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Liebe auf den zweiten Blick

von

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Tristan und Olivia

Tristan saß auf einem der bequemen Café-Stühle und ließ sich die warmen Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen, wobei er genießerisch die Augen geschlossen hatte. Er liebte die schottischen Sommer, so wie er eigentlich alles an seiner Heimat liebte und das war nur einer von vielen Gründen, weshalb er niemals von hier wegziehen wollte. Ein anderer Hauptgrund war die Verbundenheit zu seiner Familie, die ihm unendlich wichtig war. Fast täglich telefonierte er mit einem seiner Brüder oder seinen Eltern, aber mit der Zeit, in der sie älter wurden, jeder sein eigenes Leben hatte und Tristan alleine in seiner eigenen Wohnung in einer der ruhigen Gegenden von Edinburgh lebte, wurde ihm mehr und mehr bewusst, dass ihm etwas fehlte: Jemand, der der ganz besondere Mensch an seiner Seite war, mit dem er alles teilen konnte und den er von ganzem Herzen liebte.

Er vernahm vorsichtige, ungleichmäßige Schritte und eine nervöse Aura war beinahe schon greifbar, als eine Person neben ihm stehen blieb. Ganz automatisch wandte er den Kopf in die Richtung und lächelte. „Hallo, Olivia. Bitte, setz dich.“

„Hallo, Tristan. Du hast einen wirklich schönen Tisch ausgesucht.“ Ihre helle, melodische Stimme klang aufgeregt. Er hatte also richtig gelegen und ihre Stimmung richtig eingeschätzt, obwohl sie bis dahin noch kein Wort gesagt hatte.

Für ihn lief einfach alles ein bisschen anders ab. Da er blind war, musste er sich auf seine anderen Sinne verlassen und tat dies mit ebensolcher Sicherheit und Selbstverständlichkeit, wie andere Menschen mit ihren Augen sehen konnten. Olivias zartes Parfum, das ihr in der leichten Sommerbrise vorausflog, und ihre Schritte hatten sie ihm angekündigt. Wen außer ihr hätte er auch sonst erwartet? Das Café war klein und lag etwas abseits der Straßen, in denen sich die Touristen aufhielten, sodass sie hier ihre Ruhe haben konnten. Tristan war sehr glücklich gewesen, als er festgestellt hatte, dass auch Olivia gerne in dieses Café kam, doch bisher schienen sie nie zur selben Zeit hier gewesen zu sein.

„Du musst nicht nervös sein.“

„Oh“, sagte sie und er vernahm das seichte Rascheln ihrer Haare, die sie sich hinter das Ohr strich. „Nein, ich bin nicht nervös, es ist nur… doch, ich bin nervös.“ Olivia lachte leise, woraufhin auch sein Lächeln freundlicher und breiter wurde. „Das ist noch immer so… ungewohnt. Ja, ungewohnt, aber keinesfalls unangenehm, nicht das du das denkst.“

„Nein, das denke ich nicht. Es ist schon in Ordnung. Ich bin einfach froh, dass du hier bist. Sollen wir bestellen?“ Tristan hatte die ihm bekannten Schritte der Kellnerin gehört und winkte ihr leicht zu. „Ellie, können wir bestellen?“

„Natürlich, meine Lieben. Was darf ich euch zwei Hübschen denn bringen?“

Tristan mochte die alte Ellie, die eine warme, weiche Stimme hatte, die ihn immer an seine Großmutter erinnerte. Ellie war einfach ein herzensguter Mensch, immer mit einem scharfen Witz auf der Zunge und dem besten Zitronenkäsekuchen der ganzen Stadt. Ihr gehörte das kleine Café und sie arbeitete jeden Tag dort, um sich mit den ganzen Leuten unterhalten zu können. „Für mich wie immer.“

