Garak lag wach und dachte nach.
Nach den Ereignissen im Dominion-Camp, hatten Doktor Bashir und er ihre wöchentlichen Treffen zum Lunch wieder aufgenommen, und als sie sich, nach der großen Enthüllung von Julians Geheimnis, das nächste mal getroffen hatten, stand dem Jüngeren die Nervosität und Unsicherheit förmlich ins Gesicht geschrieben.
Er hatte den Doktor mehr als nur unterschätzt. Wie oft hätte er sie, die ganze Station, wohl aus einer brenzligen Lage befreien können, hätte er sein volles Potential offenbart? Doch er entschied sich stets seine eigene Haut zu retten und sein Geheimnis zu wahren.
Julian erinnerte sich an alles, was er jemals erlebt und gelesen hatte und war somit vielleicht mehr Cardassianer, als Mensch. Etwas, was ihn nur noch interessanter machte.
Und nachdem Julian sein folgendes Flirten nicht nur bemerkte, sondern sich seine Züge entspannten und er es auch noch bewusst erwidert hatte, begann er zu verstehen.
Hier war er nun, keine zwei Monate später, in einem alten Hotel auf der Erde, Lichtjahre seines Exils entfernt und den Arm um einen schlafenden Julian Bashir gelegt.
Der medizinische Offizier war zu einem Urlaub genötigt worden und hatte, nachdem jeglicher Widerspruch abgewiesen worden war, beschlossen diesen auf seinem Heimatplaneten zu verbringen. Auch wenn sie seit einigen Wochen das Bett teilten, hatte er nicht erwartet, daß Julian ihn fragen würde, ob er mitkäme.
Der Jüngere konnte manchmal ziemlich hartnäckig sein, weshalb Garak, nach einer langen Diskussion, schließlich einwilligte ihn zu begleiten. Nicht, daß er das nicht von Anfang an vorgehabt hätte.
Allerdings hatte er auch nicht gewusst, daß die Temperaturen bei dem Reiseziel unter Null lagen. Vielleicht hätte er es sich dann noch einmal überlegt.
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Der Ex-Spion lies seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Als sie gestern angekommen waren, hatte Julian ihm nicht viel Zeit gelassen sich in Ruhe umzuschauen.
Es war, als wäre in dem Hotel, vor hunderten von Jahren, die Zeit einfach stehen geblieben. Die Wände an der Außenseite, bestanden aus dicken Baumstämmen und das andere Ende des Zimmers zierte ein steinerner Kamin, vor welchem, auf einem großen, weichem Teppich, zwei dunkelrote Sessel standen. Die Farben der Einrichtung waren warm und harmonierten vorzüglich. Einzig allein Julians lila Hemd, welches über einem Stuhl, neben dem Schrank hing, passte nicht so recht ins Bild.
Allerdings konnte er sich diesmal nicht über die Kleidung des Doktors beschweren. Der Schneider sorgte schon dafür, daß sein Lover nicht als modische Katastrophe herum lief. Er hatte gedacht, die Uniformen von Starfleet wären schlimm, doch als Julian das erste mal in Freizeitkleidung in seinen Laden kam, hätte er sich vor Schreck fast das Kleidungsstück, an welchem er zu der Zeit arbeitete, an der Hand festgenäht. Nicht, daß das irgendetwas an seiner Meinung über die Uniformen änderte, doch es ging noch schlimmer, das war ihm bewusst.
Neben ihm fing Julian an sich zu regen und riss ihn aus seinen Gedanken. Die Sonne stand schon seit geraumer Zeit am Himmel und langsam war auch der Körper seines Lovers bereit einem neuen Tag entgegenzutreten. Als Elim den Kopf drehte, trafen sich ihre Blicke und ein Lächeln umspielte seine Lippen, welches auch gleich erwidert wurde. Ein wortloses Gespräch folgte, in welchem mehr gesagt wurde, als beide in den letzten Wochen ausgesprochen hatten. Vielleicht sogar mehr, als sie jemals aussprechen würden.
Die Heftigkeit dieser unausgesprochenen Emotionen, traf den Cardassianer wie einen Schlag und raubte ihm den Atem. Julian ging es nicht anders, doch als dieser grade etwas sagen wollte, schnitt ihm Garak, indem er ihn küsste, kurzerhand jegliche Worte ab.
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Es war Mittag, als sie sich schließlich etwas zu Essen über den Zimmerservice bringen ließen. Die Auswahl war, laut Julians Aussage, ziemlich klassisch, auch wenn Garak schwören könnte, daß einiges davon nicht aus den heimischen Pflanzen der Erde gemacht wurde.
„Interessant. Selbst im Urlaub scheinst du es immer noch eilig zu haben,“ kommentierte der Schneider das, mal wieder viel zu schnelle, Essverhalten seines Gefährten.
„Scheint die Macht der Gewohnheit zu sein,“ antwortete Julian, als hätte erst jetzt gemerkt, daß er mit dem Essen schon halb fertig war.
