Männer und andere Sorgen
Männer und andere Sorgen
Das Gefühl überkam sie, sobald sie ihre Augen geöffnet hatte. Schlagartig verschloss sie ihren Mund fest mit einer Hand, sprang aus dem Bett und rannte ins Badezimmer, wo sie die letzten Reste ihres Mageninhaltes im Abfluss verschwinden ließ. Röchelnd kniete sie am Boden, wischte mit dem Handrücken über ihren Mund und lehnte sich gegen die gekachelte Wand hinter ihr. Ihre Speiseröhre brannte. Seit Tagen hatte sie nicht richtig gegessen und dennoch wollte die Übelkeit nicht abnehmen, so dass fast alles, was sie hochwürgte, ihre eigene Magensäure war.
Die junge Frau seufzte, stand langsam auf und ging, nachdem sie das Bad gereinigt und ihre Zähne geputzt hatte, zurück ins Schlafzimmer. Es war kurz vor sieben, die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen und dennoch war die Kunoichi bereits allein. Wieder einmal hatte sie nicht mitbekommen, wie Sasuke das Haus verlassen hatte. Dabei hatte sie sich so viel mehr von ihrer gemeinsamen Wohnung, ihrem gemeinsamen Leben, erhofft. Manchmal fragte sie sich, warum Sasuke der Idee damals überhaupt zugestimmt hatte.
Verschlafen machte sie das Bett, streckte sich, zog sich eine Trainingshose und ein Top über und schlich den Flur hinab in die Küche. Es gab noch viel zu tun, da war es vielleicht gar nicht schlecht früh aufzustehen. Die anhaltende Übelkeit würde ihr ohnehin keinen weiteren Schlaf mehr gönnen. So knipste die junge Jonin das Licht an, stellte sich an das Waschbecken und begann die Geschirrreste vom gestrigen Tag abzuwaschen.
Vor der Spüle war eine Fensterscheibe, die den Blick auf eine von Konohas Seitenstraßen richtete. Zu dieser Uhrzeit, in der morgendlichen Finsternis, war es aber ihr Spiegelbild, das reflektiert wurde. Wie hübsch du heute wieder ausschaust, Sakura. Die Ringe unter ihren Augen zeugten vom Gegenteil. Doch so viel sie auch schlief, die Müdigkeit wollte nicht verschwinden. Sie wollte sich gerade wieder in einen herzhaften Seufzer verlieren, als ihre Aufmerksamkeit von etwas anderem gefesselt wurde.
Sie musste ihre Augen zusammenkneifen, um erkennen zu können, wer sich da vor ihrem Fenster auf der Straße bewegte, völlig allein, im Schutze der Dunkelheit. Ist das etwa…? Die schwarze Kleidung machte es ihr nicht einfacher, doch nach allem, was sie erkennen konnte, es musste sich um Temaris älteren Bruder handeln. Sein Name wollte ihr nicht einfallen, aber sie hatte ihn einmal behandelt, daran konnte sie sich erinnern. Doch auch das war schon Jahre her und es erklärte nicht, was er um diese Uhrzeit in Konoha tat.
Noch während sie über seinen Namen grübelte, war der junge Shinobi schon wieder verschwunden. Zusätzlich hatte sie an diesem Tag wirklich andere Sorgen. Konoha und Suna waren Verbündete, was interessierte es sie also? Die Kunoichi stellte einen weiteren Teller zur Seite. In vier Stunden würden die anderen hier sein und sie hatte noch eine Menge zu tun.
***
„Und dir geht es wirklich gut?“, Hinatas besorgter Blick blieb lange an Sakura hängen, die vorsichtig an ihrem Tee nippte und nickte. „Glaub mir, ich wüsste, wenn ich krank wäre. Das ist nur der Stress der letzten Zeit.“ Sie lächelte breit, doch nicht so überzeugend, wie sie es beabsichtigt hatte. „Du meinst Sasuke?“, fragte Ino und bedachte sie mit einem prüfenden Blick, doch auch dieses Mal winkte Sakura ab. „Ich sage doch, es ist alles in Ordnung. Macht euch um mich keine Sorgen.“ Noch einmal nippte sie am Tee. Die anderen brauchten ja nicht zu wissen, dass es das erste war, was sie seit gestern Mittag zu sich nahm.
