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Spurensuche

Nur wer mit offenen Augen, aufrichtigem Herzen und reiner Seele wandelt, kann finden wonach er sucht
von

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Ein ständiger Begleiter


 

Prolog

Ein ständiger Begleiter

„Think of home

Memories of long ago

No one knows

I lost my soul long ago”

Three Days Grace – On my Own

Heute

 

Er inhalierte tief, spürte den beißenden Rauch im Rachen hinab in die Lunge gleiten. Lange behielt er ihn dort und genoss das Gefühl, wie sich durch den ausbleibenden Sauerstoff allmählich ein beengender Druck in seiner Brust aufbaute. Sein Körper schrie stumm nach Luft, die Anspannung wuchs und der süße Schmerz hinter seiner Stirn setzte ein. Lächelnd hob Lesharo das Gesicht gen Himmel, sah das Licht der Sonne durch das Dach seines Tipis dringen und entließ den Qualm langsam in die Freiheit.

„Wie lange willst du noch schweigend dasitzen und mich warten lassen?“

Der Angesprochene grinste nun breit und wandte seine Aufmerksamkeit dem Gast zu, der ungeduldig mit den im Schneidersitz verschränkten Beinen wippte.

„Du bist mir eine Antwort schuldig!“

„Dann bekommst du eine Antwort“, sprach Lesharo seelenruhig, strich sich eine Strähne seines schwarzen Haares hinters Ohr und nahm erneut einen Zug von der Pfeife. Doch dieses Mal zog er den Moment seines Genusses nicht in die Länge, sondern nutzte die Geste, um lediglich eine kurze bedeutende Pause einzulegen. „Nein.“

„Nein? Was soll das heißen, Nein?!“

„Ich für meinen Teil kenne nur eine Bedeutung für dieses Wort.“

Die unterschiedlichsten Emotionen spiegelten sich auf dem Gesicht des Anderen wieder. Zunächst war es Überraschung, dann Unglauben bis hin zur unterdrückten Wut. Lesharo wartete darauf, dass sein Gegenüber eine ungehaltene Bemerkung fallen ließ, doch diese blieb Widererwartens aus. Stattdessen entspannten sich die Gesichtszüge seines Gastes und dieser streckte die Hand nach der Friedenspfeife aus. Ohne lange zu überlegen, reichte Lesharo sie an den Anderen weiter.

„Antoine, wie lange führen wir diese Diskussion schon? Sosehr ich deine Anwesenheit auch begrüße und mein Volk dich jeder Zeit mit offenen Armen empfangen würde, desto bestürzender finde ich es, dass du immer wieder mit demselben Anliegen hierher kommst.“

„Du weißt genauso gut wie ich, dass es nicht mein Wunsch ist, aber in einem Reservat könntet ihr um einiges besser leben…“

„… als jetzt?“, beendete Lesharo schroff den Satz und schüttelte den Kopf, „Bestimmt nicht. Das will dir die kanadische Regierung nur Glauben machen und manipuliert kommst du hierher, um mich derselben Gehirnwäsche zu unterziehen.“

„Aber Lesharo…!“

„Nein, kein aber. Wenn unsere Freundschaft nicht schon so viele Jahre bestehen würde, wärst du gar nicht in der Lage jedes halbes Jahr auch nur in meine Nähe zu kommen. Deine Treue Kanada gegenüber ehrt dich, auch die Tatsache, dass du nichts unversucht lässt, den Willen der Kanadier um jeden Preis umzusetzen. Aber wenn du weiterhin kommst und mit einer Absage meinerseits zurückkehrst, befürchte ich, dass diese widerlichen Menschen dir irgendwann einmal folgen werden, um ihre Pläne selbst in die Hand zu nehmen. Und ich werde nicht zulassen, dass du mein Volk in Gefahr bringst.“

Antoine biss sich auf die Unterlippe und zeigte damit, wie wenig er eigentlich über sein Tun nachdachte. Die blauen Augen, die sonst voller Lebensfreude strahlten, waren von einem nachdenklichen Schleier bedeckt und starrten eine Stelle direkt über Lesharos Kopf an. Der Indianer seufzte schwer und streckte seine Hand aus. „Ich werde dir keine andere Antwort geben können, mein Freund.“

