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Crystal Riders

Reanimation
von

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Spiegellabyrinth

Moon – Spiegellabyrinth (Part 1)
 

Eternal Sonata OST - White Mirror
 

„Irgendwie… fühle ich mich grässlich“, hörte ich Amber neben mir seufzen, bevor er mit einem gedämpften Aufprall quer über die Matratze plumpste. Erst wollte ich protestieren, aber mein Geist fühlte sich fieberwirr und ausgemergelt an, weshalb ich mich nur neben ihn fallen ließ und die Augen schloss.

„Geht mir genauso.“

„Sollte es sich nicht eigentlich besser anfühlen? Jetzt, wo alles ausgesprochen wurde?“

„Ich glaube schon“, nuschelte ich nur und rollte mich auf die Seite, um Amber ansehen zu können. Seine goldbraun getupften Augen schielten leicht in meine Richtung, durch den Kristallschimmer wurde der Eindruck erweckt, sie würden glühen. Wie schmelzendes Gold. Reflexartig streckte ich die Hand aus und strich ihm durch den Pony, der heillos zerzaust in seine Stirn floss.

„Was machst du denn da?“, beschwerte er sich und wedelte meine Hand weg als wäre es eine dickköpfige Fliege. „Du machst es nur noch schlimmer.“

„Das geht noch schlimmer?“, versetzte ich grinsend und hatte keinen Atemzug später Ambers Finger zwischen den Rippen.

„Alter, lass das, das sind unlaute Mittel!“, japste ich widerwillig und versuchte, mich zu befreien. Er wusste genau, wie kitzelig ich war. Zu meinem größten Bedauern war bei ihm keine Spur davon zu erkennen. Darum stieß ich ihm bloß meine Füße in den Magen, was ihn jedoch lediglich dazu animierte, seine Kitzelfolter noch ausgiebiger durchzuexorzieren, bis wir beide im Gerangel vom Bett kullerten.

„Autsch“, schnaubte ich, wischte die Lachtränen weg und rieb mir die Seiten. Es hätte mich kaum gewundert, wenn Amber in seinem Enthusiasmus für blaue Flecken gesorgt hätte.

„Ich wollte dich nur lachen sehen…“, sagte er unvermittelt und ich ließ den Kopf nach rechts fallen. In unserem kleinen Konflikt waren seine Haare zu einer vogelnestartigen Löwenmähne geworden. Nicht dass das großartig anders aussah als sonst. „Du lachst einmal und schon geht es mir wieder gut.“ Er lächelte und fuhr sich durchs Haar, woraufhin es wieder so fiel wie immer.

„Urgs, Amber“, erwiderte ich, die Nase kräuselnd. „Noch mehr Süßholzgeraspel und ich hab einen fetten Diabetes am Hals.“ Darauf zog er einen Flunsch.

„Da versucht man, einmal nett zu sein…“

„Gib dir keine Mühe“, säuselte ich schelmisch. Die Retourkutsche folgte auf dem Schritt, diesmal in Form eines Kissens, das er sich flugs vom Bett gegriffen hatte.

„Apropos, es hatte geklingelt, oder?“ Ich schob den weichen Federhaufen vom Gesicht und setzte mich auf, um einen Blick auf den Wecker zu erhaschen.

„In der Tat“, stellte ich, unverhofft nüchtern, fest. „Wir sind sogar schon eine halbe Stunde zu spät.“

„Oh, verflucht. Und das ausgerechnet, wenn ich Literaturwissenschaft habe… Ich bin geliefert.“ Hastig schlug er sich beide Hände vor den Mund, aber es war schon zu spät. Kaum einen Atemzug später lag statt ihm ein großes, quadratisches Paket mit mehreren Poststempeln und Lieferadressen – allesamt unterzeichnet – da und eine Querschrift in feuerwehrroten Buchstaben verriet: 1 x Amber (Vorsicht zerbrechlich; vor Nässe und Druck schützen).

„Uiii“, jubelte ich und drückte mich auf die Knie, um an die Öffnung oben heranzukommen, „hast du diesmal vielleicht an Luftpolsterfolie gedacht? Ich weiß, sie bleibt nicht lange, aber ein, zwei Bläschen kann man bestimmt zerplatzen!“ Bevor ich den Karton öffnen konnte, stieß Amber ihn von innen auf und tauchte angewidert aus einem Meer von weißen Kügelchen auf. „Oh, schade, sind nur Styroporfetzen…“
 

To the Moon OST - Moonwisher
 

„An die wievielte Stelle hab ich mich mittlerweile eigentlich schon selbst verschickt?“, grummelte er, Styropor spuckend und versuchte, das Zeug aus seinen Haaren zu bekommen, in dem es sich hartnäckig festklammerte. Ich erhob mich und umrundete den Karton einmal.

„Damit wären es jetzt zwölf. Allmählich könntest du ein Rekordbuch aufstellen.“

„Mit mir selbst?“, bemerkte er trocken. „Oh ja, das wird bestimmt ein Riesenspaß.“ Seine Schnute vertiefte sich, als ich dabei in unbeherrschtes Gelächter ausbrach, während seine Box und das Styropor verpufften.

„Wenn wir jetzt eh zu spät sind, könnten wir doch genauso gut auch schwänzen“, schlug ich vor und stemmte die Hände in die Hüften. „Und holen derweil etwas im Bett nach.“ Amber starrte mich konsterniert an, was mich anfänglich verwunderte, bevor mir aufging, wie ich meine Worte gewählt hatte.

