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Vis-à-Vis

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Sooo, heute gibt es ein paar kleine Worte von mir vorweg. Nichts wichtiges, also nicht schlimm, wenn ihr es einfach überlest. x) *hehe*
Ich hab' eine Weile überlegt, ob ich euch das neue Kapitel in gewohnter Länge (wohl eher Kürze) oder in Überlänge präsentiere, habe mich dann aber für die gesamte Länge entschieden. Ich fand es einfach unschön, da mittendrin einen Cut zu setzen (auch wenn ich ja sonst auf Cliffhanger und blöde Enden und so stehe...) und hoffe, ihr verzeiht mir das, für meine Verhältnisse, lange Kapitel und lest es trotzdem. x)
Noch eine kurze Sprachzeichenerklärung für alle, die im folgenden Gesprächsverlauf vielleicht ein bisschen durcheinander kommen könnten:
~......~ -> Vincents Gedankensprache
~''......''~ -> Chaos' Gedankensprache
~*......*~ -> Lucrecias Gedankensprache
Dann also viel Vergnügen mit dem neuen, extra langen Kapitel! Komplett anzeigen

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Zwei Seelen

Er war wie gelähmt, konnte nur mit Mühe seinen Kopf zu ihr aufrichten, als er ihre Stimme vernahm. Das konnte nicht wahr sein. Er musste träumen. Seine Hand ruhte noch auf dem Kristall und er zuckte unweigerlich zusammen, als er glaubte, einen warmen Hauch durch den kalten Stein dringen zu spüren. Reglos schien ihr Körper im Kristall zu schweben. So ruhig, mit einem friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht, als würde sie schlafen. Einen ewigen Schlaf. Mit einem leisen Keuchen krallte er sich mit der Metallklaue in den steinernen Boden. Schlief sie... wie er geschlafen hatte? Erinnerungen versuchten sich aus seinem Innersten zurück an die Oberfläche zu kämpfen. Lang vergangene, gut vergrabene Erinnerungen. Er schluckte hart und schluckte sie wieder mit hinab. ~*Vincent.*~ Ihre glockenhelle Stimme ertönte in seinem Kopf. ~*Du hast her gefunden. Gut.*~ Ermattet legte er den Kopf ein Stück in den Nacken, um besser zu ihr aufsehen zu können. ''Lucrecia... hast du... mich...'' ~*Ich habe dich hergerufen, ja.*~ Ihr Körper und ihr Gesicht blieben vollkommen ungerührt. Sie war es gewesen, die ihn hier her geleitet hatte? Dieses drängende Gefühl steter Unruhe war tatsächlich ihr Geist gewesen, der ihn gerufen hatte? Ein paar Mal hatte er gedacht, dass dieses Gefühl ihm sehr vertraut gewesen wäre und nun hatte er Gewissheit. Die Information kam nur stückweise in seinem Kopf an. ~*Vincent, ich muss mit dir sprechen.*~

~''Was sie wohl will?''~ Die dunkle Stimme in ihm lachte boshaft auf. Vollkommen überfordert rang Vincent um Fassung und klammerte sich Hilfe suchend an den Kristall. ~*So rastlos auf deiner Reise...*~ Ihrer Stimme schwang ein bitterer Unterton mit. Unfähig, etwas zu tun oder zu sagen, ließ er seinen Kopf in den Nacken fallen, sah zu ihr auf und schmiegte seine Wange an das kalte Glas. Sie war hier gewesen? Die ganze Zeit? Für einen Moment schloss er die Augen und spürte, wie sich nach der ganzen Aufregung nun tiefe Erschöpfung in ihm breit machte. Diese ständigen Gefühlsausbrüche machten ihn wahnsinnig. Zwei Seelen die in ihm um die Vorherrschaft kämpften und welche beide so voller Inbrunst nach dieser dritten Seele gegiert hatten. Und nun war sie da. Direkt vor ihm, zum Greifen nah und doch so unerreichbar. Er spürte, wie die Anspannung von ihm abfiel und er langsam in sich zusammensank.

