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Vergeltung

Version II
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, da bin ich mal wieder *tada*

Auch wenn ich leider immer noch keine Entwarnung geben kann, meine nächsten beiden OPs mit zusätzlichen Krankenhausaufenthalt stehen leider schon fest <.< Ich rate euch, versucht, euch niemals mit eurem Fahrrad hinzulegen - das macht echt keinen Spaß!

Nichtsdestotrotz gebe ich mein Bestes, euch hier nicht hängen zu lassen! ^^ Komplett anzeigen

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Letzte Worte

Sharif beobachtete, wie Seth bis an den Rand von Necromas Kraftfeld trat und kurz davor stehen blieb. Intensiv musterte er ihre Magie, fast schon so etwas wie Begeisterung schien in seinen Augen aufzublitzen. Als er dann auch noch kurz die Hand auf die Barriere legte und daraufhin sofort abgeblockt wurde, legte sich ein anerkennendes Lächeln auf seine Lippen.

„Ich habe schon viele Geschichten über dich gehört, Necroma“, meinte er. „Stimmt es tatsächlich, dass du die Menschen eines ganzen Dorfes in Fliegen verwandelt hast?“

Necroma schnaubte. „Oh bitte“, erwiderte sie. „Ich habe sie in Moskitos verwandelt. Das ist ein gewaltiger Unterschied.“ Sie stemmte demonstrativ ihre Hände in die Hüften. „Aber diese Narren hatten es nicht anders verdient. Wie kamen die auch dazu, in mir eine Etruskerin zu sehen? Ich bin eine Hellenin, verdammt noch mal!“
 

Seth lachte auf. „Du bist wirklich hinreißend.“ Erneut fuhr er mit der Hand über das Schutzschild. Die kleinen Energieblitze schienen ihnen in keiner Weise zu stören. „Ich wollte dich ja ehrlich gesagt schon seit Jahrhunderten unbedingt einmal kennenlernen, aber na ja ... gewisse Dinge haben mich zurückgehalten.“

Sharif kam nicht umhin, anzunehmen, dass mit diesen gewissen Dingen Asrim gemeint war.

„Du bist wahrlich beeindruckend“, fuhr Seth fort. Es war keinerlei Lüge oder Spott in seinen Worten zu hören, sondern tatsächlich aufrichtige Bewunderung. „Unter normalen Umständen hätte ich sicherlich einige Probleme, mich gegen dich zu behaupten. Aber im Moment sind die Karten ganz anders verteilt.“

Necroma verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Dein Schicksal in As’kyps Hände zu legen, könnte sich als großer Fehler herausstellen.“
 

Während Seth bloß mit den Schultern zuckte, als handelte es sich dabei nur um eine lächerliche Kleinigkeit, runzelte Sharif die Stirn und grub in seinem Gedächtnis, ob er den Namen As’kyp schon einmal irgendwo gehört hatte. Necromas Tonfall zur Folge war es keine unwichtige Information, doch der Ägypter konnte diesen Mann nirgendwo zuordnen.

„Wer ist As’kyp?“, raunte er deswegen der Magierin zu.

Necroma lächelte leicht. „Du bist so süß, wenn du dumm und unwissend bist.“

Und Sharif wusste, dass das all die Antwort war, die er von ihr erhalten würde. Kurz, nichtssagend und absolut frustrierend.
 

Sharif aber kam nicht mehr dazu, vielleicht wenigstens bei Seth weiter nachzubohren, da dieser bereits im nächsten Augenblick mit seinem Angriff begann. Wie bei einem schweren Hagelsturm ließ er plötzlich die Flammen auf den Bannkreis herabregnen und brachte ihn zum beben. Unter der Gewalt der Attacke schien er regelrecht zu ächzen.

Die Vampire um ihn herum zuckten zusammen, hatten aber genügend Geistesgegenwart, nicht die Flucht zu ergreifen. Stattdessen starrten sie mit grimmigen Mienen auf die Feuersbrunst, die nur allein von Necromas Magie von ihnen ferngehalten wurde.

