Drei kleine Worte
Drei kleine Worte
Als Tenten sich ihr Oberteil über den Kopf zog, regnete es noch nicht, doch spürte sie bereits einen kalten Windhauch, der ihre warme Haut streifte und sie erschaudern ließ. Vorsichtig warf sie einen verstohlenen Blick durch das Waldstück, über all die Schatten, die sich hinter den Bäumen verbargen und im Zuge der immer tiefer sinkenden Sonne ihre Arme weiter ausbreiteten. Doch außer Stämmen, Ästen und Blättern schien niemand hier zu sein. Dennoch behielt sie ihren vorsichtigen Blick, bis sie auch ihren Rock und danach ihre Unterwäsche ausgezogen hatte. Schützend verschränkte sie die Arme vor ihrem nackten Oberkörper und schlich mit bloßen Füßen über den weichen Waldboden.
Als sie den Rand der Quelle erreichte, hatte sich Neji bereits ans andere Ende gesetzt und entspannt die Augen geschlossen. Es war ein kleines Becken. Ein kleiner Ausläufer der großen Quelle, die für das Badehaus in Konoha genutzt wurde. Diese hier maß gerademal 3 Quadratmeter und setzte man sich nicht auf einen der Felsen, die tückisch auf dem Boden verteilt lagen, so reichte das Wasser gerade bis zur Hüfte. An sonnigen Herbst- und Frühlingstagen traf man hier immer wieder Bewohner des Dorfes an, die sich nach getaner Arbeit erholen wollten. Heute jedoch gehörte das warme Wasser nur ihnen und umringt von einsetzender Dunkelheit und dem Rascheln der Blätter konnte sich Tenten keinen schöneren Ort vorstellen.
Langsam glitten ihre Füße ins Wasser und ließen sich bereitwillig von der erholsamen Wärme umschließen. Die Kunoichi zog dabei bewusst ihren Bauch ein, legte die Schultern zurück und hob das Kinn, während sie bemüht war, so elegant wie möglich in die Quelle zu klettern, ohne auf den glitschigen Steinen auszurutschen. Ihr Blick wanderte dabei kurz zu Neji, der immer noch die Augen geschlossen hatte, während sich einige dunkle Haarsträhnen über sein Gesicht legten. Das Wasser reflektierte letztes Tageslicht, das sich durch die Bäume kämpfte und erzeugte dabei ein tänzelndes Muster auf seinen muskulösen Schultern. Tenten lächelte. Er ist perfekt. Behutsam tat sie einen letzten Schritt, dann war auch sie im Wasser.
Als sie zu ihm gehen wollte, erreichten die dadurch entstandenen kleinen Wellen als erste seine Brust und so öffnete der Shinobi seine blassen Augen, die sogleich die junge Frau ihm gegenüber musterten. Tentens Rücken wurde unter seinem Blick automatisch ein wenig gerader, ihr Bauch spannte sie noch etwas mehr an, ihre Lippen spitzten sich ein Stück. Sie hatte in den Tagen seiner Abwesenheit täglich mehrere Stunden trainiert und achtete weiterhin streng auf ihre Ernährung, als auch auf ihren Ausdruck und ihre Haltung. Sie wollte, dass er sie so sah, wie sie ihn. Perfekt. Sie wollte für ihn perfekt sein.
Schweigend musterte er sie, bevor er mit einem kleinen Lächeln seine Hand aus dem Wasser hob und sie ihr entgegenstreckte. Tenten nahm sie bereitwillig an und ließ sich zu ihm ziehen. Der Wind hatte ihr Haut in der kurzen Zeit bereits soweit abgekühlt, dass die plötzliche Wärme ihren Körper zum prickeln brachte. Sanft legte sie ihre Hände auf Nejis Brust und grinste dabei. Vielleicht war es auch nicht allein die Wärme.
Während sie seine Nähe genoss, rückte er einige ihrer Haarsträhnen zurecht, die aus ihren zwei Zöpfen gerutscht waren. Doch war seine Arbeit nicht von langer Dauer, denn bald fielen die ersten Tropfen durch das lichte Blätterwerk. Auch wenn der Wald sie etwas schützte, so konnte er nicht alle Tropfen aufhalten und das brauchte er auch nicht. Der kühle Regen wurde zur angenehmen Ergänzung im heißen Wasser der Quelle.
Tropfen, die neben sie fielen, verschmolzen mit der flüssigen Oberfläche und erzeugten ein kleines Plätschern. Mit einem breiten Grinsen versuchte Tenten die Augen offenzuhalten, was bei den Spritzern um sie herum alles andere als einfach war. Auch Neji hatte mit dem Wasser zu kämpfen und während sich beide gegenübersaßen, die Gesichter von Regen verzerrt und trotzdem bemüht um Haltung, war er es, der als erster zu lachen begann, sein Gesicht nach unten mit der Hand abgeschirmt, bis Tenten in sein Lachen mit einfiel. Es war ein lockeres Lachen, ein freies Lachen, etwas, dass sie nur selten an ihm gesehen und noch nie geteilt hatte.