„Idiot“, schnappte ich und verpasste ihm einen Schlag gegen die Schulter. „Woran hast du denn jetzt schon wieder gedacht?“

„Das wüsste ich ehrlich gesagt auch gern“, meinte er zerstreut.

„Dann hätten wir das ja auch geklärt“, kehrte ich das Thema eilig unter den Teppich. „Ich hau mich jetzt aufs Ohr. Und du solltest dasselbe tun.“ Dabei musterte ich ihn prüfend. Mein Blick blieb besonders lange an den tiefen Schatten unter seinen Augen hängen und wanderte dann zu seinen Schultern, die von der Kälte immer noch etwas angespannt schienen…

„Moon“, sagte er plötzlich, als ich schon meine Schlafsachen hervorgekramt hatte und mich daran machte, die Uniform abzustreifen. „Kommt es dir eigentlich auch so vor, als würde Jet in letzter Zeit häufiger verschwinden, als sonst?“ Ich hielt in der Bewegung inne und blieb mit den Augen an der Jacke hängen, die sich nur darum so stark von Crystals Klamotten im Schrank abhob, weil sie selbst kein Schwarz trug.

„Tut es“, war alles, was ich zustande brachte.

„Ich kann mir nur keinen Reim darauf machen, wie sein ständiges Verschwinden mit seiner Gabe zusammenpassen soll…“ Er sagte das so und es klang aufrichtig. Aber ich kannte Amber lange genug, um zu verstehen, dass er genau wusste, wie das beides in Zusammenhang stand. Ebenso wie ich. Wir dachten dasselbe, wagten jedoch nicht, es zu sagen. Vielleicht… wollten wir den Gedanken auch einfach nicht wahrhaben. Denn Wahrheit fing erst dann an, wehzutun, wenn sie ausgesprochen wurde.

Langsam drehte er den Kopf, um mich anzusehen, erstarrte jedoch auf halber Strecke und wandte sich mit hochrotem Kopf wieder ab. Erst da fiel mir auf, dass ich noch immer in Unterwäsche dastand.
 

Chrno Crusade OST Gospel 1 - The Stupid and Clumsy Rosette
 

„Ach, komm, jetzt sei nicht verklemmter als du bist“, kicherte ich und ließ das Flanellshirt über die Schultern fallen. „Wir sind zusammen aufgewachsen, an uns beiden gibt es nichts, was der andere nicht schon gesehen hätte. Es sei denn, du hast in den letzten zwei Jahren einen Wachstumsschub hingelegt.“ Bei den letzten Worten blinzelte ich unauffällig eine Etage tiefer auf seinen Körper und er lief, wenn das denn möglich war, noch röter an, woraufhin ich mich wieder krümmen musste vor Lachen. Amber verschränkte nur, schnaubend wie die größte Diva, die Arme vor der Brust, machte jedoch keine Anstalten, sich von der Stelle zu rühren.

„Muss ich dich rausrollen oder hast wieder vor, in meinem Bett zu schlafen und mich als Kuschelteddy zu zweckentfremden?“ Während ich sprach, schlüpfte ich in die Schlafhose, schlenderte aufs Bett zu und tippte ihn mit der Fußspitze an. „Dein Weinatmen dröhnt mir jetzt noch in den Ohren.“ Doch er reagierte nicht auf meine Stichelleien, seine Augen waren bewegungslos auf einen Punkt auf Crystals Bett gerichtet. Als ich ihm folgte, konnte ich die kleine Holzeule erkennen, die zusammen mit Jets Jacke dalag, als hielte der schwarze Stoff sie behütend im Arm.
 

Soundcritters - Never Found
 

„Herrgott, Moon, wie schaffst du das bloß, so ruhig zu bleiben?“, stieß er auf einmal heftig hervor und griff sich mit beiden Händen ins Haar, wodurch sein Gesicht hinter den Armen verschwand. Ich ging vorsichtig neben ihm in die Knie, ließ mich mit dem Rücken gegen das Bett fallen und lehnte mich an seine Schulter.

„Ich weiß es nicht“, gab ich schließlich leise zu und betrachtete das Stillleben vor uns. Die Eule musste schon sehr alt sein, die Schnitzstellen waren vom vielen Streichen rund und weich geworden. Aber so wie ich die Szene betrachtete, fiel mir auch auf, dass Jets Jacke ebenso in die Jahre gekommen war. Die Ärmel waren teilweise aufgerissen, das Leder an vielerlei Stellen abgeschürft und aufgeraut. Wie lange besaßen die zwei diese Fragmente aus der Vergangenheit schon? Und was erzählten die Narben darauf für eine Geschichte?

„Ich denke einfach, dass es den beiden nichts nützt, wenn wir Trübsal blasen.“ Schlagartig fuhr Ambers Schopf wieder hoch und ich nahm meine Wange von seiner Schulter, um ihn anzusehen. Seine Augen flimmerten unstet. Gefühlschaos. Ob meine sich wohl auch gerade verfärbten?

„Aber wir können doch auch nicht einfach so tun, als wäre nichts…“

„Doch“, flüsterte ich und versuchte mich an einem milden Lächeln. „Es heißt zwar immer, man solle nicht untätig rumstehen, sondern handeln, aber ich denke, manchmal… manchmal sollte man aufhören, über die Schwere der Welt zu diskutieren und sie einfach Welt sein lassen. Jeder redet sich in seinen Spiralen fest und spinnt himmelweite Theorien zusammen, aber am Ende des Tages, verstummen wir doch alle, wenn wir einmal das Meer sehen oder die Sterne, den Mond, die Sonne…“ Erst schienen ihm die Worte zu fehlen, dann schüttelte er mit einem schnaubenden Lachen den Kopf und war mit einem Schwung wieder auf den Beinen.

