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Die Zauberin und das nostrische Komplott

Die Abenteuer der Zauberin Freya, zweite Staffel
von

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Freya in: (12) Der Stab der Beschwörung

Der Weg

Kurz bevor ich Albernia erreiche, raste ich. Der Sumpf wurde für eine Zeit durch einen Wald unterbrochen, und ehe ich diesen hinter mir lasse und am Ende noch im Moor versinke, nutze ich lieber die Möglichkeit zur Pause. Meine Finger greifen einmal mehr nach dem Tuch, in das ich Takeas silbrigweiße Kugel, groß wie zwei nebeneinander liegende Kreuzermünzen, eingehüllt hatte, die sie mir zum Abschied mitgab und über die wir uns auch über die Ferne miteinander unterhalten konnte. Mit Kugeln kannte sich die Elfe nämlich aus und es erheitert mich, als ich an unsere Begegnung zurückdenke, an der ich es herausfand.
 

„Corsaia war nicht hier, doch ich weiß, wer du bist.“

„Woher denn?“

„Das ist… nun… ich habe es halt. Zaubererkram, verstehst du?“

„Das macht es ja so spannend. Ein Zauber… oder eine Kugel? Das ist es, habe ich recht?“

„Ja… also nein… Ich habe eine Kugel, doch die nutze ich, um in die Zukunft zu sehen…“

„… und anderes. Dazu dient also der Stein auf Corsaias Stirnband. Du kannst ihn sehen und hören.“

„… Ja…“

„Und er weiß es nicht?“

„Er ließ mich nicht zu Wort kommen und ich nahm an, der große Held wird sicher selbst darauf kommen. Seitdem vergingen drei Jahre.“
 

Takea, die Elfe, die angeblich den Platz in Corsaias Herzen einnahm, gehörte zu der Sorte Magiern, die ihre Kunst lieben, weil sie ihnen erlaubte, mehr Zeit mit Büchern und weniger mit Menschen zu verbringen. Ich lächle, während ich an sie denke, an meinem Brot kaue und mit ein paar Rufen prüfe, ob sie sich gerade in der Nähe ihrer Kugel aufhält. Bei allem, was nicht mit Zauberei zu tun hatte, schien sie überfordert zu sein, und sie war eine furchtbare Rednerin. Marcin hätte sie tanzen lassen, aber mit einer Freude…

„Baum, Baum, Baum zur linken, Baum zur rechten… Elfe da?“ – „Ja. Nein. Rebnuk hat mal wieder… Gibt es was Wichtiges?“ – „Nur mein Wunsch nach Gesellschaft. Du, sag mal, warst du eigentlich schon einmal in Havena?“ – „Ja, wegen Rebnuk hier, und einmal, als ich sie sehen wollte. Sie hat mir aber nicht gefallen. Ich kenne Städte, doch diese mag ich gar nicht.“ Takea war einsam, das merkte ich deutlich. Sie schien ihre Tage bloß in der Hütte zu verbringen, allein in Gesellschaft ihres Äffchens Rebnuk, hatte in dem Dorf Dela weder Freunde noch Familie und wartete auf ihren Krieger, von dem sie wusste, dass er sie betrog. Ich hatte sie gefragt, wie das kam, doch über ihre Herkunft wollte sie nichts erzählen. Ich ging davon aus, dass sie ihre Sippe verloren haben musste, was sie an Corsaia band, doch nicht jede ihrer Antworten passte zu dieser These – so wie diese. „Was stört dich denn an der Stadt?“ – „Du wirst behandelt wie auf dem Dorf. Jeder glotzte mir hinterher, keiner wollte mit mir sprechen und alle griffen zu den Waffen, wenn ich nur in ihre Richtung sah. Dazu kommt ein Gestank nach Dreck, totem Fisch und Mensch von der schlimmsten Sorte, da willst du nur noch weg.“ – „Oh, dann freue ich mich schon darauf, hinzukommen.“ Ja, richtig, Albernia war ja etwas magierscheu, das hatte ich mitbekommen, als ich da lebte, nur zeigten sich solche Eigenschaften in den Städten nicht normalerweise weniger stark? „Wie sehr sahst du denn wie ein Zauberer aus?“ – „Ich sehe aus wie eine Elfe. Das tue ich immer.“ Danke, Takea, das war nicht die Frage, doch ist es eine Antwort. „Dann ist ja gut, dass ich da nicht lange bleibe. Ich brauche nur eine Passage nach Grangor, um da zu überwintern. Dann ist alles Nötige getan.“
 