„Das weiß ich“, antwortete Antoine und reichte ihm die Friedenspfeife zurück. Das Kalumet war ein etwa dreißig Zentimeter langer Holzstab, an dessen Ende sich ein nach oben geöffnetes Stück Ton befand. Dort wo das Mundstück angebracht war, schmückten die dunkelbraunen, glänzenden Federn eines Weißkopfseeadlers den heiligen Gegenstand. Lesharo sog erneut tief den Rauch der Pfeife ein und spürte, wie dieser seine gesamte Lunge füllte. Schweigend entließ er ihn aus seinen Nasenlöchern und betrachtete fasziniert den weißen Qualm. Er hatte etwas Gespenstisches an sich, wie er sich ohne jegliche Form und Hast durch die Luft bewegte. Langsam verlor er an Intensität, wurde schwächer, bis er kaum noch sichtbar für das menschliche Augen war. In dem Moment glaubte Lesharo stets, dass die Gebete und Gespräche seines Volkes der Geisterwelt übertragen wurden, um sie an dem Geschehen der Lebenden teilhaben zu lassen. Leider kamen keine Botschaften zurück. In einer Situation wie dieser hätte er jedoch gern einen Rat seiner Vorfahren, besonders den seines Vaters, gehabt, um sicher zu gehen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

„Kannst du dir eigentlich vorstellen, was mit uns passiert, wenn wir uns bereit erklären, in eines dieser Reservate zu ziehen? Welche Nachteile wir dadurch bekämen?“

„Und die Vorteile?“, versuchte Antoine an den Verstand des Anderen zu appellieren, „Willst du es dir nicht trotzdem noch mal durch den Kopf gehen lassen? Schlaf ruhig eine Nacht darüber.“

„Niemals!“, sprach Lesharo streng, „Das ist mein letztes Wort. Und wenn du weiterhin hier willkommen sein willst, pack lieber deine sieben Sachen und verschwinde endlich.“ Ungerührt beobachtete der Indianer, wie sein weißer Freund zögerlich aufstand, ohne dabei den Blick von ihm abzuwenden. Mittlerweile durfte Antoine um die fünfzig Jahre alt sein, kaum jünger als Lesharo selbst und dennoch glaubte er, die Spuren der vergangenen Jahrzehnten bei dem Anderen deutlicher erkennen zu können. Es waren nicht die müden Augen und das Stöhnen über das schwere Leben, sondern das körperliche Gebrechen von Antoine. Obwohl sein schlanker Körper gut genährt und trainiert aussah, benahm er sich, als müsste er das Zehnfache seines Gewichtes aushalten. Er erweckte den Eindruck, als wäre die Belastung seines eigenen Seins zu schwer für ihn und er könnte jeden Augenblick in sich zusammenbrechen. Einfach so. Kraftlos.

Antoine war ein gutes Beispiel dafür, wie es aussah, wenn man täglich um das Überleben kämpfen musste. Jeder Schritt, jeder Atemzug und jeder Gedanke werden zur Qual und nur der Einzelne kann über das eigene Schicksal entscheiden. Entweder stellte man sich selbstbewusst der Herausforderung oder ergab sich frühzeitig.

Kaum das Antoine sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte, tat es ihm der Schwarzhaarige gleich. Ein leises Stöhnen entwich ihm dabei und erinnerte ihn an seine eigene Gebrechlichkeit. Die Knochen taten ihm von Tag zu Tag mehr weh und doch beklagte Lesharo sich nicht, sondern akzeptierte die Begleiterscheinungen des Älterwerdens.

„Dann sollte ich mich wohl langsam auf den Weg machen“, murmelte Antoine und ließ die schmalen Schultern hängen, wodurch er seine Körpergröße um einige Zentimeter verringerte. Lesharo blickte ihn an und zeigte ein kaum erkennbares Lächeln. „Komm, ich begleite dich hinaus.“

Kaum das sie vor den Tipi getreten waren, wurden sie von der hochstehenden Sonne geblendet. Lesharo hob die Hand und hielt sie sich schützend vor das Gesicht. Dadurch konnte er beobachten, wie sein Gast direkt auf sein Pferd zu ging und sich den am Sattel befestigten Stetson auf den Kopf setzte. Ein kurzer Blick und ein Nicken von Antoine in Lesharos Richtung war alles, was dieser zum Abschied bekam, ehe sich sein weißer Freund auf das Pferd schwang. Sogleich stieß er mit seinen Stiefel in die Flanke des Tieres und es galoppierte wiehernd davon, in Richtung Zivilisation. Lesharo blieb seufzend zurück und konnte letztlich nur den Kopf über den Besuch Antoines schütteln. Irgendwann würde der Tag kommen, an dem sich die weißen Männern mit einem „Nein“ ihrerseits nicht mehr zufrieden gaben und sich das holten, wonach sie sich schon so viele Jahre verzerrten.

Lesharo hoffte, dass er dies nicht mehr miterlebte, doch so lange er der Häuptling der A‘Ewejelles war, würde er alles in seiner Machtstehende unternehmen, um so etwas zu verhindern. Auch wenn er dadurch die Freundschaft zu einem besonderen Menschen aufgeben müsste. Das Wohlergeben seines Volkes war ihm eindeutig wichtiger.

Fröhliches Kindergeschrei riss ihn schließlich aus den deprimierenden Gedanken und das Indianeroberhaupt richtete seine Aufmerksamkeit in die Richtung, aus der eben jener Lärm drang.