Sharif warf einen Blick zur besagten Vampirin. Sie stand aufrecht und erweckte den Anschein, als könnte sie kein Wässerchen trüben, aber Sharif erkannte sofort, dass es für sie kein Leichtes war, Seth abzuwehren. Auf ihrer Stirn bildeten sich bereits die ersten Schweißperlen und sie wirkte ungewöhnlich konzentriert.

Ohne Zweifel, Ewigkeiten würde sie Seths Angriff nicht standhalten können. Blieb nur die Frage, wen von ihnen beiden als erstes die Kräfte verließen.
 

„Also so hatte ich mir mein Ende eigentlich nicht vorgestellt.“ Elias seufzte schwer, während er seine Zwillingsschwester an der Schulter ergriff und sie in seine Arme zog.

Annis wirkte wenig begeistert, dass ihr Bruder bereits von ihrem Ableben sprach, aber andererseits schien sie kein Gegenargument parat zu haben. Stattdessen starrte sie Seth bloß hasserfüllt an und wünschte sich wahrscheinlich, dass in der nächste Sekunde jegliche Magie erstarb und sie dem Mann das Herz aus dem Brustkorb herausreißen könnte.

Sharif trat unruhig von einem Bein aufs andere. Es war heiß, die Luft knisterte und es widerstrebte ihn sehr, nichts daran ändern zu können. Er dachte wieder an die beiden Vampire Natalia und Samuel, die Seth vor seinen Augen in Aschehäufchen verwandelt hatte. Würde sie alle das gleiche Schicksal ereilen, sollte der Magier erst einmal Necromas Barriere durchbrochen haben?
 

 „Du bist wirklich überaus talentiert, Necroma!“ Seths Stimme klang trotz des Lärms klar und gut verständlich. Als würden die Flammen seine Worte sorgsam zu den Ohren der Vampire hinübertragen. „Solltest du erwägen, dich zu ergeben, bin ich ehrlich geneigt, dich zu verschonen. Es wäre eine Schande, solch eine Magie wie die deine sterben zu sehen.“

Und man mochte viel über Necroma sagen – dass sie in einer anderen Welt lebte, keine Sorgen und Ängste kannte und sich um nichts und niemanden scherte –, aber sie hatte es noch niemals gut ertragen können, wenn jemand ihre Familie bedrohte.

„Du denkst wirklich, dass ich mich in einem kleinen, verängstigten Jungen wie dir beuge, Shadyn?“, zischelte sie, ungewohnt feindselig. „Du merkst nicht einmal, wie erbärmlich zu geworden bist. Und es ist eine gottverdammte Schande, dass du deine Magie derart korrumpierst und vergiftest!“

Seth versuchte, eine gefasste Miene aufrechtzuhalten, aber Sharif merkte sofort, dass Necroma einen wunden Punkt getroffen hatte.

„Wie du willst!“, sagte Seth derart leise und unheilvoll, dass einem automatisch ein kalter Schauer über den Rücken jagte.

 Und im nächsten Augenblick brach ein noch größeres Getöse los.
 

 Das Feuer brannte und loderte wie wild und versuchte, sich einen Weg durch das Bannfeld zu bahnen. Die Erde zitterte.

Necroma stieß einen Schrei aus, der in dem ganzen Lärm beinahe unterging. Ihre Beine knickten weg und sie sackte auf die Knie, während sie weiterhin mühsam versuchte, das Kraftfeld am Leben zu erhalten. Sie rang keuchend nach Luft und bebte am ganzen Körper, blieb aber weiterhin standhaft. Das Bannfeld schrumpfte zwar sichtlich ein, sodass sie alle näher zusammenrücken mussten, hielt aber weiterhin das Feuer von ihnen fern.

Zumindest für den Augenblick.
 

Sharif eilte sofort zu Necroma und kniete sich neben sie. Nicht wirklich wissend, wie er ihr helfen konnte, legte er seine Hände auf ihre Schultern, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie nicht allein war.

„Du kannst ihn nicht besiegen, nicht wahr?“, fragte er, weit zu Necroma gebeugt.

Diese schüttelte schwach den Kopf. „Tut … mir leid …“, flüsterte sie. Tränen liefen ihr die Wangen herab, als sie begriff, dass sie ihre Familie nicht mehr beschützen konnte. Plötzlich schien ihr die Aussicht, zu sterben und im Jenseits neue Abenteuer zu erleben, nicht mehr allzu verlockend zu sein.