„Aus dir werde ich einfach nicht schlau, Moon…“

„Das soll auch so bleiben“, feixte ich grinsend. „Sonst wäre es ja langweilig.“ Unschlüssig glitt sein Blick hinüber zu meinem Bett und dann wieder zu mir und ich ruckte amüsiert das Kinn Richtung Tür. „Na los, hol deine Sachen. Aber ich sing dir kein Gutenachtlied, klar?“

Ganz langsam kehrte das mir so vertraute Amber-Lächeln zurück und unerwarteterweise fühlte ich, wie dabei mein Herz einen Schlag aussetzte und mein Magen sich einmal um die eigene Achse zu drehen schien.

„Dann bis gleich, du verrücktes Huhn“, sagte er noch im Gehen und war leider schon kichernd hinter der Tür verschwunden, als ich ihn lauthals zum Teufel wünschte. Wobei eben nichts anderes als gackernde, hysterische Laute aus meiner Kehle kamen.
 

Jade – Spiegellabyrinth (Part 2)
 

Silent Hill: Homecoming - Cold Blood
 

Ich hatte die Hände ineinander verschränkt und versuchte dadurch, den einzigen Misston zu vertuschen, den mein Körper erzeugte. Von Kopf bis Fuß war ich zu einer kühlen, spiegelnden Fläche geworden. Keine wagte es, eine solche Fassade zu brechen, weil er genau wusste, er würde sich schneiden.

Das Einzige, was ich mir zugestehen musste, um die Maske gerade zu halten, war eine lautlose Bewegung; das Drehen des Rings an meiner rechten Hand. Sie sog all die Nervosität in sich auf, wirkte wie das perfekte Ventil, unauffällig und sofortwirksam.

„Ihr wisst sicher, warum ich Euch hierher gerufen habe, oder?“, fragte Crowe mit einem angedeuteten Schmunzeln auf den Lippen, indes er sich einen Kaffee anzurühren begann. „Nehmt ruhig Platz.“ Ich rührte mich nicht und er zuckte die Schultern. Der Geruch von ausgesessenem Kunstleder und Zigarrenqualm hing in der abgestandenen Luft. Es war fast wie in einem dieser verjährten Detektivfilme, beziehungsweise hätte Crowe generell hervorragend in die Rolle des alten, mürrischen Polizeioffiziers gepasst, der den echten Ermittlerin eigentlich nur im Weg stand und den Humor eines Flusspferdes besaß.

Ich wartete, bis er sich seine drei gehäuften Zuckerlöffel in die Tasse geschüttet und sich auf seinen Stuhl hatte fallen lassen, der ächzend unter seinem Gewicht nachgab.

„Ich wäre dafür, dass wir direkt zur Sache kommen“, sagte ich. Er nahm nur einen schlürfenden Schluck von seinem Kaffee und kramte in einem der Papierstapel, die sich auf seinem Schreibtisch zuhauf türmten.

„Es geht um Andrew Hatcher, sechszehn. Ich nehme an, der Name kommt Euch bekannt vor?“ Seine heimliche Provokation fing an, mich wütend zu machen, auch wenn ich ihm das nicht erlauben wollte. Unter der Kristallhaut war ich auch nur ein Mensch.

„Er wurde kürzlich zum Crystal Rider“, entgegnete ich gefasst und drehte den Ring unbewusst schneller. Crowe grunzte spöttisch, zog einen Papierbogen hervor und schmiss ihn so an den Rand des Schreibtisches, dass ich die Schrift darauf lesen konnte.

„Und ist nicht mehr am Leben, Teuerste.“ Anstatt ihn anzusehen, richtete ich die Augen auf das Schreiben und presste leicht die Lippen aufeinander, als ich die ersten Zeilen überflog. Es war eine Klageschrift.
 

„Nicht mein Sohn, ich flehe Euch an!“
 

Ich musste kurz die Augen schließen, um die Erinnerung zu bewältigen und zurück in die Tiefe zu drücken, was Crowe natürlich nicht entging. Dass ihm dieses Prozedere so eine Freude zu bereiten schien, verfestigte nur meinen Ekel vor ihm.

„Fassen wir doch noch einmal zusammen, für den Fall, dass Euch die Tatsachen nicht mehr so deutlich vor Augen liegen, Chan.“ Er nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee und stützte einen Ellbogen auf dem Tisch ab. „Gestern Nachmittag, um circa dreizehn Uhr neunundzwanzig, bekamt ihr die Meldung, dass Mr. Hatcher zu einem Rider transformierte und wart circa zwanzig Minuten später dort, um den Jungen abzuholen, allerdings…“ – er stand auf und trat zu einem großen Eichenschrank hinüber – „…weigerte sich die Mutter, Euch ihren Sohn zu überlassen. Der Vater hingegen war dafür, ihn sofort vor die Tür zu setzen.“ Die Schranktüren flogen auf und offenbarten eine Reihe von Akten und Gesetzesbüchern, denen Crowe keine Aufmerksamkeit schenkte, stattdessen zog eine flache Zigarrenschachtel, die dazwischen eingeklemmt war, heraus und schloss die Türen wieder. „Das Ganze artete in einen äußerst unschönen Konflikt aus, bei dem Andrew Hatcher schließlich die Kontrolle über seine Gabe verlor, die… Was war es noch gleich?“

„Gestaltwandlung der Klasse C; halb Tier, halb Mensch“, flüsterte ich widerwillig und versuchte das Echo des Hyänenknurrens zu ignorieren, das mein Gedächtnis rekapitulierte.

