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Punching a Mirror ∞

[inspired by Prisoners]
von
Koautor:  SecondStar

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☀ Der ungelöste Fall

Mittlerweile waren zwei Wochen vergangen und die Hitze hatte noch kein Ende genommen. Alles war unverändert. Außer dass Jake sich etwas verändert hatte. Denn seit Richard da war hatte Jake neuen Mut gepackt. Die Kriminalabteilung hatte allerhand zutun. Die Alkoholsession war wieder im vollem Gange und sie hatten eindutzend Autounfälle verursacht durch Betrunkene zu betreuen.
 

An diesem Morgen betrat Gyllenhaal pfeifend das Gebäude, mit einem Kaffee in der Hand und einem Hemd das bis zur Hälfte aufgeknöpft war, denn das Wetter war kaum auszuhalten. „Guten Morgen!“ er nickte den Damen im Sekretariat zu. „Judith, Jenna.“ Dann betrat er die Räumlichkeiten der Beamten. „Wo sind die verdammten Ventilatoren, he?!“ Es war mehr eine belustigte Frage, denn die Bestellung hatte Tyler bereits vor einer Woche aufgegeben. „Tyler? Wie müssen ohne dein Engagement wohl weiter schwitzen!“ Jake wusste wie er seinen Angestellten auch ohne böse Worte oder Vorwürfen Dampf machte. Tyler versank im Boden und antwortete mehr oder minder mit einem Nicken. Denn der Abteilungsleiter setzte auf das Schlechte Gewissen, das Tyler den anderen Schwitzenden gegenüber hatte. Den Rest würden die Kollegen schon machen. Sein graues Hemd war an manchen Stellen schon leicht von nässe bedeckt. Bevor er sich wieder in seinem Büro einnistete warf er Richard einen erhellten Blick zu. Bald würde die Eingewöhnungszeit vorbei sein und er würde ihn in den Fall mit einbeziehen. Sobald er das Gefühl hatte, das es das Richtige war…
 

Als er in sein Büro marschiert war wurden die Stimmen lauter. Ethan und einige der Männer pöbelten Tyler an. Sofort rief dieser beim Lieferanten an. Es herrschte gute Stimmung, doch die Hitze zahlte Ihren Tribut gegen Nachmittag, als die Sonne am höchsten Stand. „Heute Abend haben wir endlich alle mal zur selben Zeit Schluss! Lasst uns alle Mann was trinken gehen!“ Alle stimmten zu und Brian ging zu Richard hinüber. „Du musst auch mitkommen, das ist Tradition das der Neue mit uns allen was trinken geht, was sagst du?“ Er stützte sich, während der frage stellte ungeniert auf Richards Tisch und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Als dieser zustimmte war es beschlossene Sache.
 

...
 

Der Feierabend läutete ein und die Sonne war schon seit einer Stunde untergegangen. Die Beamten machten sich fertig, zogen sich um und schalteten ihre PCs aus. Sowie auch die Lampen. Nur in einem Büro brannte noch grelles Licht. Jake Gyllenhaal saß noch immer vor dem Bildschirm, mit kleinen Augen und zerzausten Haaren. Hektisch notierte er sich etwas und sah immer wieder auf die flackernde Lichtquelle. Seine Gedanken waren wieder völlig vertieft in diesem ungelösten Fall der sein ganzes Leben verändert hatte.
 


 

◈ ◈ ◈
 


 

Zwei Wochen war Richard nun schon ein Mitglied der munteren Gruppe. Munter, ja das waren sie allemal. Die Arbeitsmoral schien locker zu sein, angenehm und einladend. Jedoch hatte Richard sich nach wie vor einen gesunden Abstand bewahrt. Bei den meisten Scherzen die gemacht wurden konnte er eh nicht mitreden. Und wenn er selbst mal zur Belustigung neigte waren alle erheitert. Er fühlte sich willkommen. Und so war die Stille die ihm die ersten paar Tage wie ein Schatten gefolgt war irgendwann schon fast verflogen. Er begrüßte die Kollegen, unterhielt sich mit ihnen, sah sich immer Mal wieder Fälle mit ihnen an und gab seine Ansichten dazu. Richard musste sich zwar noch mit kleinen Dingen zufrieden geben, aber er hatte das Gefühl wieder ganz im richtigen Rahmen zu stecken. Auch der Abteilungsleiter schien nach wie vor ein Sympathieträger zu sein. Richard hatte ihn ab und zu gegrüßt und sich die Zeit genommen ihn bei ungeklärten Fragen aufzusuchen, jedoch war es nie wirklich oft zu Begegnungen gekommen. Die kleinen Fälle waren nicht wirklich welche, bei denen Probleme für ihn auftraten.
 

Heute sollte es knallend heiß werden. Und verdammt der Lockenschopf war kein Fan von Hitze. Er mochte den Sommer zwar auf seine Weise, aber diese Temperatur...

Ihm erging es genau wie jedem Anderen im Büro. Und auch Mr. Gyllenhaal schien davon nicht verschont zu sein. Dennoch brachte dieser immer wieder muntere Laune in die Räumlichkeiten, welche sich gerade wirklich tropisch anfühlten.

Richard lachte ebenfalls, etwas das betrachtend auf seinen Ersten Tag hier immer öfter vor kam. Er erwiderte den Blick seines Chefs, das Lachen noch auf den Lippen, als sich seine Mundwinkel wieder schlossen, er den Kopf leicht schüttelte und sich mit einem Schmunzeln seinen Unterlagen zuwandte. Die Zeit verging. Und die Temperatur schien kaum zu fallen. Seine Locken kräuselten sich sogar noch mehr, kaum denkbar dass das noch möglich war. Und als endlich der Feierabend näher kam, blickten seine Kollegen schon beinahe sehnsüchtig diesem entgegen. Er sah nicht auf, als die Planungen zu dem kleinen Abstecher besprochen wurden. Richard hatte kein Interesse daran sich an irgendwelche Gruppen zu klammern, er würde sich nicht in den Vordergrund drängen. Als er jedoch angesprochen wurde... sah er auf. Und wirkte nicht so als hätte er damit gerechnet. "Ehrm...", Brian grinste ihm entgegen. Er konnte wohl schlecht nein sagen. Und verdammt, endlich mal aus der Sitzhaltung raus und einen guten Abend haben klang doch nach etwas. Er musterte die anderen Jungs, die ihn erwartungsvoll ansahen. Bestimmt würden sie auch auf Jagd gehen. Richard presste die Lippen einen Moment aufeinander. Es war nun vielleicht ein bisschen her, dass er sich eine Begleitung mit Nachause gegönnt hatte. Noch vor seinem Umzug. Gott wo hingen seine Gedanken?! ... doch der Trieb war da und er konnte nicht verleugnen ab und zu einen Blick auf gegebene Quellen an festem Fleisch gerichtet zu haben. Gut, zugegeben, sein häufigstes Opfer war Mr. Gyllenhaal gewesen. Schon das alleine hatte die erniedrigende Tatsache dass dieser sein Chef war. Und nicht nur von der Berufshaltung weit entfernt von ihm sondern sicherlich auch weil er verdammt noch mal Hetero war. "Na was ist?", Richard atmete leise auf. "Also gut, bin dabei." Die Begeisterung sprach förmlich aus dem Gesichtsausdruck seines Kollegen und damit war der Abend wohl festgelegt.
 