„Ist schon gut“, wisperte Sharif ihr ins Ohr. „Es ist nicht deine Schuld. Du hast uns bis hierhin gebracht, ich mache jetzt den Rest.“

Sie blickte erschrocken auf. „Tu es nicht“, bat sie.

„Es ist besser so“, meinte er bloß. Er wischte ihr eine letzte Träne von der Wange, ehe er sich wieder aufrichtete und sich mit entschlossener Miene in Richtung Seth wandte. Sein Entschluss stand fest. Um die anderen zu retten, musste er seine letzte Trumpfkarte ausspielen.
 

„Seth, hör zu!“, brüllte er den gegen den heillosen Lärm an. „Ich habe dir ein Geschäft vorzuschlagen.“

Die Geräuschkulisse nahm augenblicklich ab. Seth trat einen Schritt näher auf Necromas Bannkreis zu, während er den Ägypter interessiert musterte. „Ein Geschäft?“, hakte er nach.

„Ganz recht“, meinte Sharif entschlossen. „Lass die anderen frei und ich gebe dir etwas, das dich sicher interessiert.“

Seth blieb einen Augenblick völlig ungerührt, dann aber brach er in schallendes Gelächter aus. Das Feuer, das sie eingeschlossen hatte, vibrierte, als würde es sich auch königlich amüsieren.

„Sehr witzig, Sharif“, sagte Seth lachend. „Aber was hast du kümmerliche Seele mir schon anzubieten? Was hast du, das mich davon abbringen würde, euch alle hier und jetzt zu töten?“

Sharif ließ sich zu einem herablassenden Lächeln herab, als er offenbarte: „Emilys letzte Worte.“
 

Mit einem Mal schlug Seths Stimmung völlig um. Sein Lachen verstummte und einen Moment lang wirkte er wie erstarrt. Auch sein Feuer schien gelähmt, selbst das Knistern war verstummt. Ganz plötzlich war die Welt vollkommen still geworden.

Schließlich aber begann Seth, sich zu regen. Die unterschiedlichsten Gefühle schienen ihn in diesem Augenblick zu bestürmen, wie Sharif es an seiner Miene erkannte. Er wusste offensichtlich nicht, was er fühlen sollte. Wie er sich verhalten sollte.

Letztlich aber verfinsterte sich Seths Blick, als er unheilvoll nachfragte: „Was … hast du gerade gesagt?“

„Asrim und ich waren kurz vor ihrem Freitod in ihrem Krankenzimmer“, erklärte Sharif. „Vielleicht waren wir die letzten, mit denen sie überhaupt geredet hat. Auf jeden Fall hat sie uns einiges erzählt.“ Der Vampir verschränkte die Arme vor der Brust. „Was du mit mir machst, ist mir gleich. Aber lass die anderen frei und krümme ihnen kein Haar. Dann erfährst du, was Emily kurz vor ihrem Tod gesagt hat. Über ihre Familie, über Vampire … und über dich.“
 

Seth zuckte zusammen, als er die letzten Worte aussprach. Der Drang, etwas über seine Geliebte zu erfahren, kämpfte gegen das Verlangen, die Vampire rücksichtslos zu töten. Er hatte Blut geleckt und wollte Leichen sehen, aber die Aussicht, der Frau, die er geliebt hatte, nur ein Stückchen näher zu sein, hielt seine mordende Hand zurück.

Zumindest vorerst.

„Ich könnte die Information aus dir herauspressen“, meinte Seth. „Ich könnte dich und deine süßen Freunde hier foltern, um das zu bekommen, was ich begehre.“

Sharif schüttelte sofort den Kopf. „Nur wenn du ihre Sicherheit gewährleistet, werde ich reden. Denkst du tatsächlich, ich kann auf solch ein langes Leben zurückblicken, sollte ich bei jeder Gelegenheit leicht einknicken?“ Er schnaubte abfällig. „Außerdem, je länger du brauchst, um die Information aus mir herauszufoltern, desto mehr Zeit hat Asrim, uns aufzuspüren.“

Seths Körper verkrampfte sich bei der Nennung dieses Namens sichtlich. Er legte wohl keinen großen Wert darauf, Asrim so schnell noch einmal zu begegnen.
 