In dieser Nacht schlief ich schlecht. Madas Mal blickte sterbend auf mich herab und mich überfiel die Furcht davor, welche Alptraumgestalten wohl auf mich warten würden, wenn ich die Augen schloss und mich einfach fallen ließ. Es gab eigentlich keinen Grund dafür, ebenso wenig wie an den letzten Nächten, wenn man einmal vom fremden Land absah und von der Magie aus Takeas Kugel, die ich bei mir trug, aber weder beherrschte noch verstand. Dann tanzte ich mit Mada, teilweise eine ganze Stunde lang, doch auch so kam ich nicht zur Ruhe. Es gab etwas, was an mir nagte, und das war das Gefühl, als würde ich einen Hang herabrollen in einem Wagen und ich hätte keine Kontrolle. Zu viele Menschen nahmen gerade Einfluss auf mein Leben und schickten mich über zu viele Stationen, und mir fehlte jede Kontrolle. Das war es für mich nicht, was es hieß, frei zu sein. Das hatte ich eigentlich vermeiden wollen.
 

Ich betrat Havena auf dem Landweg. Sümpfe am Horizont verwandelten sich langsam in Felder, bis sich mir schließlich eine Stadtmauer und dahinter die Aussicht auf mehr offenbarten. Der Weg wurde fester, wenn auch nicht voller, und ich fühlte mich allein, als ich langsam und wie ich spürte von Langbogenschützen beobachtet auf das – ganz passend genannte Nostrische Tor zutrat. Stadtwachen langweilten sich und die Bewegung, in der sie mein Nahen versetzte, ließ das Schlimmste befürchten. Ein schwarzhaariger Kerl in schimmernd poliertem Kettenhemd und mit einem fiesen Blick trat mir einen Schritt entgegen. Seine Kameraden fühlten sich in seinem Schatten stark.

„Heda, wer, woher und wohin?“

„Adeptin Freya aus Andergast, kommend aus Dela und auf Weiterreise nach Grangor.“

„Ach? Das Gildensiegel bitte.“

„Hier. Natürlich.“

„Das ist falsch.“

„Was?“

„Ein echtes Gildensiegel wird in der Handfläche getragen.“

„Bei Kampfzauberern, die sich durch Feuer schnell die Handflächen wegbrennen können, genügt ein öffentliches Tragen. Sagt der Codex Albyricus.“

„Ach ja? Larric, prüfe das nach und sieh’ gleich nach, ob nach einer Andergaster Zauberin gefahndet wird. Sie bewegen sich solange nicht weg. Ist Ihnen das Magieverbot in der Stadt bewusst?“

„Ich hab’ von gehört.“

„Jede Form schadhafter Zauberei wird sofort geahndet – und denken Sie nicht, dass Ihnen ihre Gilde hilft, wenn Sie es doch tun. Das geht dann ganz schnell hier. Und nun: Den Rucksack abnehmen, Beine auseinander und Arme hoch. Den Stab zu mir.“

„Was wird das?“

„Zollkontrolle. Der Stab ist aus Steineiche, richtig?“

„Ja, allerdings.“

„Einfuhr von Steineiche ist zollpflichtig, wird abgerechnet nach angefangenem Quader. Gun, schreib das auf und halt mal. Die Jacke ausziehen.“

„Was?“

„Kleidung ist ein beliebtes Versteck für Schmuggelware. Aedith, fühl da nach. Und nun… der schönste Teil.“

„Sie tun mir weh.“

„So eine Leibesvisitation muss penibel und gründlich sein, sonst erfüllt sie ja keinen Zweck.“

„Wenn das Ihre Vorgesetzten wüssten… kann ich meine Jacke wiederhaben?“

„Die sehen das ganz genauso. Die denken nämlich, es ist besser, wenn ihr vor der Stadtwache austickt als mitten unter Bürgern.“

