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Akai Kyōdai

Achtung! Spoiler-Inhalt! (<820 files)
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Der perfekte Tritt unter die Gürtellinie

Twelve Years Ago~

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„Shuu-chan! Shuuuuuuu-chan!“, schrie das fünfjährige Mädchen geschlagene drei Minuten wie am Spieß. Ohne jedoch die kleinste Antwort zu erhalten. Stattdessen zuckten lediglich die Mundwinkel des Angesprochenen, während er sich weiterhin der Arbeit widmete und das kleine Energiebündel neben sich zu ignorieren versuchte. Dieses wippte auf ihren Sohlen hin und her, versuchte sich aufzurichten, die Arme zu strecken und sich vergeblich an der Tischkante nach oben zu ziehen. Dabei bäumte sich ihre zersauste Mähne auf - ohnehin sah diese wahrlich aus als wäre sie noch nie mit einem Kamm in Berührung gekommen - und durch den wachsenden Schwung ihrer Bewegungen und der ungebändigten Aufregung kräuselten sich einzelne Haare in alle Himmelsrichtungen. Nach wachsender Frustration musste sich die Kleine schließlich eingestehen, dass sie einfach nicht groß genug war, um über die Tischkante hinweg zu blicken. Nicht einmal mit Augen und Nasenspitze ließ sich darüber spähen, um dem süßen Geruch zu folgen. Zum Mäuse melken, grummelte das Mädchen innerlich und kickte mit dem Fuß leicht gegen den Wandschrank. Doch statt sich lange über ihre mangelnde Körpergröße zu ärgern zupfte die kleine Wilde ihrem großen Bruder nun unaufhörlich am Hosenbein. Darauf bedacht auf eine winzige Reaktion seinerseits zu beharren.

„Shu-chan, Shu-chan, Shu-hu-hu-hu-chan,...“ ging es kontinuierlich und schrill weiter. Zumindest so lange bis sich die Kleine dazu entschloss nach dem langen schwarzen Haarschopf ihres Bruders zu greifen und sich daran hinauf zu hangeln. Spätestens da war der Punkt erreicht, an dem der hoch gewachsene Mann sich eingestehen musste, dass weitere zehn Minuten Kreisch-und-Zerr-Dauerschleife mit der Kleinen die übrig gebliebenen Synapsen in den Zellen seines Nervensystems sprengen würden. Mit einem zischenden Atemzug schüttelte er das Mädchen von seiner Mähne ab und ließ den Blick endlich gen Südosten schweifen, um der Kleinen die geforderte Aufmerksamkeit zu schenken.

„Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht so nennen sollst du Nervenzwerg? Das ist respektlos gegenüber dem Älteren. Und komm mir erst gar nicht mit dieser Schnute-“, gab Shuichi grimmig zurück und löste die freie rechte Hand um damit den Schmollmund der Kleinen zu überdecken und diese mit sanfter Gewalt nach hinten aus seinem Sichtfeld zu schieben.

„Aber wenn du nun mal keine Antwort gibst. Außerdem hab’ ich auch einen Namen, du Nuss.“, gab der kleine Wildfang nuschelnd zurück und biss ihrem Bruder als Dankeschön in den Finger. Daraufhin zog dieser seine Hand ohne mit der Wimper zu zucken zurück.

„Masumi, jetzt sei doch nicht so ungeduldig. Ich bin gleich fertig mit dem Dekorieren, dann kannst du dir die Muffins ansehen und einen probieren.“

„Warum darf ich nicht dek-eck-or-r-rivieren...?“, fragte Masumi und stemmte dabei in einem physischen Ausdruck der Empörung die Hände in die Hüfte. Während er die letzten Schokoladenmuffins mit Vanillestreusel überzog amüsierte es Shuichi doch sichtlich zu hören, wie sich seine Schwester mit Zungenbrechern herumquälte, die offensichtlich ihren bisher sehr winzigen Wortschatz überschritten.