Es war ein Freitagmorgen wie jeder andere. Sakura hatte ihren großen Küchentisch zur Verfügung gestellt, Tee gekocht und gedeckt. Hinata, Ino und Tenten, die pünktlich wie immer um elf vor der Wohnung standen, brachten alles Weitere mit, sodass die vier Kunoichi jedes Mal von einer großen Frühstückstafel schlemmen konnten, während sie sich gegenseitig auf den neuesten Stand brachten.
„Viel wichtiger ist doch, was Naruto gesagt hat. Erzähl Hinata“, erklärte Sakura und mit einem Mal richteten sich drei Augenpaare ausschließlich auf die Blauhaarige. Die viele Aufmerksamkeit bereitete ihr sichtliches Unbehagen und so sah sie beschämt zu Boden. Obwohl sich die vier Frauen nun schon seit Monaten einmal in der Woche trafen, fiel es ihr immer noch schwer, offen über sich zu reden. „Ich…“, begann sie mit zittriger Stimme, wurde aber von Tenten unterbrochen. „Du hast ihn also noch nicht gefragt…“, sagte sie feststellend und verdrehte verspielt die Augen.
Hinatas Blick verriet sie sofort und damit schien ihre Erzählquelle verebbt. „Dann willst du uns also jetzt erzählen, dass du Neji endlich erzählt hast, dass ihr zusammenziehen werdet?“ Sakuras Blick fixierte die junge Kunoichi und auch die anderen beiden sahen nun aufgeregt zu ihr. Doch auch sie schüttelte mit dem Kopf. „Es hat sich noch nichts ergeben…“, flüsterte sie entschuldigend, wobei ihre Augen verrieten, wie sehr sie mit dem Thema zu kämpfen hatte. „Und bei mir gibt es auch nichts Neues… Womit wir also wieder bei dir wären, Sakura“, warf Ino überstürzt und ungefragt in die Menge, bevor sie sich auf ihren Tee konzentrierte.
Es passte nicht zu Ino, freiwillig auf ihren Redeanteil verzichten zu wollen, so wurde die Blonde augenblicklich von Tenten und Sakura beargwöhnt, nur Hinata blieb vollkommen unbedacht. „Du hast doch nicht schon wieder was mit Kiba am Laufen?“, fragte die Brünette und ihre Augen wurden zu Schlitzen. „Hallo?! Mit dem bin ich schon ewig durch! Hört endlich damit auf“, verteidigte sich Ino und verschränkte die Arme vor der Brust. „Zu Schade, dass Shikamaru so auf Temari fixiert ist. Ihr hättet sicher gut zusammengepasst.“ Als Sakura seinen Namen nannte, wurde Inos Blick unverzüglich angespannt. Unruhig drehte sie ihre Tasse in den Händen, sah einzig auf das Porzellan und ihre eigenen Finger, während Sakura weitersprach. „Da fällt mir ein, ich habe heute Morgen Temaris Bruder gesehen. Ihr habt nicht zufällig eine Ahnung, was der hier zu suchen hat?“
Hinata setzte sich überrascht auf. „Gaara, der Kazekage?“ Auch Tenten wirkte verwundert, nur Ino fixierte mehr und mehr die Tischplatte vor sich. „Nein. Der andere. Der mit den Puppen“, erklärte Sakura und musste lachen, Tenten stimmte mit ein. Hinatas Blick blieb skeptisch, als wüsste sie immer noch nicht, von wem die Rede war. „Du hast Kankuro gesehen? Wann?“ Mit einem Mal war Ino wieder mitten im Gespräch.
„Genau! Kankuro, das war der Name!“ Sakura lachte noch lauter. „Heute Morgen irgendwann. Ich bin mir nicht sicher, es war auf jeden Fall noch dunkel. Wieso interessiert gerade dich das?“ Die Frage stand nur für wenige Sekunden im Raum, doch es reichte, um Spekulationen zu streuen und alle Anwesenden neugierig zu machen. Sogar Hinata sah gebannt auf die Blonde und zum ersten Mal schien es so, als würde es der hübschen Kunoichi nicht behagen, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
„Ich dachte eigentlich wir seien aus dem Puppenalter raus“, erklärte Tenten und lächelte schelmisch, auch Hinata musste grinsen. Ino sah sie für einen Moment perplex an, grinste dann aber auch: „Und ich dachte, wir wären aus dem Alter raus, in dem man Missionen vortäuscht, nur um für einen Kerl interessant zu wirken.“ Damit hatte sie einen Nerv getroffen und Tenten verstummte augenblicklich. „Das war jetzt nicht sehr nett“, stellte Hinata in ihrer leisen Stimme fest, doch Inos Blick blieb eisern. Auch Sakura blieb hartnäckig. „Also ist was dran? Du stehst auf den Marionettenkerl?“
Wieder lag die gesammelte Aufmerksamkeit bei Ino, die mit beiden Händen zu wirbeln begann. „Habt ihr sie noch alle? Der Kerl ist ein totaler Freak!“, schoss es aus ihr mit einem hysterischen Lachen hevor. „Ich habe gestern nur Shikamaru vertreten und er war für Temari hier und na ja…“ „Und naja?“, Sakuras Blick wurde schärfer. Ino hatte sich wieder gefangen und sah ernst zurück. „Und na ja. Punkt. Ich bin nicht an Freaks interessiert. Verstanden?“ Beim Anblick der drohenden Kunoichi begann der Rest zu nicken.