Während sich ihr Körper im Lachen schüttelte, sah sie unentwegt auf ihren Freund, traute sich dabei nicht einmal zu zwinkern. Er lachte weder laut, noch überzogen. Selbst jetzt war er perfekt. Während sie sich wieder beruhigte hob sie eine Hand von seiner Brust und legte sie sanft gegen seine Wange. Der Regen lief über seine Stirn nun hinab über ihre Finger und seine blassen Augen richteten sich auf die plötzliche Berührung, dann zu Tenten. Aus dem befreiten Lachen wurde in sekundenschnelle ein verwundertes Verharren.
„Neji…“, hörte Tenten ihre Stimme flüstern. Ihre Gedanken waren an einer ganz anderen Stelle. Ein kleiner Traum führte sie zurück in eine Zeit vor vielen Jahren. Vor sich sah sie die Akademie, ihren ersten Tag in der neuen Klasse und diesen Jungen, der sie so schrecklich aufregte, weil er alles zu können schien. Doch es spornte sie an. Sie arbeitete härter, wollte so gut sein wie er. Dann wurden sie Genin und dieser so schrecklich strebsame Junge kam auch noch in ihr Team. Arroganz war an diesem Tag das erste, was sie in seinem Gesicht lesen konnte. Sie kannte ihn noch nicht gut genug, um es wirklich zu verstehen.
Die nächsten Jahre verbrachten sie jeden Tag zusammen, trainierten, aßen, redeten, aber immer nur über Techniken und Strategien. Er redete nicht über privates. Nie.
Sie wurden zusammen Chunin, wurden Jonin und erlebten den Krieg. Sie war es damals, die ihn küsste. Er hätte es niemals getan. Vielleicht war der erste Schritt, das einzige, in dem er nicht perfekt war. Vielleicht war es auch jetzt so. Vielleicht.
Er und sein Streben nach Perfektion hatten sie zu der Kunoichi gemacht, die sie heute war. Sie hoffte, dass es ihre ersten Schritte waren, die ihn zu dem machten, der er heute war. Ein kleines bisschen perfekter. Mit jedem Tag. Mit jeder Berührung. Mit jedem Kuss. Vielleicht.
Ihr Herz schlug schnell, ihre Haut prickelte, ihr Blick hing unablässig an diesen blassen, hypnotisierenden Augen, umrundet von dunklem Haar. Die Sonne war inzwischen verschwunden und hatte Platz gemacht für das erste fahle Mondlicht, das nun durch die Blätter hindurch auf sein Gesicht fiel und seinen abwartenden, nur Millimeter geöffneten Mund umspielte.
Die Worte kamen aus ihr heraus, als hätten sie das schon lange tun wollen. Als hätten ihre Lippen schon lange gewusst, was der Kopf noch nicht formen konnte. Die Worte waren seit langer Zeit im Stummen geübt und mit jedem Mal wurden sie wahrer. Sie beide waren Perfektion, die Tenten niemals wieder hergeben wollte. Langsam beugte sie sich nach vorne, legte ihre Lippen für einen Augenblick auf seine, die den Kuss erwiderten. Doch so kurz die Berührung war, so schnell löste sie sich auch wieder von ihm, sah entschlossen in sein Gesicht und lächelte, als sie leise hauchte:
"Ich liebe dich."
***
„Hörst du mich?“
Die Worte prallten an die Häuserwände, welche die enge Gasse säumten und schallten zurück wie ein Schlag ins Gesicht. Hinata rang wütend nach Luft, die Hände zu Fäusten geballt, ohne aber den Blick von Naruto zu nehmen. Dieser stand mit vor Schreck geweiteten Augen da und hielt die Luft an. Sekunden verstrichen und jeder Tropfen Regen, der auf Hinatas tiefblaues Haar fiel, schien einen Teil ihres Zorns, aber auch ihres Mutes wegzuwaschen. Die Lücken, die ihre Wut hinterließ, füllten sich mit Enttäuschung.
Ich liebe dich. Das hatte sie ihm damals gesagt, als sie bereit war ihr Leben zu geben für den bewegungsunfähig am Boden liegenden Naruto. Ich liebe dich. Dieses Gefühl hatte damals im Wald seinen Anfang genommen, als er sie verteidigte. Als er seine eigene Sicherheit aufs Spiel setzte, um das kleine hilflose Mädchen, das sie damals war, zu beschützen. Im Wald hatte sie ihn zurücklassen müssen, doch vor Pain war sie bereit, ihr Leben für ihn zu geben. Ich liebe dich. So sehr, dass allein seine Nähe ihr den Atem nahm, bis hin zur Bewusstlosigkeit.
Seit dem ersten Tag an der Akademie hatte er allein Augen für Sakura gehabt. Ein hübsches, aufgeschlossenes Mädchen mit hitzigem Temperament. Sie liebt dich nicht… Während Sakura um Sasukes Gunst kämpfte, spornte sie Naruto an. Er liebte das Spiel und mit jeder neuen Runde schlug sein Herz schneller für die Teamkollegin, die seine Gefühle jedoch nicht erwiderte. Sie wird dich niemals lieben. Nicht mehr als einen Bruder… Sein Versprechen an sie, den Jungen zurückzubringen, dem sie damals ihr Herz geschenkt hatte, wurde zu Narutos Lebensinhalt, doch in seinem Kampf sollte Hinata nur eine Randnotiz bleiben.