„Letztes Mal als du zerbröselte Nüsse und Puderzucker über dem Marmorkuchen verteilen solltest, hast du die Wohnung in ein Pfefferkuchenhaus verwandelt. Die Krümel klebten überall, nur nicht an dem Kuchen...und du sahst selbst aus wie eine missglückte Backware. Dabei habe ich dich keine fünf Minuten in der Küche allein gelassen.“ Shuichi schüttelte den Kopf, bis heute verblüfft über das Talent seines Schützlings selbst in harmlos erscheinenden Situationen alles Erdenkliche auf den Kopf zu stellen. Manchmal hatte er schon mit der Idee gespielt eine winzige Kamera an den Rockzipfel seiner Schwester zu befestigen, um sie zu jeder Tages- und Nachtzeit genaustens im Auge zu behalten. Aber das würde natürlich selbst für seinen Geschmack entschieden zu weit gehen. Als er ihr schließlich einen fertigen Muffin reichte und sie daraufhin wie das glücklichste Honigkuchenpferd zu strahlen begann, formten seine für gewöhnlich ausdruckslosen Gesichtszüge ein sanftes Lächeln und er strich der Kleinen über die Haare. „Siehst du, schon fertig. Nächstes Mal geht das auch ohne ungeduldiges Herumgezappel.“

„Hmpf. Nächstes Mal backen und kochen wir zusammen, Shuu-nii.“, entschied Masumi und biss entschlossen einen weiteren Happen vom Gebäck ab.

„Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dass ich dich langsam in ein paar Sachen einweise. Schließlich kann ich nicht ewig die fürsorgliche Hausmutter für dich spielen.“, erwiderte der Teenager ernst und wirkte sogleich sehr nachdenklich. Die Tatsache, dass Masumi sobald sie irgendwo auftauchte wirklich in der Lage war aus einer Mücke einen Elefanten zu machen – im wahrsten Sinne des Wortes - und mit dem Elan eines tasmanischen Teufels das Chaos herbei beschwor, bereitete ihm mehr Sorgen als er sich bisher eingestehen wollte. Was wenn ihr das tatsächlich irgendwann zum Verhängnis wurde? Er würde sich für immer schuldig fühlen, schließlich trug er alleine bis zu ihrer Mündigkeit die Verantwortung über den impulsiven Braunschopf. Da kam ihm plötzlich eine zündende Idee und er beugte sich herunter, sodass er quasi auf seinen Knien saß und sich mit der mampfenden Kleinen auf Augenhöhe befand. Er legte ihr umsichtig beide Hände auf die Schultern, als wollte er sie damit mental auf die schlimmste Nachricht ihres Lebens vorbereiten. Obwohl Masumi recht jung war, ahnte sie doch dass jetzt entweder eine Standpauke oder eine ernste Aufforderung folgen musste. Doch nichts dergleichen geschah. Shuichi lächelte seine Schwester ungewohnt verschmitzt an und hob dabei mokant eine Augenbraue.

„Fangen wir an mit Lektion eins...“

„Eins?“, blinzelte Masumi und folgte den Bewegungen ihres großen Bruders mit ungehindertem Interesse. Dieser richtete sich nach einem kurzen Spannungsmoment wieder zur vollen Größe auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Zu allererst musst du das Basiswissen zur Selbstverteidigung gegen...gegen Bösewichte erlernen und dir das alles ganz genau einprägen. Das wird in deinem späteren Leben äußerst wichtig und hilfreich sein.“, Shuichi hob mahnend einen Zeigefinger und unterstrich damit insbesondere das Wort ‚Bösewicht’ – was in seinen Vorstellungen als beschützerischer Bruder natürlich mit dem Wort ‚Verehrer’ gleichzusetzen war. Aber daran war jetzt gewiss noch nicht zu denken. Noch lange nicht. Obwohl bis zur Pubertät ein paar Jahre Zeit blieben, konnte man nie früh genug mit dem Erlernen von bestimmten Grundtechniken zur Vertreibung lästiger Liebhaber anfangen. Masumi hing an jedem Wort ihres Bruders und wagte es noch nicht einmal nachzuhaken, was genau er damit meinte, sondern wartete geduldig auf die nächste Information. Indes hatte sie den Rest des köstlichen Muffins bereits herunter geschlungen. Es hingen noch ein paar Krümel in ihren Mundwinkeln, welche Shuichi mit einem schlichten Handwisch entfernte.