Der Indianerstamm zählte knapp vierzig Mitglieder, die in weniger als zwanzig Tipis unter gebracht waren. Die zeltartigen Behausungen verteilten sich um eine große Feuerstelle, die das Zentrum bildete. Beinahe jeden Abend kamen alle zusammen, um im warmen Schein des Feuers beisammen zu sitzen, zu tanzen oder zu singen. Und so spektakulär das Feuer in der Nacht erschien, war die mit Steinen abgegrenzte Stelle am Tage nichts anderes als ein kalter, mit Asche bedeckter Haufen Erde. Von Kindern wurde sie jedoch häufig zur Spielstätte umfunktioniert.

Lesharo trat näher und beobachtete, wie zwei Jungen und ein Mädchen immer abwechselnd hintereinander herliefen, bis sie jeweils einen der anderen berührt hatten. Ein gutes Spiel, um die Kondition und die Muskeln zu stärken und aufzubauen. Immer wieder wurde der Stamm von ihrem Gelächter und Rufen erhellt, dass kaum noch ein anderes Geräusch hätte erhört werden können.

Ohne die Kinder bei dem Spiel zu stören, ging Lesharo auf eine Säule, wenige Meter von der Feuerstelle entfernt, zu. Ein Totempfahl. In dem über zwei Meter großen, dicken Baumstamm waren vier verschiedene Tiergesichter eingeschnitzt. Der Schwarzhaarige betrachtete jedes Tier eingehend und lächelte bei den Erinnerungen, die dadurch vor seinem inneren Auge wieder lebendig wurden. Die Vergangenheit war ihm ein ständiger Begleiter und mit dem Totempfahl konnte Lesharo die Geschehnisse, die knapp dreißig Jahre zurücklagen, keinen einzigen Tag vergessen. Nur wegen ihm wurden damals die Tiere in einen geeigneten Baum geschnitzt und aufgestellt. Dies sollte jeden an eine Zeit der Trauer und des Krieges erinnern, aber auch, dass nur ein wenig Mut und Überlebenswillen von Nöten war, um das Schicksal verändern zu können.

Abwechselnd blickte der Indianerhäuptling in die leeren Augen eines Bären und eines Wolfes, ehe er auch Augenkontakt mit einer Schneeeule und einem Weißkopfseeadler hielt. Und obwohl er wusste, dass das vor ihm nichts weiter als totes Holz war, erwartete er eine Reaktion. Sie blieb aus.

Lächelnd über seine Naivität schüttelte Lesharo den Kopf und war bereits im Begriff sich wieder von dem Totempfahl abzuwenden, mit dem er wahrscheinlich mehr gemeinsam hatte, als jeder andere seines Volkes, als plötzlich die drei spielenden Kinder auf ihn aufmerksam geworden waren. Ohne es selbst gemerkt zu haben, standen sie in einem weiten Halbkreis hinter ihm und betrachteten mit großen Augen die geschnitzten Tierköpfen. Kurzzeitig glaubte der Häuptling, dass die Kinder genau das sehen konnten, was er auch stets sah, wenn er hier stand. Doch so schnell die Hoffnung aufgekeimt war, genauso schnell war sie auch wieder erstickt worden. Der größte Junge von den Dreien meldete sich zuerst zu Wort: „Was haben die Tiere zu bedeuten?“

 „Yuma, um dir das beantworten zu können, braucht es schon ein bisschen Zeit.“ Eigentlich hatte sich der alte Indianer gedacht, dass er allein mit diesen Worten die Kinder zum Stöhnen bringen würde und sie sich anschließend wieder ihrem Spiel zu wandten. Falsch vermutet. Kaum das der Satz seinen Mund verlassen hatte, schauten sich die drei untereinander fragend an, ehe sie ihm nach stummer Absprache ihre strahlenden Gesichter zeigten. „Bitte, erzähl uns die Geschichte, bitte“, war es wieder Yuma, der für die kleine Gruppe sprach. Und zum Beweis, wie sehr sie die Antwort auf die Frage interessierte, suchten sie sich gleich einen Sitzplatz nahe der Feuerstelle und warteten gespannt – alle Augen auf ihn gerichtet. Lesharo kratzte sich zunächst überfordert am Hinterkopf, ehe er mit den Schultern zuckte. Warum nicht, dachte er und setzte sich direkt vor die drei Kinder.

„Gut, dann lasst mich mal überlegen, wo ich da am besten anfangen kann“, sagte Lesharo und blickte dabei gen Himmel. Wenn er sich recht erinnerte, war an dem Tag, an dem seine Geschichte begann, ebenfalls ein solch strahlender Sonnenschein gewesen. Er lächelte. Das war mit Sicherheit ein Zeichen. Ob nun ein Gutes oder Schlechtes vermochte er jedoch nicht zu sagen.



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