~*Du siehst so müde aus... der stete Kampf gegen ihn verzehrt dich.*~ Ihre Stimme hallte durch den Kristall und durchdrang volltönend seinen Kopf. Mit ihren Worten hatte sie absolut Recht. Schon seit er nicht mehr allein war, war jeder Tag eine Herausforderung. Er hatte das Gefühl, als würde in seiner Brust ein zweites Herz in ungleichem Takt zu seinem eigenen schlagen. Und es raubte ihm den Verstand. ~*Vincent, es tut mir leid, was dir widerfahren ist und es tut mir leid, was ich dir angetan habe. Du darfst dich nicht von ihm beherrschen lassen. Beherrsche ihn. Sieh ihn nicht als Fluch, sondern nutze seine Macht zu deinem Vorteil. Vincent, immerhin ist er der Grund, weshalb du noch am Leben bist.*~ In ihren letzten Worten lag Bedauern, aber auch viel Wärme. Statt eines bitteren Lachens, brachte er nur noch ein mattes Keuchen hervor, als er sich noch ein Stück enger an den Kristall presste. Nach allem was passiert war... er wäre lieber tot. Wie sollte er dieses Monster in ihm unter Kontrolle bringen? Er scheiterte doch immer wieder aufs Neue. ~''Du hast es erfasst. Du bist mir absolut unterlegen.''~ Schmerzhaft gruben sich die Spitzen seiner Klaue in sein Haar. ~''Also hör auf dich zu wehren und überlass mir, was mir zusteht.''~ Das boshafte, spitze Lächeln des Dämons in ihm war fast spürbar. So spürbar, dass ihm schlecht wurde. Wie lange sollte dieses Spiel noch gehen? Angesichts seines Zustands wohl bis in alle Ewigkeit. Die Metallspitzen bohrten sich fast unmerklich aber beständig in seine dünne Kopfhaut. Wenn nur Hojo nicht gewesen wäre. Hojo und seine verdammten Experimente. Unweigerlich keimten all die alten Erinnerungen in ihm auf. ~*Vergiss Hojo. Lass die alte Geschichte ruhen. Rache wird dich nicht weiter bringen, Vincent.*~ Er drehte den Kopf, lehnte seine Stirn gegen den Kristall und ließ auch seine Klaue aus seinem Haar an dem gläsernen Stein hinabsinken. Lange, pechschwarze Strähnen blieben zwischen seinen Fingern hängen. ''Wäre dieser Bastard nicht gewesen...'' Seine Stimme war leise und er konnte sehen, wie die glatte Fläche von seinem warmen Atem beschlug. Ja, wäre er nicht gewesen, dann wäre er jetzt tot. Dann wäre all der Schmerz vorbei, würde all das Elend ein Ende finden. Alles wäre einfach vorbei. Er atmete langsam aus, schloss erneut die Augen und sehnte sich nach dieser utopischen, absoluten Stille.

~''Du weißt so gut wie ich, dass dir dieser Frieden nicht vergönnt ist.''~ Stichelnd meldete sich die Stimme in ihm wieder zu Wort. Er seufzte leise. Auch dieses Elend wäre dann verschwunden. Ein zu herrlicher Gedanke. ~''Willst du mich so unbedingt loswerden?''~ Ein leises Lachen durchdrang ihn. ~''Dir würde so vieles entgehen.''~ ''Ich wüsste nicht was.'', entgegnete er zynisch. ~''Nicht? Oh...''~ Noch ein Lachen. ~''Lass mich dir ein bisschen auf die Sprünge helfen...''~

Wie von selbst begannen Erinnerungsfetzen durch seinen Kopf zu sprudeln. Verlorengegangene, verdrängte Bilder, die er gehofft hatte, nie wieder sehen zu müssen. ''Hör auf...'' Er kauerte sich dichter an den Kristall, suchte Halt an dem glatten Stein und grub seine Klaue fest in den kalten Boden. ~*Vincent, lass dich nicht von ihm beherrschen!*~ Ihre Stimme verlor in dem Gewirr an Gedankenbruchstücken an Kraft. ~''Du hast doch etwa nicht alles vergessen! Denk nur an die Schreie, diese herrliche Todesmelodie. Ihre entsetzten Gesichter. All das Blut.''~, säuselte die Stimme in ihm verzückt. Vincent grub seine Fingerspitzen immer fester in den Grund. Das war zu viel für ihn. Er konnte dieser Bilderflut nicht standhalten. Er sah sie vor sich... wie sie sich wimmernd auf dem Boden zusammenkauerten und voller Angst versuchten vor ihm zu fliehen...
 

~
 

''Bitte... bi-bitte... nein...'' Jammernd hob der Mann die Hände vor das Gesicht und presste sich gegen die Wand, an die er ihn getrieben hatte. Es gab für ihn keinen Ausweg mehr. Der weiße Kittel war blutverschmiert, aber es war nicht sein eigenes. Noch nicht.
 

- - -
 

Mattgrünes Licht und aufsteigende Luftblasen vor seinen Augen. Nur schemenhaft konnte er Bewegung hinter dem Schleier aus Flüssigkeit und dickem Glas ausmachen. Er fühlte sich seltsam. Nicht wach, nicht schlafend. Irgendwo in einem Zustand dazwischen.
 