„Sehr freundlich. Haben wir es bald?“

„Nein, noch lange nicht. Die Flasche ausleeren.“

„Warum? Das ist meine Trinkflasche.“

„Die Mitnahme von Alchemica in die Stadt ist untersagt und Wasser gehört dazu. Außerdem kann es Gift sein. Dann bitte den Rucksack öffnen und ausleeren.“

„Was, hier auf der Straße?“

„Wo denn sonst?“

„Kann ich wenigstens eine Decke unterlegen?“

(…)

„Dann ist jetzt alles gut?“

„Natürlich nicht. Ihr Schwert müssen wir leider noch einbehalten, damit dürfen Sie nicht in die Stadt. Sie können es allerdings abholen, wenn Sie die Stadt verlassen.“

„Das wird aber doch auf dem Seeweg geschehen.“

„Die Verwahrungsgebühr beläuft sich auf einen Dukaten pro Mond… und natürlich meinen wir Madas Phase. Wie viele Monde dürfen wir auf der Quittung vermerken?“
 

Havena

Ich habe Hunger, denn als ich endlich das Tor passieren konnte, legt Rahja bereits das Mittagsmahl nahe. Die Hauser des Stadtteils Oberfluren, durch den ich nun wandere, gleichen allerdings so gar nicht dem, was ich erwartete. Es sind große Villen an beiden Seiten von prachtvollen Straßen, die sich langsam mit Leben füllen, und nahe der Königsburg. Havena präsentiert sich mir von seiner besten Seite und von der dem Wasser fernsten gelegen – ein Teil, der auch gut in Kuslik stehen könnte. Die Bewohner sieht man allerdings kaum, weil sie ihre Häuser nicht verlassen oder sich nur in Kutschen zeigen, so dass nur Diener die Straßen bevölkern, sich in eifrigen Schritten bewegen. Niemand scheint mich zu beachten, was mich an Takeas Worten zweifeln lässt, doch kaum spreche ich sie an, merke ich, dass mich niemand beachten will: Passanten hören meine Rufe nicht oder weisen mich knapp darauf hin, dass sie beschäftigt und in Eile seien. Ich bin Zauberin, also bin ich komisch und weil es mich nicht geben soll, gibt es mich nicht. Dabei möchte ich nur wissen, wo in der Stadt ich gut was essen kann, ohne mich in die Nesseln zu setzen.

Ich fühle mich allein. Ja, vom Verhalten her könnte dies auch sehr gut Kuslik sein.
 

Das riesige Immanstadion im Zentrum und die Erinnerung an die Heimat lassen mich träumen und so merke ich nicht, dass ich mich langsam dem Hafen nähere und die Gegend maritimer und dreckiger wird. Matrosen und Arbeiter ersetzen die Dienstboten und die Herausforderung, eine bezahlbare Unterkunft zu finden, weicht der Suche nach einer vertrauenswürdigen. Bei der vierten Schenke sagt schließlich mein Gefühl zu und ich betrete sie, um mir ein Gefühl für die Stadt und ihre Regeln zu verschaffen. Wenn man davon absieht, dass Magier hier nicht willkommen sind, weiß ich wenig über den Ort, nur dass der Krieg hier sonderbarerweise weit weg zu sein scheint. Ach, Havena ist so groß und unübersichtlich. Ich hätte nicht von Andergaster Verhältnissen ausgehen sollen.