Traurig senkte die schüchterne Kunoichi ihren Blick. In ihrem Clan war sie ein schwaches Glied und in Narutos Leben nur eine nette Bekannte von früher. Sie hatte immer eine leise Stimme gehabt, leise genug, um ein Liebesgeständnis in Vergessenheit geraten zu lassen. Hinata erschrak, als mit einem Mal zwei Schuhe in ihr Blickfeld gerieten, hob schützend eine Hand vor ihren Oberkörper und sah auf in zwei klare, blaue Pupillen.
„Warum sagst du so etwas?“ Naruto stand nur wenige Zentimeter von ihr entfernt und musterte sie mit einem erschütterten Ausdruck im Gesicht. Der Regen ließ seine Haare am Kopf kleben, sodass ihm die blonden Strähnen in den Augen hingen. Hinata seufzte.
Für einen Moment tanzten Bilder aus längst vergangenen Jahren vor ihren Augen. Naruto, der Junge der so gerne lachte, wenn er etwas angestellt hatte und die Leute wütend hinter ihm her schrien. Der Junge, der all das tat, an das sie nicht einmal zu denken wagte. Der Junge, der ihr zeigte, dass jeder Traum es wert ist, um ihn zu kämpfen. Ich liebe dich. Sie schluckte schwer.
„Naruto…“, begann sie und erschrak vor dem Zittern ihrer Stimme. Hatte sie etwa angefangen zu weinen? Der Regen vermischte sich mit den Tränen auf ihren Wangen, wie die Bilder der Vergangenheit mit der Gegenwart. Hier sah er sie mit großen, traurigen Augen an und im nächsten Augenblick sah sie sein freches Grinsen, mit dem er alle Welt überzeugen wollte. „Naruto…“, wiederholte sie ein zweites Mal und dachte an einen Satz, den er ihr vor langer Zeit gesagt hatte und den sie danach niemals vergessen konnte. „Du hast gesagt…“, ihre Stimme stockte. Entschlossen sammelte sie allen Mut, den sie finden konnte, und fixierte ihn mit ihren blassen Augen.
„Du hast gesagt, du magst Mädchen wie mich.“
Die Erinnerung zauberte ein Lächeln auf ihre zitternden Lippen, bevor sie schüchtern ihren Blick erneut senkte. Ihr Herz pochte wild in ihrer Brust. Ihr Magen wollte sich umdrehen. Ihre Beine wollten weglaufen. Ihre Arme wollten ihn umarmen. Ich liebe dich. Sie hatte es ihm schon einmal gesagt. Was würde es ändern, würde sie es ein zweites Mal tun? „Hinata…“, hörte sie eine Stimme wie aus einer anderen Welt.
„Hinata, du weißt, dass ich…“
„Der Brief war von mir.“
„Welcher…?“
Ein Moment der Stille als ihre Augen seine trafen. Als sie erkannte, dass er verstand. Als sich seine Pupillen verengten, als ihm bewusst wurde, was wirklich passiert war. Auf ein unsichtbares Ziel gerichtet, konnte man geradezu den Gedankenstrom verfolgen, der gerade vor seinem starren Blick herzog. „Aber…“, stammelte er schließlich und wandte sich wieder Hinata zu. Diese blieb stumm, gespannt auf seine Worte. Verwirrt schüttelte der junge Shinobi den Kopf und vergrub eine Hand in seinen blonden Haaren. Er schluckte schwer, bevor sich seine Lippen abermals öffneten:
„Warum hast du das getan?“
Die Frage ließ sie erstarren. Noch einmal sah sie den Wald und die Jugendlichen, die sie demütigten und ihre Muskeln spannten sich an. Sie sah Naruto, wie er sich auf einen ihrer Angreifer warf, um sie zu beschützen. Ihr Mund wurde trocken. Sie sah den Baum, konnte sich an seine Stimme erinnern, als er ihr sagte, dass er sie mögen würde. Ihr Unterkiefer verkrampfte sich. Sie dachte an den Schmerz, als Pain sie angriff und an das Gefühl, als sie Naruto ihre Gefühle gestand. Als sie ihm sagte, dass sie ihn liebt…
Ein lauter Knall zerrte sie aus ihrer Gedankenwelt. Erschrocken riss sie ihre Augen auf, spürte das Kribbeln auf ihrer Handfläche und sah Narutos nach hinten verdrehten Kopf. Entsetzt sah sie auf ihren Arm, den sie noch ausgestreckt neben sich hielt. Das Geräusch ihres Schlags in sein Gesicht hallte von den Wänden der Gasse wieder. Narutos Blindheit hatte sie so in Rage gebracht, dass sie unkontrolliert zugeschlagen hatte. Verwundert drehte dieser sich wieder um. Seine Wange wurde rot, doch war der Schlag nicht stark genug gewesen, um mehr Schaden anzurichten. Selbst in haltloser Wut schien Hinatas Unterbewusstsein Naruto schützen so wollen.
„Hinata…“, hörte sie ihn ihren Namen sagen, während er sich die betroffene Wange hielt. „Ich wusste nicht…“ Doch die schüchterne Kunoichi wollte ihm nicht länger zuhören. Sie war entsetzt über sich selbst, über ihre Reaktion und den Schmerz, der in ihrer Brust wütete. Ihre Wangen waren warm, warm von den Tränen, die weiterhin stumm aus ihren Augenwinkeln tropfen im Wettrennen mit dem Regen. Ihr Mund verzog sich zu einem traurigen Lächeln, während sie resignierend den Kopf senkte.