- - -
 

Er konnte es in seiner Handfläche knacken spüren, als er nach der Hand griff, die ihm abwehrend entgegen gestreckt wurde. Ein Schrei durchstieß seine Ohren. Es war nicht der erste und es würde nicht der letzte sein. Da waren noch mehr von ihnen. Aber zuerst... Das tränenverschmierte Gesicht blickte voller Angst zu ihm auf, nur noch unverständlich vor sich hin stammelnd. Dann griff seine große Klaue nach dem bleichen Kopf. Noch mehr Blut.
 

- - -
 

Wieder wachte er auf. Wieder dieser grüne Schimmer und unzählige Luftblasen. Doch diesmal hatte er das unbestimmte Gefühl, nicht allein zu sein. Aber er konnte keine körperliche Gegenwart spüren. Es war nicht greifbar. Doch er war sich sicher. Er war nicht mehr allein.
 

- - -
 

''Es ist außer Kontrolle! Ruft sofort den Sicherheits-'' Ein ersticktes Gurgeln beendete den Satz. Warmes Blut floss seine Klauen hinab und tropfte auf die weißen Fliesen. Die anderen Menschen versuchten panisch aus den Laborräumen zu entkommen. Sie flohen. Vor ihm.
 

- - -
 

Hinter dem dicken Glas ging eine Person auf und ab. Seine Augen brauchten einen Moment sich vollständig an das diffuse Licht und den Blasenschleier zu gewöhnen, um genaueres erkennen zu können. Weißer Kittel, langes, braunes Haar... er kannte sie. Am Rand bewegte sich etwas. Eine Tür? Eine zweite Person kam in den Raum. Weißer Kittel, schwarzes Haar... auch sie kannte er. ''Du verschwendest deine Zeit mit diesem Unsinn.'' ''Nein, ich bin sicher, dass es funktionieren wird!'' ''Pah! Sieh ihn dir an. Nichts weiter als ein Häufchen leblose Materie.''
 

- - -
 

Wieder ein Schrei. Doch diesmal war er es selbst. Ungewohnt dunkel und grollend. War das wirklich er? Er fühlte sich so sonderbar. Als wäre er nur im Hintergrund. Schläfrig, abwesend. Als hätte etwas anderes die Kontrolle über ihn übernommen. Auf der Glasfront einer Schrankwand sah er die verschwommenen Konturen eines Ungetüms vorbeihuschen. War das wirklich er selbst?
 

- - -
 

Die Luftblasen stiegen fast schon sprudelnd vor seinen Augen auf und es fiel ihm schwer, etwas hinter dem Glas erkennen zu können. Wieder war er nicht allein. Und diesmal war das Gefühl stärker als zuvor. Als hätte es Besitz von ihm ergriffen. Von der Glasscheibe schimmerte ihm ein unbekanntes Gesicht entgegen. Ein völlig verzerrtes Gesicht. Nicht sein eigenes. Und dahinter... ihr Gesicht. Mit schreckgeweiteten Augen und offenem Mund starrte sie ihn unentwegt an. ''L... cre...'' Seine unnatürlich große Hand legte sich auf die Scheibe, drückte und drückte immer stärker dagegen, bis das Glas mit einem lauten Knall zerbarst und er mitsamt der Flüssigkeit aus dem Tank gespült wurde. Die Luft griff mit kalten Fingern nach seinem nassen Körper. Er fror.
 

- - -
 

''Los doch! Los! Wehe es entkommt euch! Ich sorge persönlich dafür, dass ihr einen Kopf kürzer gemacht werdet!'' Die Stimme überschlug sich fast, als sich ein hämisches Augenblitzen hinter den runden Brillengläsern abzeichnete. Ein weiterer Metallhaken bohrte sich mit Wucht in seinen Körper und setze einen beißenden Schmerz frei. Er spürte wie das Blut seinen Körper hinabrann und er glaubte fast wahnsinnig zu werden. Dann brachten die uniformierten Männer ihn endlich zu Fall.
 

~
 

''Hör... auf...'' Keuchend kauerte sich Vincent auf dem Boden zusammen und krallte sich Halt suchend immer tiefer in den Stein. Die Fingerspitzen seiner bloßen Hand waren schon rot und vollkommen taub. Die Knöchel traten schlohweiß hervor und jeder Muskel in ihm war zum Zerreißen gespannt. Ein finsteres Gelächter durchtoste seinen ganzen Körper. ~*Vincent...*~ Ihre Stimme war nun kaum mehr als ein Wispern.

~''Ja! Erinnere dich! Was sie uns, was sie dir angetan haben! Und wärst du nicht zu schwach gewesen, wir hätten sie alle töten können! Alle! Alle! Auch sie! Und ihn! Wenn du nicht zu schwach gewesen wärst!''~

''Schweig...''