„Ah, genau!“, rief Crowe und fischte eine Zigarre hervor. „Er verwandelte sich in ein hyänenähnliches Wesen und fiel seinen eigenen Vater an. Und als die Nachbarn auf die Unruhen aufmerksam wurden, sah der Junge vollends rot und griff wahllos Menschen auf der Straße an. Bis hierhin korrekt, nicht wahr?“ Ich schenkte ihm nicht die Genugtuung, mir eine Bestätigung abzuringen und konzentrierte mich weiterhin aufs Atmen. Sein nächstes Lachen wurde von der Zigarre zwischen seinen Lippen eingedämpft.

„Und jetzt… kommen wir zu meinem Lieblingsteil“, verkündete er und zündete die Zigarre an. Der beißende Geruch des Tabaks breitete sich augenblicklich im Raum aus und die Erinnerungen kamen zurück wie eine Kettenreaktion auf dem Minenfeld. Ich war einen Schritt zu weit gegangen und schon gab es kein Zurück mehr…
 

Crysis 2 Score: Morituri [Suite]
 

Ich stehe mit dem Rücken zur Hauswand und warte auf den richtigen Zeitpunkt, auch wenn die Befürchtung in mir glüht, ihn niemals zu bekommen. Das grauenhafte Gelächter der Hyäne brennt sich schneidend durch die Luft, es kracht, Staub wird aufgewirbelt und versperrt mir die Sicht.

Er ist vollkommen außer Kontrolle und würde in diesem Zustand vermutlich auch nicht davor zurückschrecken, ein Kleinkind anzufallen. Wenn ich nicht schnellstens etwas unternehme, wird sich bald eine Lawine von Massenpanik lostreten.

Endlich sehe ich, wie mir den Rücken zudreht und die Luft wittert. Sofort stürze ich nach vorn und springe ihm auf die Schultern, um vielleicht dort endlich einen Schwachpunkt auszumachen.

Wenn ich ihn nur beruhigen könnte! Das ist alles, was notwendig ist – dann würde er sich zurückverwandeln und wieder der schüchterne Junge mit der Brille und den Schulbüchern unterm Arm sein, dem ich vor nicht ganz zehn Minuten noch gegenüberstand.

„Andrew!“, keuche ich und versuche mich im groben Fell an seinem Nacken festzuhalten, da er sich mit der Kraft von mehreren Pferden schüttelt und brüllt wie ein Orkan. So viel Kraft. Wahrscheinlich wäre es ihm ein Leichtes, einen Menschen von meiner Statur wie einen Ast in der Mitte durchzubrechen. „Bitte, hör mir zu! Du musst dich konzentrieren! Deine Mutter… sie…“ Doch ich kann nicht weitersprechen, da er sich auf den Rücken wirft und mich um Haaresbreite mit seinem Gewicht zerquetscht, wäre ich nicht schnell abgesprungen. Ich weiche seiner herannahenden Klaue aus und will gerade wieder ansetzen, als sich etwas in der Atmosphäre verschiebt. Auch Andrew hat es gespürt, denn er hält im Schlag inne und schnuppert, während seine tiefroten Hyänenaugen nach rechts zucken.

Durch den Staub, der von den eingerissenen Häuserwänden aufsteigt, ist anfangs nur eine vage Silhouette zu erkennen, aber kaum ist sie nahe genug, um Farben auszumachen, rinnt mir ein siedend heißer Verdacht durch den ganzen Körper. Das kann nicht sein! Das passt nicht ins Bild, ergibt keinen Sinn…

Aber egal, wie ich mich dagegen sträube, es anzunehmen, als er nahe genug ist, dass ihn kein Staub mehr verdeckt, verrauchen alle Zweifel. Neben mir kreischt Andrew auf und wetzt ohne Umschweife auf ihn zu, als hätte er die ihn betreffende Gefahr gewittert.

„Jet!“, höre ich mich schreien, doch meine Beine sind wie festgewachsen. Aber selbst wenn ich mich hätte bewegen können, ging alles viel zu schnell, sodass ich nicht einmal die Möglichkeit gehabt hätte, einen Finger zu rühren.

Jet verändert seine Position nicht und sein Gesicht gleicht einem Portrait; ohne Ausdruck, farblos, fernab aller Gefühle. Nur seine Augen leuchten silbrig auf, als Andrew noch einen Meter von ihm entfernt ist und bereits mit der Tatze ausholt. Im nächsten Moment ist ein herzzerreißendes Jaulen zu hören und der Hyänenjunge bricht vor seinen Füßen zusammen, schrumpft, winselt. Dieser Ton geht in ein Schluchzen über, während sich das Fell zurückzieht und schlussendlich wieder Andrew Hatcher zu erkennen ist, so wie er war.

Da bröckelt die Starre von meinen Beinen und ich brülle: „Jet, nicht!“

Aber es ist zu spät. Bevor ich die beiden erreichen kann, tritt Jet mit dem Fuß achtlos gegen die Schulter des Jungen, sodass er auf den Rücken kullert, dann leuchten seine Augen ein weiteres Mal auf und Andrew stößt einen grellen Schrei aus. Es ist sein letzter.

Jet wendet sich gleichgültig von dem nun völlig reglosen Körper ab und verschwindet wieder zwischen den Trümmern wie ein Geist.

Ich schaue ihm hinterher, derweil ich mich neben Andrew zu Boden knie und seine angstvoll aufgerissenen Augen behutsam schließe.