Der Feierabend kam, alle schalteten ihre PCs ab und hatten sich recht schnell fertig gemacht. Richard hatte sich auf seine Arbeit konzentriert, jedoch nicht ohne ab und zu an den Abend zu denken. Er war nicht direkt Kontaktfreudig, jedoch ebenfalls ein Mensch der eben diese schnell knüpfen konnte. Wenn er denn wollte. Heute Abend würde die Bindung zwischen ihm und seinen Arbeitskollegen sicherlich noch fesitgen, außer er machte kein Geheimnis aus der Tatsache dass er- ... bei dem Gedanken kam eine Frage in ihm auf. Ob sie Mr. Gyllenhaal mit eingeladen hatten? Das leise Surren des Computers endete, als dieser runtergefahren war und Richard erhob sich. Er streckte sich einen Moment. Der Außendienst war ihn ab und zu wirklich lieber, auch in der knallenden Hitze. Doch derzeit verbrachte er eher seine Zeit im Büro. Und sein Rücken leidete ein wenig unter dem Stuhl. Brian schien auf ihn zu warten. Er ging zu ihm, wurde jedoch gestoppt von einem Flimmern. Seine Aufmerksamkeit wanderte zu der Quelle. Eine scheinbar in Stress und Müdigkeit regelrecht getränkte Figur saß vor dem Bildschirm, welcher noch immer hell flackerte. Es war sichtlich Mr. Gyllenhaal. Brian war neben Richard her gelaufen und einige Schritte weiter gegangen, ehe er bemerkt hatte wie sein Kollege ins Stoppen gekommen war. Richard musterte das Bild, welches sich ihm bot. "Kommt er nicht mit?", fragte er mit ruhiger Stimme. "Ach nein... der kommt nie mit. Seit Jahren nicht mehr... hängt immer an diesem Fall und... naja, lass ihn besser". Doch der Lockenschopf konnte sich von dem Anblick nicht lösen. Erst als Brian zu ihm trat, wurde ihm bewusst das es wohl besser war es dabei zu belassen. Vorerst. Doch es hatte sich eingeprägt. Jake Gyllenhaal, wie ein hektisch gejagtes Tier vor dem PC. Sie hatten ihre Vornahmen schon ausgetauscht. Jake. Es passte zu ihm. Zu dem munteren Mann den er immer gab. Dem Mann mit dem warmen Lächeln. Der Mann, der doch scheinbar viel mehr in sich trug, als man bei seinem Anblick, wenn er freudiger Worte ins Büro kam vermuten konnte. Brian und er verließen das Büro... und der Feierabend begann mit einer Gruppe junger Männer, die erfreut darauf war endlich ausgehen zu können... und einem Abteilungsleiter der scheinbar gehetzt war von etwas, das Richard noch nicht erahnte.
 


 

...
 

Am nächsten Tag war Richard wie immer pünktlich im Büro. Er hatte ein paar neue Akten zu Kleinfällen bekommen, jedoch konnte er diesen verdammten Stuhl nicht mehr ertragen und so stand er vor dem Tisch, die Hände auf die Tischplatte gestützt und über die Papiere gebeugt. Seine Augen wanderten über die Zeilen, die leider Gottes allmählich ermüdend wurden. Kleinkriminelle in Form von Taschendieben. Jugendliche die zu schnell gefahren waren oder Alkohol hatten mitgehen lassen. Er war froh wenn seine Eingewöhnungszeit langsam vorbei war. Der gestrige Abend hatte einiges mit sich gebracht. Und dennoch waren seine Kollegen erheitert ihn zu sehen und begrüßten ihn wie jeden Tag sonst auch. Tyler hatte sogar Kaffee mitgebracht. Gepriesen sei Tyler.

Im Sekretariat hatten sich Jenna und Judith schon an ihre Plätze gesetzt und... gackerten wie eh und jeh. Als Richard heute an ihnen vorbei gegangen war hatte ihre Begrüßung irgendwie anders geklungen. Den Grund dafür konnte er sich irgendwie denken. "Verdammt, wer konnte ahnen dass wirklich alle gutaussehenden Männer an anderen Ufern schwimmen" - "Ja aber hättest du das geglaubt? Doch nicht bei Mr. Madden... oder eher, Richard", während Judith seufzte, ließ Jenna ein kichern erklingen. "Keine Sorge Judith, du wirst den Richtigen schon finden".

Ja, der gestrige Abend mit den Jungs hatte einiges eingebracht. Sie waren durch die Bars gezogen und als irgendwann zur Sprache kam dass man die blonden Damen an der Bartheke doch erobern könnte und alle zur Belustigung wie auch simplen Spaß Richard vorschicken wollten, hatte dieser eröffnet dass er keineswegs Interesse an den blonden Frauen dort gehabt hatte. Auf die Worte hin "Na dann such dir doch ne Brünette aus", hatte er seinen Kollegen schließlich nahegelegt dass ihn die Frauenwelt, ob nun blond, brünette oder schwarzhaarig keineswegs ansprach. Und als seine Mitarbeiter verstanden hatten, hatten sie... überraschend offen reagiert. Richard wusste nie womit er zu rechnet hatte, doch ein Geheimnis aus seinen Vorlieben zu machen hatte ihm bisher immer eher gegenteilige Reaktionen eingebracht und somit verheimlichte er nicht, was eben mal so war wie es war. Keiner von ihnen schien sich darum zu kümmern, vonwegen 'Oh Gott er könnte mir auf den Arsch gestarrt haben'. Sie scherzten eher darüber. Und nahmen es an.
 