~''Ha! Du hättest stark sein können, wenn du mich gelassen hättest! Wenn du mir die Kontrolle übergeben hättest! Aber du kannst jetzt stark sein.''~

''Nein...''

~''Los doch! Sei stark! Hole nach, was dir damals nicht vergönnt war! Ich gebe dir alles, was du brauchst!''~

''Nicht...''

Sein ganzer Körper zitterte und er spürte voll Entsetzen, wie sein Widerstand Stück für Stück in sich zusammenbrach. All die vergangenen Tage und Wochen... er hatte zulange versucht, gegen ihn anzukommen. Jetzt hatte er keine Kraft mehr. Er war am Ende. Mit einer raschen Bewegung zuckten seine Finger über den Steinboden und hinterließen tiefe Furchen und dünne Blutspuren im Dreck.

~*Ja! Endlich! Sei ein guter Junge und lass mich frei!*~

Ein heiserer Schrei verließ seine Kehle, als ein alles überflutender Schmerz seinen Körper durchspülte.
 

~
 

Mit einem knappen Kopfschütteln holte er sich zurück aus dem Zustand kurzzeitiger Verwirrung. Es musste einen Höhleneingang geben, anders konnte er sich Vincents plötzliches Verschwinden nicht erklären. Mühsam arbeitete er sich weiter voran. Die Steine unter seinen Füßen wurden zunehmend rutschiger und machten die Kletterpartie zu einem gefährlichen Unterfangen. Er konnte sich immer noch nicht erklären, was seinen Freund hier an diesen unwirtlichen Ort getrieben hatte. Ob es nur an seinem instabilen Zustand lag? Ob er einen Ort gesucht hatte, an dem er den anderen nicht zur Gefahr werden konnte? Doch es schien ihm wichtig gewesen zu sein, dass Cid genau hier landete. Es musste also mehr dahinter stecken, als reine Rücksichtnahme. Unweigerlich dachte er an den drohenden Blick seiner roten Augen den er ihm zugeworfen hatte, bevor er von der Highwind gesprungen war. Es schien ihm ebenso wichtig gewesen zu sein, tatsächlich allein zu gehen. Er wollte es wieder nur mit sich ausfechten. Doch in diesem absolut aufgewühlten Zustand, so sprunghaft zwischen Ruhe und Rage und so ausgezehrt und schwach... konnte er da überhaupt noch gegen sich selbst ankommen? Die letzten Wunden waren klein geblieben und zügig wieder verheilt, doch er war sich nicht sicher, ob es diesmal bei kleineren Blessuren bleiben würde. Er wirkte sehr verzweifelt... und wenn er nun gar nicht mehr zurückkommen wollte? Augenblicklich beschleunigte Cloud seine Schritte und eilte über die zerklüfteten Felsen.

Er hatte Recht gehabt mit seiner Vermutung, dass sich zwischen den abfallenden Steinhängen ein Eingang verbarg. Die Schwärze die ihm aus dem Loch abwartend entgegenblickte schien fast greifbar zu sein und er zögerte einen Moment. Ein unbehagliches Gefühl stieg in ihm auf und schnürte ihm die Kehle zu. Diese alles verschlingende Schwärze erinnerte ihn an sein Mako-Delirium. Eine gefühlte Ewigkeit war er in vollkommener Finsternis umhergeirrt. Wenn er auch sonst ein Einzelkämpfer war... an jenem Ort hätte er sich jemanden an seiner Seite gewünscht. Ein leichter Schauer kroch über seinen Rücken. Mit einem trockenen Schlucken würgte er die Gedanken hinab und trat schließlich in die Finsternis ein.

Behutsam tastete sich seine Hand an der rauen Felswand entlang. Er konnte sich nur noch auf seine Hände und sein Gehör stützen. Seine Augen waren in dieser Schwärze fast vollkommen unnütz. So wanderte er weiter langsam an der Höhlenwand entlang. Ein dumpfes Grollen drang aus der Ferne zu ihm herüber. ~Monster...?~ Angestrengt versuchte er zu lauschen und das Knirschen der Steine die von der Decke auf ihn herabrieselten zu ignorieren, doch es blieb vorerst still. Ein blasser Lichtschimmer kämpfte sich durch die Dunkelheit und schien das Ende eines langen Ganges zu bezeichnen. Erleichtert atmete Cloud auf. Endlich würde er der beklemmenden Schwärze entkommen können.