Eine schale Fischsuppe füllt den Magen und lässt mich weiter die Stadt erkunden. Ich verweile auf der Zollbrücke und sehe zu, wie ein ankommendes Schiff von Zöllnern besucht und schließlich weiter in den Hafen geleitet wird, so vertraut aus jungen Tagen, dass ich träumend auf das Wasser starre, bis mich missmutige Gardisten zum Weiterziehen anhalten. Ich schlendere die Hafenstraße entlang durch den verlassen und ruhig daliegenden Südhafen, an dessen Hafenmeisterei ich gebeten werde, an einem anderen Tag als dem Praiostag wiederzukommen, und bestaune andächtig den Bennain-Damm, während ich auch auf ihm verweile. Ich kann von seinen Höhen aus Havena erahnen: Im Westen in Richtung des Meeres versunkene Stadtteile mit dem markanten Turm der Zauberin Nahema, die hier vieles tat, nur wenig Gutes, und der nun wie ein schwarzer Finger als Warnung aus dem Meer ragt, dann die kleinen, wenn auch nicht schmutzigen Hütten Fischerorts vor mir, dann das Hafenbecken mit seinen weitläufigen Anlagen wie auch seiner Ruhe vor mir, kaum von großen Schiffen gefüllt und dahinter die Stadt, in deren Gewirr aus Gassen ich noch die Umrisse von Immanstadion und Königsburg zu erahnen meine. Aus dem Südhafen dann kam ich, diesem ruhigen Ort mit Teilen der Mauer dahinter und dann blicke ich schon wieder auf Wasser, kleine Trauerweiden, versunkene Ruinen, Nahemas Fingerzeig und die Hoffnung hinter den Weiten des Meeres. Wenn ich mich jetzt in ein Schiff setzen und nach rechts die Küste entlang segeln würde, käme ich wieder in Nostria an, oder bei einer Fahrt nach links in meiner Heimat. Ich möchte mit jemandem sprechen, während der Wind an meinen Haaren scheitert, hole die Kugel heraus und spreche Takea an. Sie antwortet nicht.

Ich ziehe weiter. In dem aus kleinen Hütten um den Efferd-Tempel bestehenden Fischerort fühlt es sich ganz behaglich an, doch in dem hinter einer kleinen Brücke gelegenen Stadtteil Krakeninsel werden die Blicke aus den Fensterlöchern feindseliger und in das nahe Orkendorf, in dem sich der Gestank von Mensch, Fisch und Sumpf zum Widerlichsten vereinen und es in Gänze hässlich wird, wage ich mich gar nicht mehr herein. Auch eine fremde Magierin ist schließlich nur eine Frau.

So scheitert mein Rundgang um das Hafenbecken mit seiner Insel im Zentrum auf den letzten Metern und ich tröste mich mit einem neuen Ziel, der sich doch irgendwo beim Wasser befindlichen Prinzessin-Emer-Brücke, dem Meisterwerk des in meiner Heimat berühmten Genius Leonardo. Ich fand das riesige Bauwerk über den Großen Fluss hinter dem unauffälligen, auch in Andergast hätte liegen könnenden Stadtteil Unterfluren, und inmitten von innerhalb der Stadtmauer liegenden Feldern, und wurde nicht enttäuscht. Zwei Türme auf Säulen ließen es leicht erspähen und die drei Bögen wurden hoch genug gespannt, um auch großen Schiffen mit vollen Segeln die Passage zu erlauben. Ein Dämon soll sie zerstört haben, als Borbarad nach der Welt griff, und dann wurde sie von Nahema wieder aufgebaut – davon kündete ein bronzenes Schild, doch ich erkannte keine Spuren.

Da schließe ich meinen Rundgang durch die Stadt ab. Das also war Havena – schnell betrachtet und von außen. Wenn ich morgen ein Schiff finde, welches mich nach Grangor führt, dann werde ich noch irgendwann einmal zurückkehren, vorerst möchte ich aber in Unterfluren, wo mein Gefühl stimmt, mir eine Bleibe suchen. Ich brauche ein Bad, etwas Ruhe und dann eine Passage, damit ich Rufus in Grangor als eine wunderschöne, wie aus dem Ei gepellte Magierin gegenübertreten kann… wie immer das auch endet. Ach, Rufus… und ich brauche ein Bier.
 