„Wenn du mir versicherst, dass den anderen nichts geschieht, gebe ich dir die Information freiwillig“, sagte Sharif. „Und danach kannst du mit mir machen, was dir beliebt.“

Annis knurrte daraufhin wenig angetan, während Elias bloß imstande war, den Kopf zu schütteln, um ihn irgendwie zu verstehen zu geben, sich nicht darauf einzulassen.

Aber was für eine Wahl hatte Sharif schon? Es war immer noch besser, wenn heute Abend nur einer starb.

„Ich werde die anderen nicht für ewig verschonen“, stellte Seth klar. „Nur für heute.“

Sharif nickte. Das war immerhin besser als gar nichts. „Also haben wir einen Deal?“

„Wir sind im Geschäft.“
 

Das Feuer erstarb daraufhin jäh, als hätte es niemals existiert. Necroma, die immer noch geschwächt am Boden hockte, atmete erleichtert auf, als der Druck von ihr genommen wurde. Das Kraftfeld brach daraufhin in sich zusammen und damit gleichzeitig ihre letzte Verteidigungslinie. Necroma hatte es keine Minute länger mehr aufrechterhalten können.

Sharif strich ihr beruhigend über den Kopf, während sie leise schluchzte. „Du Dummkopf“, flüsterte sie.

„Ich weiß“, meinte Sharif. „Aber solange es euch gut geht, ist mir alles andere egal.“

So schnell wie eine angreifende Schlange ergriff sie seinen Ärmel und zog ihn näher zu sich. „Idiot“, sagte sie schniefend. „Du bist so ein furchtbarer Idiot!“

Sharif lächelte sanft. „Sag Asrim, dass es mir leid tut. Und sag Alec, dass er Oscar nicht immer so reizen soll. Der Arme wird noch irgendwann vor Wut explodieren.“ Vorsichtig befreite er sich aus ihrem Griff. „Und du, Necroma, bleib einfach so verrückt und charmant, wie du es immer gewesen bist.“
 

Bevor er sich jedoch Annis und Elias zuwenden konnte, ertönte Seths Stimme. „Wir haben keine Zeit für herzzerreißende Abschiedszenen.“

Annis schmetterte ihm irgendeine Beleidigung entgegen, doch Sharif konnte es nicht mehr hören. Eine merkwürdige Dunkelheit hatte ihn plötzlich eingehüllt. Er wusste sofort, was das zu bedeuten hatte, und zwang sich selbst, Ruhe zu bewahren. Seth wollte nur seinen Standort wechseln und Sharif mitnehmen. Offenbar hatte es den Anschein, als ob Seth das Dach eines Londoner Parkhauses nicht als den geeigneten Ort betrachtete, um die letzten Worte seiner Liebsten zu erfahren.

Sharif hatte keine Ahnung, wohin Seth ihn bringen wollte, aber es konnte ihm gleichgültig sein. Wenn er ihn hier fortbrachte, waren die anderen wenigstens sicher.

Das letzte, was er spürte, war, dass jemand seinen Arm ergriff, bevor es um ihn herum völlig finster wurde.

 
 

 
 

*  *  *  *  *  *  *  *  *

 

 
 

„Yasmine also?“ Liam seufzte schwer. „Ich muss sagen, dass ich auf meine alten Tage niemals vermutet hätte, nochmal das Vergnügen zu haben, einige Mitglieder der Sieben kennenzulernen.“

Er wirkte irgendwie winzig und müde in seinem großen Bürostuhl, während er sich wortlos Richards Bericht anhörte. Es wirkte beinahe, als hätte er mit nichts anderem als weiteren Hiobsbotschaften gerechnet.