„Für mich auch, danke.“

„Also zweimal die Lemon-Cheesecake, kommt sofort.“

Er wandte sich wieder Olivia zu, ein wenig überrascht darüber, dass sie denselben weniger süßen Kuchen bevorzugte, doch im nächsten Moment sorgte diese Tatsache nur dafür, dass ihm ganz warm ums Herz wurde. Für einen Mann wie ihn war es nicht leicht Frauen kennen zu lernen – zumindest, wenn es über den üblichen Smalltalk hinausgehen sollte. Hin und wieder lernte er jemanden kennen, den er interessant fand, aber viele konnten nicht damit umgehen, dass er blind war, sodass der Kontakt schnell vorüber war. Mit der Zeit hatte Tristan sich nicht mehr um solche Verabredungen gekümmert und sich seinem Schreiben gewidmet, bis er eines Tages durch Zufall Olivia begegnet war. Ihr Klavierspiel hatte ihn sofort in den Bann gezogen und er musste sie einfach kennen lernen.

Noch immer kam es ihm unwirklich vor, dass eine solch talentierte, charmante und nette Frau wie sie sich mit ihm verabredet hatte. Aus einem Gespräch beim Essen wurde ein zweites Treffen, dann eine gemeinsame Hafenrundfahrt, wieder ein Abend, an dem er ihrer Musik lauschte, und schließlich saßen sie nun hier beisammen. Hätte Tristan nicht eine solch ruhige Grundeinstellung, wäre er wohl ebenso nervös wie sie gewesen, doch er musste aufmerksam bleiben, gelassen gegenüber der lauten und schnellen Welt dort draußen.

„Wie läuft es mit dem Liebesbrief, an dem du momentan arbeitest?“, erkundigte sie sich nach seiner Arbeit, als auch schon der Kuchen gebracht wurde und sie sich gegenseitig einen guten Appetit wünschten.

„Gut, danke der Nachfrage. Es sind so viele Seiten geworden, aber ich denke, dass ich alle Anforderungen ganz gut erfüllt habe. Der Auftraggeber hat den Brief abgenommen, alles ist gut gelaufen. Jetzt habe ich ein wenig freie Zeit. Aber das ist alles so uninteressant, wie läuft es bei dir? Wann kann ich dich das nächste Mal spielen hören? Du spielst so wunderbar Klavier, Liv, wie ein Engel.“

Sie brauchte einige Sekunden, ehe sie antwortete. Vielleicht musste sie erst kauen oder sie war rot geworden. „Tristan, du machst mich ganz verlegen.“

„Aber es stimmt doch. Es gibt niemanden, dem ich lieber zuhöre. Deine Musik fasziniert mich, du bist so eine großartige Pianistin.“

„Tristan!“, erwiderte sie nun wieder lachend und klopfte ihm leicht auf die Hand.

In dem Moment, in dem sich ihre Hände berührten, strömte eine warme Welle von ihren Fingerspitzen tief in seine Haut hinein, bahnte sich einen Weg bis zu seinem Herzen, das schneller klopfte. Olivia zögerte, ließ ihre Hand noch einige Augenblicke lang auf seiner liegen – eine vorsichtige Berührung und doch so intensiv, dass er den Atem anhielt. Als sie ihre Hand zurückzog, verschränkten sich ihre Finger für einen winzigen Moment miteinander, dann war die Verbindung unterbrochen und sie aßen weiter ihren Kuchen.

Schon lange war Tristan nicht mehr richtig verliebt gewesen und obwohl er Olivia erst seit zwei Wochen kannte, fühlte er in ihrer Nähe etwas, das er so lange Zeit vermisst hatte. Jede kleine, zufällige Berührung elektrisierte ihn und er konnte ihrer weichen Stimme stundenlang zuhören, so wie er auch ihrem Klavierspiel Abend für Abend lauschte. Diese Frau war wahrlich etwas ganz Besonderes und allmählich bestand für ihn kein Zweifel mehr daran, dass er sich mit ganzem Herzen in sie verliebte.

