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Pirates

von

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- Ariel -

Ihre Stiefel verloren den Halt. Bevor Isabela registrierte, dass sie fiel, umschloss sie das eisige Wasser. Sie verfehlte haarscharf die Steinwand des engen Tunnels, der tief hinab in den stets überfluteten Teil der Felsformation führte. Das Salzwasser brannte in ihren Augen, doch Isabela zwang sich sie offen zu halten, als sie mit den Armen und Beinen ruderte. Sie wand sich im Wasser und kämpfte sich zurück an die Oberfläche.

Gedanken formten sich nur schwerfällig. In dem Moment, in dem ihr Ziel in greifbare Nähe gerückt war, war sie unvorsichtig geworden. Nur deshalb hatte Hook sich einen Vorteil verschaffen können.

Die Oberfläche durchbrechend sog Isabela den Sauerstoff ächzend in ihre Lungen. Das Geräusch von Metall auf Metall erklang in ihren Ohren und echote von den feuchten Höhlenwänden, als Isabela sich am Fels aus dem Wasser zog. Auf allen Vieren tastete sie mit einer Hand an ihrem Rücken entlang, auf dem ihre Dolche in ihren Halterungen lagen. Oder zumindest liegen sollten. Heartbreaker fehlte.

Ein Schnaufen verließ Isabelas Lippen, als sie sich mit ihrem verbleibenden Dolch bewaffnete. Backstabber musste ausreichen, Hook hatte nach dieser hinterhältigen Aktion ohnehin keinen gerechten Kampf verdient. Sie sollte wohl am besten wissen, dass man einem Piraten niemals seinen Rücken präsentierte, weil man ihm nicht vertrauen konnte. In dieser Hinsicht waren sie aus demselben Holz geschnitzt.

Pedros Säbel krachte abermals gegen Hooks Schwert. Diesmal schnappte Hook mit seinem Haken jedoch nach dem unteren Teil von Pedros Klinge, um sie ihm aus der Hand zu reißen. Das Schwert landete mit einem dumpfen Geräusch im Sand. Paralysiert wie Pedro dastand, stellte es eine Leichtigkeit für Hook dar, den dürren Mann mit einem gezielten Tritt in die Magengrube ebenfalls zu Boden zu schicken. Er warf einen gehetzten Blick zu Isabela herüber, der verriet, dass er sich seinem Dilemma bewusst war.

Rudolphus schob sich zwischen sie. Bis eben hatte er mit ausgefahrenen Klauen am Rande des Zweikampfs gelauert, doch nun tauchte ein grimmiges Lächeln auf seinen Lippen auf. Bisher hatte Isabela nur ein einziges Mal die Stärke – vor allem aber die Unberechenbarkeit – gesehen, die in dem oftmals betrunkenen Wolf schlummerte. Allerdings bekam er nur selten den Hintern hoch. Hook schien jedoch sein Interesse geweckt zu haben, was Isabela nur recht sein konnte. Schließlich hatte sie Rudolphus angeheuert, damit er ihre Drecksarbeit erledigte. Allein dafür hatte Isabela ihm auch den zweitgrößten Prozentanteil ihrer Beute versprochen.

Zusätzlich zu den scharfen Klauen verwandelte sich sein Gebiss zu dem eines Wolfes, die menschlichen Zähnen verlängerten sich zu den Reißzähnen einer Bestie, die nur darauf wartete, Hook zerfleischen zu können. Ein Blick in sein stilles Gesicht, welches den Piraten nicht den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen ließ, genügte, um das Tier in ihm zu erkennen.

Rudolphus bewegte sich im Halbkreis um Hook herum, dessen Schwertspitze auf seine Kehle gerichtet war. Gegen die Schnelligkeit eines Wolfs reichte bloße Aufmerksamkeit nicht aus. Mit einem Hieb packte Rudolphus die Klinge und drückte sie herunter, um mit der anderen Tatze ausholen zu können. Hook wandte sich zur Seite und wich seinem Angriff aus. Sein Mantel wurde von den Krallen aufgeschlitzt und hinterließ eine blutige Stelle an seiner Schulter. Scharf die Luft einziehend brachte Hook Abstand zwischen sich und seinen Gegner, in dem er rückwärts taumelte.