„Eine schreckliche Angewohnheit.“
„So schlimm kann es nicht sein, sonst wärst du nun ja nicht hier.“
„Wohl wahr. Aber ich bin guter Hoffnung, daß du deinen Fehler einsiehst und dich noch besserst.“ Garak sagte das in einem solch schelmischen Tonfall, daß Julian ein Lachen nicht unterdrücken konnte.
„Ich dachte, wir könnten gleich vielleicht einen Spaziergang machen,“ schlug Julian vor, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. „Da gibt es einen Ort, den ich dir gerne zeigen würde.“
„Ich hoffe an diesem Ort ist es wärmer. Ich würde nur ungerne in Winterstarre fallen. Gefroren bin ich immer so ein unglaublich schlechter Gesprächspartner.“
Das Grinsen von Bashir wurde nekisch.
„Keine Bange, so niedrig sind die Temperaturen auch nicht. Du wirst es überleben.“
„Mein lieber Julian,“ fing Garak mit aufgesetzt, geschockter Miene an. „ich hätte nicht gedacht, daß es dir Freude bereiten würde mich leiden zu sehen.“
„Tut es auch nicht,“ Julians Grinsen verschwand. „Deshalb habe ich dir auch das hier besorgt.“
Er holte ein kleines Paket aus seiner Tasche, welches kaum größer als eine Schachtel delavianische Schokolade war. Skeptisch zog Garak die Augenwülste zusammen und betrachtete die Box von allen Seiten.
„Mach es auf,“ drängte der Doktor, der wahrscheinlich gespannter auf die Reaktion seines Partners war, als dieser darauf, was sich in der Schachtel befand.
Er öffnete sie und zog ein dünnes, sich warm anfühlendes, ärmelloses Oberteil hinaus.
„Es ist aus einem Thermo-Stoff. Ein Händler hat es aus dem Delta-Quadranten mitgebracht. Es mag vielleicht klein aussehen, aber es ist dehnbar und passt sich dem Körper an. Zudem ist es konstant warm und wird auch dann nicht kälter, wenn man es direkt ins Eis legt. Ich habe es getestet. Wenn du das trägst solltest du also nicht erfrieren.“
Sprachlos lies Garak die Finger über den warmen Stoff gleiten. Noch nie hatte ihm jemand etwas derartig wertvolles und praktisches geschenkt und er wusste nicht so richtig, wie er reagieren sollte. Ihm war bewusst, daß der Doktor bei diesem Geschenk eigentlich nicht an den Urlaub gedacht hatte, da dieser ja gar nicht geplant war.
„Tut mir Leid, daß es keine Ärmel hat,“ fing der Doktor, mit nervöser Stimme, nach einer Weile wieder an. „Mehr hatte der Händler nicht dabei und es ist wohl nicht so einfach an diesen Stoff ranzukommen.“
Beschwichtigend legte Garak die Hand auf Julians.
„Mein lieber Julian... Danke. Das bedeutet mir sehr viel.“ Er versuche all die Dankbarkeit, die er nicht auszudrücken vermochte in das folgende Lächeln zu stecken, und nach dem leicht geröteten Blick seines menschlichen Begleiters zu urteilen, gelang ihm das sehr gut.
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Einige Stunden später waren sie auf dem Weg nach draußen. Garak von oben bis unten eingemummt in mehrere Schichten Kleidung, einem dicken Mantel, Handschuhe und einem langen Schal.
Julian trug eine etwas dickere Hose, einen Rollkragenpullover, eine Art Daunenjacke, sowie ebenfalls Handschuhe und Schal. Da Garak auf Deep Space 9 bisher natürlich noch keine Gelegenheit hatte die Winterkleidung des Doktors zu bemängeln, war die Farbkombination mal wieder katastrophal. Während er sich in schlichtem Schwarz und dunklem Grün hielt, war Julian eine Mischung aus grellem Rot, Lila und Türkis.
„Ich bin nun zwiespältiger Meinung. Einerseits finde ich deine Kleiderwahl unglaublich scheußlich, andererseits wirst du ziemlich gut zu finden sein, sollte ich dich zwischendurch mal aus den Augen verlieren,“ kommentiere der Schneider die Modesünde.
Julian setzte eine beleidigte Miene auf. „Mit meiner Kleidung ist alles vollkommen in Ordnung. Es sind doch schöne Farben.“
„Einzeln vielleicht, aber doch nicht in dieser Kombination. Und was ist das denn bitte für eine Jacke? Du siehst aus wie ein wandelnder Warpkern,“ konterte er, doch Julian schnaubte nur.
„Statt dich über meinen Modegeschmack zu beschweren, solltest du deine Aufmerksamkeit lieber auf das hier richten!“
Grinsend schwang er die Tür auf, welche eine Landschaft zum Vorschein brachte, die, obwohl sie gestern noch in Grün- und Brauntönen vorzufinden war, jetzt in hellem Weiß erstrahlte.
Schnee bedeckte die Bäume, den Boden und alles wo er sich auch nur ansatzweise drauf ablagern konnte. Garak war fasziniert von der strahlenden Landschaft, auch wenn ihm die Helligkeit ein wenig in den Augen schmerzte. Es war nicht das erste mal, daß er Schnee in Natura sah. Als er noch für den Obsidianischen Orden tätig war, hatte er auch einmal einen Auftrag auf Andoria zu erledigen.