„Was habt Ihr getan?!“, dringt da die Stimme seiner Mutter an meine Ohren, dann folgen hastige Schritte, ein brüchiger Laut, halb Schluchzen, halb Schmerzensschrei. „WAS HABT IHR GETAN?!“

Und mir bleibt nichts anderes übrig, als jetzt stark zu sein.
 

FFVII Crisis Core Soundtrack: Sky Blue Eyes
 

„Euer kleiner Bluthund hat ganze Arbeit geleistet“, holt mich Crowes knarrende Stimme unsanft zurück in die Gegenwart. „Sofortiger Herzstillstand, nicht den Hauch einer Chance auf Wiederbelebung. Von so was wie Barmherzigkeit bekommt er wohl nicht oft zu hören, was?“

„Sprecht nicht so über ihn“, zischte ich und musste mich mit aller Kraft zusammenreißen, sein Büro nicht unverzüglich in Schutt und Asche zu legen.

„Oho“, gluckste er zwischen einigen Zügen von seiner Zigarre, die mittlerweile fast aufgebraucht war. Ich hatte seine Version des Geschehens nur am Rande mitbekommen, aber scheinbar hatte er sich in aller Seelenruhe darüber ausgelassen.

„Der Junge macht mir eigentlich auch keine Sorgen, es seid vielmehr Ihr“, fuhr er mit einem Fingerzeig auf die Klageschrift fort. „Und diese Anklage ist, so behaupte ich, noch Euer geringstes Übel. Soweit ich weiß, ist die Entschärfungsquote für das vergangene Jahr überaus gering ausgefallen.“ Ich biss die Zähne aufeinander.

„Das könnte daran liegen, dass die Regierung das Limit verkürzt und die Anforderungen erhöht hat.“

„Bindet mir keinen Bären auf, Chan“, höhnte Crowe. „Ich glaube, der eigentliche Grund ist, dass ihr langsam aber sicher mit Eurer Aufgabe überfordert seid. Es gelingt Euch ja offenbar auch nicht, diesen herzlosen Köter an der kurzen Leine zu halten.“

„Schweigt“, fuhr ich ihn an und schlug beide Hände flach auf den Schreibtisch, dass die Kaffeetasse klirrte und einige Papiere zu Boden segelten.

„Genug“, durchschnitt da eine frierend kalte Stimme die Luft, bevor Crowe zu einer Gegenrede ansetzen konnte. Ich holte scharf Atem und richtete mich angespannt wieder auf, denn ich kannte diesen Tonfall, diese Stimmlage, diese Art, zu reden. Ich kannte sie nur zu gut.

„Liz“, kam es von der Tür in meinem Rücken und ich konnte nicht verhindern, dass ich bei diesem Spitznamen, den ich schon so lange nicht mehr gehört hatte, endgültig die Beherrschung verlor und wütend herumwirbelte, damit er jedes meiner Worte genauestens verstand.

„Ich habe es Euch schon damals gesagt, aber ich wiederhole mich gern: Ich werde kein Monster aus ihm machen. Und Ihr auch nicht!“
 

Jet – Spiegellabyrinth (Part 3)
 

Soundcritters - Never Found
 

Manche Tage fühlten sich an, als würde man am Morgen mit einem Puzzleteil in der Hand erwachen und alle Stunden, die folgten, damit verbringen, die anderen zu finden und ein schlüssiges Gesamtbild zu erstellen. Obwohl man nicht einmal wusste, dass es etwas zu enträtseln gab. Das war einer dieser Tage.

Nur dass die Puzzleteile anfänglich zäh und mühselig zu mir vorgedrungen waren, um am Ende alle auf einmal auf mich einzustürzen, was es mir unmöglich machte, sie korrekt aneinanderzufügen.

„Jet!“, presste Crystal hervor, als ich die Tür zuzog und die Dunkelheit im Raum uns umschloss wie eine zweite Haut. Ich kannte den Grundriss und die Positionen der wenigen Gegenstände in- und auswendig, trotzdem war mir auf einmal unbehaglich zumute, so als hätte sich das Mauerwerk verschoben, vielleicht sogar die ganze Kammer umgekehrt. Crystal stolperte gegen meine Seite und verbarg ihr Gesicht an meiner Brust.

„Was ist das hier?“

„Die Hinterbühne der Aula“, erklärte ich und streckte die Hand nach dem Lichtschalter aus.

„Nicht“, hielt Crystal mich zurück. Langsam zog ich die Hand zurück und ließ sie stattdessen auf ihren Kopf sinken. Ein kraftloser Atemzug traf auf den Stoff meines T-Shirts und mir ging auf, dass sie das Licht verweigerte, um ihre Tränen zu verstecken. Die Puzzleteile ordneten sich neu an, waren aber nach wie vor unentschlüsselbar. Davon abgesehen, dass mich ihr Weinen fast um den Verstand brachte.

„Crystal“, flüsterte ich und starrte hilflos an die Wand hinter ihr, obschon jede Richtung nach Wand aussah in Anbetracht der Dunkelheit. „Was hast du wirklich?“

„Ich…“, hauchte sie nur und schlang beide Arme so heftig um meinen Körper, dass ich vor Überraschung ein kleines Stück zurückwankte. Es war, als versuchte sie, etwas auszugleichen, mir wurde bloß nicht deutlich, was. Es schien fast wie… eine Entschuldigung.