Er hatte das Gefühl noch ewig gelaufen zu sein, als sich das bleiche Licht zu einem weiteren Durchgang geformt hatte. Wieder ertönte ein Grollen. Diesmal lauter und dichter und er musste mit der Hand seine Augen schützen, als erneut Dreck und kleine Steine von oben herabfielen. Vorsichtig suchte er hinter einem halbhohen Felsbrocken Deckung und spähte über den Stein in die vor ihm liegende Kammer, doch er konnte nicht viel erkennen. Angestrengt reckte er den Kopf um etwas mehr sehen zu können. Am Rande der Öffnung kam die Ecke eines scheinbar riesigen Kristalls zum Vorschein, von dem der blasse Lichtschein ausging. Wo Vincent wohl war? Ob er gegen das Monster gekämpft hatte? Ein erneutes Grollen riss ihn aus seinen Gedanken. Laut, tief und volltönend schien es direkt aus der Kammer zu kommen. Als er sich ein Stück aufrichtete, nachdem sich die Staubwolke, die von der Decke herab gekommen war, gelegt hatte, taumelte plötzlich ein massiger Körper am Durchgang vorbei und fiel zu Boden. Ein Paar riesiger, ledriger Schwingen zuckte unkontrolliert in die Höhe, als ein weiteres Grollen ertönte. Es kam von dem Monster, ohne Frage, doch jetzt, näher dran, schien sich zwischen das Grollen noch ein anderer Laut zu mischen. Ein Wimmern? Es klang leidvoll und verzweifelt. Ob es verwundet war? Hatte Vincent es in die Knie gezwungen? Cloud stützte die Hände am Felsen ab und richtete sich auf. Der dunkle Kopf des am Boden kauernden Wesens zuckte ruckartig zu ihm herum und die glühenden Augen starrten ihn entsetzt und zugleich wutentbrannt an.

Erschrocken wich er einen Schritt zurück, als das Monster plötzlich laut aufschrie, sich erhob und unkontrolliert mit dem ganzen Körper gegen den Eingang donnerte. Die Erschütterung, die durch das Gestein bebte, löste große Brocken von der Decke und Cloud hatte Mühe, dem Geröll, das auf ihn herabfiel, auszuweichen. Abgelenkt von dem Monster, dass nur wenige Meter vor ihm tobte, bemerkte er den kleinen Stein hinter ihm zu spät und geriet ins Stolpern. Rücklings stürzte er gegen die raue Felswand und sank benommen zu Boden. Ein dumpfes Pochen breitet sich von seinem Hinterkopf durch seinen ganzen Schädel aus. Vorsichtig tastete er mit den Fingerspitzen durch sein Haar und führte sich die Hand wieder vor seine Augen. Sein Blickfeld begann bereits sich zu verdunkeln, als er angestrengt auf die feuchtglänzenden Spitzen seines Lederhandschuhs blickte. War das Blut? Wo nur war Vincent? Ob alles in Ordnung war? Mit aller Kraft versuchte er gegen die plötzlich aufkommende Schwärze in seinem Kopf anzukommen, doch er verlor den Kampf schnell und fühlte, wie er hinwegdämmerte. Bewusstlos sackte er in sich zusammen.
 

~
 

Keuchend und erschöpft kauerte er auf dem kalten Boden und doch pulsierte eine unbändige Energie durch seine Adern. Sein Verstand wurde von einem alles betäubenden Schmerz und wilder Raserei beherrscht. Er hatte das Gefühl, als würde er träumen, als wäre er weit weg und würde wie durch Watte nur erahnen, was um ihn herum geschah. Er fühlte sich klein und nichtig, tief vergraben in etwas weit größerem und mächtigerem. Große Klauen gruben sich in den Dreck. Durch die Augen, die nicht seine eigenen waren, sah er auf sie herab. Es waren nicht seine Hände. Das konnte nicht er sein. Und doch... er spürte, dass er in diesem Körper steckte. Langsam führte er die Klauen vor das Gesicht und betrachtete sie eingehend. Groß, kräftig, gefährlich. Zaghaft wandte er den Kopf zur glatten Oberfläche des Kristalls um. Kalt und hart, wie der glasklare Stein selbst, traf ihn die Erkenntnis, als er in das Gesicht blickte, dass sich dort spiegelte. Er war dem Dämonen in ihm unterlegen und hatte ihm den Platz überlassen. Hatte ihm seinen Körper und den Großteil seines Bewusstseins überlassen. Und er kannte diesen Anblick. Dieses Gesicht hatte ihm vor über dreißig Jahren entgegengeblickt, als er in dem Tank in Hojos Labor zuletzt erwacht war. Hinter der Spiegelung ihr Gesicht. Erschrocken, voller Angst... Angst vor ihm. ~*Vincent, lass ihn nicht völlig die Kontrolle über dich gewinnen.*~ Ihre Stimme... das war ihre Stimme. Nur schwach und ganz leise konnte er sie in seinem Kopf vernehmen. Als wäre sie mit seinem eigenen Bewusstsein zusammen betäubt worden.