„Soweit Alec und Oscar wissen, befindet sich Yasmine noch in Deutschland“, meinte Richard. „Allerdings ist ihr Wissenstand schon etwas veraltet, von daher könnte sie auch bereits in London sein.“

Liam rieb sich nachdenklich am Kinn und seufzte. „Es wäre möglich, dass sie vor gut einer Stunde in Heathrow angekommen ist.“

Eve runzelte die Stirn angesichts dieser doch sehr konkreten Zeitangabe. „Woher wollen Sie das wissen?“

Liam lächelte humorlos. „Sie waren alle offenbar zu lange in diesem dunklen Keller, nicht wahr? Es ist bereits auf sämtlichen Nachrichtensendern. Terroranschlag in London!“
 

Richard wechselte einen verwirrten Blick mit Eve. „Wovon reden Sie?“

„Vor gut einer Stunde ist es in einem Parkhaus am Flughafen zu einer schweren Explosion gekommen“, erklärte Liam. „Man spricht von Gaslecks, Bomben, kaputten elektrischen Leitungen oder was den Journalisten sonst noch so einfällt. Augenzeugen berichten jedoch, dass sich das Feuer äußerst untypisch verhalten hätte, beinahe als hätte es einen eigenen Willen.“

„Seth ...“, murmelte Eve und merkte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. Würde er nach und nach die ganze Stadt auseinandernehmen, um das zu bekommen, was er begehrte?

Liam nickte derweil. „Das ist auch meine Vermutung. Es passt einfach viel zu sehr zu den anderen Feuerangriffen hier in London, um etwas anderes zu sein.“ Er seufzte. „Und da sich Seth momentan offenbar auf die Sieben konzentriert, würde die Attacke auf den Flughafen deren Anwesenheit dort voraussetzen. Ich denke zumindest nicht, dass er einfach aus Spaß an der Freude ein Parkhaus in die Luft jagt.“
 

Eve verlagerte ihr Gewicht unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Gibt es Opfer?“

Liam nickte und wirkte mit einem Mal so viel älter, dass es einen beinahe zu erschrecken vermochte. „Es gibt noch keine genauen Zahlen, aber es ist zu einer Hauptverkehrszeit geschehen und die Möglichkeit, dass sich keine Menschenseele in dem Parkhaus befunden hat, ist gleich null. Man hat wohl auch schon einige Leichen geborgen, aber zurzeit ist es recht schwierig.“

Eve schloss kurz ihre Augen und atmete einmal tief durch. Erneut musste sie an ihre Mutter denken und fragte sich bitter, was sie wohl zu dem Ganzen sagen würde.

„Ich wollte einige Männer nach Heathrow schicken, um zu überprüfen, ob es auch übernatürliche Opfer gibt.“ Liams Blick lag dabei auf Richard, der sofort verstehend nickte. „Vielleicht hat Seth ja tatsächlich einige der Sieben ausgelöscht, was natürlich für uns persönlich nicht unbedingt ein Grund zum Trauern wäre, auch wenn ich doch sehr hoffe, dass Yasmine irgendwo noch am Leben ist.“ Er stöhnte auf. „Meine Güte, was ist aus der Welt nur geworden, dass ihr mir um das Wohlergehen eines Vampirs Sorgen mache?“
 

Zugegebenermaßen aus eher egoistischen Gründen – immerhin ging es ihnen mehr um die Informationen, die Yasmine besaß, als um die Frau selbst –, doch Eve konnte sehr gut nachvollziehen, was Liam meinte. Sie sehnte sich zu der Zeit zurück, als die Untoten noch der Feind gewesen waren. Gesichtslose Monster, bei denen man keinen Moment zögern würde, den Abzug zu drücken.

Stattdessen waren sie zu Gejagten geworden. Wesen, die Angst und Verlust spürten. Die sich in Gefahr stürzten, um einen anderen zu beschützen.

Eve dachte an Sharif, der alles tun würde, um seine Familie zu retten. An Oscar, der ohne zu Zögern Alecs Leben über sein eigenes stellte. Und an Alec, der den Anschein erweckt hatte, ihm wäre das Herz gebrochen, als Seth Oscar in seiner Gewalt gehabt hatte.

Und Eve hasste es, dass sie sich inzwischen gar nicht mehr so sicher war, ob sie auch nur einen von ihnen ohne jegliche Gewissensbisse töten könnte, so wie sie es all die Jahre zuvor getan hatte.
 