Ein verschmitztes Lächeln breitete sich auf Isabelas Lippen aus. Sie erkannte eine Chance, wenn man sie ihr auf einem silbernen Tablett servierte. Backstabber wurde mit einem Ruck aus der Halterung auf dem Rücken gezogen und Isabela holte mit dem Arm aus. Mit all der Kraft, die sie aufbringen konnte, schleuderte sie die Waffe in Hooks Richtung. Backstabber überschlug sich und sauste mit einem Surren durch die Topfsteinhöhle. Das durch das Loch in der Decke einfallende Tageslicht brach sich auf seinem Metall – und Hooks Augen zuckten zu dem Dolch herüber. Im selben Moment warf er sich zur Seite. Ebenso wie Rudolphus’ Klauen ihn verfehlt hatten, tat es Backstabber. Stattdessen rammte die Spitze des Dolchs in die Steinwand hinter ihm.

„Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn du einfach stehen geblieben wärst, Hook.“ Der spielerische Unterton war aus Isabelas Stimme gewichen, obwohl sie unter anderen Umständen nichts lieber gehabt hätte, als einen vor sich auf dem Boden windender Mann. Doch sie hatte keine Zeit für Hook, denn obgleich sie sich noch nicht lange in dieser Höhle aufhielten, war das Wasser bereits wieder am Steigen. Die Flut kündigte sich an. Ihr Zeitfenster schrumpfte immer weiter und Isabela konnte nicht von sich behaupten, dass ihr Plan so ausgeklügelt war, als dass sie sich sinnlose Kämpfe mit einem anderen Piraten liefern konnte. Im Grunde hatte nicht weiter gedacht, als an die Muschel, die ihr dieser Rumpelstiltskin im Tausch gegen eine Locke ihres Haares gegeben hatte. Isabela plante nicht, sie handelte.

Isabela schritt mit schwingenden Hüften auf Hook zu, der sich wieder auf die Beine zu kämpfen versuchte. Seine Bewegungen waren langsam und sein Gesicht war verzogen. Während seines Sturzes war ihm Heartbreaker aus den Fingern gerutscht, aber als Hook nach dem Dolch greifen wollte, kam Isabela ihm zuvor. Sie platzierte den Fuß auf der Klinge und verlagerte ihr Gewicht, was Hook keinerlei Möglichkeit ließ, sich den Dolch anzueignen. „Wenn du tatsächlich geglaubt hast, dass du gegen mich gewinnen kannst, bist du einfältiger, als ich gedacht habe, Schätzchen“, säuselte Isabela, als sie auf Hook herunterschaute. Seine Zähne waren aufeinandergebissen und trotzdem schaffte er es ein schiefes Lächeln zustande zu bringen. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Außerdem—“ Hook brach ab. Der charmante Ausdruck verschwand, stattdessen zeichnete sich Verwunderung auf seinen Zügen ab. Sein Blick ging für den Bruchteil einer Sekunde an Isabela vorbei. „Isabela“, presste er atemloser als hervor.

Sie brauchte kein Genie zu sein, um zu wissen, dass sich etwas hinter ihr befand. Aber was war es? Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrer nassen und unterkühlten Haut aus und Adrenalin pumpte durch ihre Arterien. War der Riesenkraken zurück? Oder war es ein anderes Seemonster, welches dieses Meervolk ihnen auf den Hals hetzte. Anstatt sich umzudrehen, sah sie zu Pedro und Rudolphus herüber. Pedro lag bewusstlos am Boden, was Isabela nicht verwunderte. Hätte sie nicht dringend eine Crew gebraucht, hätte sie diesen Schwächling erst gar nicht an Bord ihres Schiffs gelassen. Es war Rudolphus’ Reaktion, auf die Isabela vertraute. Der hungrige Wolf, der nach einem blutigen Kampf lechzte, lauerte noch immer unter Rudolphus’ Oberfläche, doch den animalistischen Instinkten unterlag nun ein kalkulierender Ausdruck. Das war alles, was Isabela wissen musste. Bei einem Mann, der stets auf den eigenen Vorteil aus war und kein Geheimnis daraus machte, wusste man, woran man war.