Zeit vergeht. Ich sitze in der Taverne Salzfass inmitten von Hafenarbeitern und bin schon etwas angetrunken, als sie mich neben sich setzt; eine brünette junge Frau mit sanften Rehaugen, die ich erst nicht erkenne, weil sie zur Abwechslung einmal nicht wie die aus dem Ei gepellte Magierin aussieht, die ich so gerne wäre, und weil Jahre vergingen. „Firlina“, sagt sie und sieht mich an. „San? Bist du es wirklich?“ – „Deine Mutter nennt dich Lina.“ – „San…“

Ihr Name lautet Sancide de Ruthor und vor der Unendlichkeit, in der sich meine Zeit in Andergast verbirgt, wurde sie meine Tutorin. Ich verdankte ihr, die obgleich in einem ähnlichen Alter in der Schule schon so viel weiter war, eine Menge, doch als sie ging, um ihre pflichtmäßige sechsjährige Dienstzeit bei dem ODL, der magischen Armee der Grauen Gilde, abzuleisten, waren wir keine Freundinnen mehr und auch jetzt zeigt sie keine Freude, mich wieder zu sehen, was aber auch nichts heißt. Sie war schon immer unterkühlt.

„Erzählst du mir von den Streitenden Königreichen?“ Mir muss die Kinnlade herunterklappen, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Sie sitzt vor mir wie ein Fels, die Hände vor sich auf dem Tisch, wie sie es schon im Unterricht tat, und spricht mit leiser Stimme. „Möchtest du die Antwort überdenken, während ich mir ein Bier hole?“

Ich nicke, doch sie dreht sich nur um und gibt dem Wirt ein Zeichen. „San, du bist nicht zufällig hier, oder?“ – „Nein, ich wartete hier auf deine Ankunft. Die bekam ich mit, du warst nicht leise.“ Nein, das war ich wirklich nicht. San sitzt wieder ruhig da, die Hände vor sich und mit ruhigem Blick, der präsent ist, aber nicht bohrend. Ich kannte sie nie anders. Sie brachte sich damals diese Haltung selbst bei, um den Magistern des erst vor wenigen Jahren für Frauen zugänglichen Seminars unmöglich zu machen, sie für Zappelei zu bestrafen. Sie wollte es auch mir beibringen. Daraus bestanden unsere ersten Stunden. „Ich war zufällig in Nostria, als da das Chaos ausbrach, und half bei einem Angriff auf die Marschallin von Sappenstiel. Meinst du das?“ – „Nein, doch beschreibe diese Zufälle.“ Unter ihrem Blick glich meine Haltung inzwischen ganz der ihren, während unser Bier in den Krügen seine Schaumkrone verlor. „Meine Mutter schrieb mir einen Brief, in dem stand, dass ihr Bruder verstorben war und sie mich bat, seine Erbschaft für sie abzuholen. Das tat ich, doch dann brach der Krieg aus und ein Andergaster Heer rückte an. Ich lernte auf der Flucht den Prinzen Kasparbald kennen, der gegen die Andergaster und die Marschallin von Sappenstiel, die die Macht an sich gerissen hatte, gleichermaßen ankämpfte, half bei einem Angriff gegen sie und verschwand dann. Stört dich daran etwas?“ Sie antwortet mir nicht, doch in ihrem Blick liegt eine tadelnde Note. Ich gebe mich zu schwach. Nun gut, eh egal, denke ich mir und genehmige mir gleich noch einen Schluck. „Es gab einen Putsch in Andergast. Noch lichtete sich der Nebel nicht, doch wir erhielten Kunde, dass ein Dämon dabei auftrat und es zu Kämpfen mit den Magiern des Seminars kam. Es klingt alles danach, als habe ein reisender Held ihn bezwungen, aber seit diesem Vorfall vor einigen Wochen fehlt uns jeder Kontakt mit der dortigen ODL-Garnison. Wir rechnen mit dem Schlimmsten.“ – „Bei den Zwölfen. Efferdan?“ – „Der Putsch verlief erfolglos, wir erhielten aber Kunde von einem Gegenkönig.“ – „Ach du liebe Güte.“ – „Fällt dir noch etwas dazu ein?“ Ja, natürlich. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen. „Mineda.“ – „Ja?“ – „Sie ist eine maraskanische Attentäterin und kam aus Andergast, um mir den Brief zu überbringen. Von ihr bekam ich auch eine schwarze Onyxhand. Warte, ich habe sie…“ Die muss doch in dem Rucksack sein. Verflucht, warum geht der nur so schwer auf? Meine Finger. „Firlina? Kennst du sie von den Ergebnissen damals?“ – „Gut geraten. Sie arbeitete für den General. Hier, das ist die Hand.“ San nimmt sie entgegen, sieht sie jedoch nicht an. „Hier stimmt etwas nicht“, sagt sie. „Ich glaube, wir werden beobachtet.“ Ich schaue sie an und lache. „Ja, der Wirt will wissen, ob du was gegen sein Bier hast.“
 