„Ich werde einige Männer zusammentrommeln und die Lage in Heathrow auskundschaften“, meinte Richard, nachdem sich eine Weile niemand geregt hatte, um auf Liams Worte irgendwie einzugehen. „Auch wenn ich nicht sicher bin, ob wir einen der Sieben erkennen würden, sollte er oder sie nur noch ein Haufen Asche sein.“

„Ich bezweifele, dass einer oder gar mehrere der Sieben wirklich tot sind“, warf Seamus rasch dazwischen. „Ansonsten hätte Asrim sicherlich schon aus Zorn die ganze Stadt in die Luft gejagt.“

Er sprach dies völlig sorglos aus, als wäre dies bloß eine nette, harmlose Zwischenbemerkung, an deren Informationsgehalt man sich eher erfreuen sollte.
 

„Wenn Asrim nicht selbst inzwischen das Zeitliche gesegnet hat“, entgegnete Richard sofort, wenn auch etwas zögernd. Eve währenddessen lief nur ein kalter Schauer über den Rücken, als sie an ihre Begegnung mit Asrim zurückdachte. An dieses mächtige und verführerische Wesen, das es nur mit einem einzigen Blick schaffte, einen Menschen vollkommen um den Verstand zu bringen.

„Oh bitte!“, schnaubte Seamus. „Wir wüssten es mit absoluter Sicherheit, sollte Asrim wirklich tot sein. Die ganze übernatürliche Welt würde aufschreien, inklusive der zwei Vampire unten im Keller.“

Eve vermochte nicht zu widersprechen. Die Verbindung zwischen all diesen Geschöpfen war stark und zuweilen unerklärlich. Und es war mehr als unwahrscheinlich, dass Alec und Oscar es nicht gemerkt hätten, hätte Asrims Existenz sich in Nichts aufgelöst.
 

„Nehmen wir einfach an, dass zurzeit zu unserem Leidwesen noch alle am Leben sind“, meinte Liam. „Mr. Davis, geben Sie mir unmittelbar Bericht, was in Heathrow vonstattengegangen ist. Setzen Sie sich am besten auch gleich mit den örtlichen Behörden auseinander. Ich bin mir zumindest ziemlich sicher, dass die Feuerwehr und Polizei so einige Fragen haben werden und sich über kurz oder lang sowieso an uns wenden würden.“ Er lehnte sich ein wenig zurück. „Mr. Heart, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ein wenig weiterforschen würden. Über As’kyp, über Shadyn oder über sonst irgendwen, der uns in dieser Situation vielleicht nützlich sein könnte. Zapfen Sie auch gerne ihre persönlichen Informationsquellen an, andere Forscher – alles, was Sie wollen. Ich gewähre Ihnen vollen Zugang.“

Seamus‘ Augen leuchteten bei diesen Worten auf, als hätte Liam ihm den heiligen Gral überreicht.
 

„Und Ms. Hamilton ...“ Sein Blick wirkte müde und schwer, als er sich ihr zuwandte. „Wenn es nicht zu viel verlangt ist, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die beiden Vampire unten noch einmal befragen. Zumindest ob wir die Möglichkeit haben, Yasmine irgendwie zu kontaktieren. Aber wie gesagt, nur wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen. Sie haben viel durchgemacht und ich kann verstehen, wenn ...“

„Ist schon gut“, fiel Eve ihm ins Wort. „Das ist kein Problem.“

Liam nickte, sein Blick dankbar. „Sie wollten mich aber noch unter vier Augen sprechen, nicht wahr? Ich kann es Ihnen deutlich ansehen.“

Eve biss auf ihre Unterlippe. „Wenn sie gerade fünf Minuten Zeit haben ...“

Richard und Seamus verabschiedeten sich daraufhin und waren sogleich verschwunden. Eine drückende Stille breitete sich danach aus und schien alle Nerven in Eves Körper zum kribbeln zu bringen.
 

„Was gibt es denn?“, wollte Liam wissen. Er klang wie der verständnisvolle Großvater, der kein Problem damit hatte, sich die Sorgen und Nöte seiner Enkelin anzuhören.

