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#1

"Och mann, Hannes, jetzt lass mich mal in Ruhe.", maulte ich leidend und schaute durch den Spiegel zu meinem alten Schulfreund. Wie er dort saß, auf meinem Bett, ausgebreitet als wäre er der König von Peru. "Nein. Du warst ewig nicht mehr weg." Ich sah wie er die Augen verdrehte und eine Grimasse zog - und sich an meinen neuen Platten verging, die ich mit aller Kraft und Mühe zusammen gesucht hatte. Zugegeben: ich war wirklich lange nicht mehr weg gewesen. Irgendwie nahm mich die Schule nun sehr ein, immerhin Abitur und der ganze Mist und ich wohnte einfach am Arsch der Heide. Zudem sah mein Spiegelbild auch nicht gerade danach aus, dass es bereit war, auszugehen. Meine Haare standen in alle Himmelsrichtungen vom Kopf ab, ein Anlass von meiner Mutter immer wieder zu sagen, ich solle doch endlich mal zum Friseur und die schwarz-gelb gestreifte Hose war zu kurz. Hochwasserhose. Dazu steckten meine Füße in alten Pikes, die ich mal aus London mitgebracht hatte. Hannes nannte sie Schnabelschuhe. Mein Shirt war schwarz, ein selbst gedruckter - man erwähne den Kartoffeldruck - Totenkopf zierte dieses. Alles in allem eine recht lächerliche Erscheinung, wenn man bedenkt, dass ich ein stattlicher junger Mann von 1.94 Metern war. 

"Außerdem", warf ich nun ein und nahm Hannes meine geliebte Beatles Platte aus der Hand, "wo wollen wir denn hin?" Ich setzte mich zu meinem Freund, der wesentlich kleiner war als ich und deutlich schmaler. Ich hatte wirklich keine große Lust auf irgendeinen schlechten Schuppen in dem furchtbare Musik lief. 

"Wir könnten nach Spandau."
 

Hannes sah meine Skepsis wohl an, denn er runzelte die Stirn, atmete direkt ein um danach eine ellenlange Liste an Argumenten zu bringen. Ich war immerhin ein Sturkopf. "Spandau? Das ist eine Weltreise, das weißt du.", warf ich erneut ein und reckte mich. Mein Zimmer war recht leer, ein Schreibtisch, Schrank, das alte Bett auf dem wir saßen. Und an der Wand lehnte sie - meine erste Gitarre. Sie war nicht hochwertig oder klang gut, aber ich liebte dieses Teil. Und ein sentimentaler Wert hatte sie allemal. 

"Aber dort ist das Ballhaus, alter! Die spielen da Punk." Mein Kopf drehte sich zu meinem besten Freund. Er schaute mit bittend, beinahe flehend, an mit diesen großen, blauen Augen die keiner Menschenseele... was dachte ich eigentlich? "Super. Wir machen eine Weltreise um in das Ballhaus zu gehen um-" Er drückte mir seine Hand auf den Mund. Ich hörte ihn brummen und ehe ich mich versah stand ich, nachdem ich einen guten Protest geleistet hatte, auf der Straße vor dem Haus. Hannes hatte mich mit Argumenten bombardiert - wo sonst sollten wir öffentlich Punkmusik hören? Wo sollten wir mal andere Leute treffen? Und er kannte ein paar, wo man schlafen konnte. Ich sollte mich ja nicht so anstellen, hieß es. 
 

Ich wohnte in Frohnau. Hier, wo ich lebte, war es diese Vorstadtidylle. Was bedeutete, dass ich überall mit dem Bus hinfahren musste, wenn denn einer fuhr. Ich besaß weder ein Auto, noch Motorrad, nicht mal eine Mofa. Fahrrad war eine Option, aber keine Lösung. Hannes wohnte einige Straßen weiter weg, jedoch war er ein wenig mobiler und seine Mutter bereit den ungestümen Sohn in seiner Lebensart zu unterstützen. Das einzig Gute, wenn die Mutter ein alter Hippie war. Die Fahrt nach Spandau dauerte entsprechend - überall Menschen in Anzügen oder man trug die neuste Mode. Man merkte, dass die 70er noch nicht lange her waren. Unser Weg führte durch die Straßen, einige Läden hatten noch geöffnet und eine Parfümerie versprühte einen sehr starken Duft. Es war 19 Uhr, aber noch angenehm warm, so konnte man mit T-Shirt durch die Gegend laufen. Die Blicke, die uns trafen, sprachen Bände - Verachtung, Abneigung, teilweise sogar Angst. Ich konnte nicht verstehen, wie man vor uns Angst haben konnte, so lächerlich wie wir aussahen. Denn auch Hannes trug Kleidung, die nicht zueinander passen wollte, sein T-Shirt mit dem Aufdruck "der tut nix" mit Pfeil nach unten nahm ihm einiges an Ernsthaftigkeit. 
 