Noch immer starrte er auf das Konterfei auf der Oberfläche des Kristalls. Es war eine verzerrte Version seiner selbst. Doch es war noch immer er. Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Es war sein abscheuliches Gesicht, waren seine Augen, aus denen die Mordlust leuchtete, seine Klauen, die sich vor verwirrender Erregung tiefer in den Dreck gruben. Er war immer noch er selbst. Er war es auch damals gewesen. Nicht das Monster, sondern er hatte all die Menschen getötet. Die Augen wanderten hinab auf die angespannten Klauen. An ihnen hatte so viel Blut geklebt. Seinetwegen.

Er konnte dem nicht standhalten. Es machte ihn wahnsinnig. Gefangen in diesem Monster, gefangen als dieses Monster. Er war nichts weiter als ein Monster. Tief und verzweifelt stieß er einen Schrei aus. Wankend richtete er sich auf, als er spürte, wie ihn unfreiwillig zwei riesige Schwingen empor rissen. Die kleine Bewegung zerrte schwer an seinen Schultern und ließ ihn zurücktaumeln. Unbeholfen sank er wieder in die Knie und stütze sich auf den Händen auf. Er fühlte sich hilflos, war vollkommen überfordert. Er wollte nicht so sein.

Ein Geräusch ließ ihn aufschrecken. Mit einem Ruck wandte er den Kopf in die Richtung, aus der er es vernommen hatte. ~Nein! Nicht...~ Ein Paar erschrockener, blauer Augen blickte ihm entgegen. Cloud war ihm trotz seiner Warnung gefolgt. Warum nur? Warum hatte er nicht an Bord bleiben können? Jetzt war er hier und hatte ihn gesehen. In dieser schrecklichen Gestalt. Zwischen seine Enttäuschung mischte sich die Wut des Dämons. Er sah in seinem Freund nichts weiter als einen Eindringling, einen Feind. Mit einem lauten Schrei sprang er auf und warf sich mit aller Kraft gegen den schmalen Durchgang, doch der Körper des Monsters war zu groß, um ohne Weiteres durch die Öffnung im Fels zu gelangen. Mit Wucht traf er auf den Stein auf und spürte, wie der Aufprall seinen ganzen Leib erzittern ließ. Auch durch das Gestein ging ein Ruck und ließ die ganze Höhle erbeben. Dreck und Geröll löste sich von den zerklüfteten Wänden und polterte herab. Tobend versuchte das Monster in den Gang zu gelangen, doch zum Glück hinderte es der massige Körper daran. Vincent suchte mit seinem Blick nach Cloud und fand ihn strauchelnd durch den Steinregen zurückweichen, bis er plötzlich aus seinem Sichtfeld verschwand. Aufregung stieg in ihm auf, als er ihn am Boden liegend wiederfand. Gierige Klauen versuchten sich am Stein festzukrallen. ~Cloud!~ Zusammen mit dem Monster drängte er weiter gegen den Durchgang, um zu seinem Freund zu gelangen. Er schien verletzt, wurde zusehends benommener, bis er schließlich in sich zusammensackte. Vincent und das Monster schrien gemeinsam auf. Er wollte ihn retten. Er wollte ihn töten. Mit verächtlichem Schnaufen stieß er sich vom Stein ab und taumelte zurück in den Raum, als er spürte, wie sich die scharfen Kanten immer weiter in seine Haut schnitten. Vielleicht war es besser so. Besser, dass er ihn nicht sah, dass er ihn nicht erkannte. ~Cloud...~ Wieder war es seine Schuld, dass er in Gefahr schwebte. Seine zweite Seele wütete unruhig in ihm und mit einem wuchtigen Schlag der Schwingen wirbelte er herum. Vor dem Kristall kam er wieder zum Stehen. Sie wollte noch immer Chaos und Zerstörung, sehnte sich nach absoluter Vernichtung.