Richard nahm den Kaffee dankend entgegen, nahm einen Schluck von der heißen Brühe - verdammt bei dem Wetter, aber er brauchte das nun mal - und wandte sich wieder seinen Unterlagen zu. Von dem gestrigen Nachtstunden strichen seine Gedanken wieder woanders hin. Jake Gyllenhaal. Dieser hatte das Büro am Abend nicht verlassen. Wann er wohl Nachhause gegangen war? Am Bartisch hatten seine Kollegen oftmals verlauten lassen das Jake Überstunden wohl all zu gerne in Anspruch nahm. Und dass sie nicht verstehen konnten wie jemand dauernd vor dem flimmernden Bildschirm verbringen könne, ohne sich mal eine Auszeit zu gönnen.

Richard sah die Zeilen auf dem Zettel kaum mehr, als er wie in Trance an das Bild von gestern, welches sich bei ihm eingeprägt hatte dachte. Dass er seine Antwort auf die damalige Frage 'mit wie viel Leidenschaft Jake an seinen Job ging nun' hatte sollte ihm allmählich bewusst werden. Zu viel. Eindeutig.
 


 

◈ ◈ ◈
 


 

An diesem Morgen war Jake der letzte der ins Büro kam. In seiner Hand hielt er einen Getränkehalter aus Pappe in dem drei Kaffees auf einmal steckten. Ein heißeres Grummeln kam aus seinen schmalen Lippen. „Morgen...“, mehr war nicht zu hören. Judith und Jenna wussten das sie ihren Chef heute nicht ansprechen sollten. Genau wie alle anderen die ihn in sein Büro schlürfen sahen. Allerdings entging ihm das oftmals Sinnlose gekichere nicht. Denn Jemand spielte dabei eine wichtige Rolle. Richard. Der Name fiel und der Beamte spitzte die Ohren. Ging sogar extra etwas langsamer. Anderes Ufer? Ein Überschwängliches Gefühl von Betroffenheit überrannte ihn. Der Schock saß tief. Hatte er wirklich richtig gehört? Richard Madden sollte schwul sein?!

Fassungslosigkeit und Unglauben darüber machte sich breit. Woher sollten die beiden Tanten davon wissen? Was? Zufall? Oder einfach nur Gerüchte? Aber wie sollten die entstehen wo Richard doch seiner Ansicht nach sehr männlich wirkte…

Er schluckte und die Neugierde über den neuen Kollegen war nun noch weiter gestiegen. Dazu musste sich Jake allerdings später Gedanken machen. Doch er würde das sicherlich nicht vergessen!
 

Ohne ein fröhliches „Hallo“ oder witziges Kommentar schmiss Gyllenhaal seine Tasche beiseite, unachtsam und grob. Dann versank er in den breiten Ledernen Stuhl und schaltete den Ventilator an. Denn sie waren tatsächlich endlich eingetroffen. Kaffee, er brauchte Koffein. Die offnen Augen die ihrer Welt entgegen strahlten, hatten Glanz verloren denn heute Nacht hatte er einen harten Rückschlag erlitten und wieder stand Ratlosigkeit im Raum. Die Ohnmacht an diesem Fall hatte ihn schon völlig zerrissen. Mit dem heißen Getränk in der Hand drehte er sich samt Stuhl zum Fenster. Sodass ihn niemand sehen konnte für den Moment. Denn der Kriminalbeamte merkte wie ihn die Schwäche einfing und festhielt. Die Augenbraun zogen sich zusammen. Da half der Kaffee herzlich wenig als er daran nippte und seine Lippen verzogen sich in einen leidenden Ausdruck. „Scheiße!“ er beugte sich nach vorn um sich durch das frisch rasierte Haar zu streichen. Und zu Boden zu blicken.
 

„Oh man, mal wieder eine Phase die hoffentlich schnell wieder vorbei ist.“ Ethan hatte sich als erster zu Wort gemeldet, als er den Chef mit so unguter Laune gesehen hatte. Er nippte an dem Kaffe und stand bei Richard am Computer. „Bin mal gespannt wann er Suspendiert wird.“ freche Worte, unüberlegt aber die Frage hatte sich sicher nicht nur er gestellt.

Gerade als Brian sich einmischen wollte schnappte der Türgriff nach unten und ein schlechtgelaunter Jake betrat die Räumlichkeiten. Er trug sonst immer die Sonne bei sich, doch heute hatte er nur Finsternis mitgebracht. Sofort herrschte Stille und alle begaben sich zurück zum Platz. Die Augenbraun waren stetig zusammengedrückt denn die Kopfschmerzen waren ebenfalls ein Faktor für sein Auftreten. „Richard? Nimm deine Sachen und komm bitte mit.“ Aber er bewahrte den höflichen Umgang. Während er im Türrahmen stand drückte er seine pochende Stirn mit Daumen und Zeigefinger zusammen, die andere Hand legte sich wieder auf sein Becken. Als Richard so weit war ging der Abteilungsleiter vor, huschte noch kurz in sein Büro und nahm die drei Kaffees mit. Dann schlenderte er mit seiner Begleitung nach draußen. An die frische Luft. Heute sollte es Regnen, das würde endlich die erlösende Erfrischung bringen. Gyllenhaal verlor kein Wort, in seiner ganz charakteristischen Gangart ging er mit schnellen Schritten zu seinem Wagen. Es wirkte fast so als würde Jake vor etwas davon laufen und als er sich auf die Fahrerseite setzte, verließ ein dunkles Seufzen die Müde Gestalt. Der sonst so Wortstarke Mann fand keine. Er schaltete den Motor an und ließ alle Fenster auf, als sie losfuhren. Die Locken seines Begleiters wehten im Wind und auch seine Frisur verlor an Form. Die Stimmung war bedrückend und man merkte wie mitgenommen Jake war. Sein Blick war durchgehend nach vorn gerichtet, obwohl er immer ein oder zwei Blicke für Richard übrig hatte. Sehr gern sogar. Aber heute ging es nicht. Sie fuhren eine Weile und Jake ließ kein einziges Mal seine Stimme verlauten. Erst als er in einer Wohngegend anhielt und das brummen des Wagens verstummt war eröffnete er Richard sein Anliegen. Betrübt fand er endlich Worte. „Es tut mir leid, dass ich dich einfach Entführe ohne ein etwas zu sagen.“ Doch er musste sich eingestehen jetzt Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Von Richard. Vielleicht war er kein Wunderheiler aber eine Hilfe die Jake den Rücken stärken würde. Oder noch Jemand der ihn nicht ernst nahm und sich darüber belustigen würde. So oder so er hatte eine fünfzig, fünfzig Chance. Jake konnte ihn noch immer nicht anschauen, doch was Madden sehen konnte war die Gänsehaut die sein Vorgesetzter am ganzen Körper bekam. „Siehst du das Haus mit den blauen Ziegeln?“