„Naruto“, unterbrach sie ihn und sah liebevoll in seine glänzenden Pupillen, in denen nun tausend Fragen schwirrten. Selbst jetzt sah er unbeschreiblich gut aus. Sie seufzte enttäuscht auf.
„Bitte verzeih mir, Naruto“, flüsterte sie, denn sie spürte, dass ihre Stimme nicht stark genug war, um lauter zu reden. Mit ihrem bereits durchnässten Ärmel wischte sie sich über ihre Wangen und kämpfte um ein resignierendes Lächeln, während ihr die Erkenntnis entgegenschlug. Naruto war immer noch zu perplex, als das er hätte antworten können.
Sie fühlte, dass sie nicht genug Kraft haben würde, um es ihm ins Gesicht zu sagen, deshalb drehte sie sich um. Vor ihr war nur eine dunkle, verlassene Straße, auf deren Boden sich Pfützen sammelten. Schmerzhaft schloss sie ihre Augen, holt Luft, um ihren Mut zusammenzunehmen und ein letztes Mal zu sprechen, bevor sie nach Hause laufen würde. Weg von ihm. Weg von dem Schmerz. „Naruto…“, wiederholte sie seinen Namen, wie sie es schon viel zu oft getan hatte.
"Ich gebe auf."
***
Nach der unglücklich verlaufenden Unterhaltung mit Kankuro war Ino direkt nach Hause gegangen. In ihr brodelte Wut und ein klein wenig Enttäuschung. Ihr Hände zu Fäusten geballt, marschierte sie durch die Reihen der Menschen, unbeachtet ob sie einige anrempelte. Die ersten Tropfen des Regens nahm sie gar nicht wahr, doch als sie ihre Haustür erreichte, war ihr hübsches neues Kleid bereits vollkommen durchnässt.
Zornig knallte sie die Haustür ins Schloss, stapfte durch die Wohnung und ließ sich mit einem kleinen Aufschrei auf ihre Couch fallen, auf welcher sie frustriert die Arme vor der Brust verschränkte. Es musste wohl ihr Schicksal sein, immer an die falschen Männer zu geraten. Immer an die Idioten. Warum immer ich?! Vorsichtig zog sie das Haargummi von ihrem Zopf und ließ sich ihre langen, blonden, vom Regen nassen Strähnen über das Gesicht fallen. Als sie für eine Sekunde ihre Augen schloss, konnte sie ihr Shampoo riechen. Sie roch gut…
Was also fehlte, um einmal einen anständigen Mann zu finden? Waren ihre Ansprüche zu hoch? Hatte Kankuro etwa Recht, wenn er sagte, sie würde auf Prince Charming warten? Sie seufzte hingebungsvoll. Am besten sollte sie aufhören an einen Typen zu denken, der seine Zeit mit Puppen verbrachte oder auch an den, dessen bester Freund ein Hund war… Entsetzt riss sie ihre Augen auf. Ich stehe auf Freaks! Diese mehr oder weniger überzeugende Erkenntnis brachte sie zum lachen.
Einige Zeit später hatte sie mit einer heißen Dusche die nasse Kälte aus ihren Gliedern gewaschen, sich in ein bequemes Oberteil und kurze Shorts gesteckt, die noch feuchten Haare hochgebunden zu einem lockeren Dutt und sich einen Tee schlürfend gegen die Küchenzeile gelehnt. Draußen war es inzwischen dunkel, doch der Regen prasselte unablässig in seinem ganz eigenen hypnotisierenden Rhythmus gegen die Fensterscheibe. Der Geruch von Hagebutte stieg in warmen Dämpfen in ihre Nase und sie sog ihn entspannt ein. Während ihre Hände und Wangen leicht erhitzt waren, sorgten die nackten Füße auf blankem Holzboden für eine angenehme Kühle. Es war der perfekte, entspannte Abend… bis es plötzlich an der Tür klingelte.
Verwundert streiften ihre blauen Augen in die Richtung, aus der das unerwartete Geräusch kam. Neugierig stellte sie ihre Teetasse hinter sich ab, stieß sich von der Zeile los, schlich mit müden Schritten zur Eingangstür, umfasste nachdenklich den Türknopf und öffnete unter einem anhaltenden Knirschen ihre Wohnung. Kaum konnte ihr Blick erfassen, was der Auslöser der spätabendlichen Unruhe war, da hob sie auch schon wenig beeindruckt eine Augenbraue und zog den Mund schief.
„Was soll das?“, fragte sie und unterlegte ihre Stimme mit einer betonten Frustration. Ihr Gegenüber wirkte verständnislos und drückte dies sogleich durch das Austrecken seiner Arme aus, was reichte, um die Kunoichi auf den Gegenstand in seinen Händen aufmerksam zu machen. Er allein verzauberte ihren Missmut in ein kleines Lächeln. Vom penetranten Sommerregen bis auf die Knochen durchnässt stand der Mann vor ihr, der sich eben noch geradezu über sie lustig gemacht hatte. Die brünetten, kurzen Haare klebten an seinem Kopf und verdeckten dabei fast seine Augen. Der Rest der schwarzen Kleidung lag so eng an ihm, dass er seinen Körperbau abzeichnete. Das Gesicht war überraschenderweise farblos.