Auch wenn sie es nicht gewollt hatte, konnte ich nicht anders, als meine Hand doch auf den Lichtschalter zu legen. Schummriges Lampenglühen flutete die Kammer und schraffierte einen Honigglanz auf ihr Haar. Sie hob zögerlich das Gesicht von meiner Brust und blinzelte, wobei sich die letzten Tränen aus ihren Wimpern wanden.

„Ich weiß… von deiner Gabe“, hauchte sie schließlich und schaute mir dabei unverwandt in die Augen. Die Puzzleteile zerbrachen, ich hörte sie krachen und schmeckte den mehligen Puder, der dabei von ihnen wich. Die ramponierten Überreste strömten wieder gen Boden und das Bild, das sie nun ergaben, war ein Trümmerfeld. Hatte jedoch endlich einen Sinn.

Ich zuckte abrupt zurück und stieß gegen die Wand, aber Crystal lockerte ihren Griff nicht, nein, vielmehr drängte sie sich noch enger an mich. Ich spürte, wie ihre Hände an meinem Rücken zu Fäusten wurden.

„Bitte, Jet“, flehte sie, „lauf nicht wieder weg.“ Ich konnte ihre Worte kaum zuordnen, mein Herz übertönte jedes andere Geräusch, es schmetterte mit der Gewalt und Schnelligkeit eines Zuges gegen meinen Brustkorb. Crystal musste es hören. Was dachte sie jetzt? Wie zum Teufel war es möglich, dass sie noch da war?!

„Jet, es ist okay“, sagte sie, aber ich hob nur die Hände und presste sie auf meine Augen. Ehe ich mich versah, spürte ich einen ziehenden Schmerz an den Lidern und dann legten sich ihre Finger um meine Handgelenke und zogen sie sanft herunter. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass ich versucht hatte, mir selbst die Augen auszukratzen…

„Hast du…“, murmelte ich mit rauer Stimme, ohne mich bewusst dazu entschieden zu haben, „…hast du jetzt Angst vor mir?“ Statt einer Antwort, löste sie die Hände von meinen Handgelenken und legte sie an mein Gesicht.

„Schau mich an.“

„Nein“, platzte ich hervor und kniff die Augen noch weiter zu, bis mir schwindlig wurde.

„Jet, vertrau mir…“

„Du weißt nicht, was du da sagst“, fuhr ich sie an und beim letzten Worten splitterte meine Stimme. Aber sie blieb stur. Ihre Fingerspitzen strichen achtsam über meine Wange und als sie meine Lider berührten, löste ich die Verkrampfung widerstrebend und öffnete sie zaudernd.

„Ich habe keine Angst vor dir“, sagte sie eindringlich und hielt meinen Blick fest. Ich wollte wegsehen, doch es war wie am gestrigen Abend, nur noch stärker. Ein dünner Faden, unzerreißbar, der sich zwischen uns spannte und mit jeder Konfrontation an Stabilität gewann. War es das, was die Menschen Seelenverwandtschaft nannten? War es das, was mich schon vom ersten Augenblick an von ihr eingenommen hatte? Pulsschlaggleich. Klang auf Klang.

„Crystal“, stöhnte ich und verlor ein weiteres Mal die Kontrolle über meinen Körper, als ich ihre Taille packte, sie herumdrehte und gegen die Wand drückte, bevor ich meine Lippen auf ihre presste.
 

Everything by Lifehouse
 

Sie schob die Hände in mein Haar und zog mich näher, auch wenn kaum noch eine Nadel zwischen uns Platz gefunden hätte. Impulsiv krallte ich meine Finger im Stoff ihrer Jacke fest, wodurch das Oberteil ihrer Uniform gelupft wurde. Und als ich ihre bloße Haut streifte, knurrte sie an meinen Lippen und biss begierig zu. Unweigerlich musste ich lachen.

„Was?“, keuchte sie und ihre Wimpern klappten ein Stück in die Höhe. „Ach du…! Oh Gott, tut mir leid, Jet!“ Rasch beugte sie sich ein Stück zurück.

„Diese Seite von dir bekomme ich sonst nur zu sehen, wenn ich was ausgefressen habe“, bemerkte ich lächelnd und tupfte mir den winzigen Blutstropfen von der Unterlippe. Sie senkte beschämt das Kinn auf die Brust und nuschelte etwas von „Strafe dafür, dass du so süß bist“. Versunken ließ ich meine Hände von ihrer Taille aufwärts wandern, kam genau auf ihren Rippenbögen zum Stillstand und nahm daher in aller Deutlichkeit wahr, wie sie erschauerte, als ich meine Finger noch wenige Millimeter höherstreichen ließ. Mein Körper spiegelte das Verhalten ihres eins zu eins.

„Wie hast du es erfahren?“, fragte ich und hätte mich gleichzeitig dafür ohrfeigen können, das Ganze ausgerechnet jetzt nochmal aufzurollen. Aber Crystal überraschte mich schon wieder.

„Von Moon und Amber. Sie machen sich ganz schön Sorgen um dich…“ Dabei lehnte sie sich wieder vor, legte eine Hand auf meiner Schulter ab und strich mir mit der anderen die Haare aus der Stirn, immer und immer wieder. „Und ich auch.“

Verwundert zog ich die Brauen zusammen.