„Rudolphus, ich überlasse dir die Ehre“, sagte Isabela und machte eine ausschweifende Handbewegung. Die freie Hand stemmte sie in ihre Hüfte, als sich Rudolphus’ Mundwinkel zu einem faulen Lächeln hoben.

Ein paar lange Schritte brachten den Wolf zu ihnen herüber. Rudolphus packte Hook, der noch immer auf dem feuchten Sand hockte, an den Schultern. Seine Krallen bohrten sich in Hooks Fleisch hinein, in seine Wunde, und entlockten ihm einen erstickten Schrei. Fast so, als würde Hook nichts wiegen, hob Rudolphus ihn in die Höhe und warf ihn von sich. Meter entfernt prallte Hook mit dem Rücken gegen einige aus dem Wasser ragende Felsen, hinter denen ihre kleine Insel endete und sich das Wasser auftat.

Ein Ächzen entrann Hooks Kehle, doch Isabela hörte es kaum. Ihre dunklen Augen waren fest auf den roten Haarschopf gerichtet, der hinter dem größten Felsen hervorlugte. Sie hatten Gesellschaft bekommen...

Bevor Isabela reagieren konnte, trat Rudolphus ein zweites Mal auf Hook zu. Dieser presste den schmerzenden Rücken gegen das Gestein hinter sich, als seine Hand über den Boden nach irgendetwas tastete, was sich als Waffe verwenden ließ. Aber Rudolphus hatte Hook nicht im Visier, denn er schob sich an dem Pirat vorbei. Mit einer Schnelligkeit, die man einem schläfrigen Kerl wie Rudolphus nicht zutraute, kletterte auf den Felsen und zog den Fremden dahinter aus seinem Versteck. Die Fremde, korrigierte sich Isabela gedanklich. Rudolphus hatte die junge Frau an der Kehle gepackt, hatte aber noch genügend Erbarmen gehabt, um seine Klauen nicht zu benutzen und sie ihr aufzuschlitzen. Stattdessen hob er sie – Hook zuvor nicht unähnlich – hoch, bis ihre grüne Schwanzflosse sichtbar war.

Isabelas Augen weiteten sich.

Mit einem kraftvollen Ruck beförderte Rudolphus die Meerjungfrau in ihre Mitte. Ein heller Schrei entwich ihr, als sie im Sand landete. Sie wälzte sich augenblicklich hin und her, während ihre Schwanzflosse um sich schlug. Das, was Isabela in ihrem blassen Gesicht ablesen konnte, war blanke Panik. Für einen kurzen Moment hatte sie den Drang Rudolphus aufgrund seiner groben Behandlung anschnauzen zu müssen, doch diesen schluckte sie herunter. Das war eine Meerjungfrau, offensichtlich eine neugierige Meerjungfrau dazu, die ihnen besser nicht hinterher geschnüffelt hätte. Zwar war Isabela ohne ein Zögern auf diese verrückte Jagd nach dem Dreizack dieses Meervolkkönigs aufgebrochen, doch jemand von ihnen tatsächlich gegenüber zu stehen, war etwas vollkommen anderes. Allerdings war Isabela noch nie jemand gewesen, die sich schnell einschüchtern ließ. Nein, diese Begegnung konnte sich nur positiv für sie auswirken.

Hook war längst vergessen, als Isabela den Fuß von Heartbreaker nahm und den Dolch aufhob. Sie drehte ihn verheißungsvoll in der Hand hin und her, als sie sich der rothaarigen Nixe annährte, die von ihr wegzurutschen versuchte. Ihre Brüste waren von Muscheln bedeckt, die mit Seetang zusammengehalten wurden und ihre helle Haut war geschmeidiger als die der hübschesten Prostituierten, die in Thedas herumlief. Ihre grünen Augen huschten suchend umher, nach dem entfernten Wasser Ausschau haltend, während sie eine Tasche an ihren Oberkörper drückte, die ebenfalls aus Seetang gemacht war.