„Die edlen Rösser waren leider ausverkauft“, rief er durch das laute Prasseln der Tropfen überall um ihn herum, während er die Augenbrauen hob und die Lider zusammenkniff, um etwas erkennen zu können. Ino musterte ihn kurz, konnte aber beim Anblick des klitschnassen Kankuro nicht anders als laut zu lachen. Ihr Blick verriet nur zu gut, was sie gerade dachte. Das hast du verdient, mein Püppchen! Das Schütteln ihres Kopfes verdeutlichte dazu noch ihre schroffen Worte. „Edel ist wirklich etwas anderes…“
„Der Regen macht die Sache hier zwar nicht edel…“, kurz sah er nachdenklich die bei diesem Wetter menschenleere Straße rauf und runter, dann grinste er breit und streckte stolz die Brust raus. „…Aber umso rühmlicher!“ Die Blondine dachte noch nicht daran, ihren abendlichen Besucher aus dem Regen zu holen. Neugierig begann sie kurze Strähnen, die aus ihrem Haargeflecht gefallen waren, in einer Spirale um ihren Zeigefinger zu drehen. „Und was verschafft mir die Ehre?“, fragte sie mit einem geübten Augenaufschlag.
Kankuro lachte amüsiert und versuchte mit einer schnellen Handbewegung die Haare über seinen Augen wegzustreichen. Es gelang ihm zu einem großen Teil, jedoch standen die brünetten Strähnen nun in alle Himmelsrichtungen ab.
„Es wird erzählt, hier wohne eine hübsche Jungfrau und warte auf einen Kuss.“ Seine Worte wurden fast gänzlich vom Regen verschluckt und erreichten Ino nur noch als ein Flüstern.
„Ich habe gehört, sie sei sehr wählerisch bei Prinzen“, kicherte sie und anstatt einer Antwort flog ihr etwas entgegen. Überrascht griff sie nach dem Blumenstrauß, den Kankuro eben noch in seiner Hand gehalten hatte. Ein Blick genügte Ino um zu erkennen, dass diese Komposition das Werk ihrer Mutter war, nur hatte ihr der anhaltende Platzregen nicht sonderlich gut getan. Viele Blütenblätter waren abgefallen oder hingen schlaff nach unten.
„Vor dem Kampf gegen den Drachen sah er besser aus“, kommentierte eine Stimme in ihre Gedanken hinein und ließ Ino damit verwundert aufblicken.
„Wo hast du den her? Der Laden war den ganzen Tag geschlossen“, fragte sie amüsiert und strich vorsichtig vereinzelte Regentropfen von den verbliebenen Blättern des Straußes. Der Puppenspieler reagierte lediglich mit einem klagenden: „So etwas fragt man nicht, wenn man ein Geschenk bekommt.“ Ino verdrehte die Augen. Wahrscheinlich hatte man Sträuße für die Hotelzimmer der Gäste bestellt, dieser hier schien einer von ihnen gewesen zu sein.
„Es muss einem viel an der hübschen Prinzessin liegen, wenn man gegen Drachen kämpft, um ihr Blumen zu bringen.“ Während sie sprach sah sie nachdenklich auf ihr kleines Präsent und dann neugierig auf Kankuro, der mit hängenden Schultern weiterhin im Regen stand. Seine Lippen verzogen sich zu einem zufriedenen Grinsen, während er sich schauspielerisch verbeugte. Oder jemand hat ein schlechtes Gewissen und will sich entschuldigen. Sie lächelte verlegen als sie wieder zu ihm aufsah. „Komm schon rein…“, erklärte sie mit vergnügter Resignation. Er ließ sich das nicht zweimal sagen.
Sie trat einen Schritt zurück, damit er aus dem Regen heraus ihren Flur betreten konnte. Während es draußen noch laut prasselte waren es in Inos Wohnung nun vereinzelte Tropfen, die aus Kankuros Haaren und Kleidung auf den Boden fielen, während seine Schuhe eine Schlammspur hinterließen.
Das Interesse der Kunoichi lag jedoch ganz woanders. „Was ist mit…“, begann sie, doch fehlte ihr das Wort um weiterzusprechen, weshalb sie ihre Hand in Kreisen um ihr Gesicht wandern ließ, um auf seine fehlende Gesichtsbemalung hinzudeuten. Der Shinobi zuckte mit den Schultern. „Mir wurde gesagt, Prinzessinnen stehen nicht auf Puppenspieler… Nein, was war das Wort? Sie stehen nicht auf ‚Puppenfreaks‘.“ Trotz der unmissverständlichen Anspielung wirkte er kein bisschen gekränkt.
Dennoch hatte Ino das Bedürfnis, sich für ihre kleine Beleidigung zu entschuldigen und hatte bereits den Mund dazu geöffnet, als Kankuro plötzlich in eine Tasche griff, die um seinen Oberschenkel gebundenen war und einen kleinen Gegenstand hervorholte. Ino sah nur etwas glitzern, hielt daraufhin still, als sich der Shinobi ohne jede Erklärung nach vorne beugte und ihr etwas auf den Kopf setzte. Danach verschränkte er die Arme, legte den Kopf schief und begutachtete die junge Frau vor sich.