„Wie auch immer, Shikamaru und du, ihr wärt ein tolles Paar geworden“, beendete Sakura das Thema. Sie spürte schon wieder die Übelkeit in ihr aufsteigen und versuchte sie durch mehrmaliges Schlucken zu überspielen. Es fiel ihr immer schwerer sich auf die Gespräche ihrer Freundinnen zu konzentrieren, während ihr Körper nur eines wollte: Ins Bad rennen und das Frühstück wieder loswerden. Doch dafür war nun nicht der Moment und so sah Sakura wieder auf.
Inzwischen drehte sich das Gespräch wieder um Tenten, die jedoch konsequent den Kopf schüttelte. „Was soll ich denn machen? Neji ist nun einmal nicht wie andere“, erklärte die Brünette. Nun verdrehte Ino die Augen. „Du meinst, er ist noch viel… warte, was waren die Adjektive noch einmal, ach ja! Starrköpfiger? Eigensinniger? Komplizierter? Selbstüberzeugter? Was meintest du noch gleich?“ Tentens Blick wurde finster, Ino lachte martialisch und Hinata versuchte mit Handbewegungen zu beschwichtigen. Sakura musste lächeln. In den letzten Jahren waren sie wirklich zu guten Freundinnen geworden.
Die Frauen verstummten abrupt, als sie hörten, wie sich die Wohnungstür öffnete. Neugierig beugten sie sich nach vorn, um zu sehen, wer ihnen gleich Gesellschaft leisten würde, auch wenn es eigentlich nur eine Person gab, die in Frage kommen würde. Schritte hallten dumpf über den Flur, wurden mit jedem Mal ein wenig lauter, bis der Neuankömmling die Küche erreicht hatte.
„Was ist denn hier los?“ Sasukes dunkle Augen wanderten verwundert über seine drei unerwarteten Gäste. „Du bist schon zurück? Ist alles ok?“, fragte Sakura, vollkommen überrascht von seinem unangekündigtem vormittäglichen Erscheinen, bekam jedoch keine Antwort. Stattdessen sah der Shinobi immer noch auf die drei Frauen.
„Wir sind jeden Freitagmorgen hier. Könntest du wissen, wenn du einfach mal öfter hier wärst“, polterte Ino los und lehnte sich selbstbewusst in ihrem Stuhl zurück. Sasuke blieb zunächst schweigsam, ging an den Kühlschrank und nahm sich eine Flasche Wasser heraus. Auch die Frauen blieben stumm. Der Shinobi trank einen Schluck, stellte die Flasche auf die Küchenzeile neben sich und drehte sich wieder den Gästen zu. Lässig zog er seinen Trainingsanzug zu Recht, fuhr sich durch die dunklen Haare und löste sein Stirnband.
Sakura grinste. Er sah wirklich unheimlich gut aus, sie hatte wirklich Glück. Natürlich hatten sie auch ihre Schwierigkeiten, aber letztendlich war es doch Sasuke, den sie immer wollte. Nur ihn. Der Shinobi griff erneut zum Wasser, ehe er begann, den Kopf zu schütteln. „Euer Geschnatter nervt. Geht das nächste Mal besser woanders hin.“ Mit diesen Worten verließ er den Raum, ohne sich noch ein weiteres Mal umzudrehen. Hinata murmelte noch ein leises „Ok…“, Tenten wirkte eingeschüchtert, Ino schnitt eine beleidigte Fratze. Sakura schluckte schwer. Die Übelkeit war definitiv schlimmer geworden.