„Wer... wer seid ihr?“ Ihre Stimme zitterte und beherbergte dennoch einen so sanften Klang, so dass Isabela sich den Gesang, den Hook angeblich in dieser Höhle vernommen hatte, ganz leicht vorstellen konnte. Hatte dieser von ihr gestammt?

„Wir stellen hier die Fragen, Fischchen“, antwortete Isabela. Die direkten Worte ließen die Meerjungfrau nach Luft schnappen, was Isabela als ein gutes Zeichen wertete. Wenigstens konnten diese übergroßen Fische sprechen und hatten Lungen anstatt Kiemen. Ansonsten wäre es äußerst schwierig gewesen, Informationen aus ihnen herauszubekommen. Apropos Informationen...

„Rudolphus wird die Fragen stellen“, verbesserte sich Isabela und warf dem Wolf einen Seitenblick zu.

Die fehlende Reaktion seitens Rudolphus sagte Isabela, dass er inzwischen verstanden hatte, welche Rolle er zu spielen hatte. Dass er wusste, dass er zu ihrer rechten Hand geworden war, zu dem dritten Dolch, der ihr in jedem Kampf dienlich sein würde, solange sie dieselben Ziele verfolgten.

Mit einem Sprung landete er neben Hook in der Hocke. Auch jetzt hatte der Wolf keinen Blick für Hook übrig, der sich nicht rührte. Die Meerjungfrau war nun seine Beute, was sie zu bemerken schien.

Isabela nutzte ihre Unaufmerksamkeit aus, um ihr die Tasche aus den Fingern zu reißen.

„Hey!“, empörte sie sich, doch Isabela hatte bereits Abstand zwischen sie gebracht.

„Die brauchst du jetzt nicht mehr, Kleines“, versicherte Isabela, bevor ihr Platz von Rudolphus eingenommen wurde. Dieser fuhr die Klauen mit einem hässlichen Grinsen und mit blitzenden Reißzähnen aus.

Die nächsten Worte der Nixe gingen in einem kläglichen Japsen unten, als sie das Gesicht von ihnen wegdrehte. Fast so, als glaubte sie, dass sie das vor Rudolphus beschützen würde. Lachhaft.

 
 


 

 

Ein Werwolf. Killian hatte mit einer Menge gerechnet, als er sich auf die Suche nach dem berüchtigten Dreizack mit seinen magischen Kräften gemacht hatte. An einen Werwolf hatte er dabei jedoch ganz sicher nicht gedacht. Wäre die kleine Meerjungfrau nicht dazwischen gekommen, hätte Rudolphus ihn in Stücke gerissen.

Killians Rücken pochte noch immer und erinnerte ihn daran, dass sein Plan alles andere als wohlüberlegt gewesen war. Andererseits hatte er nicht sonderlich viele Optionen zwischen denen er hatte wählen können. Jetzt waren sie noch dürftiger. Das Boot, welches den einzigen Ausweg aus der Tropfsteinhöhle darstellte, lag einige Meter entfernt auf der schwindenden Sandbank, die mehr und mehr vom Wasser geflutet wurde. Bei Rudolphus’ Schnelligkeit konnte Killian jedoch nicht sicher sein, dass er es aus der Höhle schaffen würde. Zudem weigerte sich alles in ihm, ohne den Dreizack zu verschwinden. Er hatte ihn nicht mal zu Gesicht bekommen und war schon gescheitert? Das würde der Bösen Königin nicht gefallen.

Sein Blick blieb an Isabelas Dolch hängen, den sie noch immer spielerisch herumschwenkte, während sie in der anderen Hand die primitive Tasche trug, welche sie der Meerjungfrau abgeluchst hatte. Wo befand sich der Zwilling des Dolchs?