„Sieht gut aus…“, stellte er amüsiert grinsend fest.
Ino stutzte und hob ihren Arm um den Gegenstand vom Kopf zu nehmen. Kaum hatte sie ihn ergriffen, da konnte sie schon spüren, dass es sich um irgendetwas Künstliches handelte, das leicht zu biegen war. Ein Blick auf das kleine Gebilde und sie musste mit einem Kopfschütteln lachen. In ihrer Hand hielt sie ein kleines Diadem, eine Spielzeugkrone für Mädchen.
„Und wem hast du die geklaut?“
„Geklaut?“, wiederholte er empört. „Das Mädchen hat knallhart verhandelt.“
„Hat sie das?“
Er nickte. „Einmal Zuckerwatte und vier Lutscher…“
Wieder konnte Ino nichts tun, als ihre Augen zu verdrehen.
„Ich habe ihr gesagt, die Krone sei für eine richtige Prinzessin.“
„Ich bin immer noch keine…“
„Was immer Ihr sagt, Eure Hoheit.“
Die Blondine lachte amüsiert. Vielleicht konnte der Abend doch noch etwas werden. Ein Abend als Prinzessin? Vielleicht hatte Sakura recht und sie sollte einfach anfangen Spaß zu haben. Die Nacht alleine zu verbringen würde dazu jedoch nicht beitragen. Mit einem breiten Grinsen setzte sie sich das kleine Diadem wieder auf und stellte sich anmutig hin. Kankuro hatte sich inzwischen runtergebeugt, um seine Schuhe auszuziehen und sah nun zufrieden zu ihr hoch.
„Ich wusste, dass es dir gefallen würde“, erklärte er. Ino stemmte die Hände in die Hüften, während sie vergebens versuchte aus ihrem Lächeln einen ernsten Blick zu zaubern. Am Ende stupste sie Kankuro mit ihren Zehenspitzen gegen die Schulter, sodass er beim Ausziehen der Schuhe den Halt verlor und rückwärts nach hinten viel. Als er verdutzt zu ihr hochsah, legte sie den Kopf schief und stellte mit breitem Grinsen fest:
„Du bist doof.“
***
Das Licht der Küchenlampe flackerte mehrere Male, bevor es sich anschaltete. Kalte Helligkeit erfüllte den Raum, glänzte auf der leeren Tischplatte und entblößte neben der Spüle einen Stapel dreckigen Geschirrs. Zwei kleine Fliegen, aus kurzer Entfernung nur zwei unscheinbare Punkte, tänzelten im Schein des künstlichen Lichtes.
Sasuke betrat den Raum mit nachdenklichem Schweigen, bevor er einen der Schränke öffnete und nach einer dunkelgrünen Flasche griff. Vorsichtig stellte er sie auf die Küchenzeile, zog an einer Schublade und durchwühlte ihren Inhalt. Sakura beobachtete alles. Ebenso wortlos wie ihr Freund lehnte sie sich gegen den kalten hölzernen Türrahmen und rieb mit ihren Handflächen über ihre vom Regen noch nassen Oberarme.
„Möchtest du dir nicht erst etwas trockenes anziehen?“, fragte sie schließlich und öffnete währenddessen die Knöpfe ihres Oberteils. Ihre Augen suchten geduldig nach einer Reaktion des jungen Mannes vor ihr, doch dieser ließ sich nicht von seiner Suche abbringen. Seufzend streifte sie ihre Bluse über die Arme, knüllte sie in einer Hand zusammen und betrat geradezu andächtig den Raum. Leise tapste sie auf nackten Sohlen voran, bis sie sich hinter ihren Freund stellte und seinen schlanken Körper umarmte.
Der plötzliche Spätsommerregen hatte auch ihr Unterhemd durchtränkt, so machte es nichts, dass sie sich nun gegen seine ebenso nasse Kleidung drückte. Unter dem kalten Stoff konnte sie seine warme Haut spüren. „Was hältst du von einer heißen Dusche?“, fragte sie und Vorfreude schwang in ihrer Stimme mit. Ihre Finger wollten bereits seinen Gürtel öffnen, doch hielt er sie mit einer widerwilligen Bewegung der Hüfte davon ab. Die Kunoichi ließ verwundert los und zog dabei fragend eine Augenbraue hoch.
Sie hatte es natürlich nicht geschafft, ihm die Wahrheit zu sagen. Schweigend wie jetzt hatten sie sich in der Gasse gegenüber gestanden und auf einen langen Blick folgten immer mehr Ausflüchte. Lachend hatte sie einige Dinge genannt, mit denen sie über Ino gesprochen habe, hatte dabei die Beiläufigkeit mit einer Hand wegwedeln wollen. Sie war sich nicht sicher, wie viel er ihr davon tatsächlich abgekauft hatte, doch war sie dankbar, dass Sasuke nicht nachhakte.
Ausgesprochene Worte konnten eine unglaublich Macht und Endgültigkeit haben, während Gedanken leicht im Wind taumelten und sich mit jeder neuen Böe wenden konnten.