„Du hast mir schon öfter auf unliebsame Weise gezeigt, dass du besonders viel Kraft in den Beinen besitzt.“ Wie zur Veranschaulichung dieser Bemerkung stampfte Masumi mit beiden Füßen auf den Boden und grinste breit, wodurch einige frische Zahnlücken zum Vorschein kamen.

„Allerdings lässt sich mit dieser Kraft weitaus mehr bewerkstelligen als bloße Verdrossenheit durch Aufstampfen zu bekunden...oder anderen auf die Zehen zu treten – nein, merk’ dir das ruhig, Schwesterchen, das ist gut und kann dir in äußersten Fällen durchaus die Haut retten, wenn es den Gegner überrascht. Nun wollen wir aber eine weitaus effektivere Ausschreitung probieren, es gibt nämlich weitere Bereiche, speziell am männlichen Körper, die –“ Doch weiter kam der Siebzehnjährige nicht, denn keine Sekunde später fand sich der winzige Fuß des Mädchens mit vollem Schwung in dem Bereich, den er zwar angedeutet aber niemals auszusprechen gewagt hätte – und entlockte ihm zuerst einen halb unterdrückten Schmerzensschrei, gefolgt von einem hohlen Aufkeuchen. Er musste die Zähne fest zusammenpressen, um zu verhindern, dass ihm männliche Tränen aus den Augenwinkeln kullerten. Ein Tritt unter die Gürtellinie brachte selbst den stärksten Mann in eine kniende Fötusposition.

„J-ja...sehr gut, Masumi. Genau...d-das...“, erwiderte Shuichi und krümmte sich sowohl innerlich als auch äußerlich zusammen, während Masumi breit grinste und entzückt die Hände an die Wangen legte. „Die Stelle tut doll weh, Shuu-nii? Otosan hat das auch schon einmal gesagt.“

„R-richtig, die Stelle tut sehr weh, allerdings nur bei Jungs. Nächstes Mal denke bitte daran, dass du niemals deinen Bruder dort treten darfst, verstanden Masumi? Niemals deinen Bruder.“ Shuichi rappelte sich wieder auf, als sich der pulsierende Schmerz allmählich auflöste und warf seiner Schwester aus zusammengezogenen Augen einen eindringlichen Blick zu.

„Niemals Shuu-nii! Verstanden!“, salutierte die Kleine mit geröteten Wangen, ohne tatsächlich zu wissen was gerade geschehen war. Die geballte physische Kraft mit der sie anderen zusetzen konnte, schien sie keinesfalls zu schockieren sondern eher aufs Höchste zu belustigen.

„Das wäre Lektion eins...der Tritt unter die Gürtellinie. Du beherrschst ihn schon nahezu perfekt. Soweit ich das beurteilen kann...“, gab Shuichi anerkennend zu und tätschelte seinem kleinen Schützling lobend den Kopf.

Im selben Moment, fast wie aufs Stichwort, klingelte es an der Tür. Als Masumi diese öffnete und das bekannte Gesicht eines jugendlichen Amuro Tooru dahinter zum Vorschein kam, der sie mit hinter dem Rücken verschränkten Armen freundlich anlächelte, konnte der kleine Wildfang ihren Tatendrang nicht mehr zurückhalten. Mit der größten Wucht, die sie aufzubringen vermochte und dem strahlendsten Lächeln im unschuldigen Gesicht trat sie dem Ankömmling in die Weichteile. „Hallooooo~ Amuro-senpai! Schön, dass du gekommen bist, wir haben Muffins gebacken!“

Der bis eben noch lächelnde Blondschopf, schrie laut auf und verzog krampfhaft das Gesicht, als der stechende, kaum erträgliche Schmerz seine Beinglieder zum einknicken zwang, sodass er praktisch nach vorne übergebeugt vor der Akai’schen Haustür lag.