Gehetzt sah Killian sich um, bis er die Stichwaffe bemerkte, die in der Steinwand feststeckte. Zwischen ihr und Killian befanden sich die Meerjungfrau, Isabela, Rudolphus und der bewusstlose Pedro. Letzterer war im Moment Killians kleinstes Problem. Zudem bestand ohnehin keine Möglichkeit für ihn, den Dolch zu erreichen. Seine Chancen, es lebend hier heraus zu schaffen, sanken von Minute zu Minute. Er brauchte eine bessere Strategie. So schnell gab er nicht auf, denn bisher hatte er immer einen Weg gefunden, um sich aus jedem Schlamassel zu befreien. Zwar lag es bei einem Pirat nahe, dass ihm ein nasses Grab vorherbestimmt war, doch Killian weigerte sich zu glauben, dass diese stinkende Höhle seines sein sollte.

Ein schriller Schrei schallte von den Wänden wider. Blutige Kratzer zogen sich über den linken Oberarm der Meerjungfrau. Ein paar ebenso rote Haarsträhnen, die ebenfalls Zeugen von der Schärfe von Rudolphus’ Klauen wurden, fielen in den Sand.

„Wo ist der Dreizack?“, forderte der Wolf. Sein Gesicht schwebte nur einige Zentimeter vor dem der Meerjungfrau, welche bebend die Lippen zusammenpresste. Die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben, doch sie brachte keinen Mucks hervor. Stattdessen starrte sie Rudolphus an, bis dessen Hand sich abermals um ihre Kehle schloss. Krallen bohrten sich in die ohnehin bereits geschundene Haut, als er sie nach hinten in den Sand drückte und über ihr hockte. „Wenn du weißt, was gut für dich, spuckst du jetzt den Aufenthaltsort aus. Ansonsten werde ich wirklich ungemütlich. Diese Kratzer, die sind bisher gar nichts, Kleines.“ Rudolphus’ Ton blieb gesenkt. Beinahe so, als hätte er es nicht nötig, jemanden zu drohen, denn alles was er sagte, war ein Versprechen.

Die Schwanzflosse der Meerjungfrau bewegte sich in unruhigen Bewegungen nach links und rechts, obwohl Stille in ihren restlichen Körper eingekehrt war. „Mein Vater wird euch nie seinen Dreizack überlassen“, zischte sie.

„Das wäre auch zu einfach“, erwiderte Rudolphus. Ein Knurren, das mehr nach einem Tier als einem Menschen klang, steckte in seiner Kehle. Inzwischen hob er die freie Hand, um der Meerjungfrau seine Klauen noch einmal genauer zu zeigen.

Ein Lächeln schlich sich inzwischen auf Isabelas Lippen, die inzwischen ihren Dolch wieder in die Halterung auf ihrem Rücken befördert hatte. Sie durchsuchte die Tasche und summte leise vor sich hin.

War Killian der Einzige, der einsah, dass sie somit nicht weiterkamen? Dass sie mit Folter keinerlei Informationen von der Meerjungfrau erhalten würden, sondern Rudolphus sie eher umbringen würde?

Das Herz pochte in seiner Brust, tat es im selben Takt wie der Schmerz in seinem Rücken. Trotzdem zog er sich an dem Felsen hinter sich auf die Beine und stieß sich von ihm ab. Er torkelte auf die Gruppe zu. „Warte!“, entrann es Killian mit kratziger Stimme, als Rudolphus mit dem Arm ausholte.

Die Meerjungfrau hatte die Lieder zusammengepresst, doch öffnete bei seinem Ruf ihre Augen einen Spalt. Rudolphus und Isabela drehten sich zu ihm um.