Würde sie ihm sagen, was sie vermutete, nein, wovon sie ausging, dann würde das nicht nur ihr, sondern auch sein Leben verändern. Alles, was sie sich in den letzten Monaten zusammen aufgebaut hatten, würde sich mit nur einem Satz ändern. Ihre Beziehung würde auf eine weitere Probe gestellt werden, ganz so, als wäre sie nicht bereits kompliziert genug.
War es das wirklich wert, obwohl sie noch nicht einmal eine offizielle Bestätigung hatte? Eine kleine Untersuchung, die zumindest aus einer Annahme eine Tatsache machen konnte. Über Tatsachen ließ es sich einfacher reden. Doch Tatsachen verlangten Mut.
Sasuke blieb stumm, hatte nun aber die Flasche geöffnet und griff nun in einen weiteren Schrank, aus dem er zwei Gläser nahm, die er auch sogleich mit einer purpurnen Flüssigkeit füllte. Sakura taumelte überrascht einen Schritt zurück, als sich ihr Freund plötzlich umdrehte, sie ausdrucklos musterte und ihr eines der Gläser hinhielt. Die junge Frau beließ es zunächst bei einem verwunderten Blick, indem dem sie den Kopf schief legte.
„Bist du dir sicher, dass du dir nicht erst etwas anderes anziehen möchtest?“, wiederholte die Kunoichi ihre eben gestellte Frage und fuhr sich seufzend durch die Haare.
„Ich wollte mit dir über etwas reden und ich will nicht damit warten.“
Mit nur einem Satz hatte er es geschafft, dem Raum eine ungemütliche Atmosphäre einzuhauchen. Geradezu paradox sah es aus, wie ihm Regentropfen aus den Haaren fielen, auf ebenso nasse Kleidung, während er ihr ein Weinglas entgegenhielt. Das ist beängstigend… Als er seine Hand nicht zurücknahm, gab seine Freundin kurz nach, griff nach dem Glas, nur um es direkt auf dem Küchentisch abzustellen.
Sakura spürte eine Gänsehaut ihre Arme hochkrabbeln. Der Auslöser dafür konnte die nasse Kälte genauso wie Sasukes besorgter Blick sein. Sie setzte sich neben ihr Glas auf einen der Stühle, ihr Freund tat es ihr gleich. „Du willst reden?“, warf Sakura mit einem schwachen Lächeln ein, um der Frage einen gewissen Hauch von Ironie zu verleihen, doch verlor sich dieser in ihrer offensichtlichen Unsicherheit. Ahnt er etwas? Sakura sah nachdenklich auf das Glas Rotwein, dass ihr gerade so vollkommen grundlos aufgedrängt wurde.
Als er anfing zu sprechen, sah er ihr nicht in die Augen, sondern konzentrierte sich auf das Gefäß in seinen Händen, das er nachdenklich hin und her drehte, sodass die Flüssigkeit innen einen kleinen Strudel bildete. „Ich habe heute mit der Godaime gesprochen“, erklärte er trocken und unterbrach das Spiel mit dem Glas, um einen Schluck zu trinken. Sakura horchte auf. Tsunade? Warum hatte sie nichts gesagt? Gespannt wartete sie auf eine Erklärung. Er schluckte und verzog danach kaum merklich den Mund. Angespannt atmete er aus, fuhr sich durch die nassen Haare und hob seinen Blick um Sakura zu betrachten.
„Sie befürchtet, dass ich Schwierigkeiten habe, mich wieder in die Dorfgemeinschaft einzufügen.“ Ein kleines Grinsen um seine Lippen verriet, wie amüsant er diese Erkenntnis fand. Doch als Sakuras Miene eisern blieb, verhärtete sich auch sein Ausdruck erneut. „Und sie denkt, dass mehr Verantwortung dazu führen könnte, dass mir das Schicksal des Dorfes wieder mehr am Herzen liegt.“
Sakura gefiel es nicht, in welche Richtung dieses Gespräch zu laufen schien. Sasuke sprach mit ihrer Shishou und diese sagte ihr kein Wort davon? Die Geheimniskrämerei war kein gutes Zeichen und dass Tsunade an Sasukes Einstellung gegenüber Konoha zu zweifeln schien, machte die Sache noch schlimmer. Und ihre Befürchtungen sind nicht unbegründet. Nervös begann nun auch Sakura ihr Glas zu drehen, während sie konzentriert die Bewegungen des schwankenden Weines verfolgte. „Was für eine Verantwortung?“, fragte sie knapp.
Sasuke nahm einen weiteren Schluck, sah sich um Raum um, als würde er nach einer passenden Antwort suchen und schien diese am Ende auf dem Boden gefunden zu haben, den er lange betrachtete, bevor er wieder zu Sakura sah. Sein Gesicht verriet ihr nicht, was er dachte, doch signalisierte es mit allen Mitteln, dass die Antwort zumindest seiner Freundin nicht gefallen würde. Das Prasseln des Regens schien in der Stille der Küche immer lauter zu hallen, im Flur tickte leise eine Uhr und zählte unnachgiebig jede Sekunde die verstrich, bis Sakura mit einem Mal erschrocken aufseufzte. Entsetzt hielt sie sich eine Hand vor den Mund und schluckte schwer. Während sie begann ihren Kopf zu schütteln, stieß sie ein entschlossenes: „Nein“, hervor.