Es ist hell, als ich erwache, und ich liege in einer kleinen Kammer und das Licht scheint hell durch das Fenster. Ich bin allein – sei das gut oder schlecht – und bei der Schräge der Decke wohl direkt unter dem Dach. Das Bett ist nicht sehr sauber, aber angenehm, der Raum hingegen leer. Ich muss wohl doch noch eine Unterkunft gefunden haben.

Es klopft an der Tür, laut und eindringlich. Ich will mich nicht bewegen, also lasse ich es sein. „Aufmachen“, klingt eine Stimme nicht weniger penetrant von draußen. „Und leisten Sie keinen Widerstand. Sie sind verhaftet wegen des Mordes an Fräulein de Ruthor.“

Ich bin wach. San? Niemals! Das kann nicht sein!

Ehe ich mich versehe, greife ich nach Stab und Rucksack und raus aus dem Fenster, am Sims festhalten und… aua. Das war anders gedacht und tut weh. Ich bin trotzdem raus, verlasse schnell, wenn auch leicht hinkend, den Hinterhof und… ja, was nun? Erst einmal weg. Beim Laufen kann ich nachdenken. Hauptsache, ich werde nicht gefasst, denn wenn die mich fassen, dann hänge ich doch sicher, weil ich ja eine Zauberin bin.
 

Gestern Abend wird Sans Blick ein einziges Mal stechend, dann sagt sie: „Die Sache ist ungeklärt und dein Name tauchte auf. Wir haben Befehl, dich zu verhaften.“ Das überraschte mich weniger, als sie vermutet haben musste. Ich biete ihr meine beiden Arme an. „Bitte nicht“, sagt sie, „Ich habe nur gesagt, mein Befehl lautet so. Ich möchte mir erst selbst noch ein Bild davon machen. Du bist in Gefahr.“ Sage mir bitte nichts, was ich so schön verdrängt habe. „Ja.“ – „Ein gemeinsamer Bekannter warnte mich. Nur darum bin ich hier.“
 

Wo bin ich? In Havena, danke. Ich stehe mitten in der Stadt und trete auf einen weiten Platz, viereckig, mit Bäumen gesäumt und von einem mächtigen Bauwerk aus schweren Steinen und mit kleinen Fenstern beherrscht. Was weiß die Garde und woher weiß sie es? Was ist passiert, wo und wann? Nicht die Tore raus, darauf warten sie doch nur. Verflucht, ich muss mich umziehen. Gibt es hier öffentliche Latrinen? Was ist das hier? Maskenmuseum, geöffnet außer Praiostags, Eintritt: 1 Silber? Ich lache mich scheckig. Perfekt.
 

Gestern Abend wollte ich nicht raten. „Wer war es?“, frage ich, statt zu spekulieren. „Dein Einstiger.“ Welcher?, überlege ich und mein Blick muss Antwort genug gewesen sein. „Carro. Er sagte, du würdest nach Albernia mitten in eine Falle fliehen. Ich solle auf mein Kind achten, wie man es in meiner Heimat täte… und um sicherzustellen, dass es echt ist, schrieb er den Satz, mit dem ich dich begrüßte.“ – „Und der war?“ – „Dass deine Mutter dich Lina nennt.“ – „Das tat Carro auch.“
 

Ich trage eine dunkelgrüne Bluse mit einer passenden Hose, als ich das Museum verlasse, wie ich es immer tue, wenn ich mal für einen Abend nicht daran erinnert werden will, keine Magierin zu sein. Meinen Stab kann ich nicht verstecken und leider auch noch nicht verwandeln, deshalb löse ich einfach das Wolfsfell, mit dem ich den Griff auskleidete, und binde es über die Spitze – schon wirkt er auf einfachem Wege ganz anders. Ehe mich auch noch ein Barbier verpetzt, helfe ich mir bei den Haaren auf ganz ähnliche Weise: Schnell bei einem Krämer eine Spange gekauft und schon wirkt die Frisur ganz anders. Das muss reichen. Mehr kann ich in einer Stadt, die ich seit gestern erst kenne, nicht tun.
 