Während sie ihre Kuchenstücke aufaßen, erzählte sie ihm von einem kleinen Konzert, das sie bei der Eröffnung eines neuen Einkaufszentrums geben würde; nicht lang, nur etwa eine halbe Stunde, doch er sagte zu, dass er auf jeden Fall dort sein würde, um ihr zuzuhören. Tristan scheute Menschenmengen und liebte die Ruhe, weil es ihn entspannte seinen Freiraum zu haben, doch für sie nahm er diese Strapazen gerne auf sich. Was konnte es Schöneres geben als mit ihrer Musik dafür belohnt zu werden?

„Möchtest du noch ein Stück spazieren gehen?“, fragte er sie, als sie fertig waren und er bezahlt hatte. Als sie bejahte, machte sein Herz einen freudigen Hüpfer und kaum dass sie sich bei seinem Arm untergehakt hatte, strömte eine angenehme Wärme durch seinen ganzen Körper. Ob sie wohl auch so etwas fühlte? Ob sie darüber hinwegsehen konnte, dass er blind war? Tristan wusste es nicht, würde sich aber auch hüten sie genau das zu fragen. Wenn sie ihn als einen Freund haben wollte, würde er ihr ein guter und treuer Freund sein, wie viel mehr konnte er schon erwarten, wenn eine Frau wie sie vermutlich jeden Mann haben konnte? Natürlich wusste er nicht, wie sie aussah, doch ihr weiches, langes Haar und ihre angenehme Art sprachen für sich. Abgesehen davon hatte sein neugieriger Bruder Oliver einen kurzen Blick auf Olivia erhascht, als er Tristan bei ihrem letzten Treffen gefahren hatte. Oliver hatte ihm versichert, dass er einen guten Fang gemacht hatte und Olivia sehr niedlich und hübsch war. Wie es sich für einen älteren Bruder gehörte, hatte er sich wahnsinnig für Tristan gefreut.

Gemeinsam schlenderten sie von dem Café aus durch einige der alten Gassen Edinburghs, bis sie am Water of Leith ankamen, einem der Flüsse der Stadt. Tristan mochte das beruhigende, gleichmäßige Plätschern des Wassers, den Geruch von frischem Grün und die leichte, salzige Sommerbrise, die direkt vom Meer herauf wehte.

„Es ist wunderschön hier“, sagte Olivia und löste sich von ihm. Kurz darauf war zu hören, wie die kleinen Steine am Ufer unter ihren Schuhen knirschten und sie wenig später wieder vor ihm stand, um ihm eine Blume unter die Nase zu halten. „Sie duftet herrlich, riech mal. Und schön ist sie auch, ganz weiß mit kleinen Blütenblättern.“

Er lächelte, nahm ihr die Blume ab und den zarten Blütenduft in sich auf. „Eine schöne Blume für eine schöne Frau.“ Tristan brach den Stängel ab und befestigte die Blume vorsichtig am Revers ihrer Sommerjacke. Er konnte sie kichern hören und lächelte glücklich, als sie sich wieder bei ihm unterhakte und sie weiter gingen.

Wann war er das letzte Mal so beflügelt und von tiefer Glückseligkeit erfüllt gewesen? Es lag einzig und alleine an ihrer Anwesenheit. Olivia erzählte ihm von der Landschaft um sie herum, von den Vögeln am Fluss und einem Jogger, der ihnen mit seinem kleinen Hund entgegen kam. Sie füllte all ihre Beschreibungen mit farbenfroher Lebendigkeit, fügte hier und dort eine Anekdote an und bald schon wusste er wieder ein bisschen mehr über Olivia Adams und ihre Familie.