Sie standen nur wenige Meter davon entfernt. „Dort hatte mal eine Familie gewohnt. Claudia und Mitchell Ellen haben hier gewohnt. Sie hatten einen Sohn Aaron und zwei kleine Mädchen, Zwillinge…ihre Namen waren Hanna und Leila.“ Die Luft wurde enger und der groß gewachsene Mann musste schlucken. Es ging ihm nahe. Seine Glieder spannten sich an. Doch er bewahrte Haltung, gerade vor einem seiner Angestellten konnte er sich das nicht erlauben. Ihm war heiß und gleichzeitig fröstelte es ihn. Die verschwitzten Hände rieb er sich an seinen Hosenbeinen als er darauf folgend nach einem Foto griff um es dem Lockenschopf zu reichen. Und schließlich weiter erzählte. Es hatte bereits Eselsohren und andere Knicke, war schon lange in Gebrauch...
 


 

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„Vor 5 Jahren hat das Schicksal zugeschlagen. Es war ein Sonntagmorgen am Spielplatz an der vierzehntesten Straße. Aaron war schon lange ausgezogen und die restliche Familie Ellen ging mit den Zwillingen zum Spielplatz. Ein kurzer Moment hat gereicht und sie waren verschwunden. Seitdem fehlt jede Spur von ihnen und ich habe mich der Sache angenommen. Mittlerweile sind Mitchell und Claudia geschieden. Mitchell hat eine neue Familie und Claudia ist Alkoholikerin. Aaron geht seinem Studium nach…. “ Stille. Jake ballte die Faust und drückte das Ende gegen seine Lippen. Sein Blick hing noch immer draußen an dem Haus, was vor einigen Jahren noch so viel Liebe in sich getragen hatte. „Richard…er ist noch da draußen, irgendwo. Und ich fühle wie mich der Gedanke jeden Tag mehr mit Angst erfüllt." Sobald er es ausgesprochen hatte kam Reue über ihn. Als Folge darauf räusperte er sich und drehte nun endlich den Kopf zu seinem neuen Mitarbeiter. Das blau traf auf das tiefe Eis des jungen Mannes. Das Leid stand in ihnen geschrieben wie eine Geschichte und Gyllenhaal merkte nicht wie leicht man es in seinen Zügen lesen konnte. Denn Gefühle zu verbergen darin war Jake sehr schlecht, selbst wenn er sich die größte Mühe gab. „Ich brauche Jemanden der einen Blick für Details hat. Der mir Hilf, denn sonst kann ich den Mörder niemals hinter Gitter bringen!“ Die Entschlossenheit war kräftig und hart in seinem Herz eingebrannt. „Vielleicht leben sie sogar noch, aber das glaube ich schon lange nicht mehr…“ Das Gesicht drehte sich wieder Weg. Denn er ertrug es nicht zu wissen dass er sich ohnehin wie immer durch deine Mimik verraten hatte…

Und das bei einem seiner Angestellten.
 


 

◈ ◈ ◈
 


 

Der Tag sollte nicht so sein wie alle anderen. Das wurde Richard spätestens dann klar, als Jake den Hauptraum betrat und nicht die übliche Wärme mit sich brachte. Es herrschte Stille. Denn keiner wagte etwas zu sagen. Richard hatte sich nur von seinen Unterlagen abgewandt, als er die Tür gehört hatte. Doch als er der müden Gestalt entgegen blickte, wagte selbst er nicht etwas von sich zu geben. Jake wirkte erschöpft. Und noch schlimmer, mitgenommen und ausgelaugt. Er schlurfte an ihnen vorbei. Verschwand in seinem Büro... und man bekam nichts mehr von ihm mit. Richard war ihm mit seinem Kopf regelrecht gefolgt. Und das er sich mehr als wunderte bekamen auch seine Kollegen mit. Jeder hatte doch mal einen schlechten Tag oder? Auch ein Jake Gyllenhaal. Er stand noch eine Weile da und sah zu der Tür, ehe er leise aufatmete und den Gedanken abschüttelte, irgendwelche Fragen zu stellen. Dann nahm er Platz, um sich seiner eigenen Angelegenheiten wieder zu widmen. "Oh man, mal wieder eine Phase...", hörte er Ethan sprechen und sah auf. Phase? Er wäre froh irgendwer würde ihn endlich mal aufklären. Das war der bittere Nachgeschmack des Neu seins. Man wusste nie wirklich um das Insiderwissen der anderen. Er hörte seinem Kollegen weiter zu... und verharrte einen Moment. "Wann er suspendiert wird...", wollte er gerade leise wiedergeben, da betrat kehrte angesprochener Abteilungsleiter schon zurück. Wieder herrschte Schweigen und die Bedrückung schien erneut aufzusteigen wie dichter Nebel. Keiner wagte sich zu einem Ton zu melden und dann... erklang sein Name. Natürlich. An dem Tag an dem sein Chef miesgelaunt war wurde natürlich er angesprochen. Richard warf einen kurzen Blick den anderen zu, ehe er seinem Chef Folge leistete und sich erhob. Er nahm seine Sachen, ignorierte seine Kollegen, die ihnen nachsahen und verlies mit Jake das Gebäude.

Was ihn noch mehr verwunderte. Reichte das Büro nicht? Diese Ahnungslosigkeit ging ihm langsam gehörig auf die Nerven. Und so wagte er selbst nicht mit irgendwelchen Sätzen ein Gespräch anzuleiten. Jake machte ohnehin nicht den Eindruck als wolle er reden. Sie stiegen ins Auto und fuhren los. Keiner wagte auch nur irgendetwas von sich zu geben. Beide starrten gerade aus. Nur Richard sah ab und zu zu Mr. Gyllenhaal rüber. Er war fertig. Nichts was Kaffee retten konnte. Wie lange war er gestern noch in diesem Büro gesessen und hatte den Bildschirm angestarrt? Also stimmte was seine Arbeitskollegen da von sich gegeben hatten?
 