„Meine Mutter ...“, begann sie, brach daraufhin aber sofort wieder ab. Sie wusste einfach nicht, wie sie das Thema ansprechen sollte. Sie wusste im Grunde nicht einmal, wie sie darüber denken sollte.

Liam senkte seinen Blick. Natürlich hatte Richard bei seiner Berichterstattung auch nicht ausgelassen, dass Emilys Tod offenbar ein entscheidender Faktor für Seths Zerstörungswut gewesen war.

„Wussten Sie es?“, sprach Eve schließlich die Worte aus, die ihr so schwer auf der Zunge lagen.
 

„Dass sie eine Sa’onti gewesen ist?“, hakte Liam nach. „Wir hatten damals einen starken Verdacht und nun offenbar die Bestätigung.“

Eve runzelte die Stirn. Sie hatte nicht unbedingt damit gerechnet, dass Liam sofort alle Karten auf den Tisch legen würde.

„Aber ...“, stammelte sie. „Aber ... warum hat mir keiner etwas gesagt? Habe ich es etwa nicht verdient, so etwas zu erfahren?“

„Sie waren noch ein Kind, schwer traumatisiert und absolut ahnungslos, was die übernatürliche Welt anging“, erklärte Liam. „Hätten Sie es damals wirklich verstanden?“

Eve war für einen kurzen Moment wie für den Kopf gestoßen. „Na ja ... nein, nicht wirklich.“ Sie hatte als kleines Kind schon mehr als genug mit den tragischen Umständen von Emilys Tod zu kämpfen gehabt. „Okay, ich kann nachvollziehen, warum mich als Kind niemand aufgeklärt hat. Ich verstehe es ja selbst jetzt kaum richtig und damals hätte mich das völlig aus der Bahn geworfen. Aber was war später? Als ich die Ausbildung zur Jägerin begonnen habe?“
 

Liam seufzte. Man merkte ihm an, dass dies ein Thema war, mit dem er sich nicht erst in diesem Augenblick zum ersten Mal befasste.

„Ich war sehr dafür“, entgegnete er schließlich. „Aber Ihr Vater ... er hat mich gebeten, es nicht zu tun.“

Eves Innerstes zog sich zusammen. „Mein Vater ... weiß also Bescheid?“

Und er hatte sich erneut entschieden, seine Tochter über die genauen Umstände im Dunkeln zu lassen.

„Er meinte, dass Sie es schon damals kaum verkraftet hätten, zu erfahren, dass Ihre Mutter Selbstmord begangen hatte“, fuhr Liam fort. „Und er war der Ansicht, dass es Sie schwer mitnehmen würde, sollten Sie die ganze Wahrheit erfahren.“

Eve verkrampfte ihre Hände zu Fäusten. Natürlich hatte Frank Hamilton Recht damit, dass sie es schwer treffen würde, aber dennoch gab es ihm noch lange nicht das Recht, ihr diese Information vorzuenthalten.
 

„Wir haben oft darüber gesprochen“, erklärte Liam. „Ich habe ihm immer wieder gebeten, sich Ihnen anzuvertrauen. Aber er hat sich stets geweigert.“ Er rieb sich kurz die Schläfen. „Frank ist ein guter Mann, Eve. Und er liebt Sie mehr als alles andere auf der Welt. Aber Emilys Tod ... all das hat ihn schwer erschüttert. Dabei zuzusehen, wie jemand, den man sosehr liebt, langsam den Verstand verliert, ist ganz gewiss nicht einfach. Er wollte Ihnen dies alles ersparen und ich konnte ihn auch verstehen. Es hätte an Emilys Schicksal sowieso nichts geändert.“

„Aber trotzdem ...“, hakte Eve ein.

Liam nickte zustimmend. „Wir konnten uns auf einen Kompromiss einigen. Sollten Sie je irgendwann einen Verdacht haben und zu uns kommen, würden wir Sie nicht anlügen. Und genau das tue ich jetzt hier.“
 

Eve wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Mit Ärger, mit Akzeptanz oder gar Resignation? Es war einfach alles zu viel in viel zu kurzer Zeit.