Doch das war nicht zu vergleichen, denn Andoria war immer eisig. Er war damals ziemlich froh gewesen, daß seine Aufgabe es nicht erforderte, daß er einen Fuß nach draußen setzte.
Die Atmosphäre des Schnees auf der Erde war da ganz anders. Weicher und wärmer. Wie eine dicke Staubschicht legte er sich auf die Welt und lies sie ruhen, bis die Sonne kam und alles wieder zum Leben erweckte.
Julian war schon ein paar Meter weitergegangen und als Garak hörte, wie sein Partner ihn rief, schloss er sich ihm an und gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
Sie gingen nebeneinander, doch sprachen ausnahmsweise mal nicht. Es war eine angenehme Stille und passte gut zur allgemeinen Atmosphäre. Julian konnte reden wie ein Wasserfall, doch wusste er auch stets, wann es willkommen war, einfach mal zu schweigen.
Hin und wieder hielten sie inne und betrachteten die Landschaft. Nachdem es Garak nach einer Weile ein wenig zugig um die Ohren wurde, bastelte sich der Schneider aus seinem Schal einen provisorischen Kopfschutz, womit er Julian lautstark zum Lachen brachte.
Der Schnee knirschte unter ihren Füßen und sie hinterließen Spuren, die Garak verwischt hätte, wäre er alleine hier gewesen. Doch nun drohte keine Gefahr. Sein einziger Gegner war die Kälte, welche er im Moment, dank Julians aufmerksamen Geschenks, recht gut im Griff hatte.
Aus dem Augenwinkel sah der Ex-Spion eine Bewegung. Julian schien sie auch bemerkt zu haben, und so standen sie regungslos nebeneinander und schauten in die Richtung aus der es kam. Keine 5 Sekunden später huschte ein weißer Hase hinter einem der Büsche hervor, schaute sich um und hoppelte wieder davon. Die Spannung wich aus ihren Körpern und Julian brach das Schweigen für einen Vortrag über Schneehasen, während er sich bei dem Cardassianer einharkte und sie ihren Weg fortsetzten.
Oben angekommen genoßen sie die Weite des Ausblicks. Obwohl sie vor einigen hundert Metern einen ganzen Wald hinter sich gelassen hatten, lag vor ihnen eine eisige Wüste. Ein Blick nach hinten versicherte Garak, daß sie wirklich noch am selben Ort waren. Es war merkwürdig. Wo er eben noch daran gedacht hatte, daß die Erde soviel wärmer war als Andoria, nun auf eine Landschaft zu schauen, die kälter nicht sein konnte. Trotz der warmen Kleidung lief es ihm eiskalt den Rücken runter.
Da sein Begleiter keine Andeutung machte weiterzugehen, schloß der Ex-Spion, daß sie an dem Ort angekommen waren, welcher er ihm zeigen wollte.
Mit Julians genetisch verbessertem Verstand, war ihr Timing natürlich perfekt. Sie standen vielleicht 2 Minuten dort, als die Sonne in eine Position ging, die die Landschaft erst in ein seichtes Gelb und dann immer mehr in ein strahlendes Orange tauchte.
Hätte Garak keine so gute Kontrolle über seinen Körper, würde ihm nun der Mund offen stehen. Die kahlen Hügel ließen der Sonne die Möglichkeit den Schnee wie Sand zu erscheinen und verwandelten die Erde für ein kleines Stück in sein geliebtes Cardassia. Lediglich die Kälte und der bläulich-violette Schatten verriet, daß sie den Planeten nicht verlassen hatten.
Julian, welcher immer noch bei seinem Freund eingeharkt war, legte die Hand auf Garaks und sagte damit wieder einmal Dinge, die der Cardassianer ihm niemals geglaubt hätte, wäre es gesprochen gewesen. Worte über Verständnis, Freundschaft, Geduld... und Liebe.
Er hatte lange genug alleine im Exil gelebt. Lange genug jedem misstraut. Lange genug niemanden an sich rangelassen, kein tieferes Gefühl zugelassen.
Selbst an Orten, an denen man es nicht erwartet, kann man ein Stück Heimat finden. Man muss sich hin und wieder einfach nur mal führen lassen.
Elim hatte zwar 5 Jahre auf den Doktor warten müssen, aber Julian wartete noch immer. Und er würde es wohl auch noch weiterhin. Solange, bis er bereit war. Wie lange es auch dauern mochte.
Aber Garak wollte es nicht ewig so weitergehen lassen. Und er hatte auch schon eine gute Idee, wie er seinem Partner zeigen konnte, daß das Warten ein Ende hatte. Doch das war etwas für später.
Der Cardassianer wusste nicht mehr, wie lange sie schon dort standen, oder wie lang sie dort noch stehen würden. Tain hätte sich im Grabe umgedreht, hätte er gewusst wie sentimental er geworden war. Aber das war ihm egal, da er in seinem Leben noch nie so glücklich war.
Hier, an der Seite des naiven Arztes und in der Kälte des Schnees, der wärmer nicht wirken konnte.