Auf der gläsernen Oberfläche vor ihm spiegelte sich die wutverzerrte Fratze und dahinter ihr Gesicht. So ruhig und friedlich. Nicht wie damals, als sie ihn voller Furcht angestarrt hatte. Sie war wunderschön. ~''Jetzt können wir sie töten!''~ Der Dämon schrie erneut auf. Ein dumpfer Schmerz durchfuhr seine rechte Hand, als sie geballt auf den harten Kristall traf. Wieder und wieder. Wollte er ihn etwa zerstören? ~Lucrecia...~ Wieder warf sich das Monster mit aller Wucht gegen den Kristall. ~Ich konnte dich nicht schützen... ich konnte dich nicht vor Hojo bewahren... es tut mir leid...~ ~''Jetzt wird sie bezahlen!''~ Ein weiterer Aufprall ließ seinen ganzen Körper erbeben. ~Doch er wird dich nicht bekommen...~ Der nächste Fausthieb verlor auf halbem Wege an Kraft und traf nur gedämpft auf den Stein auf. ~''Was tust du?! Bist du des Wahnsinns?!''~ Die dunkle Stimme durchtoste in blinder Wut seinen Kopf. ~''Töte sie! Töte sie! Töte sie!''~ Aufgebracht tobte das Monster gegen sein Aufbegehren an, doch auch der zweite Hieb verlor an Schwung. ~Ich werde... sie dir nicht überlassen...~ Ein dunkles Grollen verließ seine Kehle. ~''Du bist ein Narr! Sie gehört mir!''~ Mit schwindender Kraft wagte er einen letzten Vorstoß gegen den Dämonen, versuchte, ihn zurückzudrängen und seinen Geist und seinen Körper wieder in seine eigene Kontrolle zu bringen. ~Niemals... wird sie dir gehören...~ Konzentriert spürte er, wie das Gefühl für seinen eigenen, menschlichen Körper allmählich wiederkehrte. Das Monster taumelte verwirrt durch den Raum und suchte verzweifelt Halt an den zerklüfteten Wänden. ~''Hör auf! Hör auf! Verlass diesen Leib!''~ Er spürte seine Hände zurückkehren, konnte sich in den Stein krallen und den wankenden Dämonen zum Stehen bringen. ~Nein... du gehörst nicht hier her... du hast deinen Körper verloren... nicht ich...~ Der Schmerz kehrte unvermittelt zurück, als das Monster Stück für Stück wieder menschliche Formen annahm. Brüllend und rasend vor Zorn versuchte sich die zweite Seele gegen die Transformation zu wehren. Vincent konnte spüren, wie sich ihre metaphysischen Klauen nach seiner eigenen Seele ausstreckten, sie umklammerten und mit spitzen Krallen zu zerfetzen versuchten. Alles überschwemmender Schmerz durchzog ihn auf jeder Ebene seines Bewusstseins. Er würde versagen. Wie er immer versagte. Sein Geist, seine Lebensenergie schwand, wurde schwächer und schwächer. Dann wurde alles um ihn schwarz.
 

~
 

~*Vincent...*~ Das war ihre Stimme. ~*Vincent. Steh auf...*~ Glockenhell bahnte sie sich auf zarten Schwingen einen Weg durch das Dunkel. War es vorbei? Mit einem leisen Keuchen ließ er die letzte Luft aus seinen Lungen entweichen, ehe er neue, frische und kalte Luft in sie hineinsog. Langsam öffnete er seine Augen. Stein. Sein Blick fiel auf nackten Stein. Dann kehrte das Gefühl in ihn zurück. Völlig erschöpft kauerte er auf dem Boden, Schulter und Kopf an die Felswand gelehnt. Die schwarzen Strähnen, die über seine Wange strichen und ihm den Blick verschleierten, zeigten ihm, dass er wieder er selbst war. In seinem Kopf dröhnte es noch dumpf nach und sein ganzer Körper war steif und schmerzvoll, doch er war zurück. Hatte den Dämonen zurückgedrängt. Leise atmete er erneut tief aus. Er hatte vollkommen verdrängt, wie verzehrend und peinvoll die Verwandlung war. Sein Kopf hob sich langsam von der harten Wand und wandte sich zu dem bleichen, sacht schimmernden Licht um. ~*Vincent...*~ Sie war noch hier. Schwerfällig und schwach kroch er auf Händen und Knien zum Kristall herüber, um sich gegen den glasklaren Stein sinken zu lassen. Seine Fingerspitzen erkundeten zitternd die Risse, die den gesprungenen Kristall durchzogen. Er blickte auf. Sie war noch hier. Unversehrt. Erleichtert ließ er seine Stirn gegen die kalte Oberfläche sinken. ''Lu... crecia...'' Sie war noch hier. Sie würde hier bleiben. Und so würde auch er. Endlich konnte er ihr wieder nahe sein. Kleine Splitter drückten sich in seine Haut, doch er drängte sich nur noch inniger an den Kristall. ''Verlass mich... nie mehr...'' ~*Vincent. Bitte...*~ Kraftlos klammerten sich seine geschundenen Fingerspitzen in die Risse. Ihre schöne Stimme. ~*Bitte, lass mich ziehen.*~ Er zog die Beine an den Körper und schmiegte sich noch dichter an sie. ~*Tu dir nicht selbst weh. Du weißt es doch besser.*~ Warum war ihre Stimme so bitter? Er war doch hier. Endlich wieder bei ihr. Er würde bleiben. ~*Vincent, lass mich an dem Ort, an den ich gehöre. Lass mich in der Vergangenheit.*~ Unweigerlich stahl sich ein leises Keuchen aus seiner Kehle. Wovon sprach sie da? ''Nein... sag das nicht...'' ~*Bitte. Bitte, lass mich ruhen. Ich habe dir so viel Leid gebracht... das kann ich mir nie verzeihen.*~ Was redete sie da? Er war doch schwach gewesen. Er hatte sie nicht schützen können. Er war der Grund, warum...