„Es tut mir leid“, sagte Liam seufzend. „Aber ich wollte den Wunsch Ihrer Vater nicht einfach ignorieren. Er zählt zu einem meiner besten Freunde. Und wenn Sie wollen, können Sie das gerne mit ihm ausdiskutieren, sobald er hier ankommt.“

Eve runzelte die Stirn. „Er ist auf einer Konferenz in Manchester. Noch bis zum Wochenende.“

Liam schnaubte verächtlich. „Sie sind von Vampiren entführt worden! Denken Sie allen Ernstes, da würde ich Ihren Vater nicht anrufen? Er hat sofort alles stehen und liegen gelassen.“

Eve spürte, wie ihr Puls etwas in die Höhe stieg. „Denkt er, ich bin immer noch in der Gewalt der Vampire?“

Liam schüttelte sofort den Kopf. „Ich habe ihn natürlich sofort informiert. Allerdings sollten Sie ihn vielleicht noch einmal anrufen, damit er sich vergewissern kann, dass es Ihnen wirklich gutgeht.“
 

Eve nickte, auch wenn sie wenig Lust verspürte, mit ihrem Vater zu reden. Er hatte sie erneut belogen und auch wenn ihr klar war, dass er es im Grunde nur getan hatte, um sie zu beschützen, tat es dennoch weh.

Er war das einzige an Familie, das sie noch hatte.

„Ich rufe ihn an und sage ihm, dass er wieder zurück nach Manchester fahren soll“, meinte sie. „Ich will nicht, dass er in London ist, während ein irrer Pyromane hier herumläuft, der immer noch meiner Mutter nachtrauert.“

Liam schmunzelte leicht. „Viel Glück dabei, Frank aufzuhalten.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wie sich vielleicht der ein oder andere erinnert, war Eves Vater in der ersten Version der Geschichte bereits tot (bzw. sein Tod sogar der Auslöser, warum sich Eve überhaupt erst den Jägern angeschlossen hat). Da ich nun die ganzen Hintergrundgeschichten der Eltern was verändert habe, dachte ich, dass es doch ganz interessant sein könnte, ihn wieder "von den Toten auferstehen" zu lassen und ihn ins Geschehen zu werfen xD Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  SamAzo
2015-06-20T19:00:44+00:00 20.06.2015 21:00
vbNecroma auf Knien... und das nicht weil sie sich gerade mit einem Regenwurm unterhält.
Schon unschön das zu sehen... naja - lesen. Das Sharif dann mit dem Verrückten mitgeht... puh, wenn das mal gut durchdacht war.

Dann bin ich mal sehr auf Eves Vater gespannt, gerade weil man ihn bislang nicht hatte kennenlernen können.

Und weiterhin gute Besserung. ^_^
Von:  Divinity
2015-06-01T22:06:59+00:00 02.06.2015 00:06
Hey, ich hab gerade dein neues Kapitel gelesen.
Der arme sharif, ich hoffe doch du lässt ihn nicht sterben? :'(
Er ist unverzichtbar für die ganze Geschichte
Außerdem, was soll denn Nec ohne ihn machen?
Ich hoffe Alec kommt im nächsten Kapitel wieder. Du weißt doch, er ist mein absoluter Liebling :-*

Für deine anstehenden Op's wünsche ich dir alles liebe und hoffe du kommst ganz schnell wieder auf die Beine.

Bis dahin alles Gute, viele liebe Grüße und bis bald...

Divinity

Antwort von:  Nochnoi
06.06.2015 11:24
Vielen vielen Dank für deinen Kommentar ^^

Ja ja, der arme Sharif muss echt einiges durchmachen. Tut mir auch irgendwie ehrlich leid, da er einer meiner Lieblinge ist, aber hey, er ist nun mal ein wichtiger Teil der Story ;)
Und ja, Alec kommt im nächsten Kapitel wieder, keine Sorge :) Ich werde es wahrscheinlich noch heute oder allerspätestens morgen hochladen.

(Und vielen Dank! Eine OP hab ich schon hinter mir, da lief alles nach Plan. Die nächste ist für meinen Arm am Donnerstag - da darf ich dann noch 1-2 Wochen im Krankenhaus rumliegen <.< Aber ich hoffe, danach wird's mit meinen Arm endlich besser und ich kann wieder so richtig losschreiben! ^^)


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