Gestern Abend war da etwas. Ich musste übergeben. Die Latrine war besetzt, also stürme ich raus und erleichtere mich im Hinterhof neben einer Hecke. Das Bier war wirklich furchtbar, da hatte San vollkommen Recht. Stimmen lassen mich schweigen. Da sind zwei Männer, die reden.

„Bist du sicher, dass sie es ist?“

„Larric kontrollierte sie, als sie die Stadt betrat. Freya aus Andergast, rotbraune, lange Haare, Siegel auf der Rechten. Kein Zweifel.“

„Gut, und nun?“

„Geduld. Schon bald wird sie schlafen wie ein kleines Kind, da sei dir sicher. Dann geht’s ihr an die Kehle und ab mit ihr ins Moor.“

„Und ihre Freundin?“

„Gleich daneben – es sei denn, du hast noch anderes mit ihr vor.“

„Lass mal stecken. Sarpedon war die Sache ernst. Wir gehen besser kein Risiko ein.“

„Besser ist das. Und nun: Geduld.“
 

Larric, genau. Larric von der Stadtgarde. Das war einer der Helfer, die hinter der Sache stecken mussten. Ich muss ihn finden und … naja, zunächst einmal finden. Nur wie? Ich denke, ich versuche es auf die einfachste Art: Freundlich nach seinem Wohnort fragen. Das ist Havena, da gibt es eine Menge Kommen und Gehen, warum soll dann nicht ein Gardist Besuch von seiner Base aus Dela bekommen?

So wäre San auch vorgegangen. Das war eine ungeschriebene Regel ihres Lebens: Tue das, was du tust, offen, doch mache kein Getue drum. Das konnte sie… oder kann sie, denn noch kann ihr Tod auch ein Trick sein.
 

Gestern Abend konnte ich San nicht im Stich lassen. Ich kehre zu ihr in den Schankraum zurück. „Du hast Recht“, sage ich, „Wir sind in Gefahr und im Bier ist Gift.“ Sie blickt mich an mit unerratbaren Gedanken hinter sanften Rehaugen, vollkommen ruhig, während in mir die Panik aufsteigt. „Gehe zum Brunnen und wasche dich“, sagt sie. „Du siehst furchtbar aus.“
 

Im Moment der Entscheidung bekomme ich kalte Füße. Wer war dieser Gardist doch gleich? Es war nicht der, der mich mit größtem Vergnügen begrabschte und dabei nicht einmal so tat, als suche er nach verborgenen Phiolen, sondern einer seiner Assistenten… nur wer und wie sah er aus? Ich war mir sicher, er sah eigentlich ganz unauffällig aus – das tun Attentäter ja, sieht man ja an Mineda –, aber wenn das und seine Position bei der Stadtgarde alles war, was ich wusste, dann konnte es auch böse nach hinten losgehen. Ich ging lieber auf Nummer Sicher und solange eine Spur zum Salzfass führte, konnte ich erst einmal dieser nachgehen… oder hatte San Freunde oder Kollegen in der Stadt? Wenn es eine offizielle Vertretung des ODLs hier in Havena gab, dann könnte mir die doch beispringen… aber die gab es wohl nicht, nicht in einer magierfeindlichen Stadt ohne Akademie.
 

Wenn ich mir vor meinem inneren Auge eine Zauberin vorstellte, dachte ich an San. Sie war immer so viel besser als ich. Ihr Erfolg, als erste weibliche Schülerin mit dem Rohalsmal des Jahrgangsbesten ausgezeichnet zu werden, obgleich Teile des Lehrkörpers alles taten, um dies zu verhindern, spricht für sich. Ich bin schon seit Jahren ein Protegé, sie vollbrachte ihre Leistungen allein. Ich glaube, darin lag ein Grund für unseren Bruch.
 