Nach einigen Minuten des Fahrens war noch immer kein Wort gesprochen worden. Doch gerade als Richard spürte, wie die Situation des Unwissens in seinem Innern aufzubrodelte drohte und er fragen wollte was es nun mit all dem auf sich hatte, hielt Jake schon an. Und von seinem betrübten müden Gesicht, sah der Lockenschopf nun zu dem Haus auf welches der Mann neben ihm ebenfalls blickte. Er schwieg. Denn Jake eröffnete ihm nun etwas, was das Brodeln in seinem Leib sacken lies. Das war es also... darum ging es ihm. Er beäugte das Haus und mit dem von Jake sagte vernahm er in seiner Vorstellung das Kinderlachen, sowie die willkommene Atmosphäre eines Familienhauses. Als Jake ihn jedoch schließlich zu dem Fall hinführte... verging all das. Und leere füllte den gerade noch warmen Gedanken. Richard merkte erst gar nicht wie Jake ihm das Bild zuhielt, erst als er sich von der Trance lösen konnte und auf es herab schaute, griff seine Hand danach und er musterte die beiden Mädchen. Rote Backen, das unschuldige Lächeln zu welchem nur ein Kind in dieser Form in der Lage war. Die Augen in denen noch so viel Leben stand, welches noch nichts von dem ahnte was da draußen lauerte. ... Ja, das was da draußen lauerte. Sie waren ihm also zum Opfer gefallen. Sachte strich sein Daumen über das Foto. Natürlich musste all das Glück enden. Die Leere die das Kinderlachen verdeckt hatte lies die Szenarien dessen was ihnen passiert sein könnte nur noch schwerer werden. Richard presste die Lippen einen Moment lang zusammen und wandte den Kopf dann zu Jake herüber. Er leidete darunter. Unter diesem Fall. Unter der Tatsache dass dort draußen noch immer ein Mann oder wer auch immer war, der die Unschuld der Kinder quälte und an sich nahm, als wären sie sein Eigen. Es stand in Jake's Gesicht geschrieben, all das. Die Pein. Die Schlaflosen Nächte. Die Gedanken, die Ängste, die Unruhe. Richard musterte ihn und als sein Abteilungsleiter den Blick abwendete, seufzte er auf. "Jake du bist ein Idiot...". Es klang vertraut. Vielleicht zu vertraut zwischen zwei Arbeitskollegen, doch Richard konnte nicht anders. Das war es also, Jake hatte diesen Fall zu seinem Fall gemacht. Zu seinem Leben. Und Richard verstand... - endlich. "... wie tief bist du da reingeraten...", darauf brauchte er keine Antwort. Doch sein Seufzen verriet, dass er es für nicht allzu gesund befand. Er wandte den Blick ab. Und es hätte wie eine Abweisung wirken können, wären folgende Worte nicht aus seinen wohlgeformten Lippen gekommen. "Er ist immer noch da draußen sagst du...", seine Augen wanderten über die Häuser der Nachbarschaft. Seit 5 Jahren hing er also nun daran. Richard schien zu grübeln, ehe er wieder zu Jake sah und ihm das Foto zurück gab. Es war eine sanfte Geste, bei welcher er nach Jake's Hand griff und ihm besagtes Bild auf die Handfläche legte. Als er dem kaputten Mann schließlich in die entgegen sah, berührten seine Finger noch immer seine Hand. "... gib mir alle Informationen die du hast. Alle Akten, Zeugenaussagen, Spuren, Details. Verdächtige..." damit war es ausgesprochen. Er würde ihm helfen. Richard ließ sachte wieder von Jakes Hand ab. "... und tu mir einen Gefallen...", damit lehnte er sich zurück. "... Dusch das nächste Mal wenn du mich in einem Auto entführst...". Mit diesem Kommentar sah er wieder zu Jake herüber. Und es war offensichtlich. Richard hatte einen Vorteil bei der Sache. Er war noch nicht müde. Er war noch nicht erschöpft und ausgelaugt. Er würde die Energie haben die Jake fehlte. Vielleicht auch den Blick für das Detail, den sein Vorgesetzter bei all seiner Mühe verloren hatte. Er war Neu in der Sache. Seine Aufmerksamkeit wanderte noch einmal zu dem Haus wo die Kinder gelebt hatten. Wie musste es der Familie nur gehen? Ohne Antworten. Aber mit dem Wissen welches Jake auch schon hatte. Das die Kinder tot waren. Richard seufzte leise, ehe er die Hand hob und sie Jake sachte an die Schulter legte. Nicht ein Klopfen, welches Ermunterung sprechen sollte wo es vielleicht keine war. Sondern eine einfache Geste, welche bedeutete, dass jetzt jemand da war der helfen würde. Seine Finger gruben sich ein wenig in den Stoff, ehe er wieder davon abließ, den Blick abwendete und gerade aus wandte. Schweigen folgte. Und dann etwas, was wohl keiner der Kollegen vorher so gesagt hatte. "Es tut mir leid dass dir das passiert ist...". Wer sich zu tief in einen Fall steigerte konnte sich verlieren. Und nur die wenigsten verloren ein Wort darüber, dass sie verstanden was für eine Last es war. Für die meisten war es einfach nur ein Fehler. Ebenso auch für Richard, nicht umsonst hatte er Jake als Idioten betitelt. Doch er wusste um die Schwere dessen, was sein Vorgesetzter auf den Schultern tragen musste. Er konnte es sich vorstellen. Und seine Worte waren wie immer ehrlich.
 