Von einer plötzlichen Unruhe ergriffen, stand sie auf, stützte sich dabei auf die Stuhllehne und sah sich hilfesuchend im Raum um. „Nein“, wiederholte sie. „Das kann sie nicht machen.“ Sasuke schloss die Augen, als hätte er Sakuras Gefühlsausbruch erwartet. Mit einem dritten Schluck leerte er sein Glas. „Jeder im Dorf weiß wer du bist. Was für eine Art Geheimhaltung sollte das sein? Es wäre unmöglich!“, protestierte die junge Frau mit verzweifelt zitternder Stimme. „Und… und du hast mich. Ich meine wir…“ Sie konnte den Satz nicht zu Ende bringen. Schließlich drehte sie sich mit zitterndem Unterkiefer nach Sasuke um, wartete und hoffte auf eine andere Erklärung, doch er blieb verschwiegen.
„Sasuke…“, sprach sie daher weiter und spürte bereits erste Tränen in ihren Augen. Unruhig lief sie auf und ab und vergrub ihr Gesicht für einige Zeit in den Handflächen, bis sie sich wieder stark genug fühlte, um weiterzureden.
„Die ANBU ist keine Option für…“
„Die ANBU ist die perfekte Herausforderung.“
Der unerwartete Klang seiner Stimme ließ sie zusammenzucken und der Inhalt seiner Worte machte sie wütend. Schnell ging sie ein paar Schritte und baute sich vor ihm auf.
„Als Mitglied der ANBU verlierst du deine Persönlichkeit. Du verlierst dein Leben. Du verlierst…“, sie stockte kurz. „Du verlierst mich.“ Der Gedanke machte ihr Angst. Das würde er nicht tun! Mit einem Mal stockte ihr Atem. Er würde nicht nur sie allein lassen, doch das wusste er noch nicht einmal.
Das Knirschen seines Stuhles als er aufstand brachte sie in die Realität zurück. Nun standen sich beide direkt gegenüber, sodass ihre Nasenspitze beinahe sein Kinn berührte. Im nächsten Augenblick spürte sie, wie er seine Hände auf ihre Schultern legte. „Es ist etwas komplizierter“, erklärte er mit ruhiger Stimme und Sakura horchte auf.
„Du hast Recht. Jeder hier kennt mich und jeder kennt dich. Es wäre also nicht ratsam, würde ich einfach verschwinden.“ Seine Freundin verfolgte diesen Gedanken. Es ergab Sinn. Würde Sasuke plötzlich nicht mehr da sein, wäre das auffälliger und für die Dorfbewohner wahrscheinlich auch beunruhigender als alles andere.
„Solange ich nicht auf einer Mission bin, ändert sich nichts“, schloss er und Sakura beendete diese Aussage, indem sie noch ein leises: „Nur die Aufträge werden gefährlicher. Lebensgefährlich“, anfügte.
„Das gilt auch für Missionen außerhalb der ANBU.“
Sakura schüttelte den Kopf. Wieder sammelten sich Tränen in ihren Augen. Sie spürte die Angst in ihren Gliedern. Mit einem Mal trat Sasuke noch einen Schritt näher an sie heran und schloss seine Arme um ihren zitternden Körper.
„Die Hokage hat Recht mit dem was sie sagt“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Aber der Eintritt in die ANBU ist ein Vertrauensbeweis, den ich nicht ablehnen kann… und will. Du möchtest, dass ich wieder Verantwortung gegenüber Konoha empfinde? Dann ist dies die beste Gelegenheit.“
Sakura lies sich in seine Arme fallen und vergrub ihr Gesicht in der immer noch nassen Kleidung, die seine Schulter bedeckte.
„Es ist eine Chance und nach ein oder zwei Jahren…“, er stockte und schluckte, als würde es ihm schwer fallen, den Satz zu beenden. Als Sakura sich etwas von ihm lösen wollte, um ihm in die Augen zu sehen, hielt er sie jedoch fest. „Ich werde dich nicht um Erlaubnis bitten. Ich will diese Herausforderung und habe bereits zugesagt, aber…“ Sanft legte er eine Hand auf ihren Hinterkopf.
„Ich habe deine Frage nicht vergessen… und ich denke, dies ist der einzige Weg zur Antwort.“
Sakura zitterte. Wütend stieß sie ihn von sich, drehte sich um, griff nach dem noch vollen Weinglas auf dem Tisch und leerte es in einem Zug. Als sie es wieder zurückstellte, tat sie dies mit so viel Wut und Schnelligkeit, dass es auf der hölzernen Oberfläche zersprang. Sie dachte an ihre Beziehung, an die Opfer, die sie seinetwegen gebracht hatte, an die Nacht, in der sie über eine Familie sprachen. Sie dachte an ein oder zwei Jahre. Doch selbst wenn sie dazu bereit war, dann war es das kleine Wesen in ihr nicht.
„Es ist falsch“, erklärte sie in einem Gemisch aus Zorn und Angst, „und es ist gefährlich.“
Sasuke warf ihr einen traurigen Blick entgegen, doch seine Entscheidung war endgültig. Es war gefährlich und dennoch war es ein Weg zurück nach Konoha, den er schon lange vergeblich versuchte zu finden. Er seufzte, sah auf die Scherben auf dem Tisch und dann auf Sakura, während er langsam seine Lippen bewegte.
„Bitte vertrau mir.“