Kurz darauf erreichten sie eine Biegung, von der aus eine Straße zu einem Pub abzweigte, aus dem Musik bis hinaus auf den Gehweg drang. Sie blieben stehen und lauschten einige Minuten dem Stück, das ein klassisches, schottisches Volkslied war. Nachdem das Lied fertig war, wurde ein anderes mit mehr Schwung angestimmt. Olivia löste sich von ihm und ergriff vorsichtig seine Hände. „Lass uns tanzen, ja?“

„Hier draußen? Mitten auf dem Weg?“

„Wieso nicht? Bitte, Tristan.“

Er musste schlucken, erwiderte jedoch den sanften Druck ihrer Hände und schon hatte sie eine Hand an seinen Oberarm gelegt und mit der anderen seine linke Hand hochgehoben. „Ich bin ein schrecklicher Tänzer“, gab er leise von sich, doch sie schnaubte nur und schien keine Widerrede zu dulden. Also schwieg er und achtete angestrengt auf ihre Bewegungen, denen er sich anpasste. Da – er trat ihr auf den Fuß und war bereits im Begriff sich peinlich berührt bei ihr zu entschuldigen und mit dem Tanzen aufzuhören, doch sie brachte ihn mit einem bestimmten „Scht!“ zum Schweigen, sodass sie weiter tanzen konnten.

Sie führte ihn und er kam nicht so ganz mit; beide waren aus dem Takt, doch schon bald gewöhnten sie sich aneinander und achteten nicht mehr auf das Lied im Hintergrund. Stattdessen entwickelten sie einen eigenen Tanz, wiegten sich in einer nicht hörbaren Melodie und kamen einander näher. Tristan fasste Vertrauen zu ihr, wurde mutiger und übernahm die Führung, woraufhin Olivia sich an seine Schulter lehnte. So tanzten sie ihren ganz eigenen Tanz mitten auf dem Weg, ungeachtet anderer Passanten oder der Musik aus dem Pub, die bereits wieder zu einem anderen Stück gewechselt hatte.

Sie tanzten und tanzten, minutenlang eng beieinander, bis sie stehen blieben und für einige Sekunden hielt er Olivia einfach im Arm. Schon rechnete er damit, dass sie wieder etwas Distanz zwischen sie bringen würde, doch das tat sie nicht. Olivia hob ihren Kopf an und er spürte ihren Blick auf sich ruhen, ihr warmer Atem gegen seine Gesichtshaut. Nah, ganz nah waren sie sich und sein Herz klopfte schnell, nicht nur vom Tanz. Ihr süßer Geruch stieg ihm in die Nase, noch ein kleines bisschen näher und dann berührten sich zaghaft ihre Lippen.

Der Kuss war sanft wie ein Hauch, weich und warm, vorsichtig, so als könnten sie sich gegenseitig verletzen. Ihre Lippen drückten sich auf seine, zuerst nur ein kleines bisschen, beinahe schüchtern. Sein ganzer Körper wurde von Glückshormonen geflutet und er beugte sich ihr etwas entgegen, ging auf ihren Kuss ein und es war der schönste Kuss, den er jemals mit jemandem geteilt hatte.

Olivia löste den Kuss, nicht jedoch die Nähe zu ihm. Stattdessen legte sie ihre Hände an seine Brust und ihr Atem hauchte noch immer gegen sein Kinn. „Tristan, ich… Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt. Ich wollte dich wirklich nicht mit dem Kuss überfallen.“

„Das hast du nicht“, erwiderte er sanft und dieses Mal war er es, der die Initiative ergriff und nun sie küsste. Glücklich schlang sie ihm die Arme um den Nacken und er hob sie beinahe ein kleines Stück vom Boden hoch, als sie ihren Gefühlen freien Lauf ließen und das, was sie vorher nicht aussprechen konnten, in diese Geste der Zuneigung und Liebe legten.

Auch dieser Kuss musste enden, doch anstatt sich wieder bei ihm unterzuhaken, ergriff Olivia seine Hand und hielt sie fest in ihrer. Das fühlte sich so gut und richtig an, dass er sie am liebsten niemals mehr losgelassen hätte. Dieses Date hatte als einfaches Treffen begonnen doch nun waren sie ein Paar und Tristan spürte, wie seine Liebe zu ihr mit jedem Schritt ein Stückchen weiter wuchs.



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