 

◈ ◈ ◈
 


 

Die Kochen waren steif und brüchig geworden. So fühlte es sich an, wenn Jake Gyllenhaal das Leid so vieler auf seinem Rücken trug. Dieser Fall hatte zu viel Platz eingenommen. Ihn vor ein verschlossenes Tor voller Rätsel und Trauer gestellt. In eisigem Wind und hallenden Worten seiner selbst, welche ihn immer weiter ins dunkle Nichts von Machtlosigkeit trieben. Das Auto wurde zu einem intimen Ort für Jake. Er offenbarte seinem Mitarbeiter unter enormen Druck wie es um ihn und diesem Fall stand. Auch wenn es nur Sätze waren, es war mehr als der Detective je preisgeben wollte. Doch das Geständnis das er sich gemacht hatte, drang ihn dazu Richard endlich einzuweihen. Das leere blau sah erneut nach draußen und das Ende seiner Faust ruhte noch immer auf seinen Lippen. Sein Daumen spaltete sich etwas davon ab und legte sich auf seine Wange. Ein Schlucken folgte.

Die Augen zeigten Schwäche. Einen gefallenen Mann der sein Herz in diesen Fall gelegt hatte und der sein Innerstes gerade jetzt vor Richard preisgab. "Jake du bist ein Idiot..."

In ihm regte sich etwas. Das von Müdigkeit gezeichnete Gesicht drehte sich zu seinem Beifahrer. „Was?“ die Lippen blieben geöffnet nach dieser Frage. Als Richards Stimme noch einmal erklang und eine Frage stellte dessen Antwort beide kannten, lächelte Jake und sah auf seine Hände an denen er zeitgleich begann, herumzufummeln. Ertappt. Auch wenn es der junge Mann noch nie ausgesprochen hatte, so wusste er um sein Schicksal und es schmerzte dennoch als endlich jemand die Wahrheit am Schopf packte und Gyllenhaal vor die Nase hielt. „Autsch…“ ein bedrückte schmunzeln kam unter der Traurigkeit hervor. Es war humorvoll gemeint und doch resignierend. Er verstand in dem Augenblick was er sich angetan hatte. Die letzten fünf Jahre waren die Hölle für ihn gewesen. Wann war er das letzte Mal im Kino gewesen? Er erinnerte sich nicht. Der blasse Mann mit den Locken war plump, es stach und traf ihn an den richtigen Stellen wie es schien. Jake Gyllenhaal war scheinbar sensibel geworden. Allerdings fiel es ihm schwer darüber zu reden oder die Schwäche zu erdulden. Auch wenn dieser Moment so viel Finsternis in sich trug, schaffte es der Mann an seiner Seite ihm etwas Beruhigendes zu schenken. Die Nähe eines anderen Menschen. Nähe. Ein wildfremder Mensch und doch spürte er die weichen Finger um seine Hand. Die Augen sahen in die des Neulings. Ihre Blicke trafen sich und die Dankbarkeit in seinem leidenden Zügen fand endlich Einzug. Denn neue Hoffnung tat sich auf und diese Berührung gab ihm Kraft. Hände waren schon etwas Seltsames. Man benutzte sie jeden Tag, nahm sie als selbstverständlich und doch …wenn man die eines Anderen ertastete hatte es etwas nahezu intimes. Jake wandte den Blick ab. Man merkte dass er dem von Richard nicht standhalten konnte. Zu groß wurde die Scham über sein Verhalten. Dann endlich das Einverständnis und der Braunhaarige lächelte auf, sah gerade aus und nickte. „Alles klar“.

Allerdings folgte sogleich eine ernüchternde Bitte. Er hätte doch Duschen sollen. Ein Schmunzeln überrannte ihn, damit hatte er nicht gerechnet. Die Situation hatte sich trotz allem Übel etwas lockern können. In die geschwungenen Lippen pressten sich die weißen Zähne und er sah Richard fragend an, während das Grinsen immer breiter wurde. Sein Kollege war frech und viel zu vertraut für Jemanden der neu war und mit seinem Chef gerade im Auto saß. Aber gerade störte es ihn nicht. Sondern sorgte nur für Verwunderung und einem verwirrten Lächeln, welches langsam an Spannung verlor, als er die warme Hand an seiner breiten Schulter spürte. Die Finger des anderen gruben sich in den Stoff und auf einmal musste er daran denken was die zwei Damen im Sekretariat von sich gegeben hatten. Richard sie schwul. Als er den Gedanken für sich im Stillen ausgesprochen hatte, wurde die Situation nun doch irgendwie seltsam. Der Abteilungsleiter schaute Richard entgegen und begann begann seine Grübeleien zu vertiefen. Die Konturen des Bartes der sich um die blasse Haut schmeichelte, die Locken die in sein Gesicht hingen, dank des Windes. Er gab sich den Vorstellungen hin. Und sprach für wenige Minuten kein Wort mehr.
 

„Es tut mir leid.“ damit konnte der sonst so freundliche und schlagfertige Mann nicht umgehen. „Ja mir auch...“ Mit den Worten drückte er die Kupplung und drängte mit seiner rechten Hand den ersten Gang rein, startete den Motor und fuhr wieder los. „Und wenn du mich noch mal beleidigst werden dir zufällig mal ein paar Stunden mehr in deinen Arbeitsplan rein geschrieben.“ Neckend und doch herzlich war der Kommentar, mit welchem er entgegnet hatte. Schließlich war er der Chef und doch nahm sich Richard so etwas heraus. Dummer Weise gefiel ihm das, sehr sogar. Wie ging man mit jemanden um den man kaum kannte, ihn aber zu nah an sich rangelassen hatte? Mit einem Gefühl aus Verwirrung, Trauer, Wut, Angst und Hoffnung kamen sie bei der Wache an. „Ich gebe dir sämtliche Unterlagen, dann kannst du dich etwas reinarbeiten bevor wir uns zusammen setzen.“ Das waren die letzten Worte als er aus dem Auto stieg.
 

In seinem Büro angekommen ging der Tag sehr schnell rum. Das hellblaue Hemd knöpfte er erneut auf, denn die Hitze war im Gegensatz zu draußen noch immer in den Büroräumen hängen geblieben. Den Ventilator schaltete er auf die höchste Stufe. Mit einem mulmigen Gefühl suchten seine Hände sorgfältig und vorsichtig die Unterlagen zusammen. So wie er es Richard gesagt hatte. Wie sehr ihn der Fall auf die Psyche geschlagen hatte war ihm noch nicht bewusst. Erst als er den Stapel an Papieren in den Händen hielt und diese zitterten legte er sie hastig wieder auf die Tischplatte und strich sich durchs Haar. Die Scheiben seines Büros waren halb geöffnet. So musste man schon genau hinschauen um die Gesten sehen zu können. Einige Haarsträhnen hatten sich aus der gegelten Frisur gelöst. Seine Hand strich immer wieder von Nase zum Kinn. Es kostete ihm jede Menge Überwindung die Unterlagen an Jemand anderen weiter zu geben, das wurde ihm gerade schlagartig bewusst. „Verdammt…“ er ließ sich in den Stuhl fallen, beugte sich nach vorn und legte seine Ellenbogen auf die Knie, während seine Finger sich in seinem Schopf vergruben. „Scheiße...“ sein Atem war drückend und schwerfällig. Beruhig dich! Es dauerte seine Zeit, bis er sich wieder aufraffen konnte.