„Hast du immer noch nicht genug, Hook?“, fragte die Dunkelhäutige und hob spöttisch eine feine Augenbraue. „Manche wissen wohl einfach nicht, wenn Schluss ist. Dabei solltest du dich glücklich schätzen. Du wärst beinahe mit dem Leben davon gekommen.“

Killian lachte auf. „Was? Mich wie ein Feigling in die Fluten stürzen, während dein Schoßwolf eine unschuldige Frau ermordet? Selbst jemand wie ich hat eine gewisse Ehre zu vertreten.“ Einige Meter von ihnen entfernt blieb er stehen. Dabei machte er sich keine großen Hoffnungen, dass Rudolphus ihn nicht mit einem Sprung erreichen würde, wenn er es darauf anlegen sollte.

„Du meinst, einen Fisch“, sagte Isabela.

„Du siehst einen Fisch, ich sehe eine Frau. Es liegt wohl doch im Auge des Betrachters.“

Isabela ließ die Tasche in den Sand fallen. Ihre Hand wanderte zu ihrem Rücken und legte sich vielsagend auf den Griff ihres Dolchs. „Was willst du?“, fragte sie, anstatt ihn zu ziehen und ihn in Killians Brust zu vergraben.

„Ich möchte helfen.“ Diese Worte ernteten Killian nicht nur einen skeptischen Blick von Isabela, sondern auch von Rudolphus. Sein Griff um die Kehle der Meerjungfrau lockerte sich, da seine Aufmerksamkeit ihr nicht länger galt. „So wie ich das sehe, haben wir nicht mehr allzu viel Zeit und wir verfolgen immerhin dasselbe Ziel. Wieso tun wir uns nicht zusammen, Isabela? Der Feind des Feindes ist bekanntlich ein Freund.“ Er grinste.

„Aber ich kann dir nicht vertrauen“, konterte Isabela, obwohl auch sie ein Schmunzeln auf den Lippen trug.

Killian zuckte mit den Schultern und deutete mit seinem Haken auf Rudolphus. „Du kannst ihm auch nicht vertrauen.“

Isabela und Rudolphus tauschten einen Blick aus, doch der Wolf blieb stumm. „Ich weiß“, sagte Isabela. „Aber so hab ich zwei Männer, die zwar zum Anbeißen aussehen, mir aber Klauen und Klingen bei der erstbesten Gelegenheit in den Rücken rammen wollen. Ich weiß nicht, ob ich das Risiko eingehen will.“

„Wir sind Piraten. Piraten gehen immer Risiken ein“, erwiderte Killian. „Das liegt uns im Blut.“

Isabela musterte ihn von Kopf bis Fuß und riss ihm mit ihren dunklen Augen förmlich die Kleider vom Leib. „Wie sieht dein Plan aus?“

Aber Killian antwortete nicht. Stattdessen kam er näher und legte die Hand langsam auf Rudolphus’ Schulter, um keine gewalttätige Reaktion zu provozieren. Er schob ihn weg von der Meerjungfrau, die nur noch im Sand kauerte und alles mit großen Augen beobachtete. Rudolphus sah zu Isabela herüber, ehe er schließlich nachgab und Abstand nahm. An seiner Stelle ging Killian in die Hocke. Er zog ein schwarzes Tuch aus der Tasche seines Mantels, welches er um den bebenden Oberarm der Meerjungfrau wickelte. „Rudolphus ist ziemlich temperamentvoll, wenn man ihn ärgert“, sprach er auf sie ein. Als er sich vorbeugte, zuckte sie zurück, doch Killian nahm nur den Stoff zwischen die Zähne, um das Tuch eng um ihren Arm zu verknoten und festziehen zu können.

„Wie sind denn alle Anderen?“, fragte sie. Misstrauen sprach aus ihren Augen heraus, die Killian, Rudolphus und Isabela ganz genau im Auge behielten. Ihr Blick war intensiv, aber im Gegensatz zu Isabelas furchtbar unschuldig und trug zeitgleich Neugierde in sich. Kilian hatte genug solcher junger Frauen um den Finger gewickelt, um das zu erkennen.

Ein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Einige von uns können richtige Gentlemen sein.“

Isabela schnaufte hinter ihm belustigt.

„Was sind... Gentlemen?“, fragte die Meerjungfrau und bestätigte somit Killians Verdacht, dass sie nicht allzu oft Kontakt mit Menschen hatte. Das konnte ihnen noch vom Nutzen sein.