„Du bist wie ein Junge, der mitten auf der Straße allein gelassen wurde“, fing sie an und ihr Kopf pendelte kaum merklich von einer Seite zur anderen. „Und das mit so eine Fähigkeit.“

„Du bemitleidest mich?“, stellte ich bitter fest und meine Züge strafften sich. „Du solltest lieber meine Opfer bemitleiden.“ Und da sah ich das erste Mal einen Anflug von Furcht in ihren Augen flackern, doch ebenso schnell wie er aufgeglommen war, verblasste er wieder. Ihre Hand ließ von meinem Haar ab, streichelte an meiner Schläfe hinab, über Kinn und Hals und stoppte letztendlich auf meiner Brust, dort, wo der Schmerz wie ein brennender Pfeil feststeckte. Aber als ihre kühlen Fingerspitzen den Punkt berührten, ergriff ein ungezähmtes Beben meine Muskeln, alles krampfte sich zusammen und ich stöhnte auf. Als die Qualen urplötzlich von mir abfielen und nichts als taube Leere zurückließen.

„Was war das?“

„Was war was?“, stutzte Crystal und legte den Kopf schräg. Unsicher hob ich meine Hand über ihre. Die Stiche waren verschwunden, vollständig. Sie hatten sich in der letzten Zeit so fest etabliert, dass es sich befremdlich anfühlte, sie nicht mehr wahrzunehmen.

„Nichts“, sagte ich tonlos, dabei war genau das Gegenteil der Fall. Oder doch nicht? Ich wusste es nicht.

„Tut mir leid, es fällt mir schwer, mich in deine Lage zu versetzen.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und ich hätte sie am liebsten nie wieder von hier gehen lassen.

„Nicht doch“, raunte ich und nahm ihr Gesicht in die Hände. „Es ist besser, wenn du es gar nicht erst versuchst. Ich will nicht, dass es dich runterzieht…“

„Und ich will nicht, dass du es komplizierter machst, als es eh schon ist“, schnaubte sie, die Hände von meinem Oberkörper hinunter fallen lassend, bis sie meinen Bauch erreichte und spielerisch an meinem T-Shirt zog.

„Und was wäre der einfache Weg?“, kam ich ihrer lautlosen Aufforderung nach und nahm mir die Vehemenz heraus, meine Hände direkt unter ihr Oberteil zu schieben. Sie hielt den Atem an, seufzte dann zittrig und legte ihre Hände reflexartig auf meine Arme.

„Vorher und Nachher ihre Daseinsberechtigungen entziehen und nur noch das Jetzt kennen…“ Damit trafen unsere Lippen wieder aufeinander und ich musste mich zusammenreißen, jetzt wo ich ihre weiche Haut unter den Finger spürte, ihren Rücken und die Schulterblätter erfühlte, jeden Muskel registrierte, als wollte ich die Erinnerung für später festigen.

Und dann holte mich diese dubiose Empfindung ein, von der Jade schon so oft gesprochen hatte. Wenn die Schritte weitertrugen und statt des Menschen vor dir, auf einmal dein eigenes Gesicht zu sehen ist und dich dazu auffordert, eine Entscheidung zu treffen.

Unwillig löste ich mich von Crystal, zog meine Hände unter ihrer Uniform hervor und den Stoff wieder zurecht. Sie musterte mich fragend.

„Ich…“, setzte ich an. Worte der Erklärung. So logisch und nachvollziehbar aneinandergereiht, dass sie kaum eine Lücke für Unverständnis ließen. Ich hätte es ihr sagen können, ich hätte…

„Vorher und Nachher ihre Daseinsberechtigungen entziehen und nur noch das Jetzt kennen…“

„Jet?“ Ich fuhr zusammen und traf ihren besorgten Blick. Wann hatte ich meine Augen geschlossen? „Du wolltest etwas sagen.“

„Nicht so wichtig“, schüttelte ich den Kopf. „Wir sollten zur Mensa gehen, sonst gibt es bald nichts mehr.“

„Ich hab keinen Hunger“, meinte sie schal und verschränkte gedankenverloren ihre Finger mit meinen, als wie zur Bestätigung ihrer Lüge, ihr Magen knurrte. Ich grinste spöttisch.

„Aha.“

„Ich will nicht, dass es Abend wird“, verteidigte sie sich, ließ sich aber ohne Widerworte von mir mitziehen. „Dann ist es schon so gut wie Nacht und es dauert Stunden, bis ich dich wiedersehen kann.“ Abrupt blieb ich stehen und drehte mich zu ihr um.

„Ich lasse dich nicht mehr los.“ Meine Stimme war nur ein heiseres Flimmern. „Nie mehr. Meine Hände lösen sich vielleicht von deinen, aber dein Herz halte ich fest. Und du meins… wenn du es willst.“ Ich zog leicht einen Mundwinkel hoch und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie sich das gerade angehört haben musste. Das waren wohl diese berühmten Momente im Leben, in denen alles, was man unter Hollywoodkitsch einordnete, seine Ernsthaftigkeit zurückerlangte. Denn wenn man versuchte, so tiefe Gefühle in Worte zu kleiden, war es dann nicht ganz natürlich, dass man ihnen mehr Größe zugestehen wollte?

„Mehr als alles andere“, keuchte sie und ein zarter Tränenglanz huschte über ihre Augen.

„Und darum bin ich nie ganz weg“, fuhr ich, ihre Wange streichelnd, fort. „Außerdem kann ich nicht verantworten, dass wegen mir deine Nahrungsaufnahme leidet. Du bist schon so klein und dünn.“
 

Final Fantasy IX - Eiko's Theme (Alternate)
 

„Ich bin nicht klein!“, zürnte sie unvorhergesehen und ich hob abwehrend die Hände.

„Schon verstanden, keine Kommentare über die Größe.“ Entgegen ihrer Trotzhaltung musste sie in mein Lachen einfallen.