Dann stand er auf, Atmete noch einmal durch schweren Lungen ein und ging mit drei schweren Ordnern zu Richards Platz. So schnell es ging, legte er sie ihm hin, um anschließend seine Hände in den Hosentaschen zu vergraben und ihn um etwas zu bitten. „Wenn du dir die Unterlagen anguckst und die Videos, dann setz dich einfach in den Raum neben an mit dem Fernseher, da hast du deine Ruhe.“ Dennoch, nach so vielen Jahren wussten nur die wenigsten genau über den Zwillingsfall bescheid. Ein Kollege der lange mit ihm daran gewesen war, war bereits in Rente gegangen und alle anderen waren ihm zu unmotiviert geworden. Und hatten dazu noch keinen Sinn mehr für das Wesentliche, für die Details. Er verließ Richard und es würde wohl eine Weile dauern bis sie sich zusammensetzen konnten.
 


 

◈ ◈ ◈
 


 

Richard hatte ihn ertappt. Und es schien ihm im vollsten Sinne bewusst zu sein. Vor allem aber auch es ohne wirkliche Bedenken ausgesprochen zu haben. Jake war sein Chef. Doch hatte er sich ihm geöffnet und dabei nicht nach Wahrheit verlangt? Die hatte der Lockenschopf ihm gegeben. Es war falsch. Es war verdammt idiotisch. Und Jake stecke schon zu tief drin. Er hatte sich einem Fall hingegeben, der zu seinem Leben geworden war. Die Müdigkeit in seinen Augen, die Erschöpfung in seiner Haltung gab in diesem Moment alles wider was dieser Mann die letzten fünf Jahre hatte tragen müssen. Ob es schlau war die Last mit ihm zu teilen? Vielleicht war es genau die Frage, die sich all die Kollegen gestellt hatten, die ihren Abteilungsleiter Tag für Tag weiter absacken ließen. Aber dann waren auch sie sichtlich nicht in der Lage, Grenzen zu bewahren. Richard hatte schon ein mal etwas in sein Privatleben gelassen. Er hatte es schon einmal so weit vordringen lassen, dass es ihn bis unter die Bettlacken verfolgt und ihm jeglichen Schlaf geraubt hatte. Aber diese Tortur über Jahre? Jeder der wusste wie schnell man im tosenden Meer treiben konnte, jeder der ahnte wie unbarmherzig die schwarzen Wellen sein konnten, würde sich einen Rettungsring mit auf das Boot nehmen. Doch scheinbar nahm jeder seiner Kollegen es auf die leichte Schulter. Und gerade weil sie so gepolt waren, gerade weil sie es sich einfach machen wollten, ließen sie einen Mann alleine ertrinken. Richard hatte gelernt, er würde nie wieder ohne Rettungsring hinaus ins Meer schwimmen. Würde nie wieder auf ein Boot steigen welches keinerlei Schutz für ihn selbst bei sich hatte. Aber nun würde er seinen Rettungsring teilen müssen.
 

Der Abteilungsleiter schmunzelte- Leicht, aber es war ein angenehmes Bild. Und auch wenn es keineswegs seine Aufgabe war diesen Ausdruck auf das Gesicht eines Mannes zu bringen, der arbeitstechnisch über ihm stand, so musste Richard zugeben, dass es auf menschlicher Linie gut tat. Und er den Anblick dieser Lippen, wie sie sich kräuselten, wie die Zähne sich in die weiche Haut bohrten und das Grinsen ausgeprägter wurde, genoss. Dass Jake dabei wusste, wie es um die Vorlieben des Lockenschopfes stand, ahnte dieser nicht. Das das Mustern der weichen Kissen des gekräuselten Mundes mehr beinhalten konnte, als die bloße Freude über eine Miene der Wärme. All das was kam, alle Blicke die Richard seinem Chef zuwarf. Vielleicht auch einfach nur wenn er in Gedanken vertieft war... all das würde Mr. Gyllenhaal mit seinem Wissen nun auf die Waage legen können. Und vielleicht war es besser, das Richard nichts davon erahnte. "Ja mir auch...", er musterte Jake noch einige Sekunden nach dem dieser gesprochen hatte, ehe er damit die Hand von dessen Schulter löste und den Blick wieder nach vorne richtete. Es herrschte Stille, für einen Moment. Bis Jake auf den Kommentar des jungen Mannes einging, genauso neckisch und Richard damit ein Lachen entlockte. Er sah nachdenklich zu Boden, als das Schmunzeln seine Lippen noch immer gefangen hielt. "Nimm es mir nicht übel, aber ich denke in Zusammenarbeit mit dir werden jetzt wohl eh einige Überstunden auf mich zukommen...". Er nahm es sich raus diese Tatsache einfach auszusprechen. Nicht so zu tun als wüsste er nicht schon längst, wie lange Jake die letzte Nacht im Büro gehangen hatte. Und wenn er den Worten seiner Kollegen glauben schenken konnte, war dies kein seltenes Bild.

Sie fuhren zurück. Und Richard hatte das Gefühl mit einem Mal mehr Ahnung über seinen Chef zu haben, als das restliche Personal erahnen konnte. Jake hatte sich ihm geöffnet. Ganz von selbst, ganz privat. Er würde kein Detail darüber verlieren. Auch wenn die anderen schon geierten, als sie zurück in das Gebäude kamen und fragend wie auch neugierig zu den beiden schauten. Jake verschwand in seinem Büro. Und Richard ließ keinen Ton darüber verlauten was gewesen war. Doch er spürte die Blicke der anderen. Wusste dass sie hinterfragten. Und vielleicht auch schon erahnten. Ihm war es egal. Er würde ihnen keinen neuen Stoff liefern, über den sie herfallen konnten wie ausgehungerte Tiere.