Das Salzfass gönnt sich einen freien Tag, davon kündet ein Schild, doch ob dies einem Mord geschuldet war, wurde nicht verraten. Ich gehe langsam vor und teste einfach mal aus, ob die Tür denn zu öffnen ist – und tatsächlich, das war sie. Der nächste Schritt führt mich in den Keller, nachdem sich das Gasthaus als verlassen erweist, und habe dort Glück… oder wie man es nimmt. In einer großen Kammer, in der das Flackern von Feuerschalen magische Zeichen an der Wand enthüllt, steht ein Mann in schwarzen Gewändern und sein altes, verschrumpeltes Gesicht strahlt, als er mich erkennt. „Und ich dachte schon, du wärst geflohen und der Meister enttäuscht. Da haben wir ja Glück… und ganz besonderes, denn ich gewinne noch mehr köstliches, magisches Blut für ein paar ganz bedeutende Rituale.“ Was? Ich verstehe gar nichts mehr, was mein Gesicht zu verraten scheint und den Magier erheitert. „Stirb!“, ruft er mir zu, „Stirb für einen guten Zweck.“ Da öffnet sich ein Portal und ich sehe mich ganz plötzlich zweier riesiger Spinnen gegenüber. Er selbst verschwindet, doch das ist klar.
 

Ich gebe dem Magier keinen Grund zur Wiederkehr, denn schon bald liegen seine Spinnen im Staub und nachdem ich meine schmerzenden Wunden mit einem Balsam versiegelte, kann ich mich auch im Raum umsehen. Da wurde ein Schreibtisch ganz in die Ecke geschoben, auf dem sich die beschriebenen Blätter stapeln, da ist ein eiserner Hebel, der das Gitter einer Zellentür öffnet, und da ist auch ein Körper darin: Ein zierlicher Frauenkörper in einfachen Leinen und mit einem Schwall brauner Haare, der sich im Takt eines ruhigem Atems auf und ab bewegt. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Auch wenn es nicht so aussieht, ist das mein ganz aus dem Ei gepellter Traum einer Magierin.
 

Am Ende war alles gut. Ein Zirkel des Namenlosen, der sich durch Auftragsmorde ein großes Ritual finanzieren wollte, für das auch der Raub eines Stabs der Beschwörung nötig war, konnte zerschlagen werden und die Papiere, die sich im Keller fanden, führten acht Bürger vor den Henker. Mir wurde ganz schwindelig, als ich einen Vermerk las, auf dem mein eigener Tod beschlossen wurde: „Großmeister Sarpedon überbrachte durch eine Agentin einen Befehl: Die Magierin Freya di Arthuro-Galahan, die die Stadt Havena im Efferd passieren wird, sei zu erlegen. Ausdrücklich betont er aber durch fremden Mund, dass dies erst bei ihrem zweiten Besuch eintreffen solle, nicht schon bei ihrem ersten möglichen Aufenthalt in einigen Tagen.“, fein säuberlich in ein dunkles Auftragsbuch notiert. Ich konnte mir denken, wer diese Agentin war, doch ich schwieg. Sollte sich San und der ODL ihre Gedanken machen. Ich erhielt noch eine ganz andere Ehre: Vom Stadtvogt selbst wurde ich im Rahmen der Feier zur Nacht der Ahnen für meine Taten um die Stadt gelobt. Ich hätte ja lieber San diese Ehre angetragen, doch die musste ja weiter.
 

An jenem Abend kehrte ich, nachdem ich mich wusch, erneut zu San zurück. Ihr Blick war so ernst, dass er mir in der Seele brannte. „Er schrieb von Kindern und meiner Heimat, doch verstehst du, was er damit sagte? Er sagte, dass er den Brief diktiert bekäme und ich besser beraten wäre, den Anweisungen nicht zu folgen und dich sterben zu lassen. Ich verlor zwei meiner Brüder und eine Schwester in der Nacht, als die schwarzen Schiffe kamen, und verspreche dir: Das werde ich nicht noch einmal zulassen. Fliehe du an den Ort, an dem ich mein Quartier bezog, ich werde dir sagen, wo. Ich halte sie auf.“



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