„M-masumi-chan...d-dein Bruder...ist er...d-da?“, keuchte Tooru zwischen bebenden Lippen und schaffte es seinen linken zuckenden Mundwinkel nach oben zu pressen, um wenigstens einen Hauch seines gentlemanartigen Auftretens zu bewahren. Und natürlich einen Rest seiner Würde. Letzteres erwies sich bei genauerem Hinsehen leider als unmöglich, da Shuichi bereits dem Aufschrei folgend erschienen war und sich lässig gegen den Türrahmen lehnte. Ein kurzer Blick auf den Teenager an der Schwelle und für ein paar Sekunden legte sich undefinierbarer Ausdruck über seine Züge. Das darauf folgende gehässige Lächeln hätte Tooru ihm am liebsten mit aller ihm zur Verfügung stehenden Gewalt aus dem Gesicht geschlagen. Als Sera jauchzend in der Wohnung verschwand um nach Shuichi’s Anweisungen den Tisch zu decken, warf Tooru seinem besten Freund einen giftigen Blick zu. „W-was war das denn bitte?“, fragte er außer Atem und folgte mit schockgeweiteten Augen dem kleinen Mädchen bei ihrer enthusiastischen Arbeit. Sicherheitshalber hielt er sich schützend die Hände vor die Leiste, bevor noch weitere penetrante Überraschungen auf ihn warteten.

„Masumi hat heute den berühmten Tritt unter die Gürtellinie perfektioniert. So lernt sie wenigstens früh genug ihre Kraft wirksam zu konzentrieren, anstatt sie zu verschwenden.“

„Indem sie wahllos Leute tritt?“, hakte der Blondschopf schnaubend nach und hob ungläubig eine Braue.

„Das hast du missverstanden, nicht ‚wahllos’. Ihr Bruder entscheidet, wer der ‚Glückliche’ sein darf.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Varlet
2015-12-28T11:58:07+00:00 28.12.2015 12:58
Armer Shu. Er tut mir voll Leid. Da reagiert er nicht auf seine kleine Schwester und schon ruft sie dauernd seinen Namen. Das kann ich mir so gut vorstellen. Es überraschte mich, dass Shu mit ihr in der Küche zugange war, da ich gar nicht gedacht hätte, dass er das überhaupt kann, zumal er es ja eigentlich erst aus langeweile lernte. Aber das war 2013 noch nicht bekannt, von daher, kann das auch keine Kritik sein.^^
Wie er sie dann trainiert ist so goldig geschrieben. Und dann wo sie zutritt...armer Shu, wirklich armer Shu. Da hat er es ja geschafft, dass sie sich die Selbstverteidigung merkt.
Es ist eine gute Idee Amuro als seinen besten Freund darzustellen und noch genialer war es, als Masumi gleich mal ihr Gelerntes bei ihm anwedente. Da musste ich so lachen. Zum Glück bin ich grad allein.
Hoffe, dass es hier bald weiter geht und Shu ihr noch weitere Lektionen beibringt.
Von:  NatsuNoSora
2013-04-04T11:04:15+00:00 04.04.2013 13:04
Woho, die Story war toll.
Shu hat sich genauso benommen, wie man es erwarten wuerden. So nen grossen Bruder will ich auch xD *hast du das gehoert, Bruderherz????*
So keonnte ich mir Sera wirklich als kleines Kind vorstellen: Aktiv, energiegeladen, enthusiastisch und unschuldig bis zum geht nicht mehr xD
Die Idee, dass Amuro und Shuu frueher beste Freudne waren, ist auch nicht ganz aus der Luft gerissen. Wer weiss, wie sich das noch entwickelt :D
Und *spoiler* Subaru hat ja auch schon bewiesen, dass er gut kochen kann *spoiler Ende*
Dein Schreibstil gefaellt mir auch sehr, die Art, wie du die Charaktere umsetzt und eine Situation in gut gewaehlten Worten zu umschreiben weisst. Weiter so!!
ICh sag dann nur mal, bis zum naechsten Kapitel und bleib am Ball!
Viele Liebe Gruesse
Sora
Von:  Zimtphilosophie
2013-04-03T21:24:02+00:00 03.04.2013 23:24
Ich muss zugestehen, das ich dem ganzen Spektakel mit wachsender Fazination beiwohnen durfte, ja durfte, war es doch ein Hochgenuss sondersgleichen. Du besitzt eine sehr gewählte & äußerst detailverliebte Art & Weise dich zu artikulieren, beneidenswert. Ich für meinen Teil bin einem Dauerschmunzeln erlegen, das sich auch nach Beendigung des Kapitels nur beschwerlich abschütteln ließ. Nahezu spielend scheinst du imstande, den einzelnen Charakteren Leben einzuhauchen & diese charaktergetreu agieren zu lassen.

Liebste Grüße Zimtphilosophie


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