Die Zeit verging und während Mr. Gyllenhaal scheinbar etwas Länger brauchte um alles zusammen zu finden - jedenfalls bekam Richard nicht mit was wirklich in diesem Büro abging, kümmerte er sich um die restlichen Kleinfälle, die nach Antwort und Lösung verlangten. Die Zeit strich dahin. Tyler stellte ihm einen Kaffee hin und verharrte einen Moment. Scheinbar darauf wartend dass er doch eine Erzählung von sich geben würde. Doch Richard bedankte sich nur und schenkte ihm ein Grinsen. Scheiße, wieso schüttete er sich diese heiße Brühe nur rein, wenn es eh schon so unsagbar warm war?

Gewohnheit. Eindeutig. Und nicht mal eine angenehme. Die Finger glitten immer wieder von der Tastatur rüber zu der Tasse. Er nahm einen Schluck, stellte sie wieder ab, tippte weiter. Bis der Rhythmus irgendwann durchbrochen wurde. Von dem dumpfen Geräusch der schweren Ordner, die auf seinem Tisch landeten. Richard sah zu ihnen, ehe er aufblickte. Er hörte zu. Und verstand. Die anderen beobachteten ihn wieder, musterten ihren Vorgesetzten ebenso und schienen langsam zu realisieren. Tyler schüttelte den Kopf und Ethan gab ein kaum hörbares Seufzen von sich. "Alles klar", erwiderte Richard. Mehr wurde nicht gesagt und Jake entfernte sich wieder. Er sah ihm nach. Ignorierte dabei wie die anderen zu ihm gafften und im Stillen ihre Kommentare dazu gaben.
 

Er hatte seine Schreibarbeit beendet, bevor er sich aufraffte und die drei Ordner nahm - welche wirklich so einiges wogen - und in den Nebenraum welchen Jake ihm nahegelegt hatte verschwand. Es war wirklich besser sich mit einer Arbeit diesem Ausmaßes, vor (allem an Papierkram) zurück zu ziehen. Richards Tisch war im Gegensatz zu den anderen meist ordentlich. Er hatte auch noch keine Zeit gehabt irgendwelche persönlichen Dinge darauf zu stellen. Vielleicht bewahrte er deshalb noch so eine förmliche Ordnung, welche sich legen würde sobald sein eigener Platz Charakter bekommen würde.

Er lies die Unterlagen sinken, und sah sich einen kurzen Moment lang um. In den letzten qwei Wochen war es nicht von Nöten gewesen, sich Überwachungsvideos anzusehen. Jedenfalls nicht bei seinen kleinen Einstiegsfällen. Früher hatte er öfter Zeit in solchen Räumlichkeiten verbracht, mitunter auch mit seinem damaligen Kollegen Nikolaj. Richard zog den Stuhl heran und setzte sich. Er war nach dem damaligen Vorfall nur noch wenige Male in den Raum wo sie die Überwachungsbänder abspielten gesessen. Die kleinen vier Wände welche zuvor noch mit neckischen, oftmals auch überschwänglichen Kommentaren seines Kollegen gefüllt worden waren, waren von einem auf den anderen Moment leer gewesen. Und still. Und er hatte es nicht mehr ertragen.

Jetzt merkte er, dass der Neuanfang wirklich eine Veränderung gebracht hatte. Die Gewohnheit, welche er so vermisst hatte konnte ihm nicht mehr fehlen. Denn das hier war ein anderer Ort. Anderes Personal. Andere Situationen. Und Richard spürte mit einem Aufatmen, wie ihm etwas von den Schultern wich. Seine Finger glitten über den Einbund des obersten Ordners. Umgriffen die Kante und öffneten einen Fall, der über die Jahre so an Umfang gewonnen hatte... verdammt, hatte Jake wirklich jeden Tag darin investiert?
 

Richards stützte die Stirn auf seinen Zeigefinger und Daumen, als er begann sich einzulesen. Er war in der Ausführlichen Fallbeschreibung hängen geblieben, als sein Blick zur Uhr wanderte. Feierabend. Das Rumpeln der Stühle, die an die Tische geschoben wurden verriet ihm dass die anderen sich schon längst bereit gemacht hatten um zu gehen. Richard seufzte, er hatte sich gerade eben erst in das Muster eingefunden. Aber es galt eine Regel. Bewahre Abstand und dein Leben. Damit raffte er sich schließlich auf und entschied, sich morgen weiter den Papieren zu widmen. Er legte alles was er rausgenommen hatte wieder ordentlich zusammen, schob es in den Ordner, nahm diese und verlies den Raum. Brian, der gerade als letzter das Büro verlassen wollte sah zu ihm "Ah, gehst du auch Nachhause?" Richard ließ die Ordner in eine der Schubladen fallen, welche er schloss und zu den hageren jungen Mann aufblickte. "Ja..." - "Gut... dann bis dann", mehr wurde nicht gesagt. Richard nahm seine Sachen und ging ebenfalls. Dass das Licht im Büro seines Chefs noch brannte, entging ihm nicht.
 


 

◈ ◈ ◈
 


 

Schon lange hatte Jake den Blick für Details oder gar das Beobachten verlernt. So hatte es zumindest den Anschein, nachdem er sich diesem Fall zur Aufgabe gemacht hatte. Es war alles gesagt worden, zumindest für diesen Augenblick. Mehr konnte Jake Richard nun nicht mehr geben, als sein Vertrauen und die Hoffnung die er dem Neuen auferlegt hatte. Jedoch eher zaghaft und noch nicht voll und ganz. Schließlich könnte sein neuer Mitarbeiter sich immer noch umentscheiden, was ihm natürlich Niemand verübeln konnte. Auch wenn es ein weiterer Niederschlag für ihn sein würde. Doch er würde ihn verkraften lernen. Doch zuallererst erwartete er Professionalität und Diskretion von Richard. Als sie zurück gefahren waren und er Richard den Fall auf dessen Schreibtisch lud nickte er ihm aufmunternd zu und verließ ihn.
 

Er hatte die Situation noch eine Weile beobachtet und Atmete erleichtert auf als er feststellen durfte, hatte dass Richard seiner Bitte nach kam und Niemand anderen mit einbezog. Es war ein eindringliches Gefühl von Sicherheit das ihn in seiner Menschenkenntnis bestätigte. Nun war es also wirklich Richards und Jakes Fall. Beide mussten einfach einen Weg zum Mörder finden.



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