müssen, redete sie sich ein. Aber sie dürfte schon eine kleine Weile auf die Möpse eingestarrt haben, denn die Gestalt legte schützend ihren langen, schmalen Arm vor beide. Ein kaum ernst gemeinter Versuch, die Kuriosität zu verdecken.
 

Die tiefe, rauchige Stimme fragte langsam, getragen vom Timbre einer Hana bisher unbekannten Eleganz: „Na, Kind, hast du was entdeckt, das dir gefällt?“ Die Frage war Hana in ihrer gegenwärtigen geistigen Verfassung zu kompliziert. Sie verstand nicht einmal im Ansatz den Witz dahinter. Falls da überhaupt einer gewesen war. Das Lachen, das ihre Kehle heraufwürgte, klang wahnsinnig, hysterisch, schrill und wurde zum Glück schnell vom Mageninhalt abgelöst.
 

Ja, Kotzen. Das war gut. Eine tröstlich realistische Sache. Angesichts eines riesigen Monsterkörpers mit abgetrenntem Kopf und einer vollbusigen Erscheinung in Leder daneben. Hana hoffte nur, dass all die skurrilen Elemente aus der Szenerie verschwunden waren, sobald sie den Kopf wieder heben konnte.
 

Die hochgewachsene Frau zerschmetterte die Hoffnung persönlich. Ihre glatten Lackschuhe traten seitlich in Hanas dem Boden zugewandtes Gesichtsfeld. Ihre Stimme schleppte sich träge über den folgenden Satz: „Alles in Ordnung bei dir, Schätzchen?“ Hana betrachtete die Schuhe. Mal nachdenken. Nö, nicht viel war noch in Ordnung. Abgesehen von Hanas Verstand, der kurz davor war, die Einordnung des Geschehenen in Bekanntes gründlich aufzugeben, und ihrem rechten Ellenbogen, den sie sich irgendwo auf ihrer aberwitzigen Flucht aufgeschürft zu haben schien, verloren ihre Beine langsam an Standhaftigkeit und das Rauschen in ihren Ohren wurde immer lauter... Aber nun in Ohnmacht fallen zu wollen, mitten in dieser Soße von Ungeheuerblut und Straßendreck, erschien Hana falsch. Also riss sie sich zusammen und konzentrierte sich voll auf ihr Gleichgewicht.
 

„Du wirkst bleich.“, stellte die unheimliche Frau fest: „Ist dir schlecht?“ ...Ernsthaft, das fragte sie eine Person, die noch immer vor ihrer eigenen Kotze stand? Um ein Haar hätte Hana die Augen verdreht, aber dann wäre sie wohl sicher gestürzt. Stattdessen räusperte sie sich, um die eigenen Stimmbänder vom angesammelten Schleim zu befreien, und fragte: „Was war das?“ Natürlich musste die Frau fragen: „Was war was?“ Stellte die sich absichtlich blöd? Genervt machte Hana eine ausladende Handbewegung in die Richtung, in der vermutlich noch immer ein kopfloser Löwe lag. „Oh.“, meinte die Frau: „Das war ein Greif.“ „Ah so.“, meinte Hana, als ob damit alle Unklarheiten beseitigt gewesen wären. Mühsam, nach wie vor voll auf ihre Balance fokussiert, richtete Hana ihren Oberkörper auf und sah nach links. Willentlich dahin, wo weder Ungeheuerleiche noch Frau zu sehen war. Dorthin richtete sie auch ihre Fußspitzen und versuchte einen Schritt. Es funktionierte.
 

„Nette Hose.“, bemerkte die Frau hinter ihr: „Italienisch?“ „Clownsschule.“, antwortete Hana. Die Frau lachte. Dann fragte sie: „Sag mal, Herzchen, wohnst du hier in der Gegend? Ich würd sterben für ein warmes Bad und eine Nacht in einem weichen Bett.“ Dann stirb doch, wollte Hana sagen, doch das wäre egoistisch gewesen und Hana bemühte sich stets um Höflichkeit. Darum ließ sie sich Zeit mit der Antwort, gestand aber doch: „Ja, ganz in der Nähe. Folgen Sie mir.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Renaki
2012-11-02T18:07:41+00:00 02.11.2012 19:07
^^ Die Dialoge sind am besten!! Muss immernoch lachen XD

Mach weiter so!!
LG Renaki


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