„Schreib es dir in den Kalender“, mahnte sie noch, als wir gerade die Mensa erreichten. Moon und Amber saßen an ihrem üblichen Platz und zankten offenbar darüber, wer den letzten Jogurt bekam, den es als Dessert zum Nudelauflauf gab.

„Du hattest schon fünf Schälchen!“, warf Moon ihm gerade vor.

„Aber ich habe es zuerst gesehen und außerdem hab ich die Kalorien viel dringender nötig als du.“

„Ich bin nicht fett!“ Kurz darauf hatte er eine, noch ganze, Paprikaschote im Mund. Amber wollte sie gerade rausziehen und Moon gleichzeitig daran hindern, sich den Jogurt unter den Nagel zu reißen, als sie uns bemerkten und quasi alles stehen und liegen ließen, um auf uns zuzulaufen.

„Crys!“, rief Moon, dann stoppte sie ruckartig, wodurch Amber von hinten gegen sie stieß und sich die schmerzende Nase rieb. Ihre Augen flogen zwischen mir und Crystal hin und her, dann entdeckten sie unsere ineinander verschränkten Hände und hoben synchron die Brauen, ehe sie einen argwöhnischen Blick wechselten.

„Ich hab’s dir doch gesagt!“, fiepte Moon dann und schüttelte Amber so kraftvoll, dass seine Zähne aufeinanderschlugen. „Und du wolltest schon nach ihnen suchen! Wer weiß, wobei wir sie gestört hätten?“

„Ja, ja, ja, ist ja schon gut“, heischte Amber sie an und machte sich von ihr los. „Willst du, dass ich ein Schleudertrauma bekomme?“ Er schüttelte den Schwindel ab und starrte mir prüfend ins Gesicht. Ich probierte ein Lächeln, das ihm hoffentlich die Entschuldigung vermittelte. Scheinbar tat es das, denn Ambers Züge entspannten sich, dann grinste er ebenfalls; Entschuldigung akzeptiert, Kumpel.

„Oh Mann, irgendwer muss eine Zwiebel herholen“, schniefte Moon und wedelte mit den Händen vor ihrem Gesicht rum. „Sonst kommt noch einer auf die Idee, ich müsste flennen.“

„Ich hab einen besseren Plan!“, schoss es da auf einmal aus Amber hervor und er kam auf uns zugestürmt. „Gruppenkuscheln!“

Und als ich mich, eingeklemmt zwischen seinem Arm und Crystals Schulter, wiederfand und mich fragte, wieso ich nicht in der Lage war, mich zu bewegen, fiel mir wieder ein, dass Ambers Gabe auch solche Redewendungen in die Tat umsetzte.

Aber anstatt mich zu beklagen, stieß nur einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Crystals Hand schloss sich ein wenig enger um meine und ich dachte an den Schmerz zurück, den ich, jetzt wo er nicht mehr da war, schon fast vergessen hatte.
 

Once Upon A Time Soundtrack – Unhappy Endings
 

Etwas war merkwürdig. Im Herumirren war mir eine Abzweigung entgangen und nun fand ich den Weg dahin nicht mehr zurück. Vielleicht war es auch bloß ein Riss im Spiegel gewesen, in dem ich Crystal gesehen hatte. Egal was, eines war sicher. Crystal besaß eine Gabe und wie auch immer sie aussah, sie war mächtig.

Und wo Macht ist, ist immer auch Gefahr.
 

Moon
 

Und wir gehen weiter. Du und ich.

Ambers Hand lag auf meiner Schulter, während wir Crystal und Jet in die Umarmung zogen. Ich konnte Crystal lachen hören und blinzelte angestrengt die neuen Tränen fort, als ich plötzlich seinen Blick traf.

„Danke“, formte er lautlos mit den Lippen. „Du bist die Beste.“ Ich hauchte ein Lachen und schon fielen die Tränen.

Nein, du, dachte ich nur und schloss die Finger um den weichen Stoff seiner Kapuzenjacke.

Wir laufen vorbei, an Wänden, die das Nirgendwo sind. Und überall sehen wir nur unser eigenes Gesicht und suchen unermüdlich nach dem des anderen.
 

Jade
 

Und irgendwann sehen wir uns dann. Meist unverhofft, mitten auf dem Weg.

Als ich das Polizeirevier verließ und mich ins Auto setzte, hatte ich das Gefühl, jemand hätte meine Ohren mit Watte ausgestopft. Die tumbe Ruhe nach dem Sturm. Meine Finger krampften sich um das Lenkrad und ich warf noch einen letzten Blick auf das Gebäude. Irgendwo hinter den zugezogenen Vorhängen, war er noch immer, die stolzen Drachenaugen auf einen Fixpunkt gerichtet und so durchgestreckt wie eine Marmorstatue.

„Fahr doch zur Hölle“, zischte ich, richtete den Blick schlagartig wieder nach vorn und startete den Wagen, um diesem Puppenzirkus endlich zu entrinnen. Nur wusste ich unbewusst ganz genau, dass dies nicht die letzte Vorstellung sein würde.

Wir starren aneinander an und wissen nichts mehr von dem, was wir uns sagen wollten. Unsere Augen scheiden sich. Wir gehen weiter, im Kreis wie Zirkustiere. Wissen nicht, wo der Ausgang ist und warten daher nur darauf, uns wiederzusehen. Solange ertragen wir unsere eigene Reflektion, die uns von allen Richtungen aus beobachtet.
 

Du und ich. In der Endlosschleife gefangen. Das Leben namens Spiegellabyrinth.



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