„Wie heißt du?“, stellte Killian die Gegenfrage.

Sein Gegenüber zögerte, aber dass sie ihm bisher ihren Arm nicht entzogen hatte, wertete Killian als ein gutes Zeichen. „Ariel.“

„Ein hübscher Name für eine hübsche Meerjungfrau. Man nennt mich Killian Jones.“ Er machte eine Handbewegung zu seinen Gefährten herüber. „Das ist Isabela. Mit Rudolphus hast du ja bereits Bekanntschaft gemacht.“ Nur bei Pedro zögerte er, der sich seit dem Tritt, den Killian ihm in die Magengrube verpasst hatte, nicht mehr gerührt hatte. „Und das ist Pedro...“ Noch während Killian ihn vorstellte, begann sich bereits ein Plan in seinem Kopf zu formen. Es setzte sich alles so nahtlos zusammen, wie es nur selten der Fall war. Das tat es ganz besonders, wenn er richtig mit seiner Ahnung lag, dass Ariel dem Beginn des Kampfes noch nicht beigewohnt hatte. Killian musste ein Schmunzeln zurückhalten und senkte den Blick zu Boden. „Wie du bestimmt sehen kannst, geht es unserem Freund nicht besonders gut. Er ist krank, Ariel. Unheilbar krank.“

Ariel schnappte nach Luft und legte eine Hand an ihre Lippen. „Kann man denn nichts tun?“, presste sie dennoch dahinter hervor.

Eine künstlerische Pause folgte, in der Killian ein schweres Seufzen ausstieß. „Es gibt nur eine Möglichkeit. Darum sind wir auch hergekommen. Der Dreizack deines Vaters ist mächtig genug, um ihn komplett zu heilen.“

Ganz so naiv, um ihm diese Lüge ohne ein gewisses Misstrauen abzukaufen, war Ariel nicht. Er konnte es in ihren Augen ablesen, denn dort tauchte dieselbe Härte auf, die sie schon Rudolphus entgegengebracht hatte. Wenn es um ihre Familie ging, nahm sie nichts so einfach auf die leichte Schulter. Killian würde es genauso handhaben, aber er hatte keine Familie mehr. Sein Bruder war ihm schon vor einer halben Ewigkeit genommen worden. Milah war seine neue Familie gewesen, bis Rumpelstilskin ihr das Herz aus der Brust gerissen hatte. Ein harter Zug legte sich um seinen Mund, als er den Kopf schüttelte. „Ich weiß, wie das klingen muss. Aber wir hatten nie vor, den Dreizack zu stehlen. Wir wollen ihn nur ausborgen.“

„Ausborgen“, wiederholte Ariel, als müsste sie das Wort aussprechen, um zu wissen, wie sie darüber dachte. Überzeugt war sie nicht. „Mein Vater würde ihn nie ausborgen. Noch weniger an... Menschen.“ Ihre grünen Augen wanderten zu Rudolphus herüber. „Ich glaube nicht, dass er ihn ausborgen möchte.“

„Dann ist es wohl gut, dass Rudolphus hier nicht das Sagen hat, Schätzchen“, erwiderte Isabela. Sie ignorierte den grimmigen Blick des Wolfs und stemmte stattdessen die Hände in die Hüften. Dass sie Ariel inzwischen Schätzchen anstatt einen Fisch nannte, sagte Killian, dass sie seine Taktik durchschaut hatte.

„Isabela hat recht. Rudolphus ist nur ein Anhängsel, das nicht weiß, wann Schluss ist“, fügte Killian hinzu.

Ariels feine Augenbrauen zogen sich zusammen.