Wir betraten die Lokaltät circa eine halbe Stunde später und waren, noch, die einzigen unserer Randgruppe. Was wir auch deutlich zu spüren bekamen. Hannes bestellte sich ein Bier, ich nahm eine Cola, da ich keinen Alkohol trank. Auch wenn Hannes und ich uns seit Jahren kannten kam er auf diese Sache immer noch nicht klar, ja, war immer noch leicht geschockt. "Super. Das hat sich ja jetzt richtig gelohnt.", meinte ich grimmig - lächelte dann aber leicht. Es lief gerade Schlager, die älteren Leute waren auf der Tanzfäche bei ihrem Tanztee. Meine Aufmerksamkeit erheischte eine junge Frau, blaue Haare, die sich mit jemanden unterhielt. Erst nach und nach, im Laufe des Abends, füllte sich der Schuppen mit bekannten Menschen, die vor allem Hannes kannte. Die Musik wechselte gegen 21 Uhr schlagartig und war der Auslöser, das gerade die ältere Generation die Flucht ergriff. Meine Laune war zwar recht weit unten, als ich aber die vertrauten Gitarrenklänge erkannte war ich wieder motiviert und vor allem gut gelaunt! Aus den Boxen döhnte The Clash, gefolgt von PVC. Wir waren circa 30 Leute auf der Tanzfläche - einige angetrunken und gut gelaunt - man kannte sich irgendwie, da die Punkszene noch nicht sonderlich groß war. Ich wurde hier und da durch die Gegend geschubst, war aber mitten in der Menge und sprang gegen die Leute, man unterhielt sich gegen die laute Musik. Und ich hatte Hannes verloren, erkannte ihn aber vage an der Theke, wo er mit der Blauhaarigen am Fummeln war. Typisch. Es roch recht bald nach Alkohol und Zigaretten, ich störte mich nicht daran, versuchte es jedenfalls. Die Musik wurde lauter, wechselte zu Gang Of Four. Und da passierte es. 
 

Ich stieß volle Kanne mit einem sehr schlanken Mann zusammen. Das konnte ich an den spitzen Schulterknochen ausmachen und den Rippen die sich gerade in meine Brust bohrten. Das Zweite, was ich vernahm, war eine gute Fahne - ich glaube Wodka. Etwas paralysiert lag ich noch da, ehe der junge Mann aufstand und mir die Hand hinhielt. Er lächelte breit. Erst jetzt sah ich ihn, in dem schwummrigen Licht der Bar. Er schien ein gut gelaunter Mann zu sein, auch wenn ich es auf den Alkohol schob. Und er schien belustigt über meine leicht irritierte Art zu sein. "Ey", rief er gegen die Musik an und hielt mir die Hand hin, die ich bereitwillig annahm, "wir suchen 'n Gitarristen, kennste jemanden!?" Ich trat etwas näher an den jungen Goth heran, der gute zehn Zentimeter kleiner war als ich und die Haut so blass, dass ich die feinen Äderchen unter den Augen sah. Worauf achtete ich eigentlich? Ich wurde erneut geschubst, grinste dann aber. "Ich hab 'ne Gitarre.", entgegnete ich lässig - die Frage, ob ich überhaupt spielen konnte, wurde einfach nicht gestellt. Die stellte niemand, weil es klar war, dass die wenigsten wirklich ein Instrument richtig beherrschten. Ein paar Leute schrien mir ins Ohr, sangen, ich hörte irgendjemanden in der Nähe kotzen. Man merke an, dass die Musik nur circa eine Stunde spielte, aber innerhalb diesen 60 Minuten herrschte hier Sodom und Gomorra. Der junge Mann stellte sich mir als Dirk vor, meinte, sie würden jeden Mittwoch proben und ich sollte nächste Woche dort mal aufkreuzen - viel mehr Worte wechselten wir nicht, da er direkt in der Menge untertauchte. 
 

Von Hannes erfuhr ich eine Stunde später, das Dirk wohl mit seiner neuen Traumfrau - Brigitte - durchgebrannt sei.

Er hatte recht: ich war viel zu lange nicht mehr unter Leuten gewesen. Und nun Mitglied in einer Band, deren Namen ich nicht kannte, geschweige denn deren Mitglieder.



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