~*Vincent... vergiss Hojo, vergiss mich. Lass die vergangenen Tage ruhen. Rache wird dir keine Erlösung sein.*~ Sie vergessen? Niemals könnte er... Verzweifelt klammerten sich seine Finger in den Kristall. ''Lucre...cia... nein... ich...'' ~*Du weißt es doch. Du spürst es doch. Lass die Vergangenheit zurück. Und geh... geh in die Zukunft.*~ Ganz langsam sank er wieder in sich zusammen, als sich die Bedeutung ihrer Worte zu einem konstanten Gedanken geformt hatten. ~*Ich will dich um eins noch bitten... stoppe meinen Sohn. Er tut großes Unrecht. Halte ihn auf... bitte.*~ Ihr Sohn... sprach sie von... Sephiroth? ~*Vincent, lass mich Frieden finden.*~

Zitternd kauerte er am Fuß des Kristalls und versuchte, ihre Worte zu begreifen. Sie wollte nicht, dass er blieb. Sie wollte, dass er ging. Schickte sie ihn fort? Nein... sie bat ihn. Bat ihn, Frieden finden zu dürfen. Sephiroth... ''Lu...crecia...'' Doch sie antwortete nicht mehr.

Mühsam stützte er sich auf seinen Händen auf. Er musste gehen. Auf allen Vieren schleppte er sich ein Stück weit über den Dreck. Sein Rüstungsarm lag achtlos beiseite geworfen mitten im Raum und vorsichtig angelte er mit spitzen Fingern nach dem kalten Metall. Er ließ sich zurück fallen, setzte sich und streifte ihn wieder über. Er hatte Mühe die kleinen Verschlüsse mit seinen fast tauben Fingern notdürftig zu schließen und verlor die Geduld, als sein zerfetzter Ärmel immer wieder im Weg war. Mit einem kurzen Ruck riss er den durchlöcherten Stoff ab. Er wollte gar nicht wissen, wie er aussehen musste. Er fühlte sich hundeelend.

Für einen Moment verharrte er noch auf dem Boden, sammelte seine letzten Reserven zusammen und erhob sich dann träge. Er war müde, völlig erschöpft und am Ende seiner Kräfte, doch er musste gehen. Sie hatte Recht. Er konnte nicht bleiben.

Ein letztes Mal wandte er sich zum Kristall, zu ihr, um. Sie ruhte unverändert hinter dem gesprungenen Glas. Ihrem gläsernen Sarg. ''Lucrecia...'' Er würde sie nicht vergessen. Niemals.

Er atmete tief aus, wandte nur widerwillig den Blick von ihr ab und verließ den kleinen Raum. Mit jedem Schritt den er von ihr weg tat, spürte er ihre Anwesenheit schwinden und ein Gefühl unbestimmter Schwermut nach seinem Herzen greifen. Er hatte sie nicht retten können.

Er taumelte den Gang hinab und stoppte nach einigen Schritten, als etwas am Rande seines Blickfelds seine Aufmerksamkeit erregte. ''Cloud...'' Noch immer lag sein Freund betäubt auf dem Boden. Langsam kniete er neben ihm nieder und legte ihm behutsam die Hand auf die Schulter. ''Cloud...'' Es dauerte einen Moment, doch dann kehrte endlich wieder Leben in den ausgekühlten Körper zurück. Er stöhnte leise auf und suchte mit seiner Hand unsicher nach seinem Kopf, klammerte sich auf halbem Wege aber in Vincents Arm fest. Wortlos half er ihm auf die Beine und schlang sich einen Arm um die Schultern, um ihn zu stützen. Dann traten sie gemeinsam in den langen Gang, der sie mit alles verschlingender Schwärze empfing. Nur ihr unsteter Atem und ihre unsicheren Schritte auf dem steinigen Boden waren zu hören und hallten verzerrt von den Wänden wider. Gedanken waberten träge durch seinen müden Kopf.

~Sephiroth stoppen... deinen Sohn? Er ist auch... Hojos Sohn... Hojo...~



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