„Was ein Anhängsel ist, ist nicht so wichtig“, kam ihr Killian mit einem belustigten Lächeln zuvor. Er ließ ihren Arm los. „Es tut uns leid, dass wir dich da hineingezogen haben. Dass wir dir wehgetan haben. Ich gebe zu, dass unsere Methoden auf den ersten Blick nicht sehr ehrenhaft erscheinen.“ Killian sah auf seine schwarzen Stiefel hinab, zeigte eine einstudierte Geste der Reue, als Ariel sein Gesicht studierte. „Tritons Ruf eilt ihm voraus, daher wissen wir ganz genau, dass er unseren Freund nicht retten wird. Aber wir müssen wenigstens versuchen sein Leben zu bewahren. Deswegen haben wir auch gekämpft. Weil wir uns über unsere Vorgehensweise nicht einig waren. Aber Gewalt möchte ich nicht anwenden. Wir können jedoch nicht einfach zuschauen, wie er stirbt. “

Ariel deutete ein Nicken an und sie schielte zu ihrer Tasche, die zu Isabelas Füßen lag. „Ich... rette auch manchmal Leben. Menschenleben.“ Sie stockte, als hätte sie bereits zu viel gesagt. Im nächsten Augenblick strafften sich jedoch ihre schmalen Schultern und sie richtete sich etwas weiter auf. Ihr schmerzender Arm schien vergessen, als sie ihn nach Isabela ausstreckte. „Das Kraut in meiner Tasche... Es wird euch helfen können. Ich werde euch damit helfen können.“ Ihre Stimme war leise, aber keineswegs unsicher. „Ich werde euch helfen, euren Freund das Leben zu retten, wenn ihr versprecht, dass ihr den Dreizack danach wieder zurückgebt“, sagte sie lauter, als Isabela ihr mit gekräuselten Lippen die Tasche reichte. „Wenn ihr versprecht, dass der Dreizack diese Höhle nicht verlassen wird.“

Killian tauschte einen Blick mit Isabela und Rudolphus aus. „Einverstanden“, erwiderte er, wobei er glatt ein wenig überrascht war, dass er Ariel so einfach dazu bekommen hatte, ihnen zu helfen. Er hatte es sich schwerer vorgestellt. Wahrscheinlich sollte er sich schlecht fühlen, sie an der Nase herumzuführen, aber der Gedanke, dass er endlich seine Rache an Rumpelstilskin bekommen würde, sobald er den Dreizack an Regina weitergegeben hatte, war zu einnehmend.

„Okay.“ Isabela zuckte mit den Schultern, während Rudolphus ein Brummen von sich gab. Ariel schien zufrieden, denn sie öffnete ihre Tasche und holte ein Bündel eines Krauts heraus, welches Ähnlichkeit mit dem Seetang hatte, aus dem die Tasche gemacht worden war.

„Das ist Dianthuskraut. Es ist frisch gepflückt. Dieses Kraut trägt Magie in sich“, sagte sie, als sie ihnen ihren Schatz zeigte. „Es lässt Menschen unter Wasser atmen, solange man etwas davon im Mund behält. Damit kann ich euch zum Dreizack und zurück führen.“

„Ich bin nicht sicher, dass ich mein Leben ein paar Stränge einer seltsamen Unterwasserpflanze anvertrauen will“, sagte Isabela und verschränkte die Arme vor der Brust.

Nun richtete Killian sich auf und drehte sich ein wenig von Ariel weg, um stattdessen die Dunkelhäutige mit den Augen zu fixieren. „Wir sind Piraten“, flüsterte er und seine Mundwinkel hoben sich zu einem schiefen Grinsen.

Isabela trat einen Schritt auf ihn zu und ihr Zeigefinger bohrte sich in seine Brust. „Erzähl mir nicht, was wir sind. Das weiß ich selbst, Darling. Um einiges besser als du, obwohl du das kleine Kätzchen ziemlich gut gezähmt hast.“ Die Lust in ihren braunen Augen ließ einen Schauer über Killians Wirbelsäule fahren. Zu schade, dass sie dasselbe Ziel aus völlig verschiedenen Gründen verfolgten. Sie würden ein ziemlich gutes Team abgegeben, wenn sie einander vertrauen könnten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Dianthuskraut habe ich mir für meine Zwecke aus Harry Potter ausgeborgt